Wer verhaftet wird, oft mitten aus dem Alltag heraus, und wer dann in Untersuchungshaft kommt, allein in einer Zelle landet, erleidet häufig einen Schock. Dieser Haftschock endet für viele, viel zu viele Menschen in einem Schweizer Gefängnis mit dem Tod, in den meisten Fällen durch Suizid. Warum die Schweiz in der Suizidstatistik in Gefängnissen im europäischen Vergleich fast an der Spitze steht, erklärt Livia Schmid, Leiterin der Beratungsstelle für Menschen im Freiheitsentzug bei humanrights. Und sie sagt, auch, was es braucht, um die Rechte der Betroffenen effektiv zu schützen, und um dafür zu sorgen, dass die Schweiz bei diesem Thema endlich die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention erfüllt.
Le droit de manifester ne va pas de soi en Suisse. À quelles difficultés les personnes qui organisent ou participent à des manifestations se heurtent-elles ? Quelles sont les limites de ce droit ? Les manifestations sont remises en question, alors que la liberté d’expression et de réunion pacifique est plus importante que jamais, dans un contexte politique qui ne cesse de se polariser. Anita Goh, juriste au sein d’Amnesty International Suisse et chargée de campagne pour le droit de manifester, explique pourquoi le droit de manifester est menacé en Suisse. Episode en français, die deutsche Übersetzung findet sich in den Shownotes.
Menschenrechte sind zwar universell, auf ihnen ruhen die meisten Grundsätze, die unser Zusammenleben steuern, beeinflussen, bestimmen. Aber damit sie zur Geltung kommen, müssen sie auch regelmässig angerufen werden - vor Gerichten, die über ihre Tragweite entscheiden. Wie sie das tun, und warum Recht haben und Recht bekommen nicht dasselbe ist, darüber diskutieren die Staats- und Völkerrechtsprofessorin Helen Keller, die Rechtsanwältin Xenia Rivkin und Johannes Wendland, Rechtsexperte beim Hilfswerk HEKS bei eine Live-Aufnahme im Berner Käfigturm. Und sie waren sich einig, dass Menschenrechte mehr ins Gespräch kommen müssen, gerade in Zeiten wie diesen, wenn sie von so vielen Seiten her bedrängt und, ja, auch missachtet werden.
Klagen, um Medienschaffende oder Nichtregierungsorganisationen mundtot zu machen, zu zermürben, nehmen zu, in der Form von sogenannten «Strategic Lawsuits Against Public Participation», kurz SLAPPs. Den klagenden, mächtigen Konzernen geht es dabei nicht darum, Sachverhalte richtigzustellen, oder auch nur, vor Gericht zu gewinnen; das Ziel einer SLAPP ist es einzig, den Medienschaffenden oder einer Nichtregierungsorganisation eine Ohrfeige zu verpassen, damit sie schweigen. Warum das ein Angriff ist auf die Menschenrechte und schädlich für die Demokratie, erläutert Michael Burkard, Rechtsanwalt und Co-Geschäftsleiter von Impressum.
In der Schweiz haben kantonale und kommunale Behörden über Jahrzehnte hinweg Kinder «fremdplatziert», haben «auffällige» Jugendliche und Erwachsene mit «fürsorgerischen Zwangsmassnahmen» in Anstalten, Fabriken und psychiatrische, Kliniken weggesperrt. Eine unrühmliche Tradition, die fortwirkt, sagt Sonja Matter, die zu Kindswegnahmen und fürsorgerische Zwangsmassnahmen geforscht hat und heute das Historische Lexikon der Schweiz leitet. Und sie erklärt, was das historische Unrecht mit den Menschenrechten zu tun hat.
Noch immer sind sie in vielen Schweizer Kantonen in Kraft, die Bettelverbote. Und das, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte klar geurteilt hat, dass Betteln durch die Menschenrechte geschützt ist, und dass Bussen, die gegenüber bettelnden Menschen ausgesprochen werden, eine Verletzung der Menschenwürde darstellen. Christian von Wartburg, Rechtsanwalt in Basel, setzt sich für die Rechte der Allerärmsten ein und erklärt, was hier dringend geändert werden muss.
Die Gleichberechtigung ist ein zentrales Element im Grundrechtskatalog der Verfassung. Und dennoch weisen die Praxis der Gerichte und auch die Lehre zu Artikel 8 der Bundesverfassung, der unter anderem die Gleichberechtigung von Mann und Frau vorschreibt, eine ganze Reihe von Lücken auf. Da und dort zementiert das so verstandene Diskriminierungsverbot bestehende Ungleichheiten oder verstärkt sie sogar. Das muss dringend geändert werden, sagt die Rechtswissenschaftlerin Elisabeth Joller, und sie zeigt auf, dass der Staat in der Pflicht steht, wenn es um die Herstellung von Gleichheit geht.
