Shorts 22 | Haldern Pop Festival 2025 - Ein Bericht
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Intro
Samstag Nacht, kurz nach halb eins. Er läuft die Treppe hinunter und drückt mir eine Zeitung in die Hand. Die Zeitung, das ist das Festivalblatt, das überall auf dem Gelände und im Dorf ausliegt. Ich stelle fest: sie haben es benutzt, um ihre Setlist auf die Rückseite zu schreiben. All das, was die letzte Stunde mit mir hat machen dürfen, steht hier nochmal, halbwegs sauber, chronologisch. Roter Edding auf dünnem Zeitungspapier. Und viel Schweiß. Bier – zumindest hoffe ich das. Ich frage nicht nach, rieche nicht dran. Er, das ist übrigens der Gitarrist der Band Famous, wie er in seinem Trenchcoat die Treppe der Hauptbühne heruntereilt, um mir dieses kleine Souvenir mitzugeben. Der Materialwert, das gebe ich gerne zu, ist relativ gering. Aber als Andenken und letztes Hurra dieser drei Festivaltage liegt ein immenser Wert auf diesem dünnen und halb zerfledderten Papier. Gut, dass es nicht reißt. Nichts an diesem Wochenende stürzt in sich zusammen. Haldern bleibt „stabil“.
Dieses kleine Dorf des Pop – es ist an diesen Tagen auch das Dorf der Abschiede, der doppelten Blockflöte, der etwas zu großen Anzüge, der gestreichelten Seele, des frischen Wassers im See, der musikalischen Überraschungen und voller Momente, in denen es doch eine ganz gute Idee ist, kurz die Augen zu schließen, während auf der Bühne Dinge geschehen, die alles ein bisschen besser machen. Mit Künstler*innen und Bands, die entweder schon lange auf der Liste stehen und endlich ihr erstes Deutschland-Konzert geben dürfen, und mit „alten“ Heldinnen, die endlich für ein Wiedersehen vorbeikommen.
Haldern – das ist diese Stimmung, das Anfangen im Dorf, die ersten Konzerte des Tages in der Bar, in der Kirche oder im Jugendheim, bevor man vorfreudig auf das Gelände wandert. Haldern ist zwischendurch in den See springen, bevor das Programm und der enge Timetable den Tag aufs Beste diktieren. Es ist das Gefühl, von einem Konzert zu kommen, an den Menschen vorbeizulaufen, die einem begegnen, und sich zu denken: „Wisst ihr, was ihr da gerade verpasst habt?“ Kleine und große Momente, die zwar flüchtig anmuten, sich trotzdem zumindