#110 Fearless Polizei — Interview mit Samiah El Samadoni – Beauftragte für die Landespolizei SH über Kommunikation …
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Gerade weil die Polizei aus ihrer Historie und Struktur anders funktioniert als ein agiles Startup, ist die Frage nach der Kultur innerhalb der Polizei, nach der Fehler- und Kommunikationskultur super spannend. Samiah El Samadoni, Juristin, Mediatorin und Beauftragte des Landtags Schleswig-Holstein für die Landespolizei, soziale Angelegenheiten, Kinder und Jugendliche und Leiterin der AntiDiskriminierungsstelle, berichtet im Podcast sehr offen über die Lernfelder der Polizei in Schleswig-Holstein. Schleswig-Holstein gehört mit Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern zu den einzigen vier Bundesländern, die eine solche Stelle eingerichtet haben. Zwei weitere Bundesländer sind gerade dabei, eine solche Stelle einzurichten, die restlichen Bundesländer dürfen hier ein bisschen Tempo aufnehmen. Denn es scheint wichtig, dass Polizist:innen und Bürger:innen eine unabhängige Stelle haben, an die sie sich wenden können. Immerhin geht seit 2016 im Durchschnitt eine Petition pro Tag bei Samiah und ihren Kolleg:innen ein.
Es gehört einfach dazu, sich dieser Kritik zu stellen und über Defizite offen zu sprechen
Aus der Historie ist die Polizei eine streng hierarchisch geführte Organisation in der Befehl und Ordnung – auch Unterordnung – stark gelebt werden. Muss sich im Zuge einer Gesellschaft, die durch kontinuierliche Veränderung und Komplexität gekennzeichnet ist, nicht auch die Polizei verändern?
„Ich bin jetzt seit fünf Jahren Polizeibeauftragte und ich habe wirklich ganz fantastische Führungskräfte in der Polizei kennengelernt. Mit einer großen
Gelassenheit, Souveränität, Empathiefähigkeit und Kommunikationsfähigkeit. Wenn wir Themen haben und Konflikte bearbeiten müssen, stellen mein Team und ich hier immer wieder fest, dass wir manchmal nur eine Initialzündung zu geben und darauf hinzuweisen brauchen und dann wird das ganz hervorragend bearbeitet“, erklärt die Beauftragte des Landtags Schleswig-Holstein für die Landespolizei.
”Das gibt es und das muss man einfach auch erwähnen, damit hier nicht so ein einseitig Bild entsteht. Es gilt natürlich, Dinge zu optimieren: Das ist zum einen der offene Umgang mit konstruktiver Kritik, der stattfinden muss und zum anderen auch eine gewisse Fehlerkultur. Wir haben beispielsweise festgestellt, dass es eigentlich ein Verfahren, eine anonymisierte Rückmeldung für die Führungskräfte gibt, die innerhalb der gesamten Landesverwaltung in Schleswig-Holstein gilt. Das heißt, die Mitarbeitenden bekommen die Gelegenheit ganz anonym, ihre Führungskraft zu bewerten.
Es wird der Führungskraft gegenüber offengelegt und dann gibt es idealerweise dazu ein Gespräch, bei dem niemand offenlegen muss, was er angekreuzt hat. Aber es gibt dann einen Austausch über Führung, über Dinge, die gut laufen, über Dinge, die vielleicht nicht so gut laufen. Es gibt eben die Möglichkeit für die Führungskraft, sich zu reflektieren und auch vielleicht Dinge zu ändern oder anzupassen. Nun haben wir festgestellt: Obwohl es eigentlich verpflichtend vorgesehen ist, dieses Rückmeldeverfahren regelmäßig durchzuführen, ist es eher der Regelfall, dass es diese Verfahren überhaupt nicht gibt. Innerhalb der Landespolizei und auch in der Verwaltung gibt es da sicherlich generell Nachholbedarf.“
”Ich finde, dass es einfach mit dazugehört, sich dieser Kritik zu stellen, über Defizite offen zu sprechen, an sich zu arbeiten und hier auch dem Anspruch der Mitarbeitenden besser gerecht zu werden. Ich sehe es eben doch mit Besorgnis, dass es zu dieser Art der Kommunikation gar nicht kommt. Dann erleben wir leider auch in manchen Bereichen, dass eine Führungskraft ein eigenes Bild von sich selbst hat, das
überhaupt nicht dem entspricht, was uns von Mitarbeitenden berichtet wird. Diese Wahrnehmung und die Abwesenheit jeglicher Kommunikation zu diesem Thema führt dann dazu, dass diese Kluft immer größer wird und es letztlich auch im Kontext der Führung nicht besser werden kann, weil es überhaupt keinen Anhaltspunkt für die Führungskraft gibt, sich selbst mal zu hinterfragen.“
Es gibt ein sehr starkes Bemühen, ein Umfeld bei der Polizei zu schaffen, in dem Menschen mit Migrationshintergrund willkommen sind
Auch wenn die stereotype Wahrnehmung der meisten Menschen durch die Medien geprägt ist, stellt sich die berechtigte Frage, ob die Polizei erst einmal befähigt werden muss, überhaupt Vielfalt auf den unterschiedlichsten Ebenen leben zu können.
„Nein, das würde ich nicht sagen. Das wird so nicht an uns herangetragen“, entgegnet Samiah und führt aus: „Was immer mal wieder thematisiert wird, ist der Wunsch nach einem sensibleren Umgang mit Sprache. Ob nach der unsäglichen Silvesternacht in Köln, ob vom Nafri, [nordafrikanische Intensivtäter] herabwürdigend als Abkürzung gesprochen wird, oder ob andere Begriffe verwendet werden - es wird weder der Angelegenheit nicht gerecht und ich wünsche mir einfach, dass eine größere Sensibilität an den Tag gelegt wird."
”Es ist für mich eine Führungsaufgabe, darauf zu achten, dass man bei der Sprache sensibel bleibt und nicht eine Haltung oder eine Wahrnehmung einfließen lässt, die einzelne Menschen abwertet. Wenn solche Begriffe gesagt werden, ist das rassistisch und das ist nicht gut. Nicht jeder, der solche Begriffe verwendet, ist ein knallharter Rassist. Aber wenn da nicht die Führungskraft kommt und sagt: ‚Pass mal auf, das ist nicht in Ordnung, das sagst du bitte nicht!‘, dann entsteht da was Ungutes und da würde ich mir einfach mehr Sensibilität wünschen.“
”In diesem Kontext sage ich aber, dass man nicht davon sprechen kann, es gäbe innerhalb der Landespolizei keine Kompetenzen, mit dieser Vielfalt umzugehen. Es gibt ein sehr, sehr großes Bemühen - gerade bei den Führungskräften auch bis in die obersten Ebenen - ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen mit Migrationshintergrund willkommen sind und ganz besonders auch Ansätzen von Rassismus entgegenzuwirken. Das haben wir eigentlich immer fest im Blick und wenn es mal ausnahmsweise Gegenstand von Eingaben oder Beschwerden ist, gibt es eine hohe Sensibilität und es wird konsequent mit diesen Fällen umgegangen.“
”Ich würde dies gerne noch um einen Gedanken ergänzen: Man muss einfach wahrnehmen, dass wir ein gesamtgesellschaftliches Thema haben, wenn es um Rassismus geht. Das kann ich auch als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle nur bestätigen. Es ist nicht exklusiv beschränkt auf bestimmte Bereiche in unserer Welt. Selbstverständlich wäre es jetzt total überraschend, wenn wir keinen Rassismus innerhalb von Sicherheitsbehörden, dazu zählt auch die Polizei, hätten, weil wir auch da der Spiegel der Gesellschaft sind.“
”Natürlich gibt es diese Fälle und natürlich gibt es auch bestimmte Dinge, die man präventiv verbessern kann, um das aufzugreifen, zu verhindern und um damit noch besser umzugehen. Natürlich auch um dafür zu sorgen, dass ein Beamter, der schließlich auch bewaffnet ist, kein Rassist sein darf.“
– Links –
Samiah El Samadoni
Die Website der Beauftragten für die Landespolizei Schleswig-Holstein
– Medien –
Die Wache Der Film von Eva Wolf, die über Monate Beamte einer Polizeiwache in Münster begleitete. Aktuell auch in der Mediathek von ZDF und 3Sat
Auf dem rechten Weg? — Rassisten und Neonazis in der deutschen Polizei.
von Aiko Kempen. Das Buch über Geniallokal.de
The Culture Code The Secrets of Highly Successful Groups von Daniel Coyle. Das Buch über Geniallokal.de



