Die Dolchstoßlegende - radioWissen
Description
Ein Dolchstoß von hinten? Verrat an den kämpfenden Soldaten? Am Ende des Ersten Weltkrieges verschleierte die kaiserliche Militärführung ihr Scheitern. Rechte Verschwörungslegenden machten stattdessen die demokratischen Politiker der Weimarer Republik für die Kriegsniederlage verantwortlich. Und zur Zielscheibe rechter Gewalt. Von Renate Eichmeier
Credits
Autorin dieser Folge: Renate Eichmeier
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Christian Baumann
Technik: Daniela Röder
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Prof. Dr. Martina Steber, Professorin für Neueste Geschichte an der Universität Augsburg und Stellvertretende Direktorin des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin
Diese hörenswerten Folgen von Radiowissen könnten Sie auch interessieren:
ALLES GESCHICHTE - HISTORY VON RADIOWISSEN
ERSTER WELTKRIEG - Die Schüsse von Sarajewo
Sarajewo, 28. Juni 1914: Schüsse eines Attentäters treffen Erzherzog Franz Ferdinand, den Thronfolger vonÖsterreich-Ungarn, und seine Gattin Sophie. Einen Monat später stellt sich heraus: Es waren die ersten Schüsse des Ersten Weltkriegs. Die Hintergründe, die zum Ausbruch dieser "Urkatastrophe" führten, sind komplex. Bis heute werden sie intensiv diskutiert. Von Thomas Morawetz (BR 2008) HIER ENTDECKEN
ALLES GESCHICHTE - HISTORY VON RADIOWISSEN
ERSTER WELTKRIEG - Von der Euphorie in den Abgrund
Im August 1914 war Deutschland siegesgewiss, doch bald trat Ernüchterung ein. Viele Soldaten und weite Teile der Zivilbevölkerung wurden des Krieges überdrüssig. Aber die deutsche Politik trieb den Krieg unbeirrt weiter - bis zum großen Zusammenbruch im Sommer 1918. Von Rainer Volk (BR 2014) HIER ENTDECKEN
ALLES GESCHICHTE - HISTORY VON RADIOWISSEN
ERSTER WELTKRIEG - Der Versailler Vertrag
Die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs waren gerade erst ein halbes Jahr eingestellt, doch nun standen alliierte Truppen bereit, um in Deutschland einzumarschieren. Ende Juni 1919 sollte die deutsche Delegation ultimativ die Bestimmungen des Versailler Vertrags unterzeichnen, sonst wollten die Alliierten die Unterschrift erzwingen. Die deutsche Seite hatte die Vertragsbedingungen zunächst als "unerträglich" zurückgewiesen. Jetzt gab sie nach. Von Thomas Morawetz (BR 2010) HIER ENTDECKEN
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Die Grandauers und ihre Zeit
Hörspielkult aus den 1980ern präsentiert von Christine Neubauer, die 1987 als Traudel Grandauer mit der TV-Serie "Löwengrube" ihren schauspielerischen Durchbruch hatte: Die Jahre 1893 bis 1945, fünf Jahrzehnte bayerische und deutsche Geschichte: "Die Grandauers und ihre Zeit" erzählt das Leben von Kriminaloberwachtmeister Ludwig Grandauer und dessen Sohn, dem Münchner Kriminalkommissar Benno. Drei Generationen einer Münchner Familie durchleben und durchleiden Träume, Hoffnungen und Kriege.
Die Hörspielserie ist Vorlage für die TV-Kultserie "Löwengrube", für die Willy Purucker mit dem Bayerischen Fernsehpreis (1991) und dem Adolf-Grimme-Preis in Gold (1992) ausgezeichnet wurde. Hinweis: Diese Hörspielproduktion enthält diskriminierende Formulierungen.
JETZT ENTDECKEN
Literatur:
Boris Barth: Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1914 – 1933, ein dickes Standardwerk, mit vielen Details, Auswertung zahlreicher Quellen, gut geeignet um verschiedene Themenbereich nachzulesen
Gerhard P. Groß: Das Ende des Ersten Weltkrieges und die Dolchstoßlegende – für militärisch Interessierte, Details zur militärischen Situation am Kriegsende und vieles über Ludendorff und Hindenburg.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
JETZT ENTDECKEN
Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Atmo: Schüsse
ERZÄHLERIN:
26. August 1921. Gegen 11 Uhr vormittags. In der Nähe von Bad Griesbach hallen Schüsse durch den Schwarzwald. Sie gelten einem Mann, der mit einem Parteikollegen einen Spaziergang in seiner schwäbischen Heimat macht: Matthias Erzberger, Mitte 40, Gehrock, dunkle Hose, schwarzer Hut, Politiker des katholischen Zentrums, bis vor wenigen Monaten Finanzminister der Weimarer Republik. Matthias Erzberger wird von den Schüssen schwer verletzt, versucht zu fliehen, stürzt an einem Abhang, am Boden liegend treffen ihn weitere Kugeln. Die beiden Attentäter kommen aus rechtsextremen Netzwerken. Vor seiner Ermordung wurde Matthias Erzberger wie andere führende Politiker der Weimarer Republik von rechtsnationalen Kreisen mit Hetzkampagnen gejagt.
