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Mensch sein - Fundament, Imperativ oder Floskel?

Mensch sein - Fundament, Imperativ oder Floskel?
Author: hh
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Die Frage, was es besagt und impliziert, Mensch zu sein, ist sowohl für die Philosophieals auch für die Gesellschaft eine fundamentale. Zugleich läuft sie Gefahr, mit Floskelnbeantwortet zu werden. Auch heute stellen sich verschiedene Fragen zum Menschsein: Lässt sich die Menschheit biologisch oder in ihren Lebensformen von anderen Spezies oder künstlichen Wesen sinnvoll abgrenzen? Worin unterscheiden sich Menschen von Personen? Sind etwa Sprachfähigkeit oder der freie Wille wesentliche Merkmale des Menschseins? Gerade der normative Begriff der Humanität ist zu problematisieren, da er zumeist zwischen Idealität und Trivialität oszilliert.Im Spannungsfeld von fundamentalen Überzeugungen, imperativen Ansprüchen und unreflektiertem Gerede kommt es darauf an, Konzeptionen einer humanistischen Ethik mit ihren Grundbegriffen der Menschlichkeit, der Menschenwürde, des gelingenden menschlichen Lebens und Vorstellungen von Speziesgrenzen zu thematisieren. Zudem sind in einem rechtsphilosophischen Sinn noch Verständnisse von humanitärem Völkerrecht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Grundlegung der Menschenrechte zu bedenken.In diesem Kontext wird der 10. Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie an der Universität Innsbruck ein mehrtägiges Forum eröffnen, wo gemeinsam die Frage nach dem Menschsein im Bewusstsein alter und neuer Provokationen gestellt wird.
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Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck.
http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
Im vergangenen Jahrzehnt sind tausende Personen durch Drohnen ums Leben gekommen. „Human Rights Watch“ hat sechs Einsätze im Jemen näher untersucht. Unter den 82 Toten befanden sich nach dieser Studie jedenfalls 57 Zivilisten. Der Umfang und die Reichweite gezielter ferngesteuerter Tötungen außerhalb traditioneller Kriegsschauplätze wird im philosophischen Kontext, wie generell im öffentlichen Rahmen, nur zögernd wahrgenommen. Inzwischen kursieren allerdings Titel wie „Das schlechte Gewissen von Drohnen“ als Aufreißer für Diskussionsveranstaltungen, in denen Computerwissenschaftler sich mit Philosophinnen über Prinzipien der „Maschinenethik“ zu verständigen suchen. „Gewissenserforschung“ ist ein antiquierter Terminus. Angesichts der journalistischen Rhetorik von Maschinen als Verantwortungsträgern bezeichnet er ein retardierendes Moment, eine Vorgangsweise, die den Effekt umstandslos gesetzter (Sprech-)Handlungen prüft.
In Publikationen wie dem „Journal of Intelligent Systems“, dem „Journal of Military Ethics“, „Ethics & International Affairs“ und „Ethics and Information Technology“ wird diskutiert, dass die moralische und ethische Bedeutung „intelligenter Systeme“ dringend der Klärung bedarf (M. Dougherty) und dass die politischen wie philosophischen Auswirkungen des US-amerikanischen Tötungsprogramms aufmerksam und kritisch zuprüfen seien (N. Sharkey, M. Braun & D.R. Brunstetter, Ch. Enemark). Es wird aber auch zu bedenken gegeben, dass die Enthumanisierung mittels telematischer Todeskommandos durch andere Techniken (Überwachung: „surveillance“) gemildert werden kann (M. Coeckelbergh).
In der geplanten Präsentation soll keine ethische Argumentation im Anschluss an diese Kontroverse versucht werden. Es wird ein Blickwinkel eingenommen, der sie von außen beleuchtet. Die effekthascherische Unterstellung, Drohnen könnten ein (schlechtes) Gewissen haben, erscheint bei näherem Zusehen befremdlich. In der europäischen Geschichte findet sich jedoch eine Denkfigur, die auf ähnlich unverständliche Weise moralische Verantwortung für Schadensfälle an nicht-menschlichen Akteueren festmacht. In der griechischen Antike, im Mittelalter und bis in die frühe Neuzeit ist Gegenständen und Tieren, die sich „Straftaten“ „zu Schulde kommen ließen“, der Prozess gemacht worden. Derartige Rituale sind aus heutiger Sicht rätselhaft. Sie sind so wenig nachvollziehbar, wie die Vorstellung, Drohnen könnten im Gefolge der von ihnen ausgelösten Todesfolgen Gewissensbisse verspüren. Dennoch lassen sich gute Gründe dafür finden, dass diese Praktiken nicht einfach unsinng waren. Sie erfüllen im Rahmen des ehemaligen Verständnishorizontes einen rekonstruierbaren Zweck. Angeleitet durch diese Perspektive kann man der Frage nachgehen, welche irritierenden, den status quo destabilisierenden, Problemstellungen die Denkfigur schuldfähiger, autonomer Geräte evoziert und zur Debatte zu stellen versucht. In diesem Licht erscheint erstens die Rede von Drohnen mit Schuldgefühlen nicht mehr gänzlich absurd und die angesprochene Problematik wird zweitens ansatzweise aus dem Bereich der Maschinenethik herausgerückt.
Die Pointe ist nicht, dass wir raffinierten Werkzeugen moralische Qualitäten zuschreiben (oder nicht), sondern dass wir uns veranlasst sehen, angesichts einer selbstverursachten Erosion bestehender ethischer Orientierungsmuster, bei provokanten, paradoxen Welterklärungen Zuflucht zu suchen.
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck.http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
Mit „ontologischer Relativität“ ist gemeint, dass Antworten auf die Frage, welche Artenvon Entitäten es gibt, von den verwendeten Begriffen abhängen. Unabhängig von Begriffssystemen können ontologische Fragen nicht gestellt werden. Verschiedene Begriffssysteme implizieren verschiedene Ontologien. Im Gegensatz dazu geht der metaphysischeRealismus von der Existenz „natürlicher Arten“ aus, auf die allgemeine Begriffe referieren.Was als eine solche natürliche Art gilt, hängt für den metaphysischen Realismus nichtvom Begriffssystem ab. Ontologische Relativisten wie Quine und Putnam beziehen sichallerdings ebenfalls auf etwas, das vor oder unabhängig von der Beschreibung mittels Begriffen existiert. Sie bezeichnen es als „rohe Erfahrung“ oder eher unreflektiert als „Wirklichkeit“ oder „Welt“. Würde man dieses Nicht-Konstruierte aus der Theorie streichen, soerhielte man einen reinen „Konstruktivismus“, gegen den es Einwände gibt. Andererseitslässt sich das Nicht-Konstruierte nicht begrifflich erfassen, was die Frage aufwirft, ob manüberhaupt versteht, was damit gemeint ist. Hier bietet sich die Fundamentalontologiedes frühen Heidegger als Lösung an. Das in Sein und Zeit erörterte praktische Seinsverständnis ist „vorontologisch“, und zwar auch dann, wenn man „ontologisch“ im Sinn vonQuine und Putnam versteht – als Behandlung der Frage, was es gibt. Charakteristischfür dieses vorontologische Verstehen von Welt ist die Zuhandenheit der Dinge („Zeug“),während Ontologien die Dinge als vorhandene konzipieren. Die Entstehung einer Ontologie aus dem vorontologischen Seinsverständnis ist ein Übergang von der Zuhandenheitzur Vorhandenheit der Dinge. Heidegger erklärt diesen Übergang auf eine Weise, dieerahnen lässt, warum die Fundamentalontologie manchmal als kontinentaleuropäischeVariante des amerikanischen Pragmatismus gesehen wird. Man findet z.B. Parallelen zuDewey, wenn dieser beschreibt, wie aus einer „unbestimmten“ Situation ein „Problem“wird. Doch auch wenn der Pragmatismus betont, dass sich die Bedeutungen von Begriffen aus praktischen Bezügen ergeben, bleibt sein Begriff von Kognition dem Intellektverpflichtet. Erst das begrifflich formulierbare Problem führt zu Kognition, während fürHeidegger auch das vorontologische Verstehen eine Art Kognition ist. Heidegger wurdedaher zurecht zu einem philosophischen Helden des Forschungsprogramms der „verkörperten Kognition“, das von der Annahme ausgeht, dass der Körper und seine Einbettungin die Umwelt für Kognition konstitutiv sind und nicht nur einen kausalen oder instrumentellen Beitrag zu kognitiven Prozessen leisten. Während der Kognitivismus (Computationalismus und Konnektionismus) für konstruktivistische und realistische Interpretationen anfällig ist, dürfte für die verkörperte Kognition der ontologische Relativismus also metaphysischer Rahmen besser geeignet sein, jedenfalls in der von Heidegger inspiriertenfundamentalontologischen Variante. Der Hauptgrund für diese Affinität liegt eben in derübereinstimmenden Deutung der vorbegrifflichen Praxis als einer Art von Kognition.
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck.http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
Die Frage des Alters, was es bedeutet und impliziert „alt“ zu sein, berührt Philosophie,Gesellschaft und Politik. Dennoch vermag sich dieser in unserer scheinbar alterslosenGesellschaft kaum jemand aufrichtig stellen zu wollen. Bis heute erregt Simone de Beauvoir mit ihrem in den Siebzigern erschienenen Essay Das Alter aus zweierlei Gründen die Gemüter. Zum einen zwingt sie den Leser, der Realität – dass dies unser allerSchicksal ist – in die Augen zu sehen, und zum anderen prangert sie den skandalösensozialen und menschlichen Umgang mit alten Menschen an: „Hier liegt das Verbrechenunserer Gesellschaft. Ihre ‚Alterspolitik‘ ist ein Skandal. Skandalöser aber noch ist dieBehandlung, die sie der Mehrzahl der Menschen in ihrer Jugend und im Erwachsenenalter angedeihen lässt. Dadurch bereitet sie schon früh die verstümmelten und elendenLebensbedingungen vor, die das Los der Menschen in ihren letzten Jahren sind. Es istSchuld der Gesellschaft, wenn der Altersabbau bei ihnen vorzeitig einsetzt und wenn ersich so rasch vollzieht, in einer physisch schmerzhaft und seelisch grauenvolle Weise, weilsie ihm mit leeren Händen gegenüberstehen. Als ausgebeutete, entfremdete Individuenwerden sie, wenn ihre Kräfte sie verlassen, zwangsläufig zum ‚Ausschuss‘, zum ‚Abfall‘ derGesellschaft. Deshalb sind alle Mittel, die zur Linderung der Not der Alten empfohlenwerden, so unzulänglich: Keines davon vermag die systematische Zerstörung, der mancheMenschen während ihrer gesamten Existenz ausgesetzt sind, wieder gutzumachen. Auchwenn man sie pflegt – ihre Gesundheit kann man ihnen nicht zurückgeben. Damit, dassman ihnen menschenwürdige Altersheime baut, kann man ihnen nicht die Bildung, dieInteressen und die Verantwortung vermitteln, die ihrem Leben einen Sinn gäben. Ich sagenicht, dass es vergeblich wäre, ihre Lebensbedingungen heute verbessern zu wollen; dochträgt dies in keiner Weise zu einer Lösung des eigentlichen Problems bei.“ (Simone de Beauvoir, Das Alter) Beauvoirs Ausführung zeigt auf, welche folgenschweren Konsequenzendie Entfremdung bzw. die Reduzierung eines Menschen, in diesem Fall eines alten Menschen, auf einen ökonomischen Faktor bzw. auf einen vermeintlich defizitären Posteneiner Bilanz mit sich bringt. Neben Fragen der Menschlichkeit und der Menschenwürdedrängt sich – angesichts einer immer älter werdenden Weltbevölkerung, Angst einflößender Hiobsbotschaften über Pflegenotstand und Altersarmut sowie einer dramatisch ansteigenden Zahl von Alterssuiziden – die Notwendigkeit eines neuen Altersethikmodellsauf. Die klassische Morallehre – so Beauvoir –, deren Vertreter (Seneca, Aristoteles, Cicero, Montaigne, Bloch u.v.a.) ein gelassenes Hinnehmen des Alters als ein notwendigesÜbel predigten, um Junge und Alte davon zu überzeugen, dieses Ertragen verleihe eineinnere Größe, war und ist nur ein Spiel mit Worten. Tatsächlich sieht sich der bejahrteMensch, der sich nach Simone de Beauvoirs existentialistischer Auffassung des Alters biszuletzt als eine sich auf die Zukunft werfende Transzendenz wahrnimmt, sowohl durchbiologisch-faktische als auch durch (umgehbarn bzw. vermeidbare) gesellschaftlich-kontingente Bedingungen dazu verdammt, ein Dasein in einer nicht frei gewählten Immanenz fristen zu müssen. Die ethischen Grundsätze von Beauvoirs Altersphilosophie könnten zu einem rechtzeitigen An- bzw. Umdenken von unmittelbar Betroffenen und vonEntscheidungsträgern beitragen und somit sowohl aus ökonomischer (eine frühzeitigeEinbindung bejahrter Menschen in Wirtschaft und Soziales oder bei geistiger und körperlicher Gesundheit getroffene Entscheidungen über Vorsorge- und Pflegemaßnahmen)als auch aus humanitärer Sicht zu einem perspektivreicheren, würdevolleren und folglicheinem tolerierbareren Altern beitragen.
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck.http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
Die Gegenwart ist durch die Dominanz der sogenannten Lebenswissenschaften gekennzeichnet. Die Ergebnisse der lebenswissenschaftlichen Forschungen prägen nicht nur dietheoretischen Diskurse, sondern deren Anwendung in Bereichen wie Medizin, Pharmakologie oder Landwirtschaft verändert unsere alltägliche Lebenswelt grundlegend. Insbesondere die Verfeinerung der technologischen Eingriffsmöglichkeiten in die biologischeMatrix des Menschen hat weitreichende anthropologische Diskussionen zur Folge. Mitder diagnostizierten „Auflösung der menschlichen Natur“ (Weiss 2009, S. 34‒54) undderen ethischen, sozialen und politischen Konsequenzen werden Hoffnungen und Befürchtungen gleichermaßen verbunden. Karin Knorr Cetina interpretiert diese umfassenden Veränderungen beispielsweise als den „Übergang von einer Kultur des Menschen zueiner Kultur des Lebens“ (Knorr-Cetina 2009, S. 56). Mit der „Idee des Menschen“ als„Grundlage eines wesentlichen Teils unserer Kultur“ gehen ihrer Ansicht nach auch der„Glaube an die Gesellschaft als Heilsbringerin“ (Knorr-Cetina 2009, S. 55) und sozialeIdeale wie Gleichheit oder Gerechtigkeit verloren. Knorr Cetina betrachtet dieses „Verschwinden des Sozialen“ (Knorr-Cetina 2009, S. 59) aus Politik, Theorie und Utopiedezidiert kritisch. Denn – zugespitzt formuliert – für sie steht das Menschsein selbst inFrage: Indem sich der Mensch nicht mehr zuvörderst als soziales Wesen, sondern nurnoch als „Lebewesen unter Lebewesen“ (Knorr-Cetina 2009, S. 62) begreift, beraubeer sich seiner Eigenart und der damit verbundenden Potentiale. Vor dem Hintergrundsolcher Deutungen der gegenwärtigen lebenswissenschaftlichen Konstellation und derenhistorischen sowie systematischen Voraussetzungen lohnt sich ein Blick auf einen vernachlässigten Teil der Philosophiegeschichte. Denn die Jahrhundertwende bildet – wiePetra Gehring nachdrücklich betont – nicht nur einen „Einschnitt in der Geschichte des‚Lebens‘“, indem ein „neuer ontologisch umfassender Lebensbegriff“ (Gehring 2009, S.118) entwickelt wird, der noch für unsere Gegenwart paradigmatisch ist. Vielmehr erleben um 1900 auch die Sozialwissenschaften einen signifikanten Aufschwung. Beide Entwicklungen verdichten sich in Georg Simmels Kulturphilosophie, in welcher das menschliche Verhältnis zur Welt sowohl unter soziologischer als auch unter lebensphilosophischerPerspektive analysiert wird. Deshalb will ich mich in meinem Vortrag ausgehend von dergegenwärtigen lebenswissenschaftlichen Konstellation und deren Deutungen sowohl derSoziologie als auch der Lebensphilosophie Simmels zuwenden. Dabei steht die Frage imZentrum, auf welche Weise das Menschsein unter diesen unterschiedlichen Perspektivenbestimmt wird: Welche Begriffe des Menschen zeichnen sich in Simmels soziologischen und lebensphilosophischen Analysen ab und wie verhalten sich diese zueinander? WelcheKonsequenzen hat die Verschiebung von der Soziologie zur Lebensphilosophie für denBegriff des Menschen? Verschwindet der Mensch im Leben oder gewinnt der Begriff gerade unter dieser Perspektive an Prägnanz? In den Antworten auf diese Fragen soll die Theseverfolgt werden, dass sich Simmels Kulturphilosophie dadurch auszeichnet, die Eigenartdes Menschseins an dessen Entzweiungen und deren unaufhebbarer Konflikthaftigkeitfestzumachen. Aus der Erfahrung der Moderne entwickelt Simmel einen dialektischenBegriff des Menschen, dessen Widersprüche jedoch nicht in einer abschließenden Synthese versöhnt, sondern als Pole des krisenhaften Prozesses der Kultur festgehalten werden. Die „Weltstellung des Menschen“ (Simmel 1999, S. 212) zwischen unaufhebbarenGegensätzen wie Natur und Geist oder Individualität und Kollektivität macht dessenLeben als gesellschaftliches Wesen aus – dieser Schluss soll aus Simmels kulturphilosophischen Überlegungen gezogen und anhand von diesen ausgedeutet werden. Der Vortraggliedert sich in drei Teile: Erstens wird die gegenwärtige lebenswissenschaftliche Konstellation und die problematische Stellung des Begriffs Mensch in dieser skizziert. Zweitenswird Simmels dialektischer Begriff des Menschen anhand einer Auseinandersetzung mitseiner Soziologie und seiner Lebensphilosophie entwickelt. Drittens soll Simmels Interpretation der „Weltstellung des Menschen“ (Simmel 1999, S. 212) auf die gegenwärtigeSituation bezogen und ihre Aktualität sowie systematische Relevanz dargestellt werden.
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck.http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
An zwei Konzepten wird der Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen oftmalsfestgemacht: Verletzbarkeit und Autonomie. Kinder sind verletzbarer als Erwachsene undsie verfügen über eine zumindest nur eingeschränkte Autonomiefähigkeit. Aus diesen beiden kann abgeleitet werden, dass Kinder in größerem Ausmaß von Erwachsenen abhängig sind, eines besonderen Schutzes bedürfen und dass ihre Entscheidungs- und Handlungsfreiheit legitimerweise eingeschränkt werden darf. Mit diesen Aufgaben der Sorge(in Bezug auf ihre Verletzbarkeit) und der Begrenzung kindlichen Tuns (in Bezug auf ihreeingeschränkte Autonomiefähigkeit) werden in aller Regel die Eltern betraut. Aus derSpezifik der Kindheit als einer speziellen Phase des Menschseins folgt aber, wie ich zeigenwerde, weiters dass Kinder vom Staat prioritär zu unterstützen sind und dass die Rechteder Eltern, für ihre Kinder zu sorgen und die Handlungen ihrer Kinder einzuschränken,nur hinsichtlich ihrer Verpflichtung, dies in deren bestem Interesse zu tun, legitim sind.Es gibt somit auch gegenüber Kindern keine aus ihrer spezifischen „Natur“ ableitbarenVerfügungsrechte von Eltern, die nicht moralisch gerechtfertigt werden müssten. EinePriorisierung von Kindern bedeutet nun, dass diese bei der Verteilung von Gütern unter der Bedingung knapper und nicht ausreichender Ressourcen bevorzugt zu behandelnsind. Diese staatliche Sorge um Kinder wie auch diejenige der Eltern und anderer Akteure bezieht sich immer auf das beste Interesse der Kinder, welches über die Konzeptedes Wohlergehens und der Wohlentwicklung näher spezifiziert werden kann. Alle dieseDimensionen, die objektiv für das Wohlergehen und das Wohlentwickeln von Kindernvon Bedeutung sind, fallen dann unter den besonderen und prioritären Schutz durch denStaat bzw. der vom Staat dafür legitimierten Eltern. Wohlergehen und Wohlentwickelnbeschreiben dabei den Bezug auf den aktuellen Status des Kindes als Kind und auf denStatus des Kindes als eines zukünftigen Erwachsenen. Der Staat steht in der Verantwortung dieses Wohlergehen und Wohlentwickeln für alle Kinder in seinem Verantwortungsbereich zu gewährleisten und die Eltern dementsprechend zu unterstützen. Er kann aberauch legitimerweise die Eltern zur Verantwortung ziehen und sanktionieren, wenn dieseihre Aufgabe nicht oder in nicht ausreichendem Maße erfüllen.
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck.http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
Die kantische Glückswürdigkeit in der aristotelischen EudämonieUm den Zweck des menschlichen Daseins zu verstehen, muss das Wesen des Menschenerfasst werden. Dabei unterscheidet sich der Mensch von allen bisher bekannten Lebewesen durch sein Bewusstsein des in die Weltgeworfenseins, wodurch er sich als einLebewesen unter vielen begreift, welches ein bloßer Teil einer endlichen Welt ist, derenGesetzmäßigkeiten er ausgeliefert zu sein scheint. Und doch kann er sich in dieser Weltbewusst bewegen, versuchen Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und diese wiederum ihmselbst zu Nutze zu machen. Wobei sich die Frage stellt, ob die Motivation, die Zielsetzungsomit letztendlich der Zweck, den sich der Mensch setzt, aus einer Beobachtung dieserWelt heraus letztgültig ableitbar ist oder ob es seine eigene Entscheidung ist, die Entscheidung jedes Einzelnen und ob nicht gerade diese Unbestimmtheit, letztendlich die Frage„Wer wir sind?“, uns mehr charakterisiert als die mögliche Antwort darauf. Denn kannman diese Frage nicht letztgültig beantworten, dann wird damit auch eine letztgültigeMoral verneint oder zumindest doch in Frage gestellt, diese könnte nur noch daraufbegründet werden, dass sie Handlungsmotivationen vorschreibt, bei deren Befolgungwir eine bestimmte Welt, eine bestimmte Art des Zusammenlebens erhalten. Die Frage,ob diese Moral gelten und deren zumindest äußere Befolgung durch Zwang auf anderedurchsetzbar gemacht werden soll, kann nur dadurch entschieden werden, indem wir uns auf eine Welt einigen, wie wir sie haben wollen, aufgrund dieses gemeinsamen Zielswäre die Geltung einer dorthin führenden Moral möglicherweise gegeben. Dabei bleibtnatürlich die Frage offen, ob es legitim sein kann ein Individuum, das diesen allfälligen Konsens nicht mitträgt, zu einem diesen gemäßen Verhalten hin zu maßregeln, wobei dieLegitimität und die Notwendigkeit zur Erreichung des Ziels als Fragen voneinander zuunterscheiden sind. Denn es ist zu klären, ob eine notwendige Handlung, die Legitimitätfür sich schon bedingt oder ob eine an sich illegitime Handlung notwendig sein kann, umeinen idealen Zustand herbeizuführen, der damit auch legitim ist und jede Handlung,die zu ihm führt, legitimiert. Ein Beispiel zur Veranschaulichung, wobei hier vorweg einepazifistische Welt als ideal anzusehen ist: Ein Pazifist steht einem Aggressor gegenüber,der keine Mühe scheut ihn gewaltsam zu vernichten. Wenn der Pazifist nun für sich dieMaxime der Gewaltlosigkeit vertritt, so hätte er nur die Möglichkeit sich vom Aggressorüberwältigen zu lassen und somit unter Einhaltung seiner Maxime den Tod zu finden.Das Ziel einer friedfertigen Welt ohne Gewalt wäre somit nicht mehr erreichbar, sofernalle Pazifisten ihrem Ideal treu blieben. Würde in einer Variante der Pazifist seine Maximenicht so ernst nehmen bzw. würde er sie als Ziel anstatt als Handlungsgrundlage sehen,so stünde es ihm plötzlich offen den Aggressor abzuwehren, um nach dessen Vernichtungeine nach seinen Idealen bestimmte pazifistische Weltordnung zu etablieren. Das Ausgangsbeispiel veranschaulicht die Anwendung des kategorischen Imperativs, in der Variante handelt es sich hingegen um einen hypothetischen Imperativ, der nach Kant keinmoralischer ist, der aber wie im obigen Beispiel gesehen „praxisrelevanter“ zu sein scheint.Die Eudämonie des Aristoteles kann als solcher hypothetischer Imperativ gelesen werden,wobei jedoch auch hier besonders in der Schrift der Nikomachischen Ethik Ansätze füreinen kategorischen Imperativ zu finden sind. Schließlich und endlich lautet die Frage,ob inhumanem Handeln um des Ziels einer „größeren“ Humanität willen, Legitimitätverliehen werden kann (Stichwort: Folter) oder ob nicht durch die Korrumpierung desWeges das Ziel selbst unerreichbar wird
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck.http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
Jacques Lacans Spätwerk ist unter anderem durch den Einsatz von topologischen Figurengekennzeichnet. Der Knoten sei eine Schreibweise, sagte der Psychoanalytiker. Als solchedient er beispielsweise der pädagogischen Illustration, wenn von psychischen Strukturendie Rede ist. Er taucht auf, wenn metaphorisch auf Momente des Zusammenhalts oderder Zerreißung angespielt wird. Er ist geeignet, um früher eingeführte Begriffe wie dasPhantasma neu zu entfalten. Und er verspricht eine punktgenaue Bestimmung von Situationen in der Kur. Lacans Einsatz der Fadenringe und der von ihnen gebildeten Knotenfällt in eine Zeit, in welcher er der Materialität der Sprache in ihren klanglichen Facettenin seiner eigenen Rede breiten Raum lässt. Wie mit den Knoten erweckt er mit solchen,vermehrt als Neologismen auftauchenden Produktionen den Eindruck, einer neuen psychischen Ökonomie auf der Spur zu sein. Verglichen mit früheren Auffassungen, dieLacan zum Subjekt und seiner (Patho)Genese ausgearbeitet hat, kommt dem Körper nunein zwar weniger bedeutsamer, dafür aber keineswegs geringerer Stellenwert zu. Er wirdjetzt als Relais zwischen dem Realen und dem Sinn genannt. Bekannte Grenzen schwinden. Die Materialität des Körpers und die Moterialität des Unbewussten scheinen ineinander über zu gehen. Die Strenge einer topologischen Erfassung von Zusammenhängensteht in manchem späten Seminar einer Tendenz zur implodierenden Auflösung eben dieser Zusammenhänge gegenüber. Der Sinn und seine Effekte begleiten das Reden vonStuss, Debilität und Blabla. Der Knoten und die Theorien über ihn versuchen Orientierung zu geben, selbst dort, wo Lacan sie lediglich als Träger von etwas Anderem und demRealen zugehörig denkt. Zusammen mit den mathematischen Voraussetzungen werdenim Vortrag unter Einbeziehung eines Teils der psychoanalytischen Rezeption der Fadenringe Formen und Spezialitäten von Lacans Anwendungen der Knoten gezeigt werden.Neben der Körperhaftigkeit der Knoten wird dabei der Körper in den KnotenbildungenBerücksichtigung finden.
