Politiker und Experten suchen in Wien Wege aus EU-Krise
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Aufbruchsstimmung anstelle des Schwanengesangs: Zwei Dutzend Spitzenpolitiker, Wissenschafter und Manager aus aller Welt haben am Dienstag beim “Time to Decide Europe Summit” in Wien nach Auswegen aus Europas Existenzkrise gesucht. Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) nannte Bürokratieabbau, Mehrheitsentscheidungen und (militärische) Stärke als Prioritäten. “Wenn Europa ein Akteur sein möchte und kein Museum, brauchen wir Einigkeit, Schnelligkeit und Stärke.”
Der Einladung der Erste Stiftung waren unter anderem der albanische Regierungschef Edi Rama, der Warschauer Bürgermeister und Ex-Präsidentschaftskandidat Rafal Trzaskowski, der frühere US-Vizeaußenminister James C. O’Brien, Ex-Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP), die ehemaligen Vizeregierungschefs Martina Dalić (Kroatien), Nikola Dimitrow (Nordmazedonien) und Antanas Pekanow (Bulgarien), sowie der US-Politikwissenschafter Francis Fukuyama gefolgt. In drei Diskussionsrunden mit jeweils acht Teilnehmern sollten konkrete Lösungen ausgearbeitet werden, die Dalić, Rama und Trzaskowski in einer Abschlussrunde zusammenfassen wollten.
Meinl-Reisinger beklagte in ihrer Eröffnungsrede die Bürokratie, die den wirtschaftlichen Fortschritt in Europa hemme. “Wir müssen die Kraft der Schnelligkeit wieder entdecken”, forderte sie. Dies gelte für die EU, aber auch die Mitgliedsstaaten. So dauere die Unternehmensgründung in Österreich 25 Tage, während es in den USA nur fünf seien. Auf EU-Ebene müsse zudem das nationale Vetorecht zurückgedrängt werden. Dieses schütze nicht die kleinen Staaten, sondern werde von den Rivalen Europas ausgenützt. “Wir können heute nicht überleben mit einem Entscheidungssystem, das für die Welt von Gestern entworfen wurde.” Schließlich müsse Europa auch wieder nach Stärke streben.
“Unsere Sicherheit hängt von ein paar Wählern in einigen US-Swing States ab. Das ist absurd”, sagte sie mit Blick auf die militärische Abhängigkeit der europäischen Staaten vom jeweiligen US-Präsidenten. “Europa kann es sich nicht mehr leisten, unvorbereitet zu sein.”
Treichl sieht Kapitalmarktunion als Problemlöser
Gastgeber Andreas Treichl warb eindringlich für die Schaffung einer Kapitalmarktunion in Europa. Würde diese bestehen, hätte US-Präsident Donald Trump mit seinen Zolldrohungen “zur Hölle gehen können”, weil andere Staaten ihr Finanzkapital nach Europa hätten verlagern können, argumentierte der frühere Erste-Bank-Chef. Es sei “so frustrierend”, dass die Kapitalmarktunion trotz politischen Bekenntnissen und fertigen Plänen nicht umgesetzt werde. Das liege an den Finanz- und Justizministern der EU-Staaten. “Sie sollten mindestens 20, 30 Prozent ihrer Zeit dieser Frage widmen und die dummen Dinge aufgeben, die sie zuhause machen und die ohnehin niemand braucht”, empörte sich der Aufsichtsratsvorsitzende der Erste Stiftung. “Wenn wir das machen, wird der Rest folgen”, so Treichl.
Die Gründerin des Emirates Policy Center, Ebtesam Al-Ketbi, legte die Wunde auf die strukturellen Probleme der europäischen Wirtschaft – Bürokratie, mangelnde Innovation, Bildungsprobleme und Überalterung – und porträtierte den alten Kontinent als Spielball der Weltmächte. “Wenn Elefanten kämpfen, leidet das Gras. Europa ist das Gras.” Während auch andere Redner ins selbe Horn stießen, hielt ausgerechnet der tschechische Ökonom Tomáš Sedláček dagegen. Wirtschaftlicher Erfolg werde die europäischen Probleme nicht lösen. “Was uns voranbringen kann, ist eine Erzählung, an die wir glauben können. Make America Great Again ist eine Erzählung, und das haben wir nicht.”
Sedláček rief konkret dazu auf, die traditionelle Führungsschwäche der Europäischen Union doch als Stärke zu begreifen. Die EU funktioniere seit 75 Jahren “ohne Telefonnummer, die man anrufen kann”, sagte er in Anspielung auf die legendäre Aussage des früheren US-Außenministers Henry Kissinger über einen fehlenden europäischen Ansprechpartner. Zugleich sprach er sich für eine Erweiterung der EU aus. “Europa ist das einzige Imperium der Geschichte, das andere nicht nur nicht angreift, sondern sich auch jenen widersetzt, die sich ihm anschließen wollen”, sagte er ironisch.
Ex-US-Vizeaußenminister O’Brien: In Stärke investieren
O’Brien rief die Europa auf, in Stärke zu investieren. “Wenn Europa keine Macht ausstrahlt, wird es nicht ernst genommen”, betonte der US-Diplomat. So müssten zwei bis fünf Unternehmen ausgewählt werden, die gezielt groß gemacht werden sollen. Zudem sollten die europäischen Staaten die Ukraine mit den finanziellen Mitteln ausstatten, die sie braucht, um die nächsten zwei Jahren weiterkämpfen zu können. Zugleich müsse man sich für die Zeit nach Trump vorbereiten, “der nicht mehr lange da sein wird”. Danach werde Europa vor der Wahl sehen, eine Allianz mit den USA gegen China zu schmieden.
(APA)