Das Recht auf Leben ist das höchste Gut, und es wird von der Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt. Wer es verletzt, begeht eine sehr schwere Straftat, und das gilt auch für die Polizei. Bei der Erschiessung von Roger Nzoy am Bahnhof von Morges hätte die Staatsanwaltschaft deshalb zwingend Anklage gegen den Polizisten erheben sollen, der das Feuer eröffnete; dass sie es nicht getan hat, hängt damit zusammen, dass Roger Nzoy schwarzer Hautfarbe war. Das sagt Nora Riss, die Juristin ist bei humanrights.ch für das Thema Rassismus zuständig, leitet das Beratungsnetz für Rassismusopfer in der Schweiz und hat den Fall eingehend untersucht [Eine frühere Fassung dieser Episode enthielt einige sachliche Fehler, die korrigiert wurden]
Dass in der Schweiz vieles von Kanton zu Kanton verschieden ist, gilt fast schon als geflügeltes Wort. Leider ist das auch bei der Umsetzung von Internationalen Konventionen, die eine hohe Relevanz für die Menschenrechte haben, der Fall. Und das hat zur Folge, dass in manchen Kantonen international verbriefte Menschenrechte konkret umgesetzt werden, in anderen aber nicht. Am Beispiel der Behindertenrechtskonvention zeigt die Staatsrechtlerin Evelyne Schmid auf, wo die Fallstricke bei der kantonalen Umsetzung liegen - und warum Föderalismus dennoch ein Laboratorium für einen effektiven Menschenrechtsschutz sein könnte.
Der Europäische Gerichtshof hat die Schweiz mehrfach verurteilt, weil die Schweiz das Recht auf Familiennachzug für Personen auf der Flucht regelmässig verletzt. Bis jetzt blieb das ohne Folgen. Schlimmer noch, das Schweizer Parlament arbeitet an einer Vorlage, die vorläufig aufgenommenen Personen den Nachzug ihrer Angehörigen generell verbieten will; ein klarer Verstoss gegen das Recht auf Familie, wie es in der EMRK und in der Verfassung eingeschrieben ist. Die Menschenrechtsanwältin und Staatsrechtlerin Stephanie Motz ordnet ein, was diese eklatante Verletzung von Recht bedeutet - für die Betroffenen, aber auch für das Vertrauen in den Rechtsstaat.
Die Schweiz hat einige Probleme mit Menschenrechten, nicht nur im Inland. Auch internationale Konzerne, die in der Schweiz ihren Sitz haben, stehen immer wieder in der Kritik. So auch der Zementhersteller Holcim, der von vier Bewohner:innen der Insel Pari auf Indonesien vor einem Gericht im Kanton Zug verklagt wurde. Denn Holcim, der zweitgrösste Zementkonzern der Welt, trägt mit seinen CO2-Emissionen ganz wesentlich dazu bei, dass die Insel Pari langsam aber sicher in den Fluten versinkt. Johannes Wendland, der für das HEKS die vier Bewohner:innen von Pari mit einer Kampagne unterstützt, erläutert, warum diese ferne Insel auch die Schweiz etwas angeht.
Menschen, die suizidal sind, die sich selber gefährden (und andere) können in der Schweiz unter bestimmten Voraussetzungen «fürsorgerisch» untergebracht werden. Das ist so im Zivilgesetzbuch vorgesehen. Doch damit verstösst die Schweiz in vielerlei Hinsicht gegen internationale Abkommen zum Schtz der Menschenrechte und wurde mehrfach gerügt deswegen. Und einige psychiatrische Anstalten wenden Methoden an, die von internationalen Gremien als Folter bezeichnet werden. Davon sind vor allem Menschen betroffen, die unter das Autismus-Spektrum fallen - für sie wird der Aufenthalt in der Klinik oft zu einem Horrortrip.
Mit dem Nachrichtendienstgesetz haben die Schweizer Geheimdienste ein mächtiges Werkzeug in die Hand bekommen: die Funk- und Kabelaufklärung. Sie ermöglicht es, uns alle, alle Bügerinnen und Bürger, ständig zu überwachen, auch ohne einen Verdacht auf kriminelle Handlungen. Das geht so nicht, weil damit Menschenrechte verletzt werden - so hat das Bundesgericht geurteilt. Erik Schönenberger, Geschäftsführer der Digitalen Gesellschaft und der Anwalt Viktor Györffy, Präsident und Gründer von grundrechte.ch erklären, wo die Sammelwut die Menschenrechte mehr als nur tangiert.