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck.http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
Max Scheler hat in seiner 1928 erschienenen Schrift über „Die Stellung des Menschenim Kosmos“ ein Stufenschema psychischer Kräfte entwickelt, welches der Reihe nachden Gefühlsdrang, den Instinkt, das assoziative Gedächtnis und die organisch gebundenepraktische Intelligenz umfasst. Der Mensch als Mensch darf nach Scheler nicht der viertenStufe – der organisch gebundenen praktischen Intelligenz – zugeordnet werden, da aufdieser auch intelligente Tiere wie höhere Primaten anzusiedeln sind und der Mensch sichso nur quantitativ vom Tier unterscheiden würde. Dagegen möchte Scheler eine qualitative Differenz zwischen Mensch und Tier denken. Diese Differenz analysiert Scheler durchseinen kritischen Begriff des Geistes weiter. Der Bereich des Geistes ist ausdrücklich nichtGegenstand der Naturwissenschaften. Wie aber kann ein solcher nicht-reduktiver Begriffdes Geistes positiv weiter bestimmt werden, ohne damit den Bezug zur Natur des Menschen zu verlieren? Ich werde dafür argumentieren, dass sich Schelers Begriff des Geistesals ein Versuch interpretieren lässt, Freiheit und Natur im Menschen kompatibilistisch,d.h. produktiv zusammenzudenken. Die konkrete Wirklichkeit des Geistes besteht nachScheler in seiner spezifischen Operationsweise und Tätigkeit, die er als „Akt der Ideierung“bestimmt. Scheler verdeutlicht diesen Akt am Beispiel des Schmerzes. Die positiven Naturwissenschaften können den Schmerz erklären, indem sie ihn auf natürliche Ursachenzurückführen. Durch eine geistige Betrachtung des Schmerzes wird hingegen nicht nacheiner dahinterliegenden natürlichen Ursache gefragt (also etwa das Feuern von Neuronen), sondern vielmehr die Frage nach seinem Wesen gestellt. Die Reflexionsbewegungist also dabei nicht die einer Reduktion, sondern die einer Transzendenz des konkreten Schmerzes hin zu seiner holistischen Verortung in der Welt als ganzen. Die für denMenschen spezifische geistige Frage lautet nach Scheler also nicht: „Was ist die Ursachevon Schmerz allgemein?“, sondern zielt vielmehr auf Erstes und Letztes: „Warum gibtes überhaupt Schmerz in der Welt?“. Indem eine solche radikale Frage gestellt wird, diean die allerersten Wurzeln des Schmerzes an sich rührt, und nicht mehr den Schmerz alsnatural erfahrbares und wirksames Phänomen betrifft, kann Scheler sagen, dass im Ideieren die „Aufhebung des Wirklichkeitscharakters der Dinge, der Welt“ besteht, indemder Wirklichkeit ein „kräftiges ‚Nein‘“ ‚entgegengeschleudert‘ wird. Durch die dadurchgewonnene negative Freiheit von der Natur unterscheidet sich der Mensch gerade vomTier, welches selbst auf Basis seiner organisch gebundenen praktischen Intelligenz „immer‚Ja‘ zum Wirklichen sagt“. Trotz seiner negativen Freiheit von der Natur ist der Menschqua Geist nicht gänzlich der Natur entbunden – er ‚schwebt‘ nicht über der Natur. Vielmehr erhält er seine positive Freiheit erst im Verbund mit der Natur. Der „Grundirrtum“ der klassischen Theorien des Geistes besteht nach Scheler denn auch darin, dass sie denGeist kräftemäßig als autark und als der Natur überlegen verstehen. Nun ist im Geistigendas Verhältnis zur eigenen Natur jedoch nicht das einer Unterdrückung, sondern geradedasjenige einer Umlenkung oder Transformation. Scheler beschreibt diese Ausnutzung desnaturalen Triebpotenzials als Tätigkeit der Sublimierung. Diese Sublimierung oder Vergeistigung lässt sich als eine Reflexion und kontrollierte Kultivierung der eigenen Naturverstehen, in welcher Geist und Natur dialektisch miteinander verwoben sind: „[D]erGeist ideiert das Leben – den Geist aber von seiner einfachsten Aktregung an bis zurLeistung eines Werkes, dem wir geistigen Sinngehalt zuschreiben, in Tätigkeit zu setzenund zu verwirklichen vermag das Leben allein.“
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck.http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
Das Recht ist fundamental in die Grenzziehungen zwischen den Kategorien „geschütztesLeben“, „Mensch“ und „Person“ involviert, obwohl es Großteils den Menschen als rechtlich vorgelagerte Einheit voraussetzt. Dies zeigt sich vor allem daran, dass sowohl der Beginn als auch das Ende des menschlichen Lebens stark – entweder ausdrücklich durchgesetzliche Reglungen oder implizit durch das Nicht-Tätigwerden des Gesetzgebers – reguliert sind. Wir bieten einen Überblick über die vorhandenen Regelungen des Gesetzgebers, deren Regelungszweck und über einschlägige Entscheidungen der Höchstgerichte. Dieser Überblick bildet die Basis für die kritische Diskussion der Rolle des Rechts in der(Re)Konstruktion der Grenzziehungen sowie von (un)gewünschten Körpern. In Bezug aufden Beginn des menschlichen Lebens werden wir auf Regelungen aus dem Bereich des Fortpflanzungsmedizinrechts eingehen. Anfang 2015 wird erstmals in Österreich eine ausdrückliche gesetzliche Regelung der Präimplantationsdiagnostik in Kraft treten. Ein Problemfeld, das sich dabei eröffnet, betrifft die Selektion von gewünschtem Leben, die dadurchauf die Phase vor Implantation von in-vitro geschaffenen Embryonen vorgelagert wird. DieSelektionsmöglichkeit setzt sich bis zum Eintreten der Wehen fort, wenn „eine ernste Gefahr besteht, daß das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“ (§ 97 Abs1 Z 2 Strafgesetzbuch). Dies zeigt, dass der Lebensschutz in Österreich erst mit vollendeterGeburt vollkommen greift. Ein weiteres Problemfeld ist die ebenso ab 2015 erstmalig inÖsterreich zulässige Eizellspende, die der Gesetzgeber im Wesentlichen gleich geregelt hat,wie die Samenspende ohne dabei wesentliche Unterschiede zwischen den beiden angemessen zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang zeigen wir auch, dass über Körperteile(Zellen, Embryos) im Recht verfügt werden kann – ähnlich wie über (sonstige) Sachen.In Bezug auf das Ende des Lebens werden wir kurz auf das Thema Sterbehilfe eingehen.In Österreich ist die Mitwirkung am Selbstmord (§ 78 StGB) strafbar. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob den Grundprinzipien der Autonomie und Gerechtigkeitentsprochen wird, wenn z. B. Ehemänner, die ihre Ehefrau auf der Reise in die Schweizbegleiten, die dort assistierten Suizid in Anspruch nimmt, strafrechtlich verurteilt werdenoder wenn hochbetagte, schwerkranke Personen, die versuchen sich umzubringen, und wodas misslingt, in der Psychiatrie eingesperrt und zwangsbehandelt werden. Der EGMR hatdazu im Jahr 2002 im Fall Pretty/Vereinigtes Königreich festgestellt, dass es sich um einenEingriff in das durch Art 8 EMRK gewährleistete Recht auf Selbstbestimmung im Privatleben handelt, wenn jemand, daran gehindert wird, frei darüber zu entscheiden, wie er ausdem Leben scheidet. Ist dieser Eingriff ist gerechtfertigt, um Dritte zu schützen?
