#124 Fearless Agile — Interview mit Patrick Becker (KJSH), Uli Lau und Alex Frosch von Agile Nord …
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Wenn Kompetenzen so ausgeprägt und eindeutig verteilt sind, dass Hierarchie keinen Sinn mehr macht, stellt sich die Frage: Wie soll eine Organisation aufgestellt sein, wenn die Führungskraft in den Kompetenzfeldern der Mitarbeitenden inhaltlich weder notwendig noch sinnvoll ist? Ist Selbstorganisation dann der logische nächste Schluss? Patrick Becker stand als Regionalleiter des Kinder- und Jugendhilfe-Verbunds in Ostholstein, Plön und Neumünster vor diesem Dilemma und hat mit der Unterstützung von Ulrike Lau und Alexander Frosch von Agile Nord sein Team in neue Arbeitswelten und Formen geführt.
Die Wahrheit tut immer weh und immer gut
Das Sichtbarmachen im Prozess zeigt, welche Aufgaben und Verantwortungen es gibt. Es wird absolut transparent, was für einen Haufen Arbeit jemand hat und auch wieviel davon unsinniger Kram ist, für den am Ende kaum bis keine Honorierung oder Lob bleibt. Theoretisch ist dies ein riesiges Potenzial für Frust.
„Mein Gefühl ist eher, dass es nicht zu Frust führt. Es geht eher nach dem Motto: Wahrheit tut immer weh und immer gut,“ sagt Uli Lau von Agile Nord. „Es wurde sichtbar, wieviel jemand auf dem Tisch hat. Und auch die Kollegen untereinander haben zu sehen bekommen, an welcher Stelle man sich mit Aufgaben beschäftigt, die die anderen Kollegen gar nicht präsent haben und wieviel Zeit und Aufwand diese Aufgaben kosten. Ich würde sagen, es ist eher zu einer Würdigung gekommen.“
Ich verpflichte mich mich einzubringen und dass ich gesund bleiben
„Ich glaube, es ist unabhängig davon, ob eine Methode eingesetzt wird, oder ob diese Teams jetzt wirklich digitalisiert arbeiten oder mit Papier. Wir erleben in diesem Team, dass es eine besondere Haltung gibt, die sagt: Ich verpflichte mich bestmöglich mich, mein Unternehmen, meinen Arbeitgeber, mein Arbeitsfeld nach vorne zu bringen, und zwar so, dass ich gesund bleiben kann und dass ich das tue, wofür ich ausgebildet bin.
Wenn wir Scrum oder ein agiles Rahmenwerk einführen, um möglichst viel Arbeit besser und schneller von der Platte zu bekommen, dann ist das nur ein Teil. Der andere Teil ist, dass wir auch Menschen haben, die sich schnell erschöpfen. Das heißt, wenn ich in einer Haltung bin, in der ich von oben eine notwendige Aufgabe bekomme und mit gutem Gewissen sagen kann: ,Leute, ich kann heute nicht, ich bin mit anderen operativen Sachen beschäftigt. Ich habe einen akuten Fall von Kindeswohlgefährdung — bei dem pädagogischen Team zum Beispiel — und diese Aufgabe kann ich nicht bewältigen,‘ dann ist das transparent und sichtbar für alle und es sieht nicht so aus, als hätte ich keine Lust.
Es geht um die Verpflichtung, dieses Vertrauen und den Mut sagen zu können, habe ich eigentlich gerade noch Luft oder habe ich keine. Wir bekommen letztendlich mehr geschafft, wenn wir auf diese Form von Ehrlichkeit miteinander bauen. Es wird sichtbarer, es wird konkreter und ich kann hoffentlich ein Stück gesünder bleiben, wenn ich mich traue zu sagen: ,Jetzt bin ich voll.‘
Auch die Führung kann sehen und ganz klar nachvollziehen: ,Okay, mehr geht gerade nicht.‘ Das macht eine andere Stimmung und eine andere Haltung und eine andere Möglichkeit, Arbeit auch selber zu gestalten. Ich darf auch sagen: ‚Ich bin diesen Monat nicht gut drauf, weil ich zu pflegende Eltern im Hintergrund habe. Ich kann gar nicht so viel leisten.‘ So ist es nunmal und es ist transparent und ich weiß, es kommen auch wieder andere Phasen.“



