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SWR2 Zeitgenossen
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SWR2 Zeitgenossen

Author: SWR

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Wir sprechen jede Woche mit Zeitgenossen, die auf einen besonderen Lebensweg zurückblicken: Sie sind Aktivist*innen, Künstler*innen oder Forscher*innen. Sie haben Zeitgeschichte erlebt und geprägt – und sie haben viel zu erzählen. Zur ARD Audiothek: https://www.ardaudiothek.de/sendung/swr2-zeitgenossen/8758618/
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Zur Waffe greifen, bereit sein, Menschen zu töten, und das Land, das in früheren Kriegen „Vaterland“ genannt wurde, mit Gewalt zu verteidigen? Der Publizist und Podcaster Ole Nymoen verweigert sich. Und begründet dies in seinem Buch „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“: einem Plädoyer gegen den Krieg, das in Deutschland für Aufsehen gesorgt hat. Wie kann diese Haltung vertreten werden angesichts der Weltlage und vor dem Hintergrund der Debatte um die Wehrpflicht? Der studierte Politikwissenschaftler versteht seine Weigerung zugleich als Protest für mehr kollektive Selbstbestimmung.
„Alles ist Bildhauerei“. Wie wir die Hände bewegen, wie wir Gedanken formen, auch die neuronale Aktivität des Gehirns und wie wir Emotionen bilden, hat für den Bildhauer Tony Cragg skulpturale Qualität. Formen zu finden, die uns berühren – gegen die monotone, repetitive Ästhetik der Warenwelt – ist seit Jahrzehnten seine zentrale Motivation. Kunst ist für ihn deshalb an sich politisch: Poesie als Gegenreaktion. Er will sichtbar machen, was nicht da ist und noch nicht existiert. In Wuppertal, wo der gebürtige Brite seit 1977 lebt, sieht man in einer Retrospektive gerade seine „Line of Thought“.
Thomas Kunst ist ein Unikum in der deutschsprachigen Literaturlandschaft. Der 1965 in Stralsund geborene Kleist-Preisträger arbeitet seit 1987 in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig und war lange nur einem kleinen Publikum bekannt, dabei gehört er zu den sprachmächtigsten Schriftstellern seiner Generation. Sein vielgelobter Aussteigerroman „Zandschower Klinken“ stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, seit dem Lyrikband „Kolonien und Manschettenknöpfe“ ist er Suhrkamp-Autor. Zuletzt erschien von ihm „WÜ“, womit auch eine Katze gemeint ist, mit der sich der Dichter unterhält.
„Wenn die Erinnerung verblasst, hat die Barbarei gesiegt“. Unter diesem Motto hat Sonja Lahnstein-Kandel mit ihrer Organisation „step 21 – Initiative für Toleranz und Verantwortung“ nach dem Massaker der Hamas im Herbst 2023 „siebteroktober.de“ gegründet. Die Website ist ein Mahnmal gegen das Vergessen, zugleich Kampagne gegen den seither zunehmenden Antisemitismus, gegen Täter-Opfer-Umkehr und für Verständigung und ein friedliches Miteinander – wie es die Volkswirtin als Jüdin und Tochter kroatischer Holocaust-Überlebender bereits mit „step 21“ in Haifa, Hamburg und Jerusalem praktiziert.
Deutschland 1933 bis 1945: „Wie konnte das geschehen“? Fragt der Historiker Götz Aly in seinem neuen Buch. Ohne Unterstützung aus der Mitte der Gesellschaft, ohne „die Masse der Mitte“, wie Hitler sagte, wären NS-Diktatur und NS-Verbrechen nicht möglich gewesen. Lautet eine wesentliche Antwort. Aber auch ohne Protestanten als Kernklientel der Nazis wäre der NS-Staat nicht realisiert worden. Gerade die vielen jungen – und protestantischen – Wählerinnen und Wähler hätten der NSDAP 1932 zum Wahlerfolg verholfen. „Nicht unaktuell“ findet Götz Aly dies. Kann man aus der Geschichte für heute lernen?
„Wer nur auf Wiederkehr schaut, verpasst die Unterschiede, auf die es ankommt.“ Schreibt der Publizist Jens Bisky in seinem aktuellen Buch „Die Entscheidung – Deutschland zwischen 1929 und 1934“. Und warnt damit vor einer Gleichsetzung Weimarer Verhältnisse mit heutigen politischen Verhältnissen. Neben seiner Tätigkeit als Feuilletonredakteur der SZ, schrieb er u.a. Bücher über die Deutsche Einheit und Heinrich von Kleist. Seit 2021 ist der gebürtige Leipziger Redakteur beim Hamburger Institut für Sozialforschung. Seine Autobiografie trägt den Untertitel „Der Sozialismus und ich“.