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck. http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
Das (Selbst-)Verständnis des Menschen als Homo faber, der die Natur mithilfe von (Kultur-) Techniken so umformt, dass er dadurch seine natürlichen Mängel kompensiert undseine naturgegebenen Fähigkeiten überbietet, führt zu einem Gestaltungsprozess, in dender Mensch nicht nur als Subjekt (faber), sondern auch als Objekt (fabricatus) involviertist. Demnach ist die praktische Intelligenz mit einer Reflexivität verbunden, die nicht nurdenkend, sondern auch handelnd vollzogen wird. Der Produzent beugt sich produzierendauf sich selbst zurück, er macht sich zum Produkt – und versteht sich auch als ein solches,also technisch. Die digitale Gesellschaft unserer Zeit eröffnet für ein solches Selbstverhältnis noch mehr Möglichkeiten als der industriellen zur Verfügung standen, in welcher diese Leitvorstellung des Menschseins erstmals artikuliert und terminologisiert wurde. Neben den vielversprechenden Biotechnologien, die fundamental in die genetische ,Natur‘des Menschen eingreifen können und darüber hinaus medikamentöse Mittel zur Leistungssteigerung bereitstellen, sind die vielfachen Schnittstellen von Mensch und Computer von zunehmender Relevanz für den humanen Selbstgestaltungsprozess. Sie sind diesnicht zuletzt aufgrund ihrer leichten Zugänglichkeit, der kaum öffentlichkeitswirksameethische und rechtliche Hürden gesetzt sind, wie das bei den Biotechnologien (noch) derFall ist – selbst von der Datenschutzproblematik sieht sich ein Großteil der Betroffenennicht tangiert. Jeder, der will, kann sich innerhalb einer erweiterten Realität (AugmentedReality) mithilfe von Messgeräten und Smartphone-Apps dabei unterstützen lassen, sich selbst zu verbessern und zu optimieren (Enhancement, Self-Tracking, Quantified Self ).Was im beruflichen Umfeld lange als Nötigung empfunden wurde – möglichst effektiv zufunktionieren – wird heute zunehmend freiwillig in das Alltagsleben implementiert. Manerhofft sich damit eine Verbesserung der Lebensqualität, die letztlich auf dem Anspruchberuht, sich von fundamentalen natürlichen Bedingtheiten und Einschränkungen zuemanzipieren, um die Welt und sich selbst autonom kultivieren zu können. Gegner dieserEinstellung versuchen meist, diese Befreiung als nur scheinbare zu entlarven, bringt sichder Mensch damit doch in eine vorher nicht gekannte Abhängigkeit von der Technik.Diese führt zum einen dazu, dass bei einem technischen Versagen eine nicht gekannteHilflosigkeit zutage tritt. Eine andere Problematik entsteht gerade dann, wenn alles reibungslos funktioniert und der Mensch sich voll und ganz auf die Bedingungen ausrichtet,die dazu nötig sind. Die Reduktion auf das, was sich messen und quantifizieren lässt,schränkt den Spielraum der menschlichen Selbstentfaltung auf das technisch Machbareein, der sich zwar stetig erweitert, aber nur innerhalb der Grenzen, die ihm gesetzt sind.Der vermessene Mensch ist berechenbar in all den Bedeutungen, die dieses Adjektiv beinhaltet. Er verhält sich selbst kalkulierend und berechnend, um seine Selbstoptimierungvoranzutreiben und wird zugleich zum berechenbaren Manipulationsobjekt für die ökonomischen und politischen Interessen Anderer. Jenseits der Utopien und Dystopien, diein diesem ambivalenten Zusammenhang gezeichnet werden, lassen sich Alternativen aufzeigen, die weder der Technophilie noch der Technophobie verpflichtet sind, sondern denmenschlichen Denk- und Handlungsspielraum aus der Verengung zu befreien versuchen,in die sich der Homo faber fabricatus gebracht hat. Sie bestehen in Handlungsweisen, dieweder aktivisch noch passivisch sind, sondern – nach einer grammatikalischen Bezeichnung für das dazwischenliegende Genus verbi – medial. So lässt sich etwa das sogenannteFlow-Erleben, also das selbstvergessene Aufgehen in einer Tätigkeit, nicht herstellen, sondern muss sich ergeben und entzieht sich damit der Berechenbarkeit. Exemplarisch kannman solche und ähnliche Handlungsformen (Mitgestalten, Wachsenlassen) und (Resonanz-)Erfahrungen am aktuellen Phänomen des Urban Gardening studieren. Der Gartenals ursprünglicher Kulturraum erfährt hier eine zeitgemäße Aktualisierung – nicht ineiner nostalgischen oder eskapistischen Idylle außerhalb unseres technologisch geprägtenLebensraumes, sondern innerhalb seiner und in – freilich unkonventionellem – Bezugdazu, bis hinein in ökonomische Zusammenhänge.
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck. http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
Mein Vorhaben zielt ab auf eine sprachphilosophische Betrachtung des Spielbegriffes, densich das Modell der Spieltheorie nach Oskar Morgenstern und John von Neumann, für dieBezeichnung ihres Modells entlehnt und mit dessen Hilfe das theoretische Modell – dasheute im Feld ökonomischer Überlegungen Verwendung findet – für sich in Anspruchnimmt, die Lebenswirklichkeit (dazu zählen Handlungen und Entscheidungen) vonzwei- bis millionen von Menschen in deren Anwendungspraxis zu beschreiben, um inweiterer Folge ideale Gesellschaftsverhaltensweisen zu modellieren. Als Grundlagentexteder Betrachtung dienen Wittgensteins Spätwerke, die philosophischen Untersuchungen,Texte über Gewissheit und die Philosophie der Mathematik. Bei meiner Frage handeltes sich, präzise gefasst, um eine wissenschaftstheoretische Fragestellung, inwiefern dasheutige Konzept ökonomischer Überlegungen und Strategien durch einen vorgefasstenBegriff geprägt ist, unter der Annahme (dem Wittgensteinschen turn folgend), dass dieBedeutung aus der Pragmatik der Verwendungsweise von Begriffen erwächst und nichtaus Analytik und Semantik alleine: Die Bedeutung bestimmter Begriffswelten wird durchderen Verwendung, die Art und Weise, wie wir sie verwenden und anwenden vorgegeben,nicht ausschließlich auf analytischem Wege. Ich begebe mich also in die Tradition vonAnsätzen, die das Feld der Theorie nicht getrennt von ihrer Auswirkung auf die Praxis betrachten und frage in einem weiteren Schritt nach der Rationalitätsauffassung, die unmittelbar aus der Verwendungsweise des Spielbegriffes erwächst und als normativer Maßstabauf die Handlungsweisen von Subjekten übertragen wird. Angelehnt an das Motto desKongresses „Mensch-sein. Fundament, Imperativ oder Floskel“ lautet meine These, dass eineDimension des Mensch-seins keine Floskel, sondern vielmehr einen normativen Imperativ an Gesellschaften darstellt, der auf deskriptiven Theorieansätzen beruht und an dieVerantwortung der spielenden, sich verhaltenden Subjekte innerhalb komplexer Märktegegenüber der Schöpfung appellieren soll, insofern eine kritische Theorie sich an die Gesellschaft, als die Gesamtheit von Menschen verstanden, richtet.
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck. http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
Noch nie zuvor hatte der Mensch solche Kontrolle über Leiden und Tod wie heutzutage. Die Entwicklung der Medizin und die der anderen Naturwissenschaften hat uns dieMöglichkeit gegeben, Schmerz und Leiden zu lindern und den Tod zu verzögen. TechnoWissenschaften beeinflussen und modellieren die neuen Erfahrungen des Leidens und desTodes, die neue Sprachen, Räume, Experten und Mittel haben. Die absolute Kontrolleüber den Tod ist noch eine Phantasie, aber die Frage über die mögliche Elimination desmenschlichen und tierischen Leidens sollte durchaus zur Sprache gebracht werden, weildie technischen Mittel zur Erreichung dieses Zieles immer näher rücken. In diesem Beitrag führe ich einige der neuen techno-wissenschaftlichen Bedingungen des Leidens unddes Todes, auf den materiellen, epistemologischen, symbolischen und praktischen (bioethischen und politischen) Ebenen aus. Noch nie vorher hat der Mensch seine Grenzenderart erweitert. Darum muss er auch neuen Extremsituationen trotzen, für die er neueRessourcen und Interpretationen braucht. Zwei von diesen Extremsituationen werdenin diesem Beitrag analysiert: die Verfremdung des eigenes Körper infolge der medizinischen Eingriffe und intensiver Behandlungen (a) und die existentielle Schwelle infolgeder unbekannten ärztlichen Sprache und die unbekannten Räume des Todes (b), etwadie Situation der Menschen, die in Krankenhäusern oder in Altenheimen sterben. Esgibt zwei Beispiele um beide Extremsituationen zu analysieren. Einerseits die phänomenologische Erfahrung des verfremdeten Körpers, über die Jean-Luc Nancy in seinem TextL’Intrus nachdenkt. Anderseits die Situation einer ganzen Generation von alte Menschenim gegenwärtigen Spanien, die in ländlichen Räumen leben und nach der Landfluchtder Jugend und der Eingliederung der Frauen in den Arbeitsmarkt nunmehr ihre letzteLebensphase in unbekannten Altenheimen verbringen müssen. Auf diese Herausforderungen, die ihren Ursprung in den genannten zeitgenössischen techno-wissenschaftlichenBedingungen haben, versucht dieser Beitrag neue Antworten, Interpretationen undHandlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck 2015.
