DiscoverLiteraturfenster Schweiz
Claim Ownership
Literaturfenster Schweiz
Author: Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)
Subscribed: 14Played: 69Subscribe
Share
© 2022 SRG SSR
Description
Im «SRF 2 Kultur Literaturfenster Schweiz» präsentieren wir aktuelle Schweizer Neuerscheinungen. Wir laden Autorinnen und Autoren ein, deren Buchvernissagen und Lesungen wegen des Corona-Virus abgesagt werden mussten, und unterhalten uns mit ihnen über ihre aktuellen Werke und lassen sie daraus vorlesen.
Kontakt: literatur@srf.ch
Kontakt: literatur@srf.ch
23 Episodes
Reverse
Meret Guts Sprache ist sinnlich und archaisch, voller Naturbilder und Geheimnisse. Nach «Einen Knochen tauschen wir» von 2017 erscheint ihr neuer Lyrikband «Die Frau mit dem violetten Herzen». Der Fokus liegt dabei auf der Fragilität der Mutter Erde und all seinen Bewohnern. Der Band ist in vier Abschnitte unterteilt, «Trommeln der Angst», «Schakale», «Zauberin am Berg» und «Fruchtbare Erde». In ihren Gedichten findet sich erneut das Körperliche, sowie überraschende Wortspiele, erfrischend wie ein kalter Bergsee.
Das Schreiben sei für sie ein kreativer und spiritueller Akt. Meist schreibe sie nachts, an ihrem Holztisch, im Zwiegespräch mit einem Hirschschädel.
Die Natur und Magie geben einander die Hand und laden zu einer Reise ein, wie durch einen üppigen Dschungel oder zu unberührte Berglandschaften.
Buchhinweise:
Meret Gut. Die Frau mit dem violetten Herzen. Wolfbach Verlag, Die Reihe, 2020.
Alfonsina Storni. Poemas de amor – Liebesgedichte. Bouvier, 2017.
Ingeborg Bachmann. Sämtliche Gedichte. Piper, 2003.
In ihrem beeindruckenden Debütroman «Nacht ohne Ufer» erzählt Patricia Büttiker eine beklemmende Familiengeschichte. Dazu reichen ihr ein Krankenzimmer als Ausgangspunkt und die Zeitspanne einer Nacht – die in ganz viele Erinnerungen ausufert. Esther und Gloria, zwei Halbschwestern, haben sich entfremdet, seit die gemeinsame Mutter mit Gloria als kleinem Kind ausgezogen war und Esther bei ihrem Vater zurückliess. Nun liegt die Mutter im Sterben, und Esther und Gloria verbringen die letzte Nacht der Mutter gemeinsam in ihrem Krankenzimmer, am Sterbebett. Zwischen den beiden liegt viel Unausgesprochenes in der Luft: Neid, Rivalität, Schuldgefühle, längst vergangene Gemeinheiten.
Auch wenn sie beide das vielleicht möchten: Sie finden in der kurzen Zeit, in der sie miteinander verbringen, nicht wieder zueinander – auch nicht um der Mutter willen. Immer wieder nehmen sie Anläufe dazu, die aber häufig doch nur in gegenseitigem Anschweigen münden.
Aus dieser beklemmenden Situation im Sterbezimmer der Mutter heraus brechen Gloria und Esther auf unterschiedlichste Weise aus: Gloria verlässt immer wieder fluchtartig das Zimmer, um zu rauchen, Esther hängt Erinnerungen nach. Anhand dieser Erinnerungen erfahren wir beim Lesen nach und nach bruchstückhaft die Geschichte dieser zerrütteten Familie und können mitverfolgen, welche Kleinigkeiten aus der Vergangenheit in der Gegenwart plötzlich eine grosse Rolle zu spielen beginnen – zum Beispiel die Angst vor dem Verlassenwerden, die aus einem harmlosen Versteckspiel erwachsen kann.
Im Gespräch mit Patricia Büttiker über ihren Roman geht es um die Bedeutung der Erinnerung, um die Produktivität von Konfliktsituationen und darum, warum dieser Roman für die Autorin wie ein Haus ist.
Buchhinweis:
Patricia Büttiker. Nacht ohne Ufer. edition bücherlese, 2020.
Die Mutter wird man nicht los. Ist es Liebe, Anhänglichkeit, Abhängigkeit? Kann man sich von der Familie und den Ahnen je befreien? In «Muttertag» erzählt Ralf Schlatter von solchen und anderen unerhörten Themen. Eine Mutter will sterben und ihr Sohn soll ihr dabei helfen. Er braucht Zeit und Bewegung, um nachzudenken. Zu Fuss geht er von Zürich nach Schaffhausen, Stunde um Stunde von einer Stadt zur andern dem Selbstmord der Mutter entgegen. Unterwegs versucht er sie, die ihm ein Leben lang fremd war, endlich zu verstehen. Deren Strahlen er als Maske empfand und die ihre zugeschriebene Rolle pflichtbewusst ausgefüllt hat. Er sucht nach Antworten, warum er sie trotz ihrer Aufopferung nicht zurückliebt. Er beobachtet die Natur und denkt sich zu jeder vollen Stunde einen möglichen Abschied von ihr aus.
Ralf Schlatter erzählt in seinem Roman «Muttertag» von Unausgesprochenem in der Familie, von Einsamkeit und der Bedeutung der Vorfahren. Dabei regt er zum Nachdenken an über die Beziehung zu den eigenen Eltern und Wahrhaftigkeit im Zusammenleben.
Wir sprechen mit dem Autor und Kabarettist über festgefahrene Verhaltensmuster, das Frauenbild der 1970er Jahre, über Pilgerreisen, Vogelbeobachtungen und Tragikomik.
Buchhinweis:
Ralf Schlatter: Muttertag. Limbus Verlag, 2020.
«Liebe um Liebe» ist der erste Roman der Lyrikerin Dragica Rajcic Holzner und die tragische Geschichte einer Frau, die Liebe nicht ohne Gewalt erfährt. Der Roman «Liebe um Liebe» beginnt in Glück. So heisst das Dorf im ehemaligen Jugoslawien, heutiges Kroatien, in dem die Erzählerin, Ana Jagoda, aufwächst. Doch der Name trügt: Gewalt und Übergriffe dominieren Anas Kindheit. Den Schlägen des Vaters entfliehend, rettet sich Ana in die Arme Igors; verliebt sich in die Geschichte, die sie beide haben könnten. Doch auch Igor, so muss Ana feststellen, ist nicht anders als die anderen Männer aus Glück. «Liebe um Liebe» ist ein Buch über die Vorstellungen von Glück, die wir mit uns herumtragen, die oft enttäuscht werden und uns trotzdem ein Leben lang antreiben.
Buchhinweis:
Dragica Rajcic Holzner. Liebe um Liebe. Matthes & Seitz, 2020.
Balts Nill hat das alte «Weisheitenbuch» tao te king des chinesischen Gelehrten Laotse in die Schweizer Mundart übertragen. Das Resultat ist wirkungsmächtig, wortkarg und sehr klangvoll. Mehr geografische, zeitliche und sprachliche Distanz wäre kaum denkbar als zwischen heutiger Mundart aus der Schweiz und chinesischen Weisheiten, die fast 2500 Jahre alt sind. So etwas zu übersetzen, braucht Mut und viel Feingefühl. Der Berner Autor und Musiker Balts Nill (bekannt als Schlagzeuger und Gründungsmitglied der Band «Stiller Has» mit Endo Anaconda) beweist mit «vo wäge Do», dass er beides hat.
Anhand seiner Übertragungen dieser chinesischen Verse in ein schnörkelloses Berndeutsch lässt sich erfahren, wie zeitlos das tao te king ist, und – wenn man sie laut liest – wie klangvoll. Die Verse wirken auf den ersten Blick teilweise kryptisch, doch ihnen wohnen viel Feinsinn und Ironie inne.
Wir sprechen mit Balts Nill unter anderem über seine eigene Beziehung zum tao te king, darüber, wieso Berndeutsch dem Chinesischen stark ähnelt, wo sich das DO und die Musik treffen – und darüber, was geschieht, wenn man beim Übersetzen einem Tinnitus nachhängt.
Buchhinweis:
Balts Nill. vo wäge DO. Lokwort, 2020.
