#76 Alte Märchen - Simeliberg
Description
Als der Arme von zwei Brüdern zu etwas Geld und Wohlstand kommt, wird der Reiche sofort eifersüchtig und möchte das Geheimnis des armen Bruders erfahren. Ob ihm das gelingt und welches Geheimnis sich hinter dem glücklichen Wohlstand verbirgt, das erfahrt ihr in diesem Alten Märchen.
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Simeliberg
Ein Märchen der Gebrüder Grimm
Es waren zwei Brüder, der eine war reich und der andere arm. Der Reiche gab dem Armen nichts, und der musste sich vom Kornhandel kümmerlich ernähren; da ging es ihm oft so schlecht, dass er für seine Frau und Kinder kein Brot hatte. Eines Tages fuhr er mit seinem Karren durch den Wald, da erblickte er an der Seite einen großen, kahlen Berg, und weil er den noch nie gesehen hatte, hielt er still und betrachtete ihn mit Verwunderung. Und wie er da so stand, sah er zwölf wilde, große Männer daherkommen; weil er nun glaubte, das wären Räuber, schob er seinen Karren ins Gebüsch und stieg auf einen Baum und wartete, was geschehen würde.
Die zwölf Männer gingen aber an ihm vorbei und riefen: "Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich auf." Sofort tat sich der kahle Berg in der Mitte voneinander, und die zwölfe gingen hinein, und wie sie drin waren, schloß er sich zu. Nach einer kleinen Weile aber tat er sich wieder auf, und die Männer kamen heraus und trugen schwere Säcke auf den Rücken, und wie sie alle wieder am Tageslicht waren, sprachen sie: "Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich zu." Da fuhr der Berg zusammen, und es war kein Eingang mehr an ihm zu sehen, und die zwölf gingen fort.
Als sie nicht mehr zu sehen waren, stieg der arme Bruder vom Baum herunter und war neugierig, was wohl im Berg Heimliches verborgen wäre. Also ging er davor und sprach: "Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich auf," und der Berg tat sich auch vor ihm auf. Da trat er hinein, und der ganze Berg war eine Höhle voll Silber und Gold, und hinten lagen große Haufen Perlen und blitzende Edelsteine. Der Arme wußte gar nicht, was er anfangen sollte und ob er sich etwas von den Schätzen nehmen dürfte; endlich füllte er sich die Taschen mit Gold, die Perlen und Edelsteine aber ließ er liegen. Als er wieder herauskam, sprach er ebenfalls: "Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich zu," da schloß sich der Berg, und der arme Bruder fuhr mit seinem Karren nach Haus.
Nun brauchte er sich nicht mehr zu sorgen und konnte mit seinem Golde für Frau und Kind Brot und auch Wein dazu kaufen, lebte fröhlich und redlich, gab den Armen und tat jedermann Gutes. Als aber das Geld zu Ende war, ging er zu seinem Bruder, lieh sich eine Tonne und holte sich von neuem; doch rührte er von den großen Schätzen nichts an. Wie er sich zum drittenmal etwas holen wollte, borgte er bei seinem Bruder abermals die Tonne.
Der Reiche war aber schon lange neidisch über das Vermögen und den schönen Haushalt, den sich sein Bruder eingerichtet hatte, und konnte nicht begreifen, woher der Reichtum käme und was sein Bruder mit der Tonne anfinge. Da dachte er eine List aus und bestrich den Boden mit Pech, und wie er das Maß zurückbekam, so war ein Goldstück darin hängengeblieben. Alsbald ging er zu seinem Bruder und fragte ihn: "Was hast du mit der Tonne gemacht?"
"Korn und Gerste," sagte der andere. Da zeigte er ihm das Goldstück und drohte ihm, wenn er nicht die Wahrheit sagte, so wollt er ihn beim Gericht verklagen. Er erzählte ihm nun alles, wie es zugegangen war. Der Reiche aber ließ gleich einen Wagen anspannen, fuhr hinaus, wollte die Gelegenheit besser benutzen und ganze Schätze mitbringen. Wie er vor den Berg kam, rief er: "Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich auf." Der Berg tat sich auf, und er ging hinein. Da lagen die ganzen Reichtümer alle vor ihm, und er wußte nicht, wozu er am ersten greifen sollte, endlich lud er Edelsteine auf, soviel er tragen konnte.
Er wollte seine Schätze hinausbringen, weil aber Herz und Sinn ganz voll von den Schätzen waren, hatte er darüber den Namen des Berges vergessen und rief: "Berg Simeli, Berg Simeli, tu dich auf." Aber das war der rechte Name nicht, und der Berg regte sich nicht und blieb verschlossen. Da ward ihm angst, aber je länger er nachsann, desto mehr verwirrten sich seine Gedanken, und halfen ihm alle Schätze dieser Welt nichts mehr.
Am Abend tat sich der Berg auf, und die zwölf Räuber kamen herein, und als sie ihn sahen, lachten sie und riefen: "Vogel, haben wir dich endlich, meinst du, wir hätten's nicht gemerkt, dass du zweimal hereingekommen bist, aber wir konnten dich nicht fangen, zum drittenmal sollst du nicht wieder heraus." Da rief der reiche Bruder: "Ich war's nicht, mein Bruder war's," aber er mochte bitten um sein Leben und sagen, was er wollte, sie schlugen ihm das Haupt ab.