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BuchZeichen
Author: Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)
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© 2025 SRG SSR
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Der Literaturstammtisch im «BuchZeichen» gibt Buchempfehlungen, macht Lust aufs Lesen und bietet gute und intelligente Unterhaltung.
Zur Sprache kommen aktuelle belletristische Werke, Klassiker und auch Sachbücher. Bestseller, Reiseberichte, Gedichtbände - hier hat alles Platz.
Zur Sprache kommen aktuelle belletristische Werke, Klassiker und auch Sachbücher. Bestseller, Reiseberichte, Gedichtbände - hier hat alles Platz.
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Die Schweizer Autorin Sara Gmuer erzählt von den Karriere-Träumen einer Schauspielerin, die plötzlich in Reichweite rücken. Der Schweizer Autor Tim Altermatt schildert die Lebenswelt eines Mitzwanzigers, der noch nicht weiss, welchen Träumen er nachjagen soll.
«Achtzehnter Stock» ist der zweite Roman der in Berlin lebenden Schweizer Autorin Sara Gmuer. Er handelt von einer Schauspielerin namens Wanda, die in einem Plattenbau lebt – im titelgebenden achtzehnten Stock. Der Lift ist immer defekt, das Treppenhaus ein Funkloch, und das Leben als erfolgreiche Schauspielerin, von dem Wanda immer geträumt hat, scheint weit entfernt. Doch sie gibt nicht auf, geht von Casting zu Casting. Eines Tages bekommt sie dann tatsächlich die Hauptrolle in einer Netflix-Serie. Glatt läuft ihre Karriere ab dann trotzdem nicht...
Der Roman ist mit viel Drive erzählt. Nie hängt die Handlung durch. «Spannend, rau und schonungslos», urteilt SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr.
«Mimikry» ist der Debütroman des Basler Tim Altermatt. Hauptfigur und Erzähler Milo ist zwanzig. Sein Leben hängt in der Schwebe. Ein Studium beginnen? Mara endlich seine Gefühle offenbaren? Am Drängendsten ist: Das «Drittel», der geliebte, leider völlig veraltete Plattenladen, in dem er arbeitet, droht Konkurs zu gehen. Aber der Besitzer will nichts verändern. Da nimmt Milo mit dem «Todfeind» vom erfolgreichen Plattenladen «Rundum» Kontakt auf. Und plötzlich setzt sich Vieles in Bewegung. «Mimikry» ist ein Entwicklungsroman, jugendsprachlich-salopp erzählt. Im Kern geht es um die Angst Milos, Vertrautes zu verlieren und um die Notwendigkeit, Neues zu wagen. Ein authentischer Innenblick auf die Welt der heutigen Twens.
Buchhinweise:
· Sara Gmuer. Achtzehnter Stock. 220 Seiten. Hanserblau, 2025.
· Tim Altermatt. Mimikry. 215 Seiten. Zytglogge, 2025.
Der deutsche Künstler Kurt Prödel erzählt in seinem eindrücklichen Debüt «Klapper» von den Ängsten Jugendlicher in den Nuller-Jahren. Und die dänische Autorin Christina Hesselholdt widmet ihren Roman «Venezianisches Idyll» einer Mittfünfzigerin, die einen neuen Anfang wagt.
Kurt Prödel erzählt in seinem Debütroman vom Erwachsenwerden zweier Jugendlicher mit sprechenden Namen: Klapper und Bär. Klapper ist ein bleicher Nerd, der von seiner Klasse gemobbt wird, Bär ist seine riesinnenhafte neue Mitschülerin, die Klapper als einzige nimmt, wie er ist. Ein Jugendroman, der vom Sound und Gamer-Slang der Nullerjahre geprägt ist, und der gerade wegen seiner scheinbar einfachen Machart beeindruckende Tiefe erreicht, wenn es um die Ängste und Schwierigkeiten geht, die einen im jungen Leben umtreiben. Ein durchwegs gelungener Erstling, findet Simon Leuthold.
Eigentlich wollte sich Gustava das Leben nehmen. Aber in Tromsø durchkreuzen ein ausgestopfter Lobby-Eisbär, ein lästiger Husten und ein fiebriges Delirium ihre Selbstmordpläne. Ihr neues Ziel heisst Venedig. Hier soll Gustavas Lebenslust neu erblühen. Währenddessen stösst ihr Bruder Mikael zu Hause auf ihren Abschiedsbrief und reist Gustava hinterher. Auf den hat seine Schwester aber grade gar keine Lust.
«Venezianisches Idyll» von Christina Hesselholdt ist wie eine schaukelnde Gondelfahrt, bei der man nie weiss, was hinter der nächsten Brücke auftaucht, sagt Tim Felchlin.
Buchhinweise:
· Kurt Prödel. Klapper. 256 Seiten. park x ullstein, 2025.
· Christina Hesselholdt. Venezianisches Idyll. Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. 192 Seiten. Hanser Berlin, 2025.
Die Romane «Im Krachenschachen» des Berners Matto Kämpf und «Dancing Queen» der Argentinierin Camila Fabri erzählen in ganz unterschiedlicher Weise von Figuren, deren Identität plötzlich auf den Prüfstand gerät – mit ungewissem Ausgang.
Der bekannte Berner Spoken-Word-Künstler Matto Kämpf hat mit «Im Krachenschachen» einen Emmental-Roman geschrieben. Am Bahnhof Bern wird der Protagonist verwechselt mit dem Redner auf einer Tagung im Emmental. Bevor er recht weiss, wie ihm geschieht, sitzt er schon in der Limousine und wird dorthin befördert. Sein unfreiwilliges alter Ego ist ein querdenkerischer Drachenforscher mit Hang zum Okkulten.
Das Missverständnis aufzuklären, geht nicht. Also gibt es nur einen Weg: quer hindurch, und einmal quer durchs Emmental - zu Gotthelf, den Satanistinnen und den Bauernkriegern. Matto Kämpf habe «einmal mehr ein irrwitziges Buch voller Anspielungen und literarischem Schabernack» geschrieben, sagt Simon Leuthold.
Die argentinische Autorin Camila Fabbri ist bei uns noch kaum bekannt. Ihr Romandebüt «Dancing Queen» ist jetzt auf Deutsch erschienen, und es sei «überaus gelungen», findet Valentin Schneider. Im Zentrum steht die Figur Paulina, die in einem völlig zerstörten Auto zu sich kommt, jedoch komplett neben sich steht: Woher kam sie, wohin wollte sie und wer ist eigentlich die Jugendliche auf der Rückbank?
Schwer verletzt wird sie ins Spital gebracht. Im Krankenwagen ziehen verschiedene Erinnerungen an ihr vorbei. Und mehr und mehr setzt sich das Bild der derangierten Hauptfigur zusammen, die auch ein Opfer ist von männlicher Gewalt und gesellschaftlichen Erwartungen.
Die Frage nach der eigenen Identität wirft auch der Berner Fritz Mühlemann in seinem Gedichtband «Föhnsturm» auf, in dem er literarisch seine Vorfahren im Berner Oberland erkundet, die ihn geprägt haben. Die Reise führt zurück bis in die Reformation und erzählt vom Leben, Lieben, Auswandern und Sterben in vergangenen Zeiten. Der mit Bildern, Fotografien und historischen Dokumenten originell gestaltete Band sei eine «Einladung, sich überraschen zu lassen» und «ein Geheimtipp», sagt Felix Münger.
Buchhinweise:
· Camila Fabbri. Dancing Queen. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. 173 Seiten. Hanser, 2025.
· Matto Kämpf. Im Krachenschachen. 112 Seiten. Der gesunde Menschenversand, 2024.
· Fritz Mühlemann. Föhnsturm. 173 Seiten. edition clandestin, 2024.
Die französische Autorin Lola Lafon hat eine Nacht im Anne-Frank-Haus verbracht und über ihre Erfahrungen ein berührendes Buch geschrieben. Und der französische Autor Édouard Louis überzeugt zum wiederholten Mal mit einem Buch über seine Mutter.
«Monique bricht aus» ist eine zarte Annäherung zwischen Sohn und Mutter. Es ist aber auch das Portrait einer Frau, die viel erleiden musste, um endlich mit 55 Jahren endgültig in ein selbstbestimmtes Leben aufzubrechen. Édouard Louis erzählt mit Lust und Virtuosität. Da ist nicht mehr diese zornige Stimme von früher, sondern Selbstreflexion und Anteilnahme. Der Autor ist erzählerisch gereift. Die Sprache ist zart und intensiv zugleich. Zu Recht werde das Buch in Frankreich als literarische Sensation gefeiert, sagt Annette König. Sie bringt es mit an den Literaturstammtisch.
In Frankreich gibt es die Buchreihe «Ma nuit au musée». Als die Schriftstellerin Lola Lafon gebeten wurde, einen Text beizusteuern, wusste sie auf Anhieb, in welchem Museum sie eine Nacht verbringen wollte. Nicht in irgendeiner Kunstsammlung wie die meisten anderen. Sie wollte ins Anne-Frank-Haus. In das Versteck in Amsterdam, in dem die Familie Frank und vier ihrer Bekannten Schutz vor den Nazis gesucht hatten.
Obwohl für sie ein Feldbett aufgestellt worden war, fand Lola Lafon keinen Schlaf. Stattdessen lauschte sie dem Echo der Vergangenheit – und schrieb das berührende Buch «Immer wenn ich dieses Lied höre. Im Versteck von Anne Frank», das Katja Schönherr in der Sendung vorstellt.
Buchhinweise
· Édouard Louis. Monique bricht aus. Aus dem Französischen von Sonja Finck. 160 Seiten. S. Fischer, 2025.
· Lola Lafon. Immer wenn ich dieses Lied höre. Im Versteck von Anne Frank. Aus dem Französischen von Elsbeth Ranke. 173 Seiten. Aufbau, 2025.
Der junge deutsche Autor Caspar-Maria Russo beschreibt in seinem ersten Roman, wie politisch Liebe für junge Menschen geworden ist. Und die junge deutsche Autorin Ruth-Maria Thomas erzählt in ihrem ersten Roman eine Mischung aus Coming-of-Age-Geschichte und Psychothriller.
Iggy ist der erste Typ seit langem, den Masha nicht über Online-Dating kennenlernt. Aber bis die beiden ein Paar werden, müssen sie einen Baum klauen, eine Kirche ausrauben und nach Italien reisen. In seinem Debütroman erzählt Caspar-Maria Russo, wie schwierig es geworden ist, sich zu verlieben. Man redet zwar unverkrampft über Sex und kennt jedes erdenkliche Beziehungskonzept, aber eines ist nur schwer möglich: echte Nähe. «Prinzip Ungefähr» überzeugt Tim Felchlin, weil es in Manier einer Bonnie-und-Clyde-Geschichte deutlich macht, wie politisch Liebe für junge Menschen geworden ist.
In «Die schönste Version» der deutschen Autorin Ruth-Maria Thomas geht es um Jella, eine Frau in ihren Zwanzigern. Ihr Freund hat sie im Streit gewürgt, ihr gedroht, sie umzubringen. Jella konnte gerade noch entkommen. Nun liegt sie zu Hause in ihrem einstigen Kinderzimmer und lässt ihr bisheriges Leben Revue passieren: ihr Aufwachsen in einer ostdeutschen Kleinstadt, ihre ersten sexuellen Erfahrungen – und ihre Beziehung zu Yannick, die doch so vielversprechend begonnen hatte.
Das Buch ist eine Mischung aus Coming-of-Age-Roman und Psycho-Thriller. Auf alle Fälle ein Buch, das man nicht mehr weglegt, sagt Katja Schönherr.
Buchangaben
· Caspar-Maria Russo. Prinzip Ungefähr. 240 Seiten. Residenz, 2025.
· Ruth-Maria Thomas. Die schönste Version. 266 Seiten. Rowohlt Hundert Augen, 2024.
Aktuelle Bücher aus Österreich sind Thema am Literaturstammtisch im BuchZeichen auf SRF1: «Erste Töchter», der dritte Roman über Ljuba Arnautovićs eigene Familie, und «In einem Zug», der neue Roman des Erfolgsautors Daniel Glattauer.
Die Geschichte der eigenen Familie bietet der österreichischen Autorin Ljuba Arnautović auch im aktuellen Roman «Erste Töchter» einen äusserst packenden Stoff. In ihren beiden älteren Büchern hat die Autorin erzählt, wie ihre Vorfahren unter dem Stalinismus und Nationalsozialismus litten. Im aktuellen Buch macht sie ihre Generation zum Thema und wie sich die Traumata ihrer Eltern auf sie auswirkten. Felix Münger stellt den Roman am Stammtisch vor.
In «In einem Zug», dem neuen Roman von Daniel Glattauer, den Valentin Schneider mit in die Sendung bringt, geht es um einen Autor von Liebesromanen, der sich gerade in einer Schaffenskrise befindet. Im Zug von Wien nach München, wo ihm ein unangenehmes Treffen mit Verlagsvertretern bevorsteht, lässt er sich von einer Frau in ein Gespräch verwickeln. Die Frau ist Physio- und Psychotherapeutin und beginnt dem alternden Autor private und unangenehme Fragen über die Liebe, seine Liebesromane und Sex zu stellen.
Der Buchtipp der Woche hat ebenfalls Österreichbezug. Michael Luisier empfiehlt «Piksi-Buch» der in Wien lebenden serbischen Autorin Barbi Marković. Darin geht es um das gewaltbereite Umfeld ihrer Kindheit in Belgrad kurz vor dem Jugoslawienkrieg. Anhand des Fussballs erzählt die Autorin die Geschichte von sich als Mädchen, das mit dem Vater ins Stadion geht und dort die Gewaltbereitschaft wahrnimmt, aber auch die Geschichte eines der letzten Spiele der Jugoslawischen Nationalmannschaft erzählt, das – wäre es nicht verloren gegangen – vielleicht doch noch zum Kitt der auseinanderbrechenden Nation geworden wäre.
Buchhinweise:
· Ljuba Arnautovic. Erste Töchter. 157 Seiten. Zsolnay, 2024.
· Daniel Glattauer. In einem Zug. 208 Seiten. DuMont, 2025.
· Barbi Marković. Piksi-Buch. 107 Seiten. Verlag Voland & Quist, 2024.
Die Stammtischrunde bespricht «Carlas Scherben» von Frédéric Zwicker und «Wackelkontakt» von Wolf Haas. Zwicker erzählt unter anderem von drei Frauengenerationen im 20. Jahrhundert, Haas von zwei Männern, deren Geschichten auf überraschende Art miteinander verknüpft sind.
Im dritten Roman «Carlas Scherben» des Schweizer Autors Frédéric Zwicker steht eine junge
Keramikkünstlerin im Zentrum, die nach Inspiration sucht für eine neue Ausstellung. Doch das Buch ist mehr als ein Künstlerinnenroman – es ist auch ein Beziehungsroman, wirft sozialpolitische Fragen auf und bringt dunkle historische Kapitel aufs Tapet.
Die «einzelnen Geschichten» seien «packend und oft voller Schalk erzählt», findet Felix Münger. Allerdings fehle es dem Roman leider an der nötigen Fokussierung, sodass am «am Ende nicht recht klar» sei, «welche Geschichte Zwicker nun tatsächlich erzählen will».
Der neue Roman des österreichischen Erfolgsautors Wolf Haas überzeugt einmal mehr durch seine Machart, geht es doch um einen Mann namens Franz Escher, der auf den Elektriker wartet und dabei ein Buch über einen Mafia-Kronzeugen liest. Dieser wiederum sitzt im Gefängnis und wartet auf seine Entlassung, wobei er ein Buch über einen gewissen Franz Escher liest, der auf den Elektriker wartet. Auf brillante Weise verbindet Wolf Haas zwei Geschichten, indem er immer die eine aus der anderen entstehen lässt. Ein typsicher Wolf Haas, findet Michael Luisier, der das Buch am Literaturstammtisch vorstellt.
Im Bilderbuch «Earhart – Der abenteuerliche Flug einer Wühlmaus um die Welt» erzählt der deutsche Autor und Illustrator Torben Kuhlmann die Geschichte der US-amerikanischen Flugpionierin Amelia Earhart. Es ist das fünfte Buch einer Serie, in der Kuhlmann eine Maus eine Pionierleistung erbringen lässt. Besonders die grossartigen Illustrationen und filigranen Zeichnungen, inspiriert von Fotos aus den 1920-er Jahren, begeistern Britta Spichiger, die dieses Bilderbuch heute vorstellt.
Buchhinweise
· Frédéric Zwicker. Carlas Scherben. 192 Seiten. Zytglogge, 2024.
· Wolf Haas. Wackelkontakt. 238 Seiten. Hanser Verlag, 2025.
· Torben Kuhlmann. Earhart – Der abenteuerliche Flug einer Wühlmaus um die Welt. 128 Seiten. NordSüd Verlag, 2024.
Das letzte BuchZeichen in diesem Jahr ist mehr als eine Stammtischrunde. Es ist der Auftakt zu einer Silvesterparty. Mit dabei: die gesamte SRF-Literaturredaktion mit Büchern, die unbedingt noch vor dem Jahreswechsel über den Sender müssen.
Buchtipp von Jennifer Khakshouri
· Lisa Graf. Lindt und Sprüngli. Zwei Familien eine Leidenschaft. 480 Seiten. Penguin, 2024.
Die deutsche Autorin Lisa Graf hat einen Roman über das Schweizer Chocolatier-Unternehmen «Lindt&Sprüngli» geschrieben. Darin geht es nicht nur um Schokolade, sondern auch um Zürich in der «guten alten Zeit».
Buchtipp von Felix Münger
· Iwan Bunin. Der Sonnenstich. Erzählungen 1924 – 1926. Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg. 300 Seiten. Dörlemann, 2024.
Die neu übersetzten Erzählungen zeigen den russischen Nobelpreisträger als Meister der künstlerischen Perfektion.
Buchtipp von Valentin Schneider
· Anna Burns. Grösstenteils heldenhaft. Aus dem Englischen von Anna-Nina Kroll. 128 Seiten. Tropen, 2024.
Superheld und Femme Fatale sind ein Liebespaar, doch ein Zauber der Schurken von Downtown Eastside bringt ihre Beziehung gehörig durcheinander: Es geht um nichts weniger als die Weltherrschaft.
Buchtipp von Franziska Hirsbrunner
· Moussa Abadi. Die Königin und der Kalligraph. Aus dem Französischen von Gerhard Meier. Nachwort von Rafik Schami. 224 Seiten. Manesse Verlag, 2024.
Erinnerungen an ein besseres Syrien: Mit seinen Erzählungen aus Damaskus feierte Moussa Abadi eine Welt, in der jüdische, muslimische und christliche Menschen friedlich zusammenlebten.
Buchtipp von Katja Schönherr
· Lucie Rico. Die Ballade vom vakuumverpackten Hähnchen. Aus dem Französischen von Milena Adam. 235 Seiten. Matthes & Seitz, 2024.
In «Die Ballade vom vakuumverpackten Hähnchen» geht es um Hannah, die den Hühnerhof ihrer Mutter erbt — und nun Hühner schlachten muss, obwohl sie Vegetarierin ist.
Buchtipp von André Perler
· Simon Meier-Vieracker. Sprache ist, was du draus machst! Wie wir Deutsch immer wieder neu erfinden. 210 Seiten. Droemer, 2024.
Simon Meier-Vieracker macht als Linguistik-Professor Furore auf TikTok und Instagram. In seinem Buch schreibt er darüber, wie wir alle zusammen die deutsche Sprache immer wieder neu erfinden.
Buchtipp von Tim Felchlin
· Christoph Ransmayr. Egal wohin, Baby. S. Fischer, 2024.
Aus 70 Schnappschüssen aus der ganzen Welt sind 70 Miniaturgeschichten entstanden. Christoph Ransmayrs «Mikroromane» erzählen mehr als so mancher hundertseitige Roman.
Buchtipp von Britta Spichiger
· Anne Tyler. Drei Tage im Juni. Aus dem Amerikanischen von Michaela Grabinger. 208 Seiten, Kein&Aber, 2024.
In ihrem neuen Roman «Drei Tage im Juni» erzählt die US-amerikanische Autorin Anne Tyler von einem Paar in den sogenannt besten Jahren. Präzis, empathisch, humorvoll.
Buchtipp von Markus Gasser
· Laurence Boissier. Die Schule fängt wieder an. Aus dem Französischen von Hilde Fieguth. Brotsuppe, 2024.
Die 2022 jung verstorbene Westschweizer Autorin beschreibt in ihrem ersten Roman die Geschichte einer Familie, die sich nach dem Verlust des Vaters in ein neues Leben findet. Ein trauriges Thema witzig und sehr liebevoll erzählt.
Buchtipp von Simon Leuthold
· Alhierd Bacharevič. Europas Hunde. Aus dem Belarussischen von Thomas Weiler. 744 Seiten. Voland & Quist, 2024.
«Europas Hunde» von Alhierd Bacharevič ist erste Buch, das in Bacharevičs Heimatland Belarus als «extremistisch» verboten wurde. Eine dystopische Politsatire, für die der Autor unter anderem eine komplette Kunstsprache erfunden hat.
Buchtipp von Michael Luisier
· Zoë Jenny. Caspar Jenny. Die Nachtmaschine. Matthyas Jenny. Ein literarisches Leben. Zytglogge, 2024.
Matthyas Jenny war Buchhändler, Verleger, Schriftsteller und unermüdlicher Kämpfer für das Buch. Seine Kinder Zoë und Caspar Jenny haben ihn mit einer aussergewöhnlichen Biographie ein literarisches Denkmal gesetzt.
In «Unmöglicher Abschied» erzählt die Südkoreanerin Han Kang von einer Frauenfreundschaft und rollt dabei ein verdrängtes Kapitel Geschichte auf. Auf andere Weise eindrucksvoll ist die Lebensgeschichte der im Tessin geborenen Alfonsina Storni, die in Argentinien zur berühmten Schriftstellerin wurde.
Die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang hat am 10. Dezember den Nobelpreis für Literatur erhalten. Sie ist bei uns vor allem für ihren Roman «Die Vegetarierin» bekannt. Ihre bisherigen Werke sind oft surreal und poetisch und thematisieren häufig Gewalt und die dunkle Vergangenheit Koreas. Jetzt ist ihr neuestes Werk in deutscher Übersetzung erschienen.
Der Roman mit dem Titel «Unmöglicher Abschied» sei «in vielem ein typischer Han Kang», sagt Jennifer Khakshouri. Das Buch beleuchtet erneut ein düsteres Kapitel der koreanischen Geschichte, verbunden mit der Geschichte einer Freundschaft.
Alfonsina Storni (1892-1932) stammte aus dem Tessin. Mit vier Jahren kam sie nach Argentinien und zog mit 19 Jahren nach Buenos Aires. Dort schlug sie sich als Journalistin, Lehrerin, Theaterfrau und Lyrikerin durch.
Die Schweizer Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Hildegard Keller hat Alfonsina Stornis Leben und Werk recherchiert und übersetzt und schliesst nun mit einer zweibändigen Biografie ihr mittlerweile sieben Bände umfassendes Alfonsina-Storni-Projekt ab. Die Biografie sei «ein bedeutendes Werk über eine Humanistin und Feministin», findet Michael Luisier, das insbesondere «zu unterscheiden weiss zwischen Mythos und tatsächlicher Alfonsina Storni».
Buchhinweise:
· Han Kang. Unmöglicher Abschied. Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee. 315 Seiten. Aufbau, 2024.
· Hildegard E. Keller. Wach. Vom Leben und Weiterleben der Alfonsina Storni, Band 1. 285 Seiten. Edition Maulhelden, 2024.
· Hildegard E. Keller. Frei. Vom Leben und Weiterleben der Alfonsina Storni, Band 2. 333 Seiten. Edition Maulhelden, 2024.
Mit «Weiter nach Osten» von Maylis de Kerangal und «Haus des flüssigen Goldes» von Clemens Berger bespricht der Literaturstammtisch im BuchZeichen zwei aktuelle Bücher, die unterschiedlicher nicht sein können. Die aber beide mehr als aktuell sind. Die ganze Bandbreite eben.
Ein junger russischer Rekrut will nicht in die mörderische Ausbildung zum Krieg eintreten und versucht zu desertieren. Dabei erhält er unverhofft Hilfe einer französischen Touristin, die dem jungen Mann beisteht, weil es Menschenpflicht ist. Mit «Weiter nach Osten» ist der Französin Maylis de Kerangal ein eindringliches Werk über die Ohnmacht des Ausgeliefert-Seins geglückt, das durch die hyperrealistischen Schilderungen eine ganz eigene Poesie entwickelt, findet Felix Münger, der das Buch, das nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt, mit an den Literaturstammtisch bringt.
Alles hat seinen Preis. In einer Welt, in der Babymilchpulver knapp geworden ist, wird auch Muttermilch zur teuren Ware. Daraus schlägt die Unternehmerin Clarissa Kapital: In ihrem «Haus des flüssigen Goldes» pumpen Frauen ihre überschüssige Milch ab und werden am Verkauf beteiligt. Auch Maya gehört zu den «goldenen» Frauen. Als sie eines Tages aus Mitleid einen hungernden Säugling kostenlos stillt, wird sie auf Social-Media gefeiert und von Shitstorms überrollt. Clemens Bergers irrwitzige Romansatire rückt das Thema Mutterschaft und Care-Arbeit in ein Licht, in dem es Tim Felchlin bis jetzt noch nicht gesehen hat.
Der Buchtipp kommt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt «Ich beginne wieder von vorn», den dritten und letzten Teil der Tagebuchtrilogie des Schauspielers und Sängers Manfred Krug.
Buchhinweise:
· Maylis de Kerangal. Weiter nach Osten. Aus dem Französischen von Andrea Spingler. 91 Seiten. Suhrkamp, 2024.
· Clemens Berger. Haus des flüssigen Goldes. 216 Seiten. Residenz, 2024.
· Manfred Krug. Ich beginne wieder von vorn. Tagebücher 2000-2001. Herausgegeben von Krista Maria Schädlich. 266 Seiten. Kanon Verlag, 2024.
Wer nicht in Weihnachtsstimmung ist, findet in dieser Ausgabe des BuchZeichens die richtige Lektüre. In diesen beiden Büchern geht es mehr ums Gruseln als ums Glänzen: Mareike Krügels «Alle wissen hier alles» und Markus Thielemanns «Von Norden rollt ein Donner».
Tag für Tag treibt der 19-jährige Schäfer Jannes die Herde seiner Familie auf die Lüneburger Heide. Die norddeutsche Landschaft in Markus Thielemanns Roman ist aber alles andere als heiter und violett blühend. Düster und unheimlich ist der Schauplatz, und die Schäferfamilien haben Angst vor umherziehenden Wölfen. Auch Jannes meint Wolfsspuren im sandigen Boden zu sehen, sieht Fotos von gerissenen Schafen in Facebookgruppen – doch einen Wolf bekommt er nie zu Gesicht. Stattdessen sieht er mystische Kreaturen und Gestalten aus der Vergangenheit und beginnt an seinem Verstand zu zweifeln.
Ein fesselndes Buch über eine Idylle, die von ihrer Vergangenheit heimgesucht wird, sagt Valentin Schneider.
«Alle wissen hier alles»: Dieser Roman der deutschen Autorin Mareike Krügel spielt in einem kleinen Dorf in Norddeutschland. Doch es ist keine Idylle, die Krügel beschreibt – sondern ein zwischenmenschliches Grauen. Zumindest empfindet das die Hauptfigur Martina so. Sie wittert in ihrem Umfeld nur Böses. Aber ist ihrer Wahrnehmung zu trauen? Der wackelige Boden, auf dem man mit dieser unzuverlässigen Erzählerin steht, sorgt für ein grosses Leseerlebnis, findet Katja Schönherr.
Buchhinweise:
· Markus Thielemann. Von Norden rollt ein Donner. 287 Seiten. C.H.Beck, 2024.
· Mareike Krügel. Alle wissen hier alles. 208 Seiten. Piper, 2024.
Was vorbei ist, ist nicht immer vorbei. Es kann plötzlich in die Gegenwart einbrechen – und für Unruhe sorgen. Von dieser Erfahrung erzählen die Deutsche Monika Zeiner in «Villa Sternbald oder «Die Unschärfe der Jahre» und die US-Amerikanerin Claire Lombardo in «Genau so, wie es immer war».
Nach langer Zeit kehrt Nikolas Fink in sein Elternhaus bei Nürnberg zurück. Die Villa ist seit 125 Jahren im Besitz der Familie, die mit der Herstellung von Schulmöbeln reich geworden ist. Aus Nikolas geplantem Wochenende wird ein ganzes Jahr, in dem er die Vergangenheit der Fabrikantendynastie aufrollt und dabei Verstörendes ans Licht befördert. Der zweite Roman der deutschen Autorin Monika Zeiners «Villa Sternbald» oder «Die Unschärfe der Jahre» sei «ein wuchtiges, intellektuelles und fantasievolles Buch», das «viel will und viel kann», findet Tim Felchlin.
In ihrem Roman «Genau so, wie es immer war» erzählt die US-Amerikanerin Claire Lombardo von der Mittfünfzigerin Julia Ames, die eigentlich alles hat, was man sich wünschen kann: eine verlässliche Ehe, zwei gesunde Kinder, ein schönes Haus, soziales Ansehen. Aber dann trifft sie eine Bekannte, die sie vor langer Zeit aus ihrem Leben verbannt hat, und Julias stabiles Leben droht auseinanderzubrechen. Was nach Soap Opera klingt, macht Lombardo zu einer «grossartigen Charakterstudie», findet Britta Spichiger. Authentisch, präzis und empathisch erzähle Lombardo von einer Frau, die in der Mitte ihres Lebens nochmals so richtig durchgeschüttelt wird – scheinbar ohne äusseren, erkennbaren Grund.