Er ist in der Schweiz aufgewachsen, hat immer hier gelebt, hatte eine feste Arbeit, eine Familie. Dann geriet er in eine Schlägerei, wurde verurteilt. Und des Landes verwiesen. Adem A., so das Bundesgericht, soll zurück nach Kosovo, wo er noch nie gelebt hat, wo er keine Freunde hat, keine Arbeit. Babak Fargahi, Rechtsanwalt mit Spezialgebiet Migrationsrecht, erklärt, warum er den Fall an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen hat.
Wenn ein Kind zur Welt kommt, ist die Mutter in der Schweiz rechtlich abgesichert, nicht so der Vater oder die andere, miterziehende Person. Väter (eine andere Bezeichnung kommt im Gesetz nicht vor) müssen sich mit zehn Tagen Urlaub begnügen, und auch die sind keineswegs sicher; ein Recht auf den Aufbau einer sozialen Bindung an das Kind haben sie nicht. Das wollten die Rechtswissenschaftlerin Charlotte Sieber-Gasser und ihr Ehemann ändern, und scheiterten vor Bundesgericht. Charlotte Sieber erzählt, warum Schweizer Väter nach wie vor kein Recht auf Elternzeit haben, inwiefern sie in Europa ein Schlusslicht sind und warum das fundamentale Rechte verletzt.
Die Diskriminierung von Menschen aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht und anderen Merkmalen ist in der Schweiz verfassungsrechtlich verboten. Dennoch tun das die kleinen und grossen Programme im Internet ständig, indem sie ausschliessende, diskriminierende Parameter anwenden. Und das überall, in der Arbeitswelt, im Gesundheitswesen, im Strafvollzug. Gegen diese alltäglichen, manchmal unmerklichen Diskriminierungen setzt sich Angela Müller, Leiterin von Algorithmwatch Schweiz ein - und erklärt, was getan werden muss, dringend.
Hitzewellen, die durch die fossil bedingte Klimakrise immer häufiger und heftiger werden, fordern Menschenleben. Über 60 Prozent mehr Todesfälle sind auf klimabedingte Hitzewellen zurückzuführen, so eine neueste Studie. In dieser Situation hat der Staat die Pflicht, das Leben der Menschen zu schützen, vor allem das Leben derjenigen, die am verletzlichsten sind: der älteren Frauen. Die Frage, ob die Schweiz ihren Verpflichtungen nachkommt, wird noch in diesem Jahr vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, aufgrund einer Klage der «Klimaseniorinnen Schweiz». Cordelia Bähr, leitende Rechtsanwältin in diesem Verfahren, erwartet einen wegweisenden Entscheid.
Rassismus ist nicht etwas, das beiläufig passiert, Rassismus ist auch kein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftliches, sagt Tarek Naguib, der Koordinator der Menschenrechtsplattform Schweiz und Mitbegründer der Allianz gegen Racial Profiling. Dennoch ist die Erfahrung der Diskriminierung, der Gewalt, der Bedrohung immer eine persönliche, und eine schmerzhafte. So, wie im Fall von Wilson A., der um ein Haar sein Leben bei einer Polizeikontrolle verlor und bis heute um seine Rechte kämpft.
Es gibt zahlreiche Menschen, die sich weder dem einen noch dem anderen offiziellen Geschlecht zugehörig fühlen. Nichtbinäre Menschen gibt es viele, mitten unter uns - nur für den Staat gibt es sie nicht. Denn bis heute müssen auch sie sich beim Eintrag im Zivilstandsregister für «Mann» oder für «Frau» entscheiden, also für ein falsches Geschlecht. Alecs Recher, Gründer des Transgender Network Switzerland erklärt, warum das gegen fundamentale Prinzipien der Menschenwürde verstösst, und wie es anders gehen könnte.
Eine Person begeht einen schlimmen Mord, vergeht sich sexuell an einer anderen Person, verübt einen brutalen Raubüberfall. Das führt zu einer langen Haftstrafe, aber oft eben auch zu einer Verwahrung, und zwar möglicherweise auf immer. Ein Mensch wird verwahrt, und doch hat er auch in dieser Verwahrung Rechte, auch für ihn gilt das fundamentale Recht auf persönliche Freiheit, ein Menschenrecht. Was das bedeutet für eine verwahrte Person, das erläutert Stephan Bernard, Rechtsanwalt, der verwahrte Menschen und ihre Rechte vor Gericht vertritt.