Henni will hoch hinaus. Auf der Suche nach dem Glück, das zu zerbrechen droht, schlägt sie sich durch den Tumult der Grossstadt. Der neue Roman «Die heilige Henni der Hinterhöfe» von Tim Krohn handelt von den grossen und kleinen Revolutionen vor rund 100 Jahren in Berlin. Henni Binneweis wächst im Hinterhof einer Berliner Mietskaserne auf. An ihrem vierten Geburtstag wird ihr prophezeit, dass sie zu Höherem geboren sei. Mit dem ersten Weltkrieg geht das Abenteuer los. Alles ist ungewiss. Und Henni will tanzen in ein neues, aufregendes Leben. Mit Witz und Charme hangelt sie sich im Strudel der Zeit von Misere zu Misere bis die hochfliegenden Träume an der Realität zerplatzen.
Tim Krohn erzählt in seinem Roman «Die heilige Henni der Hinterhöfe» von bekannten und unbekannten Menschen und ihren Geschichten, von einem Land, das im Machtvakuum von ständig wechselnden Strömungen eingenommen wird. Mit humorvollem Ton lässt er das Berlin der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg wiederaufleben.
Wir sprechen mit Tim Krohn über Figuren, die bei ihm anklopfen, eine Generation, die den Kick sucht, und über Menschlichkeit.
Buchhinweis:
Tim Krohn. Die heilige Henni der Hinterhöfe. Kampa, 2020.
Auf der Suche nach einer noch unentdeckten Spezies reist Robert Akaret nach Papua Neuguinea. Was klingt wie ein Abenteuerroman des 18. Jahrhunderts ist der Stoff des neu erschienenen Romans «Buch der geträumten Inseln» von Lukas Maisel. Wer im 21. Jahrhundert noch allen Ernstes zu einer Entdeckungsreise aufbrechen will, ist entweder wahnsinnig oder wahnsinnig genial. Die Hauptfigur Robert Akeret in «Buch der geträumten Inseln» zählt sich zu Letzteren. Zusammen mit drei anderen begibt er sich auf die Suche nach einem Wesen, das in Mythen und Sagen auf der ganzen Welt beschworen wird: Dem «missing link» zwischen Mensch und Tier. Gemeinsam begeben sie sich auf eine Fahrt ins Ungewisse.
«Buch der geträumten Inseln» ist das beeindruckende Debüt des Bieler Literaturinstitut-Abgängers Lukas Maisel, der nicht nur die Lust am Entdecken dieser Welt, in der wir leben, in die Literatur des 21. Jahrhunderts rettet, sondern auch die grosse Kunst des Humors beherrscht.
Buchhinweis:
Lukas Maisel. Buch der geträumten Inseln. Rowohlt, 2020.
Und auf einmal ist nichts mehr, wie es war. In ihrem Debütroman «Regenschatten» lässt Seraina Kobler eine Hitzewelle über Zürich einbrechen: Die Flüsse trocknen aus, die Bäume verdorren, und sogar die Vögel fangen Feuer. Mit ihrem Erstling bringt die Journalistin und Schriftstellerin Seraina Kobler das Genre der «Cli-Fi», der Klimaliteratur, in die Schweiz. Für die Arbeit an dem Buch hat sie sich nicht nur durch zahlreiche Klimaberichte, sondern auch durch frühneuzeitliche Chroniken gewühlt. So ist ein kluger Roman entstanden, der dennoch feinsinnig und sinnlich von einer Welt erzählt, die aus den Fugen gerät.
Gleichzeitig ist «Regenschatten» ein Entwicklungsroman. Er erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die mitten in der Katastrophe zu sich selbst findet. Erzählt wird von Anna, die als Barkeeperin in einer Zürcher Szene-Bar arbeitet. In durchtanzten Nächten versucht, sie, vor der eigenen Vergangenheit zu fliehen – bis eine ungewollte Schwangerschaft sie zu einer Entscheidung drängt.
Der Roman beeindruckt durch die Analogien zwischen dem sich verschiebenden Innenleben Annas und feinen Beobachtungen der Veränderungen in der Aussenwelt. Ein Debütroman, der es schafft, die drohende Klimaveränderung erfahrbar zu machen.
Ein Gespräch mit der Autorin über Blütenstaubwolken und den Weltuntergang und über das typische schweizerische Gefühl, vom Unglück verschont zu werden.
Buchhinweis:
Seraina Kobler. Regenschatten. Kommode Verlag, 2020.