Der Vortrag entwickelt die These, dass des späten Lacan oft ebenso unverstandenes wie unverständliches Faible für die Topologie im Kontext seiner Revision der Freud’schen Psychoanalyse Ausdruck seines unmittelbar philosophisch relevanten – und revolutionären – Versuchs ist, sowohl die Descartes’sche Auffassung von der Seele als einer von der ausgedehntenSubstanz abgehobenen, ausdehnungslos punktförmigen Substanz einerseits als auch Freudsgegensätzliche Vorstellung von der ihr unbewussten „Ausdehnung“ der Psyche andererseitshinter sich zu lassen. Diesen Versuch unternimmt Lacan auf der Grundlage der Einsicht,dass zwischen einen Körper haben und dieser Körper sein ein wesentlicher Unterschied besteht: Während das Haben eines Körpers vom Gesichtspunkt der Seele, sprich: des Geistesaus betrachtet als selbst ausdehnungsloses, aktives Manövrieren bzw. passives Erleiden einerausgedehnten Masse erscheint, taucht in der phänomenologisch aufgeschlossenen Erfahrung des Körperseins selbst nichts Ausgedehntes, im Descartes’schen Verständnis Körperliches auf. Jegliche bildliche, modellhafte Vorstellung von leib-seelischer (Id-)Entität führtimaginär in die Irre und ist Wurzel jener abgrundtief-abgründigen (Selbst-)Verkennungder conditio humana, an der die Anthropologie sei sie psychologischer oder philosophischerProvenienz insgesamt krankt. Diesem imaginären Körper der Anthropologie (selbst nochder Historischen) gilt es den Körper als realen, oder genauer: den Körper als „Ort“ desRealen gegenüberzustellen, welches nicht durch Darstellungen welcher Art immer erfasstoder symbolisiert werden kann, sondern vielmehr im Scheitern aller einschlägigen Versuche durchscheint, d.h. in der Unmöglichkeit der bildlichen Vorstellung solcher nur mathematisch erfassbaren topologischen „Körper“ (wie des Borromäischen Knotens) jenseits ihrerzweidimensionalen „Plättung“. Der Umstand, dass dabei keine direkte Beziehung zwischendem imaginären und dem realen Körper besteht, der eine dem anderen vielmehr „ex‐sistiert“, und die vielfältigen Weisen der Herstellung von „Konsistenzen“ zwischen dem einenund dem anderen machen den Gegenstand der Psychoanalyse nach Lacan’scher Fasson aus:Sie impliziert – und vermittelt in Theorie wie Praxis bzw. Klinik – den radikalen Bruch mitder traditionellen philosophischen Reflexion über den Menschen im Ausgang von dessen„Gestalt“ (oder „Form“), ganz im Sinne der Intervention, die Georges Bataille (dessen Einfluss auf Lacan zu untersuchen bleibt) mit seinem Documents-Artikel ,Informe‘ vorgebrachthat: Nicht nur die Monstren (sprich: die sei’s physisch, sei’s psychisch „Kranken“), sondernauch die „normalen“ Menschen, wir alle, entsprechen nicht der Form, d.h. dem Bild, daswir uns vom Menschen machen. Aus der Anerkennung dieser „Wahrheit“ bezieht die psychoanalytische Kur ihre therapeutische Wirkung.
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck 2015.http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
Arnold Gehlen bestimmt den Menschen als ein mangelhaft konstituiertes Lebewesen,dem eine naturgegebene Aufgabe fehlt. Es ist wesentlich für den Menschen, sich selbsteine Aufgabe zu geben und damit eigene Mängel zu kompensieren. Philosophisch wiehistorisch setzt Gehlen den Beginn des Menschseins mit dem Herstellen und Verwendentechnischer Werkzeuge an. Technik nimmt damit eine Schlüsselposition in seiner Bestimmung des Menschen ein. In seinen Texten zur Technik aus den 50er- und 60er-Jahrenspricht er der Technik nicht nur zu, Entlastungsprinzip zu sein, mit ihrer Hilfe ist es demMenschen auch möglich, sich selbst besser zu verstehen. Es gibt etwas in der Technik, dasGehlen als spiegelbildlichen Ausdruck des menschlichen Wesens versteht. In diesem Zusammenhang führt er den Begriff des Resonanzphänomens ein, womit ein innerer Sinnbezeichnet ist, der ein wortloses Verständnis des eigenen Wesens ermöglicht. Die Resonanz jenes spiegelbildlichen Ausdrucks in der Technik zu spüren, verhilft Menschen dazu,ihr eigenes Wesen zu begreifen. Die Ausführungen Gehlens in den Texten zur Techniklassen den Begriff des Resonanzphänomens m.E. jedoch im Dunkeln. Eine Interpretationdieses Konzept kann mithilfe der Technikphilosophie von Ernst Kapp gewonnen werden.Möchte Gehlen im 20. Jahrhundert den Menschen ausgehend von der Technik her denken, so versucht Kapp im späten 19. Jahrhundert, Technik vom Menschen ausgehendzu begreifen. Dabei teilen beide Denker die voraussetzende Annahme eines wesentlichmangelhaften Menschen, der Technik dazu einsetzt, um seine Mängel zu kompensieren.Kapp beschreibt Organe des menschlichen Körpers als Vorbild für technische Werkzeuge. Stellen Menschen Werkzeuge her, dann produzieren sie sich stets nur selbst – diesenZusammenhang bezeichnet Kapp als Organprojektion. Durch die Herstellung bzw. denGebrauch eines bestimmten Werkzeugs kann sich ein bestimmter Zweck offenbaren, derauf ein Organ zurückführbar ist. So liefert Technik eine Analogie für die Konstitutiondes Menschen. Interpretiert man Gehlen mit Kapp, dann vermag es der Mensch im Umgang mit der Technik, seine Veranlagung zu erkennen, sich eines bestimmten Zwecksannehmen zu können. Ich möchte mit Bezug auf die skizzierte Interpretation Argumentefür eine Position vorstellen, nach der Technik eine Bedingung für die Möglichkeit desWissens über sich selbst ist.
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„Haben Sie sich schon einmal klar gemacht, daß nahezu alles, was die Menschheit heutigen Tages noch denkt, denken nennt, bereits von Maschinen gedacht werden kann,hergestellt von der Kybernetik, der neuen Schöpfungswissenschaft?“ (Benn 1991, S. 71)Die Hochphase der Kybernetik in den 1950-1970er Jahren gilt weitestgehend in derwissenshistorischen sowie philosophischen Forschung als Zäsur im Denken. Indem sieeinen neuen Wahrnehmungs- und Denkstil prägte, der nicht nur auf den wissenschaftlichen Raum beschränkt blieb, bot sie gleichzeitig auch interdisziplinäre Anschlusspunkte einer „Transformation des Humanen“. (vgl. Hörl/Hagner, 2008) Die Sonderstellungdes Menschen, der cartesianische Dualismus sowie die Dichotomie von Mensch undTechnik werden in dieser neuen von Norbert Wiener begründeten „Universaldisziplin“zugunsten einer „kognitivistische[n] ‚Menschenfassung‘ in logischen Schaltungen“ subvertiert. (Wiener 1990, S. 47) Die Idee einer „Denkmaschine“ wurde in der Kybernetikzum Paradigma und bot Raum für Spekulationen und Ideen, in denen Natur und Materie, Mensch und Maschine analog in ein berechenbares Ordnungsprinzip eingespanntwurden. Folgt man diesem Ansatz, so kann Logik „in natürlichen wie in künstlichenSystemen“ in Materie „verkörpert und ausgedrückt“ werden. (Dupuy 2000, S. 12) Zahlund Mensch überlappen und werden zusammen lesbar. Diese „Physiologie des Berechenbaren“ (Arbib 2000, S. 207) führt zwangsläufig zu einer „celebralen Mathematik“ (Lem1981, S. 163) und das Nervensystem wird zur „logische[n] Maschine par excellence“.(McCulloch 2000, S. 94) In den kybernetischen Konzepten scheinen sich Maschinenzielorientiert und ordnungsgemäß wie Menschen zu verhalten. In Anbetracht dessen istdie große Änderung, die mit der Kybernetik einhergeht, die Stellung des Menschen: DieMaschine steht dem Menschen nicht mehr gegenüber, sondern gleich. Mit dem neuenDenken kommt zwangsläufig auch ein neuer Menschentypus der Selbststeuerung auf, dernicht mehr in ein antiquiertes Menschenbild passt. Doch um dieses neue Menschenbildzu verstehen, muss man die Kybernetik in einem größeren diskursiven Feld einordnen,d.h. ihren Entstehungskontext historisch betrachten. Die Kybernetik wird nicht von einerPolitik pervertiert, „[v]ielmehr ist die Kybernetik selbst schon von Anfang an eine politische Technologie gewesen“. (Pias 2004, S. 305) Wiener reagierte mit seiner „Kybernetik“von Beginn an auf ein militärisches Problem: die Konstruktion effizienter Flugabwehrgeschütze, die durch Selbstorganisation die unterschiedlichen Geschwindigkeiten vonGeschoss und feindlichem Flugobjekt aufeinander abzustimmen. Das Unkalkulierbare(Verhalten des feindlichen Piloten) soll antizipiert werden, um Trefferwahrscheinlichkeit zu erhöhen. Diese ursprüngliche Zielsetzung fügte den üblichen Feindbildern des Zweiten Weltkriegs ein weiteres hinzu: Der berechenbare Gegner. Dieses ‚neue‘ Menschenbildfungiert im Rahmen einer Ordnung, die weitgehend frei vom Zufall ist. Hierbei zeigtsich schon in der Geburtsstunde der Kybernetik der Wille zur Kontrolle des Chaos, zumRückbinden des Unkalkulierbaren (dessen Zentrum der Mensch ist) in die Kalkulation.Indem sich die Disziplinargesellschaft Foucaults mit der Kontrollgesellschaft Deleuzesverbinden, zeigen sich Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit als zwei Seiten einer technikwissenschaftlichen Medaille. In dem Vortrag soll ausgehend von diesem Hintergrundverschiedenen Problematisierungsdiskursen nachgegangen werden, die das Dispositiv derMensch-Technik-Interaktion betreffen: Inwieweit ist der „Faktor Mensch“ vollkommenberechenbar? Lässt sich der Mensch in ein rein mathematisches Ordnungsmuster einspannen? Oder weist nicht vielleicht gerade die Kybernetik in ihrem Niedergang um1980 exemplarisch auf ein Defizit der Übersetzung naturwissenschaftlich-technischerMessparameter auf den Menschen hin, und entwirft damit ein neues, vielleicht kreativeres Menschenbild auch unserer Gegenwart?