Der Schweizer Thomas Meyer, bekannt für seine Wolkenbruch-Romane, ist auch ein begnadeter Verfasser von zugespitzten und doppelbödigen Sprüchen, welche die Realität gegen den Strich bürsten. In «Auf Mut kannst Du lange warten» finden sich 144 derartige «Einsichten». Felix Münger liebt es, sich davon «irritieren» zu lassen – von Aussagen wie: «Egal, ob Du jeden Tag Klavier spielst oder eine unglückliche Beziehung aushältst: Irgendwann bis Du in beidem richtig gut.»
Buchhinweise:
· Monika Zeiner: Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre. 672 Seiten, dtv 2024.
· Claire Lombardo: Genau so, wie es immer war. Übersetzt aus dem Englischen von Sylvia Spatz. 720 Seiten, dtv 2024.
· Thomas Meyer: Auf Mut kannst Du lange warten. Weitere einhundertvierundvierzig Einsichten. 160 Seiten, lectorbooks 2024.
Am Literaturstammtisch im BuchZeichen stellen zwei Redaktorinnen zwei aktuelle Bücher von zwei Frauen vor. Und zwar «Die Spielerin» von Isabelle Lehn und «Antichristie» von Mithu Sanyal.
«Die Spielerin» ist der dritte Roman der deutschen Autorin Isabelle Lehn. Er handelt von der unscheinbaren Frau A., die zunächst als Investmentbankerin in Zürich, später dann als Buchhalterin der kalabrischen Mafia Geld wäscht – und selbst Millionen dabei verdient. Die Geschichte beruht auf einem wahren Fall. Lehn zeichnet ein rätselhaftes Psychogramm dieser Finanzverbrecherin. «Raffiniert und spannend» findet Katja Schönherr, die den Roman vorstellt.
Durga hat deutsche und indische Wurzeln und arbeitet in London als Drehbuchautorin an einem rassismuskritischen Agatha-Christie-Projekt mit. Da katapultiert sie eine unfreiwillige Zeitreise ins Jahr 1906 und in einen Kreis indischer Revolutionäre, die den Fall der britischen Kolonie planen. Ein Pageturner, der zeigt, wie gegenwärtig Geschichte sein kann, sagt Franziska Hirsbrunner, die «Antichristie» von Mithu Sanyal mit an den Literaturstammtisch bringt.
Buchhinweise:
· Isabelle Lehn. Die Spielerin. 272 Seiten. S. Fischer, 2024.
· Mithu Sanyal. Antichristie. 554 Seiten. Hanser, 2024.
Am Sonntag, 17.11., wird in Basel der Schweizer Buchpreis 2024 vergeben. Im BuchZeichen stellen wir die fünf nominierten Werke vor und schätzen ihre Gewinnchancen ein.
Nominiert für den Schweizer Buchpreis 2024 sind:
Zora del Buono. Seinetwegen
Die 61-jährige Züricherin erzählt einen Teil ihrer Familiengeschichte und macht sich auf die Suche nach dem Mann, der den Unfalltod ihres Vaters verschuldet.
Mariann Bühler. Verschiebung im Gestein
Die 42-jährige Zentralschweizerin erzählt von drei Figuren, die in existentiellen Situationen stecken und sich neu orientieren müssen.
Martin R. Dean. Tabak und Schokolade
Der 69-jährige Aargauer erzählt anhand seiner eigenen Geschichte von Kolonialismus, Fremdsein und Heimat.
Béla Rothenbühler. Polifon Pervers
Der 34-jährige Luzerner erzählt von einem fiktiven Kulturverein und davon, was aus Gutgläubigkeit entstehen kann.
Michelle Steinbeck. Favorita
Die 34-jährige Zürcherin erzählt von der Spurensuche nach einer geheimnisvollen Mutter und thematisiert unter anderem Femizid, Identität und Begehren.
Buchhinweise:
· Zora del Buono. Seinetwegen. 204 Seiten. C.H.Beck, 2024.
· Mariann Bühler. Verschiebung im Gestein. 208 Seiten. Atlantis, 2024.
· Martin R. Dean. Tabak und Schokolade. 208 Seiten. Atlantis, 2024.
· Béla Rothenbühler. Polifon Pervers. 224 Seiten. Der gesunde Menschenversand, 2024.
· Michelle Steinbeck. Favorita. 464 Seiten. park x ullstein, 2024.
Einmal nachdenklich, zweimal skurril, dreimal aktuell. So lassen sich die Bücher von Tine Melzer, Olga Grjasnowa und Raphael Zehnder, die diese Woche am Literaturstammtisch besprochen werden, wohl am besten auf den Punkt bringen.
In Tine Melzers Roman «Do Re Mi Fa So» nimmt der Bariton-Sänger Sebastian Saum ein Vollbad und bleibt dann einfach liegen. Nackt verbringt er die Tage in der Badewanne mit Beobachtungen der Badezimmerfliessen und des eigenen Körpers und mit intensivem Nachdenken. Unterbrochen werden seine assoziativen Gedankengänge nur von Franz, seinem Mitbewohner und besten Freund, der ihm exquisite Mahlzeiten an die Badewanne serviert und der sich mehr und mehr Sorgen macht. Ein wunderbar skurriler und humorvoller Roman, der essenzielle Themen wie Freundschaft und Verantwortung verhandelt, meint Valentin Schneider.
Welche Bedeutung hat das Judentum für Menschen mit jüdischer Herkunft, auch wenn sie nicht gläubig sind? Um diese Frage kreist der aktuelle Roman «Juli August September» der deutschen Autorin Olga Grjasnowa. Inspiriert von eigenen Erfahrungen als säkulare Jüdin in Deutschland schildert sie eine Frauenfigur, die permanent gefordert ist, sich zu ihrer jüdischen Herkunft zu «verhalten». Für Felix Münger leuchtet der Roman auf einen weniger bekannten Aspekt des Jüdisch-Seins – und ist gerade in Anbetracht des Grauens in Nahost beklemmend aktuell.
In eine ganz andere Richtung geht der Buchtipp von Michael Luisier. Er empfiehlt Raphael Zehnders Kriminalroman «Müller und das letzte Gefecht» und blickt angesichts des Erscheinens des letzten Falls des Polizeikommissärs Müller mit Wehmut auf die ganze Serie zurück.
Buchhinweise:
Tine Melzer. Do Re Mi Fa So. 189 Seiten. Jung und Jung, 2024.
Olga Grjasnowa. Juli August September. 214 Seiten. Hanser Berlin, 2024.
Raphael Zehnder. Müller und das letzte Gefecht. 272 Seiten. Emons Verlag, 2024.
Gleich zwei bekannte Schweizer Autoren sind heute im BuchZeichen vertreten. Charles Lewinsky mit seinem neuen Roman, «Täuschend echt», über Künstliche Intelligenz. Und Lukas Linder mit einem weiteren humorvollen Buch, bevölkert von skurrilen Figuren – «Charly Broms Dilemma».
Der neue Roman des Schweizer Star-Schriftstellers Charles Lewinsky handelt nicht nur von Künstlicher Intelligenz, sondern wurde zum Teil auch von ihr geschrieben. Hauptfigur ist ein Werbetexter, der aus Langeweile beginnt, einen KI-Chatbot mit Textbefehlen zu füttern. Das Ergebnis: ein Roman, der zum Erfolg wird. Allerdings könnte jederzeit auffliegen, wie dieser Bestseller zustande kam Amüsant, rasant und leichtfüssig, findet SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr «Täuschend echt». Es sei ein «wunderbar verspielter Roman».
In Lukas Linders aktuellem Roman erhält Charly Brom einen Anruf, der ihn aus seinem Alltag reisst. Dem Anrufer geht es um einen Todesfall, den Brom nicht nur seit seiner Jugend verdrängt hat, er scheint auch auf ungute Weise darin verwickelt zu sein. Brom reist zu seiner Mutter und Grossmutter nach Neubad, wo er aufgewachsen ist, und stellt sich den Erinnerungen seiner Jugend Die skurrilen Figuren und die humorvolle Art und Weise, wie «Charly Broms Dilemma» von tiefgründigen Themen erzählt, sorgen für ein grosses Lesevergnügen, meint Valentin Schneider.
Buchhinweise:
Charles Lewinsky. Täuschend echt. 352 Seiten. Diogenes, 2024.
Lukas Linder. Charly Broms Dilemma. 288 Seiten. Kein & Aber, 2024.
Auf dem Literaturstammtisch liegen heute zwei Bücher, die von der Macht der Liebe erzählen. In «Fluchtnovelle» geht es um zwei junge Menschen, die für ein gemeinsames Leben alles riskieren. In «Mein drittes Leben» um eine trauernde Mutter, die langsam ins Leben zurückfindet.
1965 verlieben sich in Berlin ein Student aus der Schweiz und eine Studentin aus der DDR ineinander. Der Eiserne Vorhang verhindert ihr Zusammenleben. Was tun? Thomas Strässle schafft es, in einer Mischung aus historischer Präzision und erzählerischem Reichtum einen packenden Krimi zu schreiben. Ohne Tote und ohne Action, aber mit viel Spannung und einem Happy End. Es ist die wahre Geschichte seiner Eltern. Das wirkt so einfach und ist doch so clever und überzeugend erzählt, findet Markus Gasser.
Der tödliche Unfall der 17-jährigen Tochter reisst Linda aus ihrem Leben. Ihre Arbeit als Kuratorin einer Kunststiftung, ihre Ehe mit einem Maler, ihr schönes Leben in einer grosszügigen Altbauwohnung, alles verliert seinen Sinn. Zurück bleiben Schlaflosigkeit und bodenlose Trauer. Bis sich auf einem Hof im Niemandsland, auf den sich Linda zurückzieht, eine ganz langsame Besserung einstellt und Linda Schritt für Schritt ins Leben zurückfindet. Ein erschütterndes Buch, einzigartig in seiner Tiefe und hoffnungsstiftend zugleich, sagt Literaturredaktor Michael Luisier, der Daniela Kriens neuen Roman in die Sendung mitbringt.
Das Buch im heutigen Kurztipp bietet inspirierende Denkanstösse, findet Britta Spichiger. Es heisst «Alle Weisheit dieser Welt ist schon lange ausgesprochen». Zehn bekannte Autorinnen und Autoren gehen von Aussagen und Beobachtungen früherer Denker und Philosophinnen aus und legen sie wie eine Schablone auf die heutige Zeit.
Unter anderem Moritz Leuenberger, Ilma Rakusa oder Ronja von Rönne fragen nach dem Zusammenhang zwischen Politik und Moral, welche Bedeutung Resilienz tatsächlich hat oder ob sich Erwachsenwerden lohnt. Und berufen sich dabei unter anderem auf Plato, Michael Ende oder Ingeborg Bachmann.
Buchhinweise:
* Thomas Strässle. Fluchtnovelle. 120 Seiten. Suhrkamp, 2024.
* Daniela Krien. Mein drittes Leben. 304 Seiten. Diogenes, 2024.
* Rachele De Caro (Hrsg.). Alle Weisheit dieser Welt ist schon lange ausgesprochen. 132 Seiten. Verlag Edition de Caro, 2024.
In «Der Geschichtenabnehmer» schildert der Schweizer Vincenzo Todisco die magische Atmosphäre in einem italienischen Bergdorf. Die Italienerin mit somalischen Wurzeln Igiaba Scego rollt die Geschichte ihrer Vorfahren auf, die von Kolonialismus, Diktatur und Flucht geprägt war.
Italien ist Ehrengast an der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. Zu diesem Anlass diskutiert der Literaturstammtisch Titel mit italienischen Themen.
Der neue Roman «Der Geschichtenabnehmer» des Schweizer Autors Vincenzo Todisco spielt in einem fiktiven italienischen Bergdorf im Apennin. Dort gibt es eine besondere Tradition: Wenn jemand im Sterben liegt, kommt ein sogenannter Geschichtenabnehmer zu ihm. Dieser setzt sich ans Bett und hört sich an, was der Sterbende aus seinem Leben noch weitergeben möchte. Im Roman übernimmt diese verantwortungsvolle Aufgabe ein sieben Jahre alter Bub. SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr bringt Todiscos Roman mit an den Stammtisch. Sie sagt, das Buch erlaube es, beim Lesen vollkommen «in die magische und archaische Welt des Dorfs abzutauchen».
In ihrem aktuellen autofiktionalen Werk «Kassandra in Mogadischu» erzählt die italienische Autorin Igiaba Scego von den Prägungen, welche Kolonialismus, Diktatur und Bürgerkrieg auf ihre Familie ausübten. Igiaba Scegos Eltern stammten aus der ehemaligen italienische Kolonie Somalia und emigrierten nach dem Putsch von Diktator Siad Barre 1969 nach Italien. Scego erzählt von ihrem Grossvater, der noch für die italienischen Kolonialherren übersetzte. Es geht um die Flucht ihrer Eltern nach Rom, um den Versuch, mit Traumata zu leben – und um die Kraft, die im Erzählen liegt. Igaba Scego schildere das Schreckliche mit einem hoffnungsvollen Unterton, sagt Valentin Schneider: «Das macht betroffen und berührt.»
Buchhinweise:
* Igiaba Scego. Kassandra in Mogadischu, aus dem Italienischen von Verena von Koskull. 412 Seiten. S. Fischer, 2024.
* Vincenzo Todisco. Der Geschichtenabnehmer. 252 Seiten. Atlantis, 2024.
Der humoristische und höchst unterhaltsame Roman «Damenschach» des jungen deutschen Schriftstellers Finn Job und der neue Roman «Intermezzo» der teils umstrittenen und doch auch verehrten irischen Bestsellerautorin Sally Rooney sind Thema am Literaturstammtisch im BuchZeichen auf Radio SRF 1.
Marie-Louise will ihren 50. Geburtstag gar nicht feiern. Aber plötzlich steht ihr «Hausfreund» David in der Küche ihrer vollgestopften Villa. Und kurz darauf klingelt auch Marie-Louises Zwilling, der neuerdings ein Mann ist und seine Freundin Olivia im Schlepptau hat. Sympathien untereinander gibt es wenig, dafür umso mehr Alkohol. Und während alle verbal übereinander herfallen, hält die intellektuelle Haushälterin Ivana die schrille Party von der Kücheninsel aus im Blick. Finn Jobs Roman «Damenschach» ist ein herrlich überzeichnetes Kammerspiel, bei dem Tim Felchlin regelmässig laut lachen musste.
Die irische Autorin Sally Rooney ist 33 Jahre alt und hat bereits drei Bestseller geschrieben. Sie gilt als «Stimme der Millennials». Jetzt ist ihr sehnsüchtig erwarteter vierter Roman «Intermezzo» erschienen. Im Zentrum stehen zwei Brüder Ivan und Peter Koubek, die gerade ihren Vater verloren haben. Auch wenn die für Rooney typischen Liebesgeschichten und Sexszenen nicht fehlen, wagt Rooney mit dem Thema Trauer etwas Neues. Und überzeugt damit einmal mehr, findet Lea Dora Illmer.