Werner Rohner spürt drei Beziehungsgeschichten nach, die Grenzen überschreiten: Grenzen des Alters, der Konventionen und der Freundschaft. Ein einfühlsamer Roman, der zeigt, welche Beziehungen in der Literatur oft etwas untergehen. Edith ist Kellnerin und steht kurz vor der Pensionierung: Sie verliebt sich in den viel jüngeren Bademeister Chris und gründet mit ihm eine Pension in Marokko. Vera ist schwanger mit ihrem ersten Kind und verliebt sich in die frisch geschiedene Nathalie, die schon zwei Kinder hat. Die beiden verbringen eine Woche voller Sex in New York, haben aber später die grösste Mühe, sich wirklich zu finden. Und Lena, ebenfalls Mutter, betrügt ihren Mann, brennt mit ihrem Lover nach Italien durch und kehrt erst nach einer aufwendigen Vermittlungsaktion ihres besten Freundes zurück.
Statt einer erzählt Werner Rohner in seinem neuen Roman gleich drei Beziehungsgeschichten. Er beleuchtet Facetten unserer Gesellschaft, die noch immer anecken: Die Liebe zwischen zwei Menschen sehr unterschiedlichen Alters, gleichgeschlechtliche Liebe und Betrug in einer festen Partnerschaft. In behutsamem, einfühlsamem Ton führt Rohner vor, wie normal die Beziehungen von Edith, Vera und Lena aber eigentlich sind. Sie haben unterschiedlichste Leben gelebt und tragen Erfahrungen von Verlusten, Reisen, Missbrauch und unerwiderter Liebe mit sich herum, die nun den weiteren Verlauf dieser Beziehungen mitbestimmen.
Wir sprechen mit Werner Rohner darüber, welche Beziehungen uns «möglich» oder denkbar vorkommen, darüber, wie es ist, als Mann über lauter weibliche Hauptfiguren zu schreiben, über seine Liebe zur Musik – und über die Erdbeertörtchen im Café Uetli in Zürich-Wiedikon.
Buchhinweis:
Werner Rohner. Was möglich ist. Lenos, 2020.
Ariela Sarbachers Tagebuch des Frühlings und Frühsommers 2020 macht die akute Versehrung der Welt durch die Augen einer Schriftstellerin und Mutter erfahrbar. Vier Jahre lang schrieb Ariela Sarbacher an ihrem ersten Roman «Der Sommer im Garten meiner Mutter» und als endlich herauskam, kam der Lockdown. Statt auf Lesungen und Literaturfestivals zu gehen, galt es auf einmal, sich in diesem neuen Alltag zurechtzufinden. Ariela Sarbacher tat das, indem sie schrieb. «Der gebremste, der bewegte Frühling und jetzt ist es Sommer» ist ein literarisches Tagebuch, das zwischen März und Juli entstanden ist und der Seltsamkeit unserer jüngsten Vergangenheit mit Worten begegnet und sie für die Zukunft konserviert.
In diesem neuen Maskenspiel, in dem jede und jeder eine eigene neue Choreographie einnimmt, versucht die Schauspielerin und Schriftstellerin ihrer eigenen Rolle und den Rollen ihrer Mitmenschen auf die Spur zu kommen. Die Erfahrungen, Gedanken und Träume kreisen um das Motiv der Verantwortung, des Befremdlichen und nicht zuletzt um den Zauber der Freundschaft.
Buchhinweise:
Ariela Sarbacher. Der gebremste, der bewegte Frühling, und jetzt ist es Sommer. Ein Tagebuch. Telegramme Verlag, 2020.
Ariela Sarbacher. Der Sommer im Garten meiner Mutter. bilgerverlag, 2020.
Seit Jahren forscht und schreibt der Schweizer Historiker und Schriftsteller Peter Kamber zu den beiden schillerndsten Theaterbetreibern im Berlin der 20-er Jahre. Nun veröffentlicht er unter dem Titel «Fritz und Alfred Rotter - Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil» eine erste Biografie. Berlin in den 20er-Jahren. Die Theaterunternehmer Fritz und Alfred Rotter betreiben das Metropol-Theater, das Residenz-Theater, das Theater des Westens und noch viele mehr. Sie entdecken Stars wie Fritzi Massary, Richard Tauber und Hans Albers. Und sie gehören zu den prägendsten Figuren jener Zeit. Doch ihr Unternehmen ist unübersichtlich und auf Kredite angewiesen. Zu Beginn der Dreissigerjahre bricht es zusammen. Das nützen die Nazis, die kurze Zeit später an die Macht kommen, aus und verfolgen die jüdischen Brüder auch im liechtensteinischen Exil, wo Alfred ums Leben kommt. Fritz stirbt 1939 unter ungeklärten Umständen in Colmar, wie Peter Kamber nun herausgefunden hat.