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck 2015.http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
Als Peter Sloterdijk vor 15 Jahren in seiner berüchtigten „Elmauer Rede“ nach „Regelnfür den Menschenpark“ fragte, richtete sich die Empörung – einem alten und nur allzu bekannten Muster folgend – gegen den Überbringer der Botschaft; einer Botschaft,deren Unabweisbarkeit seither nur an Evidenz gewonnen hat: Die Praktiken menschlicher Selbstgestaltung haben eine entscheidende Transformation erfahren. An die Stellevon Selbstreflexion, Askese oder Bildung sind technisch-invasive bzw. pharmakologischeEingriffe in den Körper und die Möglichkeit genetischer Neuprogrammierung getreten.Nicht zufällig sind im Zuge dessen auch wirkmächtige theoretische Neukonzeptionendes Verhältnisses von Menschlichem und Nichtmenschlichem angetreten, nicht zuletztauch mit dem Anspruch, im Herzen der kapitalistisch-militärischen Steigerungs- undOptimierungsprogramme alternative Logiken zu etablieren: insbesondere Donna Haraways Mythos der Cyborg, die sich angesichts der verschwimmenden Grenzen zwischenMensch, Tier und Maschine lustvoll neuen Verbindungsmöglichkeiten hingibt, und Bruno Latours symmetrische Anthropologie, die menschliche Handlungsmacht stets nur im Kollektiv mit Bakterien, Bodenwellen, Schusswaffen oder anderem Nichtmenschlichemgegeben sieht. Ob diese Ansätzen tatsächlich eine Destabilisierung der technologisiertenOptimierungsdynamik befördern können, darf bezweifelt werden: zu sehr partizipierendie Konzepte einer diffus-hybriden agency an der technowissenschaftlichen Grundhaltung; insbesondere am exklusiven Fokus auf die causa efficiens. Die Frage nach einermöglichen Offenheit oder aber teleologischen Geschlossenheit der Technisierung desMenschlichen lässt sich jedoch nicht stellen, ohne auch nach dem Sinn und dessen Offenheit oder Geschlossenheit zu fragen. Der Beitrag argumentiert für die Unabdingbarkeiteiner (techno)hermeneutischen Perspektive, die auch Sinnzusammenhänge in den Blicknimmt – jene, in die technische Artefakte eingebettet sind, sowie jene, die durch dieseArtefakte selbst evoziert werden.
Vortrag am 10.Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Innsbruck 2015. http://www.uibk.ac.at/ipoint/blog/1326563.html
Die Frage danach, was den Menschen ausmacht, ist eng verwandt mit der Frage nachder personalen Identität. Diese wiederum lässt sich am besten formulieren als Frage nachden Umständen, unter denen eine Person A zum Zeitpunkt t1 mit einer Person B zum Zeitpunkt t2 identisch ist. Plausible Kandidaten für eine Antwort sind (neben anderen)Umstände, in denen A zu t1 entweder denselben Körper hat wie B zu t2 oder denselben Geist. Um etwa herauszufinden, ob körperliche Identität wesentlich ist für personaleIdentität, kann man nun fragen, ob wir B auch dann als dieselbe Person ansähen wie A,wenn man A zwischen t1 und t2 einer Teletransportation unterzöge. Falls ja, könnte diesein gewichtiges Indiz dafür sein, dass das Haben eines bestimmten Körpers für Personen – und a fortiori auch für Menschen – eine bloß akzidentelle Eigenschaft ist. Es istallerdings in der Debatte zur personalen Identität umstritten, ob Gedankenexperimente zu Teletransportationen und ähnlich wirklichkeitsfernen Vorgängen tatsächlich etwasGehaltvolles über das Wesen von Personen aussagen können. In meinem Vortrag möchteich daher das Spannungsfeld zwischen begründeter Ablehnung und Befürwortung vonGedankenexperimenten zur personalen Identität ausleuchten und aufzeigen, unter welchen Voraussetzungen selbst wirklichkeitsferne Gedankenexperimente hier Aussagekrafthaben. Dazu präsentiere ich zunächst ein an Sorensen, Gendler und vor allem Williamson (vgl. Sorensen 1992, Gendler 2000, Williamson 2007) anknüpfendes Modell vonGedankenexperimenten, demzufolge diese sich als gültige Argumente mit zwei Prämissenauffassen lassen. In der ersten Prämisse wird hierbei die metaphysische Möglichkeit eines imaginierten Szenarios behauptet und in der zweiten die Korrektheit einer speziellenBeschreibung dieses Szenarios. Beispiel eines imaginierten Szenarios ist die Teletransportation von A, Beispiel einer speziellen Beschreibung die Aussage, dass A diese überlebt.Eine Kritik an einem Gedankenexperiment muss demnach die Plausibilität mindestenseiner seiner beiden Prämissen infrage stellen. Zweifel an der Aussagekraft eines wirklichkeitsfernen Gedankenexperiments sollten sich, so argumentiere ich anschließend,auf die Beschreibung des Szenarios konzentrieren. Sie können hier eine spezifische undeine allgemeine Form annehmen. Ersterer zufolge kann die Plausibilität einer gegebenenBeschreibung dadurch angegriffen werden, dass man die zugehörige Intuition (beispielsweise, dass A im Teletransportations-Szenario überlebt) als unzuverlässig zu entlarvenversucht, indem man etwa zeigt, dass sie bei leicht veränderter Darstellung des Szenariosverschwindet oder dass wir bezüglich anderer Szenarien gegenteilige Intuitionen ausbilden. Die allgemeinere Kritik besteht darin, die Aussagekraft wirklichkeitsferner Szenarienmit dem Hinweis darauf anzuzweifeln, dass unser Begriff von personaler Identität deutlich stärker an unserer Redeweise über alltägliche Fälle orientiert sein müsse als an unsererRedeweise über Szenarien, die unserer Lebenswelt sehr fremd sind (vgl. Johnston 1992,Dennett 1994). Dieser letzte Punkt zeigt, so schlussfolgere ich, dass die Frage nach derAussagekraft wirklichkeitsferner Gedankenexperimente zur personalen Identität letztlichprimär eine Frage danach ist, ob wir - wie deskriptive Metaphysiker im Sinne Strawsons – philosophische Theorien bevorzugen, die mit unserem vortheoretischen Denken gut zuvereinbaren sind, aber nur unter speziellen, kontingenterweise bei uns vorzufindenden Gegebenheiten funktionieren, oder – wie revisionäre Metaphysiker – solche von allgemeinerer Gültigkeit präferieren, die jedoch mitunter tiefgreifende Veränderungen unserer Denkgewohnheiten erfordern.