Buchhinweise:
* Finn Job. Damenschach. 176 Seiten. Wagenbach, 2024.
* Sally Rooney. Intermezzo. Aus dem Englischen von Zoë Beck. 496 Seiten. Claassen, 2024.
* Uwe Wittstock. Marseille 1940. 351 Seiten. C.H.Beck, 2024.
Anna Katharina Hahn schildert in «Der Chor» humorvoll die Lebenswelten von ganz unterschiedlichen Frauenfiguren und ihren Umgang mit den kleinen und grossen Widrigkeiten des Lebens. Und in «Schwindel» erzählt Hengameh Yaghoobifarah witzig und selbstironisch eine queere Vierecksbeziehung.
Die 54jährige Autorin Anna Katharina Hahn landete 2009 mit «Kürzere Tage» einen Longseller. Sie vereinte ganz gewöhnliche Menschen in einer Stuttgarter Strasse zu einem beschwingten Gesellschaftsroman. Auch Hahns fünfter Roman «Der Chor» hat einen vertrauten Ausgangspunkt: Frauen, die sich wöchentlich zum Singen treffen. Daraus entwickeln sich die Geschichten vieler Leben mit ihren Höhen und Tiefen. Ein Roman «mit Witz und Drive, der ganz nah bei seinen Figuren» sei, sagt Franziska Hirsbrunner. Er lese sich, «als würde man mitsingen».
Hengameh Yaghoobifarah ist eine Ikone der queeren Popkultur. Im neuen Roman «Schwindel» trifft die non-binäre Autorenperson den Zeitgeist in Sachen Liebe und queerem Begehren: Es geht um Polyamorie, um Bindungsängste und ums Ghosten. Bereits das Setting ist schwindelerregend, denn Ava und ihre drei Liebschaften schliessen sich versehentlich auf einem Hochhausdach aus. Und queer sind nicht nur die Figuren, sondern auch die Sprache. Gemäss Lea Dora Illmer bietet das Buch «eine sehr lesenswerte chaotische Komödie».
Buchhinweise:
* Anna Katharina Hahn. Der Chor. 282 Seiten. Suhrkamp Verlag 2024.
* Hengameh Yaghoobifarah. Schwindel. 240 Seiten. Blumenbar, 2024.
«Das Institut» von Christian Haller erzählt vom Innenleben einer Institution, die von Machtgerangel geprägt ist. Clemens J. Setz «Das All im eignen Fell» ist eine Hommage an die kurze Poesie im digitalen Raum. Und «Kleine Monster» von Jessica Lind hinterfragt idealisierte Bilder der Kindheit.
In «Das Institut» schaut der letztjährige Gewinner des Schweizer Buchpreises Christian Haller auf seine Zeit beim Gottlieb Duttweiler Institut zurück, wo er in den 70er-Jahren als Bereichsleiter «Sozialen Studien» tätig war. Er beschreibt den schnellen Aufstieg eines jungen Mannes innerhalb eines Instituts, das sich dem Guten und Gemeinnützigen verschrieben hat, sich selbst aber immer mehr in Machtkämpfe verstrickt. Michael Luisier, der das Buch am Stammtisch vorstellt, überzeugt daran nicht nur die Aktualität von Hallers Roman, sondern auch «die Genauigkeit der Sprache und das Vermögen des Autors, die Dinge hinter den Dingen zu sehen».
Der Österreicher Autor Clemens J. Setz geht in seinem neusten Werk «Das All im eignen Fell» einer ganz anderen Art Literatur nach: der sogenannten Twitterpoesie. Für ihn ist das nichts weniger als ein verkanntes Genre der Literatur – das nur im Internet stattgefunden hat, und nur zu der Zeit, als die Plattform X noch Twitter hiess. Die meisten der Inhalte seien bereits wieder gelöscht. Clemens J. Setz hat in seinem Buch viele eigene und fremde Beispiele zusammenzutragen und geht dem Genre der Twitterpoesie auch analytisch auf den Grund. Für Simon Leuthold ist das Buch «voll frischem Wind» und mache «einen ganz neuen Bereich der Literaturwelt erfahrbar».
Wie gut kennen Eltern ihre Kinder? Und wie sehr projizieren Erwachsene vorgefasste Vorstellungen von Kindheit auf den Nachwuchs? Um diese Fragen kreist der aktuelle Roman «Kleine Monster» der jungen Österreicherin Jessica Lind. Das Buch sei «psychologisch raffiniert, sprachlich präzise und aufgrund der spannungsgeladenen Erzählweise ein Pageturner», sagt Felix Münger.
Buchhinweise:
* Christian Haller. Das Institut. 272 Seiten. Luchterhand, 2024.
* Jessica Lind. Kleine Monster. 249 Seiten. Hanser Berlin, 2024.
* Clemens J. Setz. Das All im eignen Fell. 192 Seiten. Suhrkamp, 2024.
Grosse Namen stehen auf den Büchern, die heute auf dem Literaturstammtisch liegen. Franz Hohler erzählt von Freundschaften, Margaret Atwood thematisiert den Sinn des Lebens.
Franz Hohler ist ein Menschenfreund. Zu seinen Weggefährten und Freundinnen zählen Mani Matter, Mariella Mehr, Wolf Biermann und viele andere Kunstschaffende, über die Franz Hohler auch geschrieben hat. Dutzende persönliche Porträts, Gedichte, Laudationen und Abschiede sind im Verlauf der letzten 50 Jahre zusammengekommen und nun in einem Band festgehalten. «Franz Hohler & friends» ist ein Buch, das daran erinnert, wie sehr sich ein Leben auch über die Freundschaften auszeichnet, die wir führen, findet Tim Felchlin.
Margaret Atwood feierte mit «Report der Magd (1985)» und der Fortsetzung «Die Zeuginnen (2019)» Welterfolge. Erschreckend nah an einer zukünftigen Realität beschreiben die beiden Romane gesellschaftliche Unterdrückung, politische Willkür und die Zerstörung der Natur. Nun hat die 84jährige kanadische Autorin einen neuen Erzählband publiziert. Er heisst «Hier kommen wir nicht lebend raus» und enthält neben Science Fiction, feministischen, ökologischen und dystopischen Texten auch acht Geschichten, in denen Atwood von ihrem Eheleben erzählt. Franziska Hirsbrunner nimmt ihn mit an den Literaturstammtisch.
Chetna Maroo hat mit «Western Lane» ihr Debüt geschrieben. Sie erzählt darin von einer Familie mit drei Teenage-Töchtern, die über den Verlust ihrer Mutter hinwegkommen muss. Um den Zusammenhalt der Familie zu fördern, spielt der Vater jeden Tag Squash mit seinen Mädchen, Gopi, die Jüngste, entdeckt darin Kraft und Trost. Ein zartes, poetisches Buch, das Hoffnung macht, findet Britta Spichiger, weil es zeigt, dass man Mut manchmal von unerwarteter Seite bekommt.
Buchangaben
* Franz Hohler. Franz Hohler & friends. 304 Seiten. Luchterhand, 2024.
* Margaret Atwood. Hier kommen wir nicht lebend raus. Storys. Aus dem Englischen von Monika Baark. 303 Seiten. Berlin Verlag, 2024.
* Chetna Maroo. Western Lane. Aus dem Englischen von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann. 192 Seiten. Luchterhand, 2004.
Eric Bergkrauts «Hundert Tage im Frühling» ist eine feinsinnige Hommage an seine verstorbene Ehefrau Ruth Schweikert. Nora Bossong erkundet in «Reichskanzlerplatz» den dunklen Lebensweg von Magda Goebbels. Und Martin R. Dean legt in «Tabak und Schokolade» tabuisierte biografische Wurzeln frei.
Die Schweizer Schriftstellerin Ruth Schweikert wurde 58 Jahre alt. Als sie im Juni vergangenen Jahres starb, verstummte eine der wichtigsten literarischen Stimmen der Schweiz. Für einen letzten, leisen Nachhall sorgt nun ihr Ehemann, der Dokumentarfilmer Eric Bergkraut. Er hat ein Buch über die Wochen vor ihrem Tod geschrieben. Es heisst «Hundert Tage im Frühling. Geschichte eines Abschieds». Das Buch sei «himmeltraurig», sagt Katja Schönherr, aber auch «voller Liebe» zur Verstorbenen.
Die deutsche Autorin Nora Bossong macht in ihrem aktuellen Werk «Reichskanzlerplatz» Magda Goebbels zum Thema, die Ehefrau des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels. Sie war eine flammende Nationalsozialistin und stilisierte sich als «Übermutter des Dritten Reichs». Nora Bossong zeichnet den Lebensweg von Magda Goebbels nach und wirft dabei die Frage auf, an welchen Weggabelungen des Lebens die Frau anders hätte abbiegen können. Das Buch sei «unbequem», sagt Simon Leuthold, aber «höchst beeindruckend».
Der Basler Autor Martin R. Dean erkundet in seinem neusten Roman «Tabak und Schokolade» seine eigene geteilte Identität: Der Autor ist der Sohn einer weissen Schweizerin und eines Schwarzen aus Trinidad in der Karibik. Die Eltern trennten sich früh. Dean wuchs mit der Mutter im Aargau auf. Sie heiratete erneut. Der leibliche Vater wurde in der neuen Familie tabuisiert. In seinem Buch schildere Martin R. Dean «einfühlsam und packend seine Suche nach den Vorfahren des Vaters», sagt Felix Münger. Die intime Selbsterkundung führt den Autor bis zu den Schrecken der Kolonialzeit.
Buchhinweise:
* Eric Bergkraut. Hundert Tage im Frühling. Geschichte eines Abschieds. 200 Seiten. Limmat-Verlag, 2024.
* Nora Bossong. Reichskanzlerplatz. 295 Seiten. Suhrkamp, 2024.
* Martin R. Dean. Tabak und Schokolade. 220 Seiten. Atlantis, 2024.
Die deutsch-russische Autorin Alina Bronsky bringt einem mit einer besonderen Freundschaftsgeschichte zum Schmunzeln. Und die deutsche Autorin Martina Hefter erzählt eindrücklich vom Internet-Phänomen Love Scamming.
Lust auf eine Komödie? Katja Schönherr empfiehlt «Pi mal Daumen» von der deutsch-russischen Autorin Alina Bronsky. Hauptfigur ist Oscar, ein hochbegabter Adelsjunge. Erst 16-jährig, studiert er bereits Mathematik. Während der Vorlesung lernt er Moni kennen: Moni hat drei Enkel, mehrere Nebenjobs und liebt Outfits im Leopardenmuster. Sie ist fest entschlossen, sich den Traum von einem Mathe-Studium zu erfüllen. Der adlige Schnösel und die strauchelnde Grossmutter: So unterschiedlich die beiden auch sind – sie freunden sich an und merken schnell, was sie aneinander haben.
Früher sprach man von Heiratsschwindel. Heute heisst das betrügerische Spiel mit Gefühlen Love Scam und ist ein Riesengeschäft im Internet. Franziska Hirsbrunner empfiehlt «Hey guten Morgen, wie geht es dir?» der deutschen Schriftstellerin Martina Hefter. Es ist ein bittersüsser Roman, der den Liebesbetrug durchkreuzt. Schlaflos vor Sorge um ihren todkranken Mann chattet eine Frau mit Männern, die ihr auf Instagram Avancen machen. Sie lügt dabei fast noch dreister als ihr jeweiliges Gegenüber. Unmerklich ergeben sich daraus Fragen nach der Identität und dem Sinn des Lebens.
Wie steht ein individuelles Leben im historischen Kontext? Mit dieser Frage befasst sich der brasilianische Autor José Henrique Bortoluci in seinem Buch «Was von meinem Vater bleibt». Er erzählt aus dem Leben seines Vaters, der über fünfzig Jahre lang Lkw-Fahrer war und mit seinen Transporten auch zur Zerstörung des Amazonas-Gebietes beigetragen hat. Eine differenzierte, empathische Auseinandersetzung, findet Britta Spichiger, mit dem versöhnlichen Fazit, dass jede Generation – trotz sich verändernder Umstände – von der Hoffnung auf ein besseres Leben begleitet ist.
Buchhinweise:
* Alina Bronsky. Pi mal Daumen. 270 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2024.
* Martina Hefter. Hey guten Morgen, wie geht es dir?. 222 Seiten. Klett-Cotta, 2024.
* José Henrique Bortoluci. Was von meinem Vater bleibt. Aus dem Portugiesischen von Maria Hummitzsch. 175 Seiten. Aufbau, 2024.
In «Favorita» von Michelle Steinbeck kämpfen unterschiedliche Ideologien um den Anspruch auf Wahrheit. Dana von Suffrins «Nochmal von vorne» handelt vom Versuch, Licht in eine Familiengeschichte zu bringen. Und im Krimi «Stürzende Feuer» schickt Ben Pastor den Detektiv ins Berlin der Nazis.
Fila will eigentlich bloss aufklären, unter welchen Umständen ihre Mutter in Italien gestorben ist und gerät unversehens zwischen die Fronten eines erbitterten Kampfes im italienischen Untergrund zwischen revolutionären Frauen und Neofaschisten. Die Schweizer Autorin Michelle Steinbeck knöpft sich in ihrem zweiten Roman «Favorita» grosse Themen vor: Femizide, Faschismus und Verschwörungen. Ein rasanter, wilder, mitunter fantastischer Roman, findet Simon Leuthold - ganz Michelle Steinbeck eben.
Was bleibt von meiner Familie? Diese Frage stellt sich die Ich-Erzählerin Rosa nach dem Tod ihres Vaters im Roman «Nochmal von vorne». Geschrieben hat ihn die deutsche Autorin Dana von Suffrin. In Rosa wächst das Bedürfnis, die eigene Familiengeschichte zu rekonstruieren. Der Roman schildert eine deutsch-jüdische Familie, in der es vor allem eines gab: Konflikte. Obwohl das Buch eigentlich eine tragische Geschichte erzähle, überzeuge es doch durch seine Leichtfüssigkeit, mit der es erzählt sei, sagt Katja Schönherr.
Die Italienerin Ben Pastor ist eine bei uns noch wenig bekannte Krimiautorin. Sie lässt ihre Fälle vorab in historischer Zeit spielen. In «Stürzende Feuer», dem seit längerer Zeit ersten Fall in deutscher Übersetzung, ermittelt der Wehrmachtsoffizier Martin Bora einen dubiosen Mordfall im nationalsozialistischen Berlin. Dabei kommt er auch in den Kontakt mit den Verschwörern um Graf von Stauffenberg, die einen Anschlag auf Hitler planen. Felix Münger hat den Krimi mit Interesse gelesen, auch weil darin die Hauptfigur mit der Frage konfrontiert werde, was moralisch richtiges Handeln ist.
Buchhhinweise:
* Ben Pastor. Stürzende Feuer. Aus dem Englischen von Hella Reese. 446 Seiten. Unionsverlag, 2024.
* Michelle Steinbeck. Favorita. 464 Seiten. park x ullstein, 2024.
* Dana von Suffrin. Nochmal von vorne. 240 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2024.