Ein Gespräch mit dem Autor zu einer aussergewöhnlichen Biografie.
Buchhinweis:
Peter Kamber. Fritz und Alfred Rotter. Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil. Henschel Verlag, 2020.
Ein Schriftsteller, der eine Zwischenbilanz im Leben zieht. Nicola Steiner spricht mit Hansjörg Schertenleib über seine Erkenntnisse nach dem Schreiben seines neuen Buches «Palast der Stille». Was findet man in der selbstgewählten Einsamkeit und Natur, wenn man auf die Stille und den Schnee hört? Buchhinweis:
Hansjörg Schertenleib. Palast der Stille. Kampa, 2020.
In ihrem 19. Roman betritt Margrit Schriber neues literarisches Terrain: «Die Vielgeliebte meines Mannes» ist eine gelungene Mischung aus Liebesgeschichte, Comic und Entwicklungsroman: Rosy wird Zeugin, wie ihr umschwärmter Mann den Chormädchen den Kopf verdreht und auch sonst über die Stränge haut. Rosy hatte sich ihr Eheleben schon ganz anders vorgestellt: Schwer verliebt folgt sie dem schönen Bohemien Charly in ein kleines Dorf, weil dieser dort als Organist und Chorleiter arbeitet. Aber statt eines Honeymoons erwarten sie dort rachsüchtige Teenager und ein langweiliger Job als Sekretärin. Und als auch noch die reiche Madame Benz auf den Plan tritt, läuft die junge Beziehung endgültig aus dem Ruder
Mit sarkastischem Humor und grosser Beobachtungsgabe erzählt Margrit Schriber von einem schicksalshaften Sommer irgendwo in der Schweiz. Dass dahinter auch ein Stück eigene Biografie steckt und warum sie Figuren mag, die Träume verwirklichen wollen - davon erzählt Margrit Schriber im Gespräch mit Luzia Stettler.
Buchhinweis:
Margrit Schriber. Die Vielgeliebte meines Mannes. Nagel & Kimche, 2020.
Mit welchen Brüchen und Umwälzungen eine moderne junge Frau konfrontiert wird, wenn sie Mutter wird, das spielt Laura Vogt in ihrem Roman am Beispiel von drei Frauen radikal und meisterhaft durch. Wir sprechen mit ihr über Rollenbilder, Grenzüberschreitungen und den Kampf für das Eigene. Das «Uns» im Titel bezieht sich auf Verena und ihre beiden erwachsenen Töchter Rahel und Fenna. Es bezieht sich aber auch auf die verschiedenen Männer und Väter, auf die Kinder und Enkel. Kurzum: Es geht um die Familie als Gegenpol zu individuellen Ansprüchen.
«Was uns betrifft» erzählt vom Zusammenleben unter der Prämisse eines Kindes. Schnörkellos und glaubhaft, dicht und melancholisch zeichnet Laura Vogt auf, wie sich Individualismus und Mutterschaft reiben, wie Befreiung und Abhängigkeit zusammengehören. Vogt scheut sich nicht, den Pfad des politisch korrekten Emanzipationsdiskurses zu verlassen. Väter mögen verschwinden, Männer mögen gewalttätig oder allzu nachgiebig sein. Aber nicht die Anklage interessiert Vogt. Da findet sich kein Männerhass. Männer sind hier mitgemeint, aber nicht die Hauptdarsteller. Vielmehr geht es um die Frage: Wie kann frau unter diesen Bedingungen die Oberhand für das eigene Leben gewinnen? Für diese Frage bohrt Laura Vogt tief und ehrlich und ohne falsche Rücksichten. Ein bemerkenswertes Buch, insbesondere Männern empfohlen.
Buchhinweis:
Laura Vogt. Was uns betrifft. Zytglogge, 2020.