„Wish you were queer“. Unter diesem Titel thematisiert das Museum im Prediger in Schwäbisch Gmünd die Sichtbarkeit und Un-Sichtbarkeit von LSBTI* in Kunst und Geschichte: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgeschlechtliche und Intersexuelle, die seit Jahrhunderten oft Ächtung und Verfolgung erfuhren. Ihr Leben konnte in der Kunst lange nur codiert dargestellt werden, etwa von Albrecht Dürer in Werken voller homosexueller Chiffren. Auch im Alltag konnten sich LSBTI* noch im 20. Jahrhundert nur mit Hilfe von Codes begegnen – als „Gleichgesinnte“. Für Kurator Martin Weinzettl ein Herzensprojekt.
„Noch nie gab es so viel Reichtum. Und das ist ein Problem für uns alle“. Schreibt die Politikwissenschaftlerin Martyna Linartas in ihrem Buch „Unverdiente Ungleichheit“. Sie plädiert für eine Umverteilung von Vermögen. Und für einen Perspektivwechsel: Steuern sollten nicht als Last empfunden werden, sondern als Instrument für eine gerechtere Gesellschaft. Martyna Linartas kam im Alter von einem Jahr mit ihren Eltern aus Polen nach Deutschland. 2022 gründete sie die Plattform „ungleichheit.info“. Sie lehrt an der FU Berlin und an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz.
„Social Fabric“ nennt die Künstlerin Nevin Aladağ ihre Bilder, mit denen sie Vielfalt sichtbar macht, indem sie Teppiche unterschiedlicher Herkunft zu einem Patchwork verbindet. Wenn sie Möbelstücke in Musikinstrumente verwandelt, wie 2017 bei der Documenta in Athen, hält sie der bürgerlichen Mehrheitsgesellschaft einen Spiegel vor – und schafft zugleich Raum für Resonanz. Im Video „Traces“ geht sie eigenen Lebenspuren nach und bringt den Sound ihrer Heimatstadt Stuttgart zum Klingen. 2025 wurde sie dafür mit dem Landespreis für Bildende Kunst des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.
Mwangi Hutter ist ein Künstler-Duo mit einer Persönlichkeit: „die Geschichte zweier Individuen, die zu einem Künstler verschmelzen“. So stellt sich das Paar auf seiner Website vor. In ihrer Kunst zeigen Mwangi Hutter, wie konventionelle Vorstellungen von Identität und Geschlecht, sozialer und kultureller Herkunft überwunden werden können. Geboren in Nairobi und in Ludwigshafen am Rhein, haben sich die beiden während des Studiums in Saarbrücken kennengelernt. Ihre Arbeiten wurden bei der documenta, der Venedig-Biennale, im Brooklyn Museum New York und im Centre Pompidou Paris gezeigt.
Ebele Okoye hat einen weiten Weg gemacht: 1969 mitten im Bürgerkrieg Nigerias in großer Armut geboren, gelang ihr 2000 die legale Einwanderung nach Deutschland. Ab 2003 studierte sie in Köln ihr Wunschfach Trickfilm- und Animationszeichnerin. Heute nennt man sie „Mother of African Animation Movie“: die erste Trickfilmerin aus einem afrikanischen Land. Bekannt auch für ihre Social-Media-Videos. Seit Jahren engagiert sie sich in der Frauen- und Nachwuchs-Förderung, in Berlin wie in Lagos. Ein Gespräch über kindliche Einsamkeit im Dschungeldorf, zerlegte Radios und die Kraft der Fantasie.
„Sich nicht erklären müssen, sei das größte Privileg“ hat die afrodeutsche Schauspielerin Lara-Sophie Milagro mal gesagt. Denn sie muss und musste sich in ihrem Leben immer wieder erklären: als einziges schwarzes Mädchen in ihrer Schule, die trotz sehr guter Noten eine Realschulempfehlung bekam; als schwarze Schauspielerin, der in den ersten Jahren zunächst nur stereotype Rollen angeboten wurden, der man sagte, dass sie ja als Schwarze „Lady Macbeth“ nicht spielen könne.
„Grundsätzlich geht’s in meinen Arbeiten um die Identifikationsfrage einer Schwarzen Frau in einer weißen Mehrheitsgesellschaft“. Joséphine Sagnas Gemälde Schwarzer Frauen sind groß, laut, leuchtend, farbig, expressiv, emotional. Ein gesellschaftspolitisches Statement. Und pures Empowerment. Sie heißen „teach optimism“, „smash it“, „all eyes on me” oder „on my terms“. Joséphine Sagna, 1989 in Stuttgart geboren und in Ulm aufgewachsen, sagt über sich selbst: „Ich bin keine Künstlerin, die vorsichtig arbeitet“. Sie lebt und arbeitet in Südfrankreich.