Mit Ausnahme von Mariann Bühlers Debütroman «Verschiebung im Gestein», das schon im Juli erschienen ist, diskutiert die Runde am Literaturstammtisch die ersten Bücher der Herbstsaison: «Fast wie ein Bruder» von Alain Claude Sulzer und «Reise nach Laredo» von Arno Geiger.
Als Literaturvermittlerin ist Mariann Bühler bereits wohlbekannt. Nun legt sie ihren ersten Roman vor. «Verschiebung im Gestein» erzählt von drei Figuren, die alle mit Veränderungen in ihren Leben konfrontiert sind: Todesfälle, Aufbrüche, Enttäuschungen. Was die drei verbindet, ist ein entlegenes Bergtal und die Tatsache, dass sie sich lieber mit Nebensächlichkeiten abgeben, als sich ihren Schwierigkeiten zu stellen. Gleichzeitig ist das Buch eine unkitschige Ode an die Langsamkeit auf dem Land. Ein höchst gelungenes Debüt, das leise Töne anschlägt, es aber in sich hat, findet Simon Leuthold.
Dem österreichischen Bestsellerautor Arno Geiger sei mit seinem neuen Roman «Reise nach Laredo» ein Wurf geglückt, findet Felix Münger. Das Buch erzählt die Geschichte eines schwerkranken alternden Königs im 16. Jahrhundert, der sich in ein Kloster zurückgezogen hat, um dort auf den Tod zu warten. Doch dann bricht der lebensüberdrüssige Monarch unverhofft zu einer letzten Reise auf. Sie erweist sich als abenteuerlicher Roadtrip, der den alten König zu sich selbst zurückführt.
Der Tipp der Woche kommt von Michael Luisier. Er empfiehlt «Fast wie ein Bruder», den neuen Roman von Alain Claude Sulzer.
Buchhinweise:
Mariann Bühler. Verschiebung im Gestein. 208 Seiten. Atlantis, 2024.
Arno Geiger. Reise nach Laredo. 272 Seiten. Hanser, 2024.
Alain Claude Sulzer. Fast wie ein Bruder. 189 Seiten. Galiani Berlin, 2024.
Beide Bücher auf dem heutigen Literaturstammtisch kommen aus Österreich. Monika Helfer erzählt in «Die Jungfrau» von einer intensiven Frauenfreundschaft und vom Umgang mit der Einsamkeit. David Fuchs stellt in seinem aktuellen Buch «Zwischen Mauern» die Frage, ob es bedingungslose Empathie gibt.
Zwei Jugendfreundinnen begegnen sich nach einem halben Jahrhundert wieder. Gloria und Monika. Die eine hat Familie und Erfolg als Schriftstellerin, die andere lebt einsam in ihrer riesigen Villa. Monika beschliesst, über Gloria zu schreiben. Das Resultat ist ein schonungsloses, aber liebevolles Portrait einer Frauenfreundschaft – von den sechziger Jahren bis heute. Lea-Dora Illmer stellt Monika Helfers neues Buch «Die Jungfrau» vor.
Im Roman «Zwischen Mauern» ist Meta auf der Suche nach Sinn. Als ehrenamtliche Mitarbeiterin verschlägt es sie in ein Pflegeheim, das kaputtgespart wurde und vor der Schliessung steht. Meta wird dort Nachtwache halten – und zwar am Bett eines sterbenden Mannes, der zu schreien beginnt, sobald es dunkel wird. Als Meta mehr von der Geschichte dieses Mannes erfährt, steht sie vor der Frage: Verdienen auch böse Menschen in ihren letzten Tagen liebevolle Zuwendung? Katja Schönherr bringt das Buch an den Literaturstammtisch.
Im heutigen Kurztipp empfiehlt Britta Spichiger den neuen Roman der US-Autorin Jeannette Walls, «Vom Himmel die Sterne». Walls erzählt darin die fiktive Geschichte von Sally Kincaid. Eine unerschrockene, starke Frau, die in den 1920-er Jahren erkennt, dass ihre Familie nur überlebt, wenn sie mit illegal selbstgebranntem Whisky handelt. Und so stellt sie – allen gesellschaftlichen Widerständen zum Trotz – ihre eigenen Regeln auf und wird zur «Königin der Kincaid-Schmuggler».
Buchhinweise:
* David Fuchs. Zwischen Mauern. 223 Seiten. Haymon, 2023.
* Monika Helfer. Die Jungfrau. 152 Seiten. Carl Hanser, 2023.
* Jeannette Walls. Vom Himmel die Sterne. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. 448 Seiten. Hoffmann und Campe, 2023.
Wiederholung der BuchZeichen-Sendung vom 23.01.2024
Zwei Romane, die vom gesellschaftlichen Druck auf Individuen erzählen: Von unserem Umgang mit betagten Menschen handelt «Die Arbeiterin» des Franzosen Didier Eribon. Und «Nachbarn» der Afroamerikanerin Diane Oliver schildert die prekäre Lage von Schwarzen in den USA – in den 1960ern wie heute.
Der Schriftsteller, Soziologe und Philosoph Didier Eribon schreibt seine Familiengeschichte weiter. «Eine Arbeiterin: Leben, Alter und Sterben» ist das Portrait seiner Mutter. Eine Mischung aus autobiografischem Schreiben und soziologischem Essay. Eribon beschreibt seine Schuldgefühle, nachdem er die Mutter gegen ihren Willen in ein Pflegeheim einwies. Wie er danach ihre nächtlichen Klagen und Telefonate aushalten musste. Von ihrer Verzweiflung und Vereinsamung hörte. Das Buch sei ebenso «gehaltvoll wie fesselnd», sagt Annette König.
Schwarze in den USA, die für Emanzipation und Gleichberechtigung einstehen – davon erzählen die Erzählungen im Band «Nachbarn» der 1966 verstorbenen US-amerikanischen Autorin Diane Oliver. So schildert sie etwa einen siebenjährigen Knaben, der als erstes Schwarzes Kind auf eine Schule der Weissen muss. Mit feinen, nüchternen Beobachtungen zeige die Autorin, was Rassismus bedeute, sagt Britta Spichiger. Obwohl die Geschichten in den 1960ern spielen, seien sie noch immer aktuell.
Einen Spaziergang durch die Weltliteratur – dies bietet der neue Sammelband «19/21 Synchron global» des Schweizer Literaturwissenschafters Charles Linsmayer. Das Buch versammelt 135 literarische Texte aus verschiedenen Weltregionen. Die thematisch gegliederte Auswahl ermögliche, Unbekanntes zu entdecken. Und dabei zu erfahren, wie unterschiedliche Autorinnen und Autoren zu Urthemen der Menschheit wie Freiheit, Glück oder Natur dachten, sagt Felix Münger.
Buchhinweise:
* Didier Eribon. Eine Arbeiterin. Leben, Alter und Sterben. Aus dem Französischen von Sonja Finck. 240 Seiten. Suhrkamp, 2024.
* Diane Oliver. Nachbarn. Aus dem Englischen von Brigitt Jakobeit und Volker Oldenburg. 304 Seiten. Aufbau, 2024.
* Charles Linsmayer (Hrsg.). 19/21 Synchron global, ein weltliterarisches Lesebuch von 1870 bis 2020. 652 Seiten. Th. Gut, 2024.
Wiederholung der BuchZeichen-Sendung vom 19.03.2024
Elizabeth Strout erzählt eine komplexe Familiengeschichte mit grosser Leichtigkeit. Elmore Leonard nimmt uns mit in den Wilden Westen, wo auf Kugel komm raus geballert wird. Und auf der aktuellen SRF-Bestenliste im April stehen alles Bücher, die einen guten Lesefrühling garantieren.
«Am Meer» von Elizabeth Strout handelt von Lucy Barton, einer rund 70-jährigen Schriftstellerin, die mit ihrem Ex-Mann von New York City nach Maine zieht, in ein Haus am Meer, um der Pandemie zu entkommen. In der Einsamkeit blickt sie auf ihr Liebesleben zurück und sorgt sich um ihre längst erwachsenen Töchter. Elizabeth Strout gelinge es, diese komplexe Familiengeschichte in einer einzigartigen Leichtigkeit zu erzählen, meint SRF-Literaturredaktorin Jennifer Khakshouri.
Warum nicht wieder einmal einen Western lesen? So wie früher? Die Gelegenheit bietet aktuell der packende Roman «Letztes Gefecht am Saber River» des US-Amerikaners Elmore Leonard. Der 1959 erschienene Roman liegt jetzt erstmals auf Deutsch vor. Die zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs spielende Geschichte habe alle Ingredienzien des klassischen Testosteron-Abenteuers im Wilden Westens. Aber nicht nur, findet Felix Münger. Gerade die Frauenfiguren und die Geschlechterrollen seien überraschend modern dargestellt.
Im heutigen Kurztipp stellt Annette König die fünf Bücher vor, die auf der aktuellen SRF-Bestenliste im April stehen. Alle fünf Titel seien ausnehmend gelungene Page-Turner, die jeglichen Anflug von Frühlingsmüdigkeit mit einem Wisch hinwegfegen würden.
Buchhinweise:
* Elizabeth Strout. Am Meer. Aus dem Amerikanischen von Sabine Roth. 288 Seiten. Luchterhand, 2024.
* Elmore Leonard. Letztes Gefecht am Saber River. Aus dem Englischen von Florian Grimm. Liebeskind, 2024.
* Gaea Schoeters. Trophäe. Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing. 256 Seiten. Zsolnay, 2024.
* Iris Wolff. Lichtungen. 256 Seiten. Klett-Cotta, 2024.
* Percival Everett. James. 336 Seiten. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Hanser, 2024.
* Barbara Kingsolver. Demon Copperhead. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. 846 Seiten. dtv, 2024.
* Anne Weber. Bannmeilen. 301 Seiten. Matthes & Seitz, 2024.
Wiederholung der BuchZeichen-Sendung vom 02.04.2024
«Das kleine Haus am Sonnenhang» von Alex Capus und «Die hängende Säge» von Alice Schmid - dies die aktuellen Bücher am Literaturstammtisch im BuchZeichen.
In seinem neuen Buch «Das kleine Haus am Sonnenhang» erzählt der Oltner Schriftsteller Alex Capus von persönlichen Erinnerungen aus seiner Zeit in Italien: Im Seitental eines Seitentals im Piemont kaufte sich Capus als junger Mann ein altes Haus und schrieb dort seinen ersten Roman. Nun nimmt er seine Leserschaft mit auf einen Nostalgietrip in die letzten Jahre des 20. Jahrhunderts. Er erzählt von alltäglichen Begebenheiten und besonderen Begegnungen. Das Buch, das Britta Spichiger am Literaturstammtisch vorstellt, ist eine Liebeserklärung an das kleine Haus am Sonnenhang, an das Schreiben - und das Leben.
Alice Schmid erzählt in ihrem Roman «Die hängende Säge» die Geschichte einer jungen Frau, die nach einem traumatischen Erlebnis im Jugendsportlager kein Wort mehr sprechen kann. Erst mit einem Sprachaufenthalt in Belgien findet sie langsam zu ihrer Sprache zurück. Nach und nach wird absehbar, dass sie sich immer stärker von ihrem Familienumfeld im bäuerlichen Luzerner Hinterland abnabeln wird. Für Simon Leuthold ein einfühlsam geschriebener Coming-of-Age-Roman darüber, was es heisst, seinen eigenen Weg zu gehen.
Der Buchtipp kommt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt das Bändchen «Mir fällt gerade ein... Ein Sammelsurium» mit Tagebucheinträgen des Schauspielers und Sängers Manfred Krug.
Buchhinweise:
* Alex Capus. Das kleine Haus am Sonnenhang. 160 Seiten. Carl Hanser Verlag, 2024.
* Alice Schmid. Die hängende Säge. 176 Seiten. Atlantis Verlag, 2024.
* Manfred Krug. »Mir fällt gerade ein« Ein Sammelsurium. 108 Seiten. Kanon, 2024.
Wiederholung der BuchZeichen-Sendung vom 05.03.2024
Schwere Lektüre, aber grosse Literatur: Die Autorin Isabelle Autissier erzählt vom Untergang Venedigs und plädiert leidenschaftlich für unsere Umwelt. Der Schriftsteller Georgi Demidow schildert eindrücklich, was geschieht, wenn man als politischer Gefangener staatlichem Terror ausgeliefert ist.
In ihrem neuen Roman «Acqua Alta» erzählt die französische Autorin Isabelle Autissier von einer gigantischen Welle, die Venedig im Jahr 2021 überschwemmt. Und dies, obwohl das Schleusensystem in der Lagune nach mehr als 17 Jahren Bauzeit und vielen Tests hätte funktionieren sollen. Die Folgen sind verheerend. Die Flut fordert viele Menschenleben. Unter den Überlebenden ist Guido Malegatti, der mit dem Boot durch die Ruinen fährt und nach Frau und Tochter sucht. Isabelle Autissier will mit ihrem fesselnden Roman aufrütteln. «Acqua Alta» sei ein leidenschaftliches Plädoyer für unsere Umwelt, findet Annette König.
Ohnmächtig dem staatlichen Terror ausgeliefert – was dies für einen Betroffenen bedeutet, erzählt der sowjetische Schriftsteller Georgi Demidow in seinem Kurzroman «Fone Kwas oder Der Idiot». Der 1987 verstorbene Autor schildert darin aufgrund eigener Erfahrungen den Horror des stalinistischen Strafsystems. Das Buch ist nun erstmals auf Deutsch erschienen. Und es sei eine Entdeckung, sagt Felix Münger. Es lasse sich in Vielem auch als Kommentar auf das Leid der Zahllosen lesen, die heute als politische Häftlinge in Kerkern schmachten – in Russland und anderswo.
Ganz andere und leichte Lektüre ist der heutige Kurztipp von Britta Spichiger. «Von nahen Dingen und Menschen» ist eine Sammlung kurzer Texte und Geschichten, in denen der deutsche Autor Hanns-Josef Ortheil aus seinem Alltag und von seinen Erinnerungen erzählt. Er weckt damit die eigenen Assoziationen seiner Leserschaft. Unter anderem schreibt er von der Armbanduhr seines Vaters, wie er die Mode entdeckt hat und was seinen alten Freund Peter auszeichnet. Bei der Lektüre fragt man sich unwillkürlich, was die eigenen Erinnerungsstücke sind – und welche Freundin besonders gut zuhören kann. Ein Buch, über dessen Gesellschaft man sich in (fast) jeder Lebenslage freut.
Buchhinweise
* Isabelle Autissier. Acqua Alta. Aus dem Französischen von Kirsten Gleinig. 208 Seiten. mare, 2024.
* Georgi Demidow. Fone Kwas oder Der Idiot. Aus dem Russischen von Irina Rastorgueva und Thomas Martin. 208 Seiten. Galiani, 2023.
* Hanns-Josef Ortheil. Von nahen Dingen und Menschen. 288 Seiten. DuMont, 2024.