Immer muss Anna die Squaw spielen! Doch ihr Mut überzeugt die Jungs: Sie darf fortan Winnetou sein. Später merkt sie, dass sich das Indianersein mit dem Frausein, in das sie hineinwächst, nicht verträgt. Was tun? Von den Rollenspielen einer Eigenwilligen handelt dieses Buch. Bei der Beerdigung ihres «Lieblingsmenschen» Nico bricht Anna, als Einundfünfzigjährige und zur Bestürzung der Trauergemeinde, in schallendes Gelächter aus. Nun ja, sie war halt schon immer speziell. Als sie schliesslich, allein am Grab, doch noch weinen muss, erscheint ihr alter Jugendfreund Ander, diese Phantasiegestalt, die ihr durch die Kindheit geholfen hat.
Keine einfache Kindheit, damals in den 70ern. Denn Anna stürmt so naiv und offen auf die Welt los, dass sie ständig aneckt. Aber dank ihres Willens und ihres Muts bekommt sie nicht nur die Rolle des Indianerhäuptlings, sondern später auch ein Austauschjahr in den USA. Dort wird sie konfrontiert mit ihrem Körper und mit seltsamen Menschen, mit Sex und Liebe, mit Männern und Missbrauch. Und am Ende schliesst sich unerwartet eine Lücke.
Livia Anne Richard gibt im Gespräch Auskunft über die Coming-of-Age-Geschichte, die sie in «Anna der Indianer» erzählt, über Rollenmuster, gesellschaftliche Erwartungen und den eigenwilligen Weg, den ihre Protagonistin geht.
Buchhinweis:
Livia Anne Richard. Anna der Indianer. Roman. Cosmos Verlag, 2020.
Schicksalsschläge, verdrängte Familiengeheimnisse, Lebenslügen – die Schweizer Autorin Regula Portillo erzählt in ihrem zweiten Roman «Andersland» die Geschichte einer entwurzelten Frau, die um ihre Identität kämpft. Nach «Schwirrflug», Regula Portillos Debütroman, leuchtet auch «Andersland» das Innenleben einer Familie aus: Die Hauptfigur Matilda wird nach dem frühen Tod ihres alleinerziehenden Vaters von der Schweiz nach Mexico gebracht, wo sie bei ihrer Mutter in einer ihr völlig fremden Kultur aufwächst.
Gerne wäre Matilda bei ihrem Onkel geblieben. Aber die Behörden verbieten dies. Der Onkel ist schwul.
Obwohl die Verbindung zur alten Heimat völlig abbricht, bleibt in Matilda die Erinnerung an früher immer wach. Und verursacht seelischen Schmerz. Als Matilda eine junge Frau ist, versucht sie ihre verschütteten Wurzeln wiederzufinden.
Felix Münger unterhält sich mit Regula Portillo über «Andersland», das sowohl als Familienroman als auch als eine psychologische Studie über die fatale Wirkung von familiären Tabus gelesen werden kann. Zudem ist das Buch ein Zwischenruf in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte über die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen.
Buchhinweis:
Regula Portillo. Andersland. edition bücherlese, 2020.
Eine Hängebuche im Nachbargarten ihres Elternhauses in Vaduz führt Anna Ospelt (*1987) auf eine Forschungsreise. Eigene und fremde Vergangenheit und Gegenwart fliessen in einen Text, der mit oft feinem Humor Wurzeln befragt und anzweifelt. Und sich in eigenwilligen Fotos spiegelt. Im Gespräch mit Franziska Hirsbrunner erzählt Anna Ospelt von ihrer Faszination für Wurzeln und welche Sammelleidenschaften ihre «Wurzelstudien» begleiteten. Sie erklärt, warum sie sich über Wurzel-Klischees ärgert und warum sie findet, Menschen hätten keine Wurzeln und sollten im Gegenteil ihre Beweglichkeit ausleben können.
Buchhinweis:
Anna Ospelt. Wurzelstudien. Limmat Verlag, 2020.