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Religiöser Glaube wird von verschiedenen Religionen verschieden aufgefasst, es lässt sichjedoch auch philosophisch erwägen, welche Grundform religiöser Glaube hat oder haben sollte. These dieses Vortrags: Religiöser Glaube, z.B. christlicher Glaube, besteht auseiner Glaubensüberzeugung und einer Glaubenshandlung. Alternativthese 1: ReligiöserGlaube besteht nur aus Überzeugung. Beispiele sind viele christliche Theologen, z.B.Thomas von Aquin, vielleicht auch Luther und Calvin. Diese haben haben zwar keineHandlungen zum Glauben gezählt, aber dennoch bestimmte Handlungen für die Religionszugehörigkeit und für die Erlösung für notwendig gehalten. Alternativthese 2: Religiöser Glaube enthält und benötigt keine bestimmten Überzeugungen, keine religiöseoder metaphysische Lehre. Verschiedene Varianten werden unterschieden, z.B. Glaube als Gefühl, Glaube als Moral, Glaube als existenzielle Einstellungen. Alternativthese 3:Religiöser Glaube ist ein anderer geistiger Zustand, der von Gott erzeugt wird. Begründung 1 der These: Ein aus Glaubensüberzeugung und Glaubenshandlung bestehenderGlaube kann Gründe bieten für existenzielle Einstellungen wie Freude, Trost, Hoffnung,Zuversicht, Sinn. Diese Einstellungen werden durch geeignete Gründe erstens rationalerund zweitens intensiver und tiefer. Welche solcher Einstellungen tatsächlich rational sind,hängt vom Vorhandensein der Gründe, von der Begründung der betreffenden religiösenLehren ab. Der Wert existenzieller Einstellungen ersetzt also nicht epistemische Gründefür die Wahrheit der Lehren. Begründung 2 der These: Ein aus Glaubensüberzeugungund Glaubenshandlung bestehender Glaube kann Gründe bieten nicht nur für die Glaubenshandlung selbst, sondern für ein weites Spektrum weiterer Handlungen und Lebensführungen. Dies können allgemein als gut anerkannte Handlungen sein (z.B. anderenhelfen, Widerstand gegen böse Regime) oder spezielle zur Religion gehörende Handlungen (z.B. Evangelisation, Bekenntnis). Diese Handlungen werden dadurch rationaler.Die Religion verstärkt die Motivation dazu. Die Religion stiftet dadurch Sinn und Zielim Leben. Die Rationalität dieser zweiten Gruppe von Handlungen hängt wiederumvom Vorhandensein der Gründe für die Annahme der betreffenden religiösen Lehren ab.Der Vortrag wird etliche Argumente gegen die Alternativthesen enthalten. Der Vortragwird einige Positionen aus der aktuellen Diskussion behandeln, z.B. Paul Helm, AlvinPlantinga, Richard Swinburne. Ausführungen zur These: Für religiösen Glauben, der ausGlaubensüberzeugung und Glaubenshandlung besteht, ist die Suche nach epistemischenGründen für und gegen die Glaubensüberzeugung möglich und erstrebenswert. Sie können in Indizien oder in Wahrnehmung bestehen. Es ergibt sich also eine Befürwortungder natürlichen Theologie und der Rolle der Philosophie in der Theologie. Ausführungenzur These: Für die Glaubenshandlung ist die Suche nach praktischen Gründen möglichund erstrebenswert. Dies wurde wenig beachtet.
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Heute leben wir in einer Zeit, in der normatives Orientierungswissen mehr gefragt ist alsobjektives Macht- oder Verfügungswissen. Doch worauf soll sich Orientierungswissenstützen? Der riesengroße kaum zu überblickende Fundus der moralphilosophischen Debatte ist nur mit Prinzipien zu bändigen. Gibt es eine einheitliche Prinzipienethik, musssie deontologisch oder eudämonistisch sein? Also ganz streng gefragt: gibt es ein Prinzip,das jeder Art Ethik zu Grunde liegt? Unsere Vernunft fordert zuallererst ein Prinzip, danndie Prinzipiate und weiter die konkreten Spezialfälle und deren Kasuistik. Kant war sich bewusst, dass wir Bürger zweier Welten sind, denn jeder von uns ist ein Vernunftwesen,das wolle, was es als Sinneswesen nur solle. Die hier favorisierte Prinzipienethik im Begriffdes Guten begründet die Strebens- und Sollensethik. Der platonische Begriff des Guten,der bei Plotin das absolute Eine wurde, ist durch das Christentum bis in die Neuzeittradiert worden. Es ist Urgrund für alles bestimmte einheitliche Sein in der Vielheit, istonto-, heno- und theologisch über alles, für alles und in alles. Das Gute, so erinnert unsSokrates, sei doch dasjenige, was jede Seele anstrebe, um dessentwillen sie alles tue. Eswerde niemals nur zum Schein erstrebt oder gewollt, was beim Gerechten immerhin möglich sei (vgl. Politeia 505d). Platon zieht daher den Schluss, dass niemand das Gerechteoder das Schöne richtig erkennt, bevor er nicht auch das Gutsein begreift, d.h. schlechthin in Selbstevidenz gut ist. Es kann nur eine Wahrheit geben, da eine Letztbegründungdie Einheit des Guten voraussetzt vor jeder Vielheit, die selbst aus Einheiten besteht. DasWechselverhältnis zwischen Einheit und Vielheit spielt in der Ethik die entscheidendeRolle und zeigt sich im Verhältnis Sollens- und Strebensethik. Moralität und Eudämonie verhalten sich komplementär zueinander. Die einseitige Verlagerung auf das Sollenwird zurückgewiesen, wir hätten dann bloß ein „unbedingtes Sollen ohne Gott und eineMoralität ohne Glück.“ Mit Strebensethik sei konkret gemeint: ‚Ich‘ will ein gutes undglückliches Leben führen und ‚Du‘ sollst dich dazu fügen. Und mit Sollensethik: Was soll‚Ich‘ tun? Einem ‚Du‘ bei seinem Streben nicht hinderlich sein! Fügt sich ‚Ich‘ und ‚Du‘zu einer harmonischen Einheit wird der Aufstieg zum Guten gangbar. Jede Diskursethikhat hier ihren Beginn. Alle anderen möglichen Ethiken fasse ich als Ableitungen ausdiesen beiden eine Einheit in der Unterschiedenheit bildenden Ethiken, d.h. Wollen undSollen. Sie basieren einerseits auf dem Naturbegriff und andererseits auf dem Freiheitsbegriff. Die absolute Einheit oder das Gute ist für uns unbegreiflich. Strebt die Vernunft inPrinzipien bis an ihre Grenzen, sollten wir uns auf Kant besinnen: „Und so begreifen wirzwar nicht die praktische Notwendigkeit des moralischen Imperativs, wir begreifen aberdoch seine Unbegreiflichkeit; welche alles ist, was billigermaßen gefordert werden kann.“Ordnen wir die Strebensethik dem Weltbegriff und die Sollensethik dem Menschen zu,so bildet Gott als Drittes den natürlichen und moralischen Gesetzgeber (vgl. Wodarzik2006 u. 2008). Der Einheitsgedanke findet sich konkret in jeder menschlichen Gemeinschaft wieder, weil, wenn wir es denken wollen, wir es in unserem Denken auch finden.Man muss der Menschenvernunft nichts Neues lehren, „sie nur, wie Sokrates es tat, aufihr eigenes Prinzip aufmerksam machen, um zu wissen, was man zu tun habe, um ehrlichund gut, ja sogar weise und tugendhaft zu sein“.
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This paper addresses questions of identities in modern, particularly post-modern theories in Western philosophy against the backdrop of ontological positions of the YogaSamkhya system in Indian philosophy. These questions gain momentum in the face ofan increasingly complex social and technological environment. The fraying options forconstructing identities are being subjugated to AI automated control systems, such aslarge-scale surveillance programmes, that not only subvert the privilege of privacy, instrumental to psychological integrity, but seriously undermine the constitutional framework,upon which our practice of political liberalism and personal freedom is built. The pace atwhich we are carried away by Silicon Valley-inspired versions of Utopia, not only urgesthe question how we, as human beings, can keep apace with technological developments,but also how we may harness the undisputed advantages of technology rather than becoming its commodified objects. The concept of Ahamkara (lit. the I-maker), featuredin Yoga-Samkhya philosophy, provides a valueable heuristic model for the interpretationof these rather fluid and protean processes underlying a technologically enhanced bricolage of identities. Ahamkara is understood as the principle of a dynamic organization ofimmanent identities, reflecting their transcendent source – the individual Purusha – theprinciple of consciousness. Prakriti, the material principle, not only bridges psychologicalsubject-object divides, but also the ontological separation of matter and mind, since allprocesses within Prakriti are material by definition. We will argue the necessity of reformulating Western concepts of personal identity, in light of the assumption that it is ourpsychological potential that needs to be developed through a process, that in SamkhyaYoga is aiming at Moksha, the liberation of original consciousness from its projectiveentanglement in the processes of Prakriti. We will look at these processes among othersfrom the point of view of alienation in Marxian terms and Deleuze’s desiring-machines.Furthermore, these processes involve not only the development of our critical faculities,but also the assertion of our position in negotiating between ‘natural’ and ‘technological’environments. Only in taking responsibility for this position will we be able to bridgewhat Anders has called the Promethean gap. Our ability to bridge this gap will be crucialin counteracting the erosion of the concept of responsible individuals which forms thebasis of political and legal institutions in democratic societies.