Wiederholung der BuchZeichen-Sendung vom 20.02.2024
Seit 15 Jahren erzählen Auslandschweizerinnen und -schweizer in der Rubrik «Die fünfte Schweiz» am Sonntagvormittag auf SRF 1 aus ihrem Alltag. Aus diesem Anlass liegen auf dem Literaturstammtisch Bücher über Auswandererschicksale - Werke von Therese Bichsel, Pedro Lenz und Gabrielle Alioth.
1821 wanderten rund 170 Menschen aus Bern und Neuenburg nach Kanada in die Gegend des heutigen Winnipeg aus. Ein verschuldeter Berner Patrizier hatte sie mit grossen Versprechungen angeworben. Doch statt eines besseren Lebens erwartete sie am Roten Fluss bittere Not. Diese wahre Geschichte erzählt die Schweizer Autorin Therese Bichsel in ihrem Roman «Überleben am Red River». Franziska Hirsbrunner gefällt unter anderem der Reichtum an packenden Details, mit dem das Werk aufwartet.
Der Schweizer Pedro Lenz hat mit «I bi meh aus eine» im Berner Dialekt die wundersame, aber wahre Geschichte des Hochstaplers Peter Wingeier aus dem Emmental aufgeschrieben. Der Schweizer wanderte im 19. Jahrhundert nach Argentinien aus, nahm eine falsche Identität als Arzt an und gründete sein eigenes Dorf «Romang». Wingeier sei zwar nicht sympathisch, findet Markus Gasser. Doch Pedro Lenz zeichne seine Figur dennoch als «liebe Siech» - und erweise sich dadurch einmal mehr als «unverbesserlicher Menschenfreund».
Dass die Schweiz lange Zeit ein Auswanderungsland war, geht gerne vergessen. Die Schweizer Autorin Gabrielle Alioth, die selbst seit 1984 in Irland lebt, erzählt in ihrem Sachbuch «Ausgewandert» Geschichten von Menschen aus sieben Jahrhunderten, welche die Schweiz verliessen und im Ausland das Glück suchten. Felix Münger ist beeindruckt von der Unterschiedlichkeit der Schicksale: Die einen trieb die Leidenschaft in die Fremde, andere die pure wirtschaftliche Not. Und dann gab es Menschen, die glaubten, in der Fremde das Paradies zu finden.
Buchhinweise:
* Gabrielle Alioth. Ausgewandert. Schweizer Auswanderer aus 7 Jahrhunderten. 193 Seiten. Faro, 2014.
* Therese Bichsel. Überleben am Red River, 361 Seiten. Zytglogge, 2018.
* Pedro Lenz. I bi meh aus eine. 75 Seiten. Cosmos, 2013.
Wiederholung der BuchZeichen-Sendung vom 02.01.2024
Die drei Bücher auf dem heutigen Literaturstammtisch sprechen ganz unterschiedliche Interessen an: eine Abenteuergeschichte für den Rucksack, ein Debüt für den Liegestuhl daheim und eine Familiengeschichte für die Strandtasche.
Was für eine Story, und erst noch eine wahre! Noch selten habe er eine derart mitreissende Abenteuergeschichte gelesen wie «Der Untergang der Wager» des US-Amerikaners David Grann, sagt Felix Münger. Der auf akribischer historischer Recherche beruhende Roman rekonstruiert die unglaubliche Geschichte des britischen Kriegsschiffs «Wager».
Es strandete 1741 an der Küste Chiles. Die Schiffbrüchigen fanden sich in der Einöde Patagoniens - hungernd und den rauen Launen der Natur ausgeliefert. Meuterei, Krankheit, Tod. Nur wenigen gelang nach Jahren einer Wahnsinnsreise die Rückkehr nach England.
Ein heisser Augustabend, zwei reiche Paare aus der gehobenen Pariser Gesellschaft, eine Einladung zum Essen. Klingt doch nett, oder? Aber dieses Diner entwickelt sich zum Desaster. In Cécile Tlilis Romandebüt «Ein Sommerabend» hat niemand Lust auf das Beisammensein unter Freunden. Und nach Aperitif-Häppchen und gespielten Nettigkeiten fallen bei allen vieren die Masken. Das zu beobachten, macht grossen Spass. Ein keckes, gesellschaftskritisches Kammerspiel, das Tim Felchlin in einem Zug durchgelesen hat.
«Der Sommer zu Hause» der US-Amerikanerin Ann Patchett sei die perfekte Sommerlektüre, findet Britta Spichiger im heutigen Kurztipp. Die Ich-Erzählerin ist Mutter dreier fast erwachsener Töchter und erzählt ihnen bei der Kirschernte auf der familieneigenen Farm von ihrem Leben, bevor sie heiratete. Es ist eine bewegte Lebensgeschichte, die die Töchter nicht nur staunen lässt, sondern sie auch dazu bewegt, die eigenen Entscheidungen zu überdenken.
Ann Patchett erzählt unprätentiös, humorvoll, empathisch – eine unbedingte Leseempfehlung!
Buchhinweise:
* David Grann. Der Untergang der Wager. Eine Geschichte von Schiffbruch, Mord und Meuterei. Aus dem Englischen von Rudolf Mast. 432 Seiten. C.Bertelsmann, 2024.
* Cécile Tlili. Ein Sommerabend. Aus dem Französischen von Norma Cassau. 192 Seiten. Kein & Aber, 2024.
* Ann Patchett. Der Sommer zu Hause. Aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer. 400 Seiten. Berlin Verlag, 2024.
Spurensuche und Spannung zeichnen unter anderem die beiden Bücher aus, die heute auf dem Literaturstammtisch liegen. Marc-Uwe Klings «Views» ist ein gesellschaftskritischer Thriller, Heinrich Steinfests «Sprung ins Leere» ein kunsthistorischer Krimi.
«Views» so heisst das neuste Buch des deutschen Autors Marc-Uwe Kling. Eine Jugendliche verschwindet spurlos. Dafür taucht ein Video auf allen möglichen sozialen Netzwerken auf und geht viral. Der Inhalt des Videos ist verstörend, denn es zeigt, wie die Jugendliche brutal vergewaltigt wird. Die Berliner Ermittlerin Yasira Saad soll die junge Frau und die Vergewaltiger finden. Jennifer Khakshouri konnte das Buch nicht mehr weglegen: es sei so aktuell und brisant, dass man nur noch staune.
Im Roman «Sprung ins Leere» führt Heinrich Steinfest die Leserschaft einmal mehr in seinen Kosmos. Und wie immer ist man konfrontiert mit Dingen, die einem vertraut und merkwürdig zugleich vorkommen. Es geht um die Welt der Kunst, um bekannte Werke von Yves Klein oder Jacob van Ruistal, aber auch um Werke, die nur im Steinfest-Kosmos existieren. Vor allem aber erzählt Steinfest die Geschichte einer spektakulären Suche nach einer verschwundenen Künstlerin, die von Wien nach Japan und wieder zurück nach Wien führt. Grosses Kino. Und beste Literatur, findet Literaturredaktor Michael Luisier, der das Buch am Stammtisch vorstellt.
Den heutigen Kurztipp widmet Britta Spichiger dem US-amerikanischen Autor Richard Russo. In seinem neuen Roman «Von guten Eltern» erzählt er – wie schon in früheren Geschichten - von einer Kleinstadt in Upstate New York, von den Menschen dort, die allen politischen und wirtschaftlichen Widerständen zum Trotz für ein gutes Leben kämpfen. Russo nennt die Probleme beim Namen und schreibt doch über universell Menschliches, zeigt voller Empathie aber ohne Kitsch, dass es nie zu spät ist, nochmals neu anzufangen.
Buchhinweise:
* Marc-Uwe Kling. Views. 272 Seiten. Ullstein, 2024.
* Heinrich Steinfest. Sprung ins Leere. 496 Seiten. Piper, 2024.
* Richard Russo. Von guten Eltern. Aus dem Englischen von Monika Köpfer. 576 Seiten. DuMont, 2024.
Ein Klassiker, ein Familiengeheimnis und ein Geschichtsbuch, das auf einem Fussballspiel basiert. Am Literaturstammtisch geht es um Bücher von Julien Green, Nadine Olonetzky und Ronald Reng.
Der französisch-amerikanische Schriftsteller Julien Green (1900-1998) ist ein Jahrhundertautor: Er greift in seinen vielen Werken die sich wandelnden Zeitströmungen auf und schildert sie meisterhaft an Figuren, in deren Psyche er hineinzuschlüpfen scheint. Im neu übersetzten Roman «Treibgut» erzählt Julien Green die Geschichte eines jüngeren und wohlhabenden Bürgers im Paris der 1930er-Jahre, der sich selbst überdrüssig ist und keinen Weg findet, der Sinnentleerung zu entkommen. Der Roman, den Felix Münger am Literaturstammtisch vorstellt, ist ein eindringliches Sinnbild für eine Welt vor dem Abgrund.
Die Zürcher Autorin Nadine Olonetzky ist die Tochter eines Holocaust-Überlebenden. Lange Zeit war ihr das aber gar nicht bewusst. Nur ein einziges Mal erzählt ihr der Vater ansatzweise davon, was mit ihm und seiner jüdischen Familie während der Shoah geschehen ist. Als Nadine Olonetzky als längst erwachsene Frau einen Berg von Akten findet, entdeckt sie auch ein Familiengeheimnis, das ihr der Vater verschwiegen hat. Daraus entstanden ist ein Buch ohne Pathos, in dem Literaturredaktor Tim Felchlin auch auf weniger bekannte Kapitel der Kriegs- und Nachkriegszeit gestossen ist.
Der Buchtipp der Woche stammt von Michael Luisier. Zum Auftakt der Euro 2024 empfiehlt er ein ganz besonderes Fussballbuch. Ronald Rengs Buch «1974 – Eine deutsche Begegnung», das sich um die legendäre Partie zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland während der WM 1974 in Hamburg dreht, geht es nämlich nicht nur um Fussball. Es geht um die gesamte deutsche Geschichte der frühen 70er-Jahre. Erstaunlich, was sich alles über Fussball erzählen lässt!
Buchhinweise:
* Julien Green. Treibgut. Aus dem Französischen von Wolfgang Mat. 400 Seiten. Hanser, 2024.
* Nadine Olonetzky. Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist. 448 Seiten. S. Fischer, 2024.
* Ronald Reng. 1974 – Eine deutsche Begegnung. 428 Seiten. Piper, 2024.
In ihrem ersten Roman erzählt die junge Italienerin Beatrice Salvioni von einer Frauenfreundschaft im Italien der 1930-er Jahre. Und der österreichische Autor Stephan Roiss lässt seinen Helden nach Italien flüchten – um dort eine wichtige Lebensweisheit zu finden.
In ihrer Heimat Italien war der Debütroman der 29-jährigen Autorin Beatrice Salvioni ein grosser Erfolg. Jetzt erscheint er auf Deutsch. Schauplatz des Romans ist eine Kleinstadt in Norditalien in den 1930er-Jahren. Vor dem Hintergrund des Faschismus erzählt Salvioni von den religiösen und patriarchalen Zwängen im Alltag zweier Mädchen: Maddalena und Francesca beginnen zu rebellieren – und kämpfen um ein selbstbestimmtes Leben. Ein mitreissender Roman über eine tiefe Freundschaft, findet Literaturredaktorin Katja Schönherr.
Das Leben des jungen Musikers Leon wird von Krisen nur so durchgeschüttelt: Nach dem Tod seiner Mutter quälen ihn Selbstvorwürfe. Zum Vater meidet er jeden Kontakt. Als Leon auch noch erfährt, dass er Krebs hat, folgt er einer Einladung nach Italien. Leons Reise ist eher eine Flucht als eine Heldengeschichte, aber sie bringt Leon eine Gewissheit: «Das Leben lohnt sich nicht, aber es ist gut und schön.» «Lauter» von Stephan Roiss ist ein lebensbejahender Roman – mal dröhnend laut, dann wieder ganz leise. Von dieser Musikalität ist Literaturredaktor Tim Felchlin beeindruckt.
Claudette Wells ist ein ehemaliger grosser Filmstar. Vor Jahren flüchtete sie - noch während den Dreharbeiten zu einem neuen Film – mit ihrem Sohn in ein zerfallenes Haus in einer abgelegenen irischen Provinz. Seither führen sie und ihr Mann eine Ehe unter besonderen Umständen. Und als er eine ehemalige Geliebte im Radio hört, beginnt das Drama erst recht. «Hier muss es sein» - in diesem Roman schildert die irisch-britische Autorin Maggie O'Farrell viele Facetten einer Ehe, zeigt Brüche, Veränderungen – und stellt die zentrale Frage, was uns – trotz allem – in einer Beziehung zusammenhält. Literaturredaktorin Britta Spichiger stellt das Buch im Kurztipp vor.
Buchhinweise:
* Beatrice Salvioni. Malnata. Aus dem Italienischen von Anja Nattefort. 272 Seiten. Penguin, 2024.
* Stephan Roiss. Lauter. 240 Seiten. Jung und Jung, 2024.
* Maggie O'Farrell. Hier muss es sein. Aus dem Englischen von Kathrin Razum. 544 Seiten. Piper, 2024.
In den beiden Büchern auf dem Literaturstammtisch geht es dieses Mal um persönliche Entdeckungen und Erfahrungen. Die US-Amerikanerin Miranda July erzählt tabulos von einer Frau in den Wechseljahren, die Deutsche Anne Weber von fremden Vierteln einer ihr vertrauten Stadt.
Eine 45-jährige Frau schenkt sich selbst zum Geburtstag eine Reise von Los Angeles nach New York. Aber weit kommt sie nicht. Ein paar Meilen von ihrem Zuhause entfernt, verliebt sie sich vermeintlich in einen Tankstellenwächter. Die 50-jährige US-Autorin Miranda July ist ein Multitalent. Sie arbeitet unter anderem als Filmemacherin, Performance-Künstlerin und Schriftstellerin. Und mit ihrem neuesten Roman «Auf allen vieren» ist ihr erneut ein provokativer Roman gelungen, der das Thema «Wechseljahre» ohne Tabus anspricht. Jennifer Khakshouri hat das Buch mit Genuss, aber auch mit ein wenig roten Ohren gelesen.
Die Pariser Banlieues haben einen schlechten Ruf: Betonwüsten, Drogenkriminalität, Strassenkrawalle. Diese Randgebiete hat die seit rund vierzig Jahren in Paris lebende Autorin Anne Weber kaum je betreten. Nun erkundet sie sie in ihrem aktuellen Buch «Bannmeilen». Dabei fördert sie Überraschendes zu Tage: Inmitten der Trostlosigkeit stösst sie auf hochmoderne Bauten und historische Hotspots - und sie kommt in den Austausch mit Einheimischen. Für Felix Münger gelingt es Anne Weber, uns die Augen für «das Fremde in der Nachbarschaft» zu öffnen und uns mit ihm auf menschlicher Ebene verbunden zu fühlen.
Buchhinweise:
* Miranda July. Auf allen Vieren. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. 416 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2024.
* Anne Weber. Bannmeilen. 301 Seiten. Matthes & Seitz, 2024.