Seit seinem ersten Gedichtband «derfür und derwider» aus dem Jahr 1970 hat der Solothurner Autor Ernst Burren rund 30 Mundartbücher mit Erzählungen oder Gedichten publiziert. Im aktuellen Sammelband «mir nähs wies chunt» sind Gedichte aus 50 Jahren enthalten. Er stand mit Mani Matter auf der Bühne und mit Ernst Jandl. Wenn Ernst Burren ins Erzählen kommt, gibt es viel zu lachen und viel zu staunen. Dabei sind seine Gedichte und Geschichten oft alles andere als lustig. Eher satirisch, zum Schmunzeln vielleicht, dank der Wortspielereien und dank der latenten Bauernschläue, die in seinen Texten stecken und die nur immer recht und schlecht den Abgrund vergessen machen, an dem der Mensch permanent entlangbalanciert.
Im Gespräch mit Markus Gasser erzählt Ernst Burren von seinem Schreiben und von seinen Auftritten über ein halbes Jahrhundert. Die für die Sendung ausgewählten Gedichte von 1970 bis heute liest der Schauspieler Hanspeter Müller-Drossaaart.
Buchhinweis:
Ernst Burren. mir nähs wies chunnt. edition spoken script. Der gesunde Menschenversand, 2020.
Das Buchdebüt «tinnitus tropic» der Engadiner Autorin Flurina Badel ist eine faszinierende Lyriksammlung. Die rätoromanischen Texte spielen kunstvoll mit sprachlichen und inhaltlichen Irritationen – und eröffnen überraschende Einblicke, sowohl in die Psyche als auch in unser Verhältnis zur Welt. Die Lyrik der 1983 geborenen Flurina Badel ist voll Poesie, vermeidet jedoch jede Wohlfühl-Attitüde. Im Gegenteil: Ihre Texte unterlaufen die Harmonie mit klanglichen oder metaphorischen Einwürfen – und machen bei der Lektüre hellhörig.
Das Themenspektrum der Gedichte ist breit: Es geht um das Schreiben und die Sprache, um die Sehnsucht nach Zuneigung, um die Verwerfungen des Massentourismus. Immer gelingt es Flurina Badel den Blick zu schärfen für das Unerklärliche im scheinbar Alltäglichen.
Literaturredaktor Felix Münger unterhält sich mit Flurina Badel über ihren Lyrikband, der mit einem der Schweizer Literaturpreise 2020 der Eidgenossenschaft ausgezeichnet worden ist.
Buchhinweis: Flurina Badel: tinnitus tropic. Poesias. editionmevinapuorger 2019.
Christoph Schwyzer ist ein begnadeter Menschen-Beobachter: im Band «Der Staubwedel muss mit» erzählt er in poetischen Miniaturen von skurrilen Bewohnerinnen und Bewohnern in einem fiktiven Altersheim: Und er schreckt dabei auch nicht vor grossen Themen zurück wie Einsamkeit und Todessehnsucht. Frau Bindelli lehnt jeden Tag den Kopf weit in den Gang hinaus: ihre Hoffnung ist ungebrochen, «denn der unbekannte Besuch könnte jederzeit kommen.» Anders Frau Bösiger, «sie möchte das Leben abgeben, loswerden. Aber da kommt keiner, der es haben will». Herr Hartmann geht nicht ins Gedächtnistraining. Er sei zu nachtragend, sagt er: «Besser wäre eine Methode, die gezieltes Vergessen möglich macht.»
Kein Wort ist zuviel in den kurzen Porträts, die Christoph Schwyzer in seinem Prosaband «Der Staubwedel muss mit» versammelt. In knappen Sätzen erzählt er ganze Lebensgeschichten. Mit grossem Gespür für seelische Zustände lotet der Luzerner die Nöte und Freuden jener Menschen aus, die nur noch auf das Ende warten. Kein Wunder ist dieser Titel nominiert als «Lieblingsbuch des Schweizer Buchhandels 2020».
Im Gespräch mit Literaturredaktorin Luzia Stettler erzählt Christoph Schwyzer von seinen Erfahrungen als Altersheim-Seelsorger und vom Schreiben darüber.
Buchhinweis:
Christoph Schwyzer. Der Staubwedel muss mit. Limmatverlag, 2019.
Comments
Top Podcasts
The Best New Comedy Podcast Right Now – June 2024The Best News Podcast Right Now – June 2024The Best New Business Podcast Right Now – June 2024The Best New Sports Podcast Right Now – June 2024The Best New True Crime Podcast Right Now – June 2024The Best New Joe Rogan Experience Podcast Right Now – June 20The Best New Dan Bongino Show Podcast Right Now – June 20The Best New Mark Levin Podcast – June 2024
United States