„Miss Sara Jevo“ am Nationaltheater Mannheim – Als Drag-Queen mit dem Bus auf den Balkan
Update: 2025-11-26
Description
Eine Busreise in die eigene Vergangenheit
Mein erstes Mal an einem Busbahnhof war am 25.12.1991 in Sarajevo. Ich war drei Jahre alt. Meine Eltern haben das Haus verschlossen, den Jugo in der Garage geparkt. Der Salon und die Boutique wurden verriegelt. Drei Koffer und ein kleiner silberner Kinderrucksack wurden gepackt. Meinem Vater wurden bei seinen Einkaufsreisen Waffen angeboten. Niemand in der Familie hatte geglaubt, dass Krieg kommt.Quelle: Miss Sara Jevo alias Sandro Šutalo
Miss Sara Jevo alias Sandro Šutalo steht auf der Bühne und hat Angst. Angst davor, wieder in einen Bus einzusteigen. Diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Von Deutschland nach Sarajevo. Eine Reise in die eigene Vergangenheit.
Es geht um die Aufarbeitung der eigenen Biografie
Was das für ihn bedeutet, hat der Schauspieler Sandro Šutalo zuerst unterschätzt. „Das eine ist natürlich, als Dragqueen, als „Miss Sarajevo“ auf der Bühne zu stehen und einfach mit gebrochenem Deutsch witzige, berührende Sachen manchmal zu fabrizieren“, erzählt er.
„Das andere ist, sich hinzusetzen und seine Biografie aufzuarbeiten. Und es sind ein paar Tränen geflossen, weil natürlich dann Sachen hochkommen.“
Doch die Drag-Queen Miss Sara Jevo überwindet ihre Angst und setzt sich auf einen der ausgebauten Linienbus-Sitze, die auf der Bühne stehen. Als sie von einer Sitznachbarin serbische Pralinen angeboten bekommt, wird sie plötzlich von Kindheits-Erinnerungen überschwemmt.
In Sarajevo traf er ein Drag-Kollektiv
Sieben Jahre war Sandro Šutalo nicht in seiner alten Heimatstadt Sarajevo, weil er die starken nationalistischen Strömungen dort ablehnt und sich als queere Person bedroht fühlte.
Aber als er für die Recherche zu der jetzigen Theaterproduktion im vergangenen Sommer wieder dort war, hatte sich einiges verändert, erzählt er. Er traf ein Drag-Kollektiv, das sehr selbstbewusst seinen Platz in der Gesellschaft einfordert.
Die Figur „Sara Jevo“ ist mehr als eine Rolle
Auf dieser Reise begleitet hat ihn die befreundete Regisseurin Milo Čortanovački. Ohne sie würde es den Theaterabend „Miss Sara Jevo“ gar nicht geben. Die beiden haben sich vor zwei Jahren kennengelernt: Milo Čortanovački war damals noch Regie-Assistentin am Nationaltheater Mannheim und Sandro Šutalo war als Schauspieler zum Vorsprechen da.
Zwischen den beiden hat es gleich eine starke Verbindung gegeben, auch weil beide aus Ex-Jugoslawien stammen und queer sind. Sie entwickelten gemeinsam ein kleines Kabarett-Programm und erfanden die Figur „Sara Jevo“, die eben nicht einfach eine Rolle, sondern ein Teil von Sandro Šutalo ist.
Sie fragen sich bestimmt: wer ist diese äußerst brutal charmante Frau? Erstmal, ich bin keine Frau. Und ich bin auch kein Mann. Ich bin, wie sagte letztens das kleine süße Mädchen: Papa, Papa – eine Mannfrau!Quelle: Miss Sara Jevo alias Sandro Šutalo
20 Stunden unterwegs auf den Balkan – viele aus Ex-Jugoslawien kennen dieses Gefühl
Der Mannheimer Schauspieldirektor Christian Holtzhauer hat Sandro Šutalo und Regisseurin Milo Čortanovački ermuntert, die Figur weiterzuentwickeln und einen abendfüllenden Bühnen-Monolog zu erarbeiten. Für sie beide wurde daraus ein Herzensprojekt, erklärt Milo Čortanovački:
„Wir haben uns schon ganz am Anfang vom Prozess gedacht: Was sind denn Themen, die uns wirklich interessieren in dieser ganzen Thematik? Vor allem, weil wir mit Drag arbeiten, ging es dann um Weiblichkeit, Männlichkeit, Schande, Scham und das Reisen an sich.
In diesem Stück machen wir diese Heldinnenreise mit und wir sind mit einem Bus unterwegs. Und ich glaube, viele Menschen aus Ex-Jugoslawien kennen dieses Gefühl, 20 Stunden in den Balkan zu fahren.“
Miss Sara Jevo perfomt mit viel Humor, auch schrill und derb
Am Ende dieser Reise ist sich Miss Sara Jevo selbst nähergekommen. Im Verlauf des Abends werden schwere Themen wie Krieg, Nationalismus, Männlichkeitsideale und Queer-Feindlichkeit verhandelt. Doch Miss Sara Jevo performt das alles mit viel Humor, stellenweise sehr schrill und derb:
„Und durch diese Dreckigkeit versuche ich halt, das Publikum ein bisschen aufzulockern. Und wenn ich sie da auf eine gewisse Art und Weise irgendwann habe, kann ich sie dann emotional auch noch schnappen.“
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