Die deutsche Autorin Franziska Gänsler erzählt von einer verschwundenen Schwester, der deutsche Autor Matthias Jügler von einem totgeglaubten Sohn. Und die englische Schriftstellerin Jane Gardam von einer einsamen, traumatisierten Frau. Geschichten aus dem Leben – brillant erzählt.
Katja Schönherr bringt den neuen Roman von Franziska Gänsler mit an den Literatur-Stammtisch. Der Titel: «Wie Inseln im Licht». Die Handlung: Als ihre kleine Schwester verschwindet, ist Zoey selbst noch ein Kind. Jetzt, zwanzig Jahre später, sind ihre Erinnerungen daran bruchstückhaft und widersprüchlich. Warum wurde nie nach der Schwester gesucht? Lebt die Schwester womöglich noch? Zoey begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit. «Wie Inseln im Licht» liest sich manchmal fast wie ein Krimi – und ist dabei sehr elegant geschrieben.
DDR, 1970er Jahre. Ein frischgebackenes Lehrerpaar bekommt sein erstes Kind. Es stirbt gleich nach der Geburt an einem Herzfehler. Die Ehe zerbricht am Schmerz. Vierzig Jahre später ruft der totgeglaubte Sohn den Vater an. Matthias Jüglers Roman «Maifliegenzeit» basiert auf einem wahren Fall. Es ist allerdings umstritten, wie oft es in der DDR zu vorgetäuschtem Säuglingstod zwecks Adoption kam. Unbestritten ist die tiefe Verstörung und die Ohnmacht bei der Suche nach der Wahrheit. Matthias Jügler erzählt davon leise, aber eindringlich und so, dass der Stoff auch etwas Universelles bekommt. Franziska Hirsbrunner stellt «Maifliegenzeit» vor.
«Gute Ratschläge» - so heisst der neu auf Deutsch veröffentlichte Briefroman der englischen Autorin Jane Gardam. Die guten Ratschläge erteilt Eliza Peabody, eine Hausfrau Anfang fünfzig, die den ganzen Tag am Fenster sitzt und ihre Nachbarschaft beobachtet. Sie schreibt sie an ihre Nachbarin, gibt in ihren Briefen aber je länger desto mehr auch private Details preis. Und so entsteht das Porträt einer einsamen und vom Leben enttäuschten Frau. Gleichzeitig ist «Gute Ratschläge» aber auch eine brillante Gesellschaftssatire – mit der für Gardam so typischen Mischung aus Empathie, Scharfblick und Humor. Britta Spichiger stellt das Buch als Kurztipp vor.
Buchhinweise:
* Franziska Gänsler. Wie Inseln im Licht. 206 Seiten. Kein & Aber, 2024.
* Matthias Jügler. Maifliegenzeit. 160 Seiten. Penguin, 2024.
* Jane Gardam. Gute Ratschläge. Aus dem Englischen von Monika Baark. 320 Seiten. Hanser Berlin, 2024.
Die Geschichte von Huckleberry Finn aus der Sicht des Sklaven Jim erzählt. «James» von Percival Everett ist genauso Thema am Literaturstammtisch wie «Windstärke 17» von Caroline Wahl und das hochengagierte Werk «Altern» von Elke Heidenreich.
Percival Everett erzählt in «James» die weltberühmte Geschichte von Huckleberry Finn neu - aus der Perspektive des Sklaven Jim. Wie bei Mark Twain fliehen Huck und Jim gemeinsam auf dem Mississippi. Für Jim als entlaufener Sklave ist die Flucht aber kein Lausbubenabenteuer, denn jede Begegnung mit Menschen kann ihn an den Galgen bringen. Beklemmend und fesselnd wie ein Thriller liest sich, wie Everett seinen Jim durch absurde Situationen treibt und dabei mit der Sprache irrwitzige Kapriolen schlägt. Lesepflichtstoff! Meint SRF-Literaturredaktor Markus Gasser.
Mit ihrem Debütroman «22 Bahnen» ist der deutschen Autorin Caroline Wahl ein Überraschungserfolg gelungen. Nun legt Wahl ihr zweites Buch vor – wieder einen mit einer Zahl im Titel: «Windstärke 17» handelt von der jungen Frau Ida, deren alkoholkranke Mutter gerade gestorben ist. In ihrer Trauer flüchtet sich Ida auf die Ostseeinsel Rügen. Sie findet dort: die Liebe. SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr empfiehlt «Windstärke 17» schon jetzt als «perfekte Lektüre für die Sommerferien».
Der Buchtipp kommt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt Elke Heidenreichs neues Buch «Altern». Ein persönliches, ehrliches, lebenskluges und lebensbejahendes Buch zu einem Thema, dass uns alle betrifft.
Buchhinweise:
* Percival Everett. James. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. 330 Seiten. Hanser, 2024.
* Caroline Wahl. Windstärke 17. 256 Seiten. DuMont, 2024.
* Elke Heidenreich. Altern. 112 Seiten. Hanser Berlin, 2024.
«Das eigene Leben als Inspiration» - unter diesem Motto steht die SRF 1-Literatursendung «BuchZeichen».
Theres Roth-Hunkeler und Nando von Arb stehen an unterschiedlichen Punkten in ihrem Leben und diskutieren mit Britta Spichiger, wie ihre persönlichen Erfahrungen in ihre neuesten Werke «Damenprogramm», bzw. «Fürchten lernen», eingeflossen sind.
In «Damenprogramm» erzählt die 70-jährige Theres Roth-Hunkeler von zwei Freundinnen, die in einem späteren Lebensabschnitt stehen. Sie thematisiert das Altern direkt, geradezu radikal, aber auch humorvoll.
In «Fürchten lernen» erzählt der 32-jährige Nando von Arb von unterschiedlichen Angsterfahrungen – persönlich gefärbt und doch universell gültig: zarte, aufrüttelnde oder auch absurde Episoden.
Buchhinweise:
* Theres Roth-Hunkeler. Damenprogramm. 256 Seiten. Edition Bücherlese, 2023.
* Nando von Arb. Fürchten lernen. 428 Seiten. Edition Moderne, 2024.
Mit «Polifon Pervers» nimmt Béla Rothenbühler den Schweizer Kulturbetrieb hoch. Mit «Ein schönes Ausländerkind» schreibt die Kabarettistin «Toxische Pommes» über die Gefühle von Migrantenkindern. Und Bestsellerautor David Foenkinos überzeugt mit einem schrecklich-schaurigen Thriller.
Ein paar junge Leute tricksen Stiftungen und staatliche Kulturfonds aus und lassen grosse Summen an Fördergeldern in die eigenen Taschen fliessen. Und die Theateraufführungen und Performances, die ihre kriminellen Machenschaften decken, machen auch noch Furore bei Publikum und Medien. Doch dann beginnen sie, zusätzlich Drogengeld zu waschen. Ob das gut gehen wird? Dem Luzerner Mundartautor Béla Rothenbühler ist mit «Polifon Pervers» eine sehr lustige Satire auf den Schweizer Kulturbetrieb gelungen. Das findet André Perler, der das Buch am Literaturstammtisch empfiehlt.
Auf TikTok, von der Bühne herunter und jetzt auch im Buch. Die österreichische Kabarettistin, TikTokerin und Autorin «Toxische Pommes» erreicht ihr Publikum auf allen Kanälen. Dabei geht es der Juristin um «alltagskulturelle Beobachtungen, in denen sie Kritik mit feministischer und antirassistischer Grundhaltung übt und sich über Sozialmilieus und Doppelmoral amüsiert,» wie sie sagt. In ihrem autofiktionalen Roman «Ein schönes Ausländerkind» erzählt sie die Geschichte einer Familie, die vor dem Jugoslawienkrieg in ein Einwanderungsland flieht, das keines sein möchte. Literaturredaktor Michael Luisier, der das Buch mit grösstem Interesse gelesen hat, stellt das Buch am Literaturstammtisch vor.
Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Roman «Das Leben meiner Schwester» von David Foenkinos vor. Über Nacht bricht für Mathilde eine Welt zusammen. Ihr zukünftiger Mann will sie nicht mehr heiraten. Eine grosse Liebe aus seiner Vergangenheit radiert die Beziehung mit Mathilde aus. Mathilde steht vor einem Scherbenhaufen. Ein psychologischer Thriller über eine Frau, die zurückgewiesen wird – mit fatalen Folgen!
Buchhinweise:
* Béla Rothenbühler. Polifon Pervers. 200 Seiten. Edition spoken script. Der gesunde Menschenversand, 2024.
* Toxische Pommes. Ein schönes Ausländerkind. 208 Seiten. Zsolnay, 2024.
* David Foenkinos. Das Leben meiner Schwester. Aus dem Französischen von Christian Kolb. 192 Seiten. Penguin, 2024.
Bücher mit ganz unterschiedlichen Geschichten liegen heute auf dem Literaturstammtisch. Darunter ist das neue Buch der Schweizerin Rebekka Salm, ein Roman, der von einer Heldentat im Zweiten Weltkrieg erzählt – und eine Familiengeschichte aus Irland.
«Wie der Hase läuft» ist der zweite Roman der Schweizer Autorin Rebekka Salm. Und dieser sei überaus gelungen, lobt Katja Schönherr. «Spannend und sehr raffiniert gebaut!», lautet ihr Urteil. Im Buch geht es um die miteinander verwobenen Familiengeschichten eines Liebespaars – und darum, dass man lernen muss, mit Leerstellen in der eigenen Vergangenheit zu leben.
«Comandante» der beiden Italiener Edoardo De Angelis und Sandro Veronesi erzählt eine wahre Geschichte, die im Krieg spielt - und doch von der Menschlichkeit handelt. Es geht um den U-Bootkommandant Salvatore Todaro, der sich im Zweiten Weltkrieg über Vorschriften hinwegsetzte, um Feinde vor dem sicheren Tod zu retten. Für Felix Münger ist Todaro gerade in heutiger Zeit, wo zahllose Geflüchtete im Mittelmeer keine Rettung finden, eine Leuchtfigur der Menschenpflicht.
«Der Stich der Biene» ist ein Familienroman, der in einer irischen Kleinstadt angesiedelt ist. Dickie und Imela Barnes führen mit ihren Kindern ein privilegiertes Leben, bis die weltweite Finanzkrise im Jahr 2008 auch in ihre scheinbar heile Welt einbricht. Mit präzisem und gleichzeitig empathischem Blick erzählt der Autor Paul Murray eine tragisch-komische Geschichte. Britta Spichiger gefällt, wie Murray die Leserschaft mit denselben Fragen konfrontiert, die auch seine Figuren umtreiben: was hätte man in der Vergangenheit anders machen können? Und wie wäre es wohl herausgekommen?
Buchhinweise:
* Rebekka Salm. Wie der Hase läuft. 195 Seiten. knapp, 2024.
* Edoardo De Angelis und Sandro Veronesi. Comandante. Aus dem Italienischen von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube. 157 Seiten. Zsolnay, 2024.
* Paul Murray. Der Stich der Biene. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. 700 Seiten. Kunstmann, 2024.
«Knife» von Salman Rushdie zeigt einen gezeichneten, aber auch kämpferischen Autor. «Zitronen» von Valerie Fritsch handelt von einem Jungen mit dem sogenannten «Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom». Und in «Paris-Trilogie» erzählt Colombe Schneck von einem Frauenleben in drei Kurzromanen.
Gross war die Spannung vor der Veröffentlichung des ersten Buches des britisch-indischen Schriftstellers Salman Rushdie nach der Messerakttacke vom 12. August 2022. Und gross war auch der Medienrummel. Aber ganz abgesehen vom Hype rund um den Autor von «Die satanischen Verse» und 22 anderer Bücher ist mit «Knife – Gendanken nach einem Mordversuch» ein berührendes und lebensbejahendes Werk entstanden, das einen zwar verletzten und gezeichneten, aber auch kämpferischen Salman Rushdie zeigt. Und einen Mann, der erst jetzt die grosse Bedeutung der Liebe für sein Leben erkannt hat, wie Michael Luisier meint.
«Zitronen», der zweite Roman der österreichischen Autorin Valerie Fritsch, handelt von einem Jungen mit dem sogenannten «Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom»: Seine Mutter redet ihm ein, er sei krank und schwach, damit sie einen Grund hat, ihn zu pflegen. Doch als er wieder gesund wird, hält sie ihn weiterhin an, rätselhafte Tabletten zu schlucken, die ihn schwach und Müde machen. Für Simon Leuthold ein überaus bildstarkes, eindringliches Buch über eine Familie, in der sich Zärtlichkeit und Gewalt gegenseitig bedingen.
Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Roman «Paris Trilogie » von der französischen Schriftstellerin Colombe Schneck vor. Es geht um ein Frauenleben erzählt in drei Romanen. Die Französin verwebt dabei Persönliches mit Erfundenem ganz in der Tradition von Annie Ernaux, die auch Mutter der Autofiktion genannt wird.
Buchhinweise:
* Salman Rushdie. Knife. Gedanken nach einem Mordversuch. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. 256 Seiten. Penguin, 2024.
* Valerie Fritsch. Zitronen. 186 Seiten. Suhrkamp, 2024.
* Colombe Schneck. Paris Trilogie. Ein Frauenleben in drei Romanen. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. 208 Seiten. Rowohlt, 2024.
Mareike Fallwickl spielt in «Und alle so still» das Szenario durch, dass die Frauen alle Arbeit ruhen lassen. «Die Zeit im Sommerlicht» von Ann-Helén Laestadius schildert das Los indigener Kinder in Skandinavien. Und Martin Suter wartet mit einem neuen Krimi auf, in dem alles so ist, wie gehabt.
«Und alle so still» der österreichischen Autorin Mareike Fallwickl handelt von einem weltweiten Care-Aufstand. Sämtliche Frauen legen sich hin und tun nichts mehr, weil sie schlichtweg zu erschöpft sind. Natürlich bricht sofort Chaos aus: Niemand kümmert sich um Alte, Kinder und Kranke. Und die Männer? Sie versuchen mit Gewalt, die Frauen dazu zu zwingen, weiter zu rackern wie bisher. Ein aufwühlendes Gedanken-Experiment, findet Katja Schönherr.
«Die Zeit im Sommerlicht» von Ann-Helén Laestadius bewegt André Perler. Der Roman handelt von einem kaum bekannten dunklen Kapitel in der jüngeren Geschichte Schwedens: von den Nomadenschulen. In diesen Internaten in Nordschweden wurden jahrzehntelang Kinder samischer Rentierzüchter unter Anwendung psychischer und physischer Gewalt brutal aufs Schwedisch-Sein getrimmt – mit schweren Folgen für das Leben der Betroffenen.
«Allmen und Herr Weynfeldt» - so heisst die mittlerweile siebte Episode aus der Krimireihe des Schweizer Erfolgsautors Martin Suter. Im Zentrum steht erneut der chronisch blanke Detektiv Allmen. Dieses Mal ermittelt er in einem Kunstraub im Zürcher Reichenmilieu. Der neue Suter biete die gewohnte leicht verdauliche Unterhaltung, sagt Felix Münger. Wer allerdings von einem Krimi ein gewisses Tempo, überraschende Wendungen oder gar eine Prise Action erwarte, liege damit falsch.