ERZÄHLER:
Fort mit Erzberger! Vaterlandsverräter! Novemberverbrecher! Verrat an den kämpfenden Soldaten! Ein Dolchstoß von hinten!
ERZÄHLERIN:
Am Ende des Ersten Weltkrieges hatte die Militärführung des Deutschen Kaiserreiches ihr Scheitern verschleiert und damit den Boden für rechte Verschwörungslegenden bereitet. Diese machten die demokratischen Politiker der Weimarer Republik für die Kriegsniederlage verantwortlich. Und zur Zielscheibe rechter Gewalt.
O1 STEBER
In rechten Kreisen, in rechtsextremen Kreisen wird dieser Begriff des Dolchstoßes beständig überall aufgegriffen und wird zu einer Propaganda-Formel, zu einer Hetz-Formel, die Gewalt legitimiert, nämlich 'ne Gewalt, die sich dann in Morden an diesen führenden Vertretern der Novemberrevolution dann auch breit macht.
ERZÄHLER:
So die Historikerin Martina Steber, Professorin für Neueste Geschichte an der Universität Augsburg und Stellvertretende Direktorin des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin.
O2 STEBER
Man kann sagen, dass das die Funktion hat, die historische Realität tatsächlich zu verschleiern.
ERZÄHLERIN:
Die historische Realität? Um sie zu verstehen, muss man zurückgehen zum Beginn des Ersten Weltkrieges.
Musik: Huldigungsmarsch 0‘30
Atmo: Jubel, marschieren
Im August 1914 herrschte nationale Euphorie. Regimenter marschierten unter dem Jubel der Bevölkerung durch die Straßen. Im Reichstag stimmten alle Parteien inklusive der SPD für die Kredite, die zur Finanzierung des Krieges notwendig waren. Ein Ausflug nach Paris sollte es werden, ein kurzer, schneller Eroberungskrieg im Westen – gekrönt mit Annexionen.
Musik: War is coming 0‘50
Atmo: Kampf Krieg
Doch der deutsche Vormarsch im Westen stockte innerhalb kurzer Zeit. Die Front fraß sich ein. Ein zäher, brutaler Stellungskrieg mit unzähligen Toten folgte. Eine Seeblockade der Engländer schnitt die deutschen Nordseehäfen vom internationalen Handel ab. Es kam zu Lebensmittelknappheit und Mangel an kriegswichtigen Gütern. Zu Hause an der sogenannten Heimatfront verflog die nationale Hochstimmung. Die Menschen litten unter mangelnder Versorgung. Es kam zu ersten Krawallen und Streiks auf lokaler Ebene, die sich zunehmend ausweiteten und politisierten. Eine neue Oberste Heeresleitung unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff sollte ab Sommer 1916 für den entscheidenden militärischen Durchbruch sorgen. Doch der ließ auf sich warten. Die öffentlichen Diskussionen über die Beendigung des Krieges nahmen Fahrt auf.
ERZÄHLER:
Sollte man verhandeln? Sollte man weiterkämpfen? Siegfrieden? Oder Verhandlungsfrieden?
ERZÄHLERIN:
Die Gesellschaft spaltete sich, so die Historikerin Martina Steber, in zwei Lager.
O3 STEBER
Und da hat man auf der einen Seite ein rechtes Lager, das ganz deutlich auf einen Siegfrieden zielt, der gleichzeitig mit großen territorialen Annexionen rechnet, also eine Expansionspolitik, die sich ja in den Kriegszielen des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg auch zeigt und die das leitet und die dann gleichzeitig einen Verhandlungsfrieden ausschließt. Also es gibt nur einen Sieg, einen militärischen Sieg unter Einschluss eben von territorialen Gewinnen. Das ist das einzige Ziel, was akzeptabel ist.
ERZÄHLER:
Auf der anderen Seite, so Martina Steber, stehen diejenigen, die diesen propagierten Siegfrieden für unrealistisch halten.
O4 STEBER
Es sind die Gruppen, die Vertreter eben von Sozialdemokratie, von Linksliberalen und aus dem Zentrum vom politischen Katholizismus, die auf einen Verhandlungsfrieden unter Wegfall aller annexionistischer Ziele drängen –
ERZÄHLERIN:
darunter als führende Stimme: Matthias Erzberger –
O5 STEBER
Die werden als Verräter bezeichnet und zwar aus diesem rechten nationalistischen Lager. Das heißt, dieser Gedanke eines Verrats durch die Heimatfront, der ist