„Schwarz. Deutsch. Weiblich“. Unter diesem Titel verbindet Natasha A. Kelly ihre eigene Geschichte mit der Kulturgeschichte Schwarzer Frauen in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert: Geschichten, die oft verschwiegen, übergangen, unsichtbar gemacht wurden. Um das zu korrigieren, ist sie Gründungsmitglied des „Black European Network“ zur Verbreitung Schwarzer Europäischer Geschichte, leitet „Black German Arts and Culture“, das erste Institut für Schwarze deutsche Kunst, und „X. Das Magazin für Afrokultur“. Als Gastprofessorin für Kulturwissenschaft lehrt sie an der Universität der Künste Berlin.
„Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher“. Der Titel sagt alles über strukturelle Armut und fehlende Möglichkeiten sozialen Aufstiegs in Deutschland. Oder einfach über „die Lüge von der Chancengleichheit“. Davon handelt das aktuelle Buch von Ciani-Sophia Hoeder. Sie war 14 Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter zum ersten Mal zur Berliner Tafel ging und sich dafür schämte, dass die Familie arm war – weil Armut immer noch als persönliches Versagen gilt. Nach dem Studium in London arbeitete die Journalistin für die WELT. 2019 gründete sie RosaMag, ein Online-Magazin für Schwarze Frauen in Deutschland.
Mit dem „House of Saint Laurent“ prägte Sophie Yukiko die deutsche Voguing- und Ballroom-Szene, ursprünglich eine queere Schwarze Subkultur in New York, heute auch eine wichtige Inspiration für Mode und Mainstream, von Dior bis Beyoncé. Als Choreografin beschäftigt sie sich mit exzessivem Tanz als spiritueller Praxis und dem Erbe westafrikanischer Schwarzer Kulturen in Techno und Rave. Auch ihr Tanzfilm „Indigo“ erinnert an solche fast vergessenen transatlantischen Verbindungen. Dabei setzt sie „Erbwissen versus Erbtrauma“. Als Performerin tanzt sie im Schlagerballett „Ich nehm dir alles weg“.
„Warum unsere Gesellschaft Arbeitslose verachtet und sie dennoch braucht – als drohendes Bild des Elends, damit alle anderen wissen, dass sie das Richtige tun, nämlich arbeiten“. Das beschreibt die Journalistin und Buchautorin Anna Mayr, die als Kind von Langzeitarbeitslosen aufgewachsen ist. Vor allem analysiert sie, warum Armutsbetroffenen falsche Vorteile begegnen: faul, desinteressiert, ungebildet. Und Armut gewollt ist – „welches System dahintersteckt“. Im Grunde, wie schon Bertolt Brecht den Armen sagen lässt: „Wär‘ ich nicht arm, wärst du nicht reich“. Wie geht dann Menschlichkeit?
Empathie – haben wirklich alle Menschen diese Fähigkeit? Der Perspektivwechsel, die Sichtweise anderer einnehmen zu können und ihre Emotionen wahrzunehmen, gilt als Grundlage der Ethik. Aber ist das schon Mitgefühl? Oder Mitleiden können? Und warum haben nicht alle Mitgefühl? Und warum nicht mit allen? Sind Populisten nicht extrem empathisch? Hat Empathie also eine abgründige Seite und gerade das sensible Erfassen von Gefühlslagen anderer kann der Manipulation dienen, im Alltag wie in der Politik? Als Philosophin erforscht Susanne Schmetkamp Empathie und ihre Bedeutung für unser Miteinander.
„Rausländer“ nennt die Journalistin und Autorin Waslat Hasrat-Nazimi ihr neues Buch über „die katastrophalen Folgen von Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung“. Denn die sind ebenso politisch wie persönlich: „Unsere Koffer sind gepackt“ – weil Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland Angst um ihre Sicherheit haben. Weil sie Hass, Hetze und Übergriffe erleben, nicht erst seit der Bundestagswahl. Was können wir dem – und dem Gefühl zunehmender Entfremdung bei den Betroffenen – entgegensetzen? Fragt die Leiterin der Afghanistan-Redaktion der Deutschen Welle. Sie plädiert für Respekt.
„Heimat Mensch“. Mit diesem Buchtitel fragt der Ethnologe Christoph Antweiler, was uns als Menschen verbindet – welche Erfahrungen, Vorstellungen, Sehnsüchte und Gefühle, welche Bedürfnisse und Tabus wir alle teilen, egal in welcher Kultur und in welcher Gesellschaft wir leben, von welcher Religion und welcher sozialen Herkunft wir geprägt wurden. Und weshalb wir die kulturelle Vielfalt nicht dazu nutzen sollten, Differenzen zu konstruieren, die uns trennen – weder kollektiv noch individuell. Können auf der Basis solcher Universalien Normen für ein globales Miteinander formuliert werden?
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