Buchhinweise:
* Mareike Fallwickl. Und alle so still. 368 Seiten. Rowohlt, 2024.
* Ann-Helén Laestadius. Die Zeit im Sommerlicht. Aus dem Schwedischen von Maike Barth und Dagmar Missfeldt. 475 Seiten. Hoffmann und Campe, 2024.
* Martin Suter. Allmen und Her Weynfeldt. 217 Seiten. Diogenes, 2024.
«Das Gras auf unserer Seite» von Stefanie de Velasco, «Klarkommen» von Ilona Hartmann und das soeben mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnete «Minihorror» von Barbi Markovic sind die Bücher am Literaturstammtisch diese Woche im BuchZeichen.
Stefanie de Velascos Roman «Das Gras auf unserer Seite» handelt von drei Freundinnen. Keine von ihnen hat je einen Kinderwunsch verspürt. Was sie hingegen alle spüren, ist die Erwartungshaltung der Gesellschaft. Immer wieder müssen sie Stellung dazu beziehen, ob sie nicht endlich einmal Kinder kriegen wollen. Dann wird eine von ihnen schwanger. Ungewollt. Wird sie das Kind behalten? «Das Gras auf unserer Seite» ist ein literarisches – und zugleich sehr unterhaltsames – Beispiel dafür, wie sich Frauen permanent zum Muttersein verhalten müssen. SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr bringt es mit an den Stammtisch.
Ein junger Mensch zieht fürs Studium in die Grossstadt und verspricht sich ein aufregendes Leben: die Jugend auskosten, Party machen, Menschen kennenlernen, viel erleben. Kaum etwas davon tritt ein. Die Erzählstimme realisiert, dass das Leben an sich doch eher langweilig ist, auch weil sie sich selbst im Weg steht. Ilona Hartmann beschreibt das Erwachsenwerden der Millennial-Generation von der Schattenseite her. Für Simon Leuthold ein treffsicher geschriebenes Buch über das jugendlich-wehleidige Lebensgefühl, dass man gerade wahnsinnig viel Wichtiges verpasst, nicht darüber hinwegkommt – und ganz sicher nicht selbst schuld daran ist.
Der Tipp der Woche stammt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt «Minihorror» von Barbi Markovic. Darin geht es um Mini und Miki, die allerlei Horrorgeschichten erleben. Wie in einem Comicheft werden kurze und zum Teil reichlich abstruse Anekdoten erzählt, die davon handeln, wie zwei nette Menschen (oder vielleicht auch Mäuse, wer weiss,) versuchen, mit den Zumutungen des Alltags klarzukommen.
Buchhinweise:
* Stefanie de Velasco. Das Gras auf unserer Seite. 250 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2024.
* Ilona Hartmann. Klarkommen. 192 Seiten. park x ullstein, 2024.
* Barbi Markovic. Minihorror. 186 Seiten. Residenz, 2023.
Elizabeth Strout erzählt eine komplexe Familiengeschichte mit grosser Leichtigkeit. Elmore Leonard nimmt uns mit in den Wilden Westen, wo auf Kugel komm raus geballert wird. Und auf der aktuellen SRF-Bestenliste im April stehen alles Bücher, die einen guten Lesefrühling garantieren.
«Am Meer» von Elizabeth Strout handelt von Lucy Barton, einer rund 70-jährigen Schriftstellerin, die mit ihrem Ex-Mann von New York City nach Maine zieht, in ein Haus am Meer, um der Pandemie zu entkommen. In der Einsamkeit blickt sie auf ihr Liebesleben zurück und sorgt sich um ihre längst erwachsenen Töchter. Elizabeth Strout gelinge es, diese komplexe Familiengeschichte in einer einzigartigen Leichtigkeit zu erzählen, meint SRF-Literaturredaktorin Jennifer Khakshouri.
Warum nicht wieder einmal einen Western lesen? So wie früher? Die Gelegenheit bietet aktuell der packende Roman «Letztes Gefecht am Saber River» des US-Amerikaners Elmore Leonard. Der 1959 erschienene Roman liegt jetzt erstmals auf Deutsch vor. Die zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs spielende Geschichte habe alle Ingredienzien des klassischen Testosteron-Abenteuers im Wilden Westens. Aber nicht nur, findet Felix Münger. Gerade die Frauenfiguren und die Geschlechterrollen seien überraschend modern dargestellt.
Im heutigen Kurztipp stellt Annette König die fünf Bücher vor, die auf der aktuellen SRF-Bestenliste im April stehen. Alle fünf Titel seien ausnehmend gelungene Page-Turner, die jeglichen Anflug von Frühlingsmüdigkeit mit einem Wisch hinwegfegen würden.
Buchhinweise:
* Elizabeth Strout. Am Meer. Aus dem Amerikanischen von Sabine Roth. 288 Seiten. Luchterhand, 2024.
* Elmore Leonard. Letztes Gefecht am Saber River. Aus dem Englischen von Florian Grimm. Liebeskind, 2024.
* Gaea Schoeters. Trophäe. Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing. 256 Seiten. Zsolnay, 2024.
* Iris Wolff. Lichtungen. 256 Seiten. Klett-Cotta, 2024.
* Percival Everett. James. 336 Seiten. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Hanser, 2024.
* Barbara Kingsolver. Demon Copperhead. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. 846 Seiten. dtv, 2024.
* Anne Weber. Bannmeilen. 301 Seiten. Matthes & Seitz, 2024.
Der spanische Regisseur Pedro Almodóvar, die deutsche Autorin Slata Roschal und die US-amerikanische Autorin Marie Benedict schauen in ihren neuen Büchern zurück. Es geht um persönliche Erinnerungen oder gesellschaftliche Fragen, jeweils verbunden mit einer individuellen Geschichte.
Schon oft wurde der spanische Regisseur Pedro Almodóvar darum gebeten, seine Autobiografie zu schreiben. Bis jetzt ging er nie darauf ein. Aber nun kommt er diesem Wunsch in Ansätzen nach. Mit zwölf Erzählungen, die Einblick geben in sein Leben, Schreiben und Filmemachen. Sie zeigen, wie sehr alle drei Bereiche miteinander verbandelt sind. Texte aus mehreren Jahrzehnten, die von seiner Assistentin Lola García archiviert wurden. Das Buch lese sich wie ein spritziger, frischer Cocktail, der als Trägersubstanz ganz schön viel Pedro Almodóvar enthalte, findet Annette König, die das Buch am Literaturstammtisch empfiehlt.
Eine junge Frau in einem Hotelzimmer. Das erste Mal seit Jahren ist sie allein verreist. Sie geniesst die Ruhe, sie will nachdenken. Worüber sie nachdenkt? Über ihren anstrengenden und zugleich eintönigen Alltag als Mutter. Stimmt etwas nicht mit mir?, fragt sie sich, wo doch alle Mütter um sie herum scheinbar so glücklich sind. «Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten» von Slata Roschal handelt von einer Frau, die mit ihrem Leben hadert. Ein tristes Thema. Dennoch sei es ein Genuss, dieses Buch zu lesen, findet SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr.
Die britische Biochemikerin Rosalind Franklin hat für die Wissenschaft Bedeutendes geleistet. Dank ihrem Beitrag konnte die menschliche DNA entschlüsselt werden. Die Anerkennung dafür aber bekamen Männer. In ihrem Roman «Das verborgene Genie» erzählt die US-amerikanische Autorin Marie Benedict von einer brillanten Aussenseiterin, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts voll und ganz der Wissenschaft verschrieb und sich dafür gegen alle möglichen Widerstände durchsetzen musste. Spannende Lektüre, die einen aber auch nachdenklich zurücklässt, findet Britta Spichiger.
Buchhinweise:
* Pedro Almodóvar. Der letzte Traum. Aus dem Spanischen von Angelica Ammar. 224 Seiten. Suhrkamp, 2024.
* Slata Roschal. Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten. 170 Seiten. Claassen, 2024.
* Marie Benedict. Das verborgene Genie. Aus dem Englischen von Kristin Lohmann. 352 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2024.
Zwei Romane, die vom gesellschaftlichen Druck auf Individuen erzählen: Von unserem Umgang mit betagten Menschen handelt «Die Arbeiterin» des Franzosen Didier Eribon. Und «Nachbarn» der Afroamerikanerin Diane Oliver schildert die prekäre Lage von Schwarzen in den USA – in den 1960ern wie heute.
Der Schriftsteller, Soziologe und Philosoph Didier Eribon schreibt seine Familiengeschichte weiter. «Eine Arbeiterin: Leben, Alter und Sterben» ist das Portrait seiner Mutter. Eine Mischung aus autobiografischem Schreiben und soziologischem Essay. Eribon beschreibt seine Schuldgefühle, nachdem er die Mutter gegen ihren Willen in ein Pflegeheim einwies. Wie er danach ihre nächtlichen Klagen und Telefonate aushalten musste. Von ihrer Verzweiflung und Vereinsamung hörte. Das Buch sei ebenso «gehaltvoll wie fesselnd», sagt Annette König.
Schwarze in den USA, die für Emanzipation und Gleichberechtigung einstehen – davon erzählen die Erzählungen im Band «Nachbarn» der 1966 verstorbenen US-amerikanischen Autorin Diane Oliver. So schildert sie etwa einen siebenjährigen Knaben, der als erstes Schwarzes Kind auf eine Schule der Weissen muss. Mit feinen, nüchternen Beobachtungen zeige die Autorin, was Rassismus bedeute, sagt Britta Spichiger. Obwohl die Geschichten in den 1960ern spielen, seien sie noch immer aktuell.
Einen Spaziergang durch die Weltliteratur – dies bietet der neue Sammelband «19/21 Synchron global» des Schweizer Literaturwissenschafters Charles Linsmayer. Das Buch versammelt 135 literarische Texte aus verschiedenen Weltregionen. Die thematisch gegliederte Auswahl ermögliche, Unbekanntes zu entdecken. Und dabei zu erfahren, wie unterschiedliche Autorinnen und Autoren zu Urthemen der Menschheit wie Freiheit, Glück oder Natur dachten, sagt Felix Münger.
Buchhinweise:
* Didier Eribon. Eine Arbeiterin. Leben, Alter und Sterben. Aus dem Französischen von Sonja Finck. 240 Seiten. Suhrkamp, 2024.
* Diane Oliver. Nachbarn. Aus dem Englischen von Brigitt Jakobeit und Volker Oldenburg. 304 Seiten. Aufbau, 2024.
* Charles Linsmayer (Hrsg.). 19/21 Synchron global, ein weltliterarisches Lesebuch von 1870 bis 2020. 652 Seiten. Th. Gut, 2024.
Dieses Jahr sind die Niederlande und Flandern Gastland der Leipziger Buchmesse. Auf dem Literaturstammtisch liegen deshalb neue Bücher der Autor:innen Gaea Schoeters, Lize Spit und Mathijs Deen.
Hunter White geht auf Grosswildjagd nach einem der selten gewordenen Spitzmaulnashörner. Dafür hat er eine Lizenz zum Töten ersteigert. Was treibt ihn an? Die Suche nach dem Kick? Die flämische Autorin Gaea Schoeters sucht in ihrem Afrika-Roman «Trophäe» Antworten darauf. Sie beleuchtet nicht nur kritisch das Verhältnis Mensch und Natur, sondern auch die Folgen des Kolonialismus. Gaea Schoeters schreibt mit einer Sprachgewalt, die einem die Nackenhaare aufstellt, findet Annette König.
Jimmy ist ein hervorragender Schüler. Und er ist einsam. Bis Tristan in sein Leben tritt. Dieser hat einen Krieg und eine Flucht nach Belgien hinter sich. Jimmy erhält die Aufgabe, Tristan durch das Schuljahr zu begleiten. Daraus entspinnt die belgische Autorin Lize Spit eine Geschichte über Freundschaft, Fantasie - und Verzweiflung. Der Roman «Der ehrliche Finder» fesselt einen von Beginn weg, sagt Lea Dora Illmer.
März 1995: In einer stürmischen Nacht über der Nordsee gerät ein deutscher Schlepper in Seenot. Die ganze Mannschaft ausser dem Kapitän kann gerettet werden. Ostersonntag, 2016: An der englischen Küste finden zwei Jungen ein Skelett, daneben eine Rettungsweste des deutschen Schleppers, der vor über zehn Jahren in Seenot geraten war. Die sterblichen Überreste des Kapitäns? Kommissar Liewe Cupido übernimmt die Untersuchungen. «Der Retter» ist ein weiterer spannender Fall des sympathischen Ermittlers, findet Britta Spichiger.
Buchhinweise:
* Gaea Schoeters. Trophäe. Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing. 256 Seiten. Zsolnay, 2024.
* Lize Spit. Der ehrliche Finder. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. 128 Seiten. S. Fischer Verlag, 2024.
* Mathijs Deen. Der Retter. Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. 384 Seiten. mare Verlag, 2024.
«Das kleine Haus am Sonnenhang» von Alex Capus und «Die hängende Säge» von Alice Schmid - dies die aktuellen Bücher am Literaturstammtisch im BuchZeichen.
In seinem neuen Buch «Das kleine Haus am Sonnenhang» erzählt der Oltner Schriftsteller Alex Capus von persönlichen Erinnerungen aus seiner Zeit in Italien: Im Seitental eines Seitentals im Piemont kaufte sich Capus als junger Mann ein altes Haus und schrieb dort seinen ersten Roman. Nun nimmt er seine Leserschaft mit auf einen Nostalgietrip in die letzten Jahre des 20. Jahrhunderts. Er erzählt von alltäglichen Begebenheiten und besonderen Begegnungen. Das Buch, das Britta Spichiger am Literaturstammtisch vorstellt, ist eine Liebeserklärung an das kleine Haus am Sonnenhang, an das Schreiben - und das Leben.
Alice Schmid erzählt in ihrem Roman «Die hängende Säge» die Geschichte einer jungen Frau, die nach einem traumatischen Erlebnis im Jugendsportlager kein Wort mehr sprechen kann. Erst mit einem Sprachaufenthalt in Belgien findet sie langsam zu ihrer Sprache zurück. Nach und nach wird absehbar, dass sie sich immer stärker von ihrem Familienumfeld im bäuerlichen Luzerner Hinterland abnabeln wird. Für Simon Leuthold ein einfühlsam geschriebener Coming-of-Age-Roman darüber, was es heisst, seinen eigenen Weg zu gehen.
Der Buchtipp kommt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt das Bändchen «Mir fällt gerade ein... Ein Sammelsurium» mit Tagebucheinträgen des Schauspielers und Sängers Manfred Krug.
Buchhinweise:
* Alex Capus. Das kleine Haus am Sonnenhang. 160 Seiten. Carl Hanser Verlag, 2024.
* Alice Schmid. Die hängende Säge. 176 Seiten. Atlantis Verlag, 2024.
* Manfred Krug. »Mir fällt gerade ein« Ein Sammelsurium. 108 Seiten. Kanon, 2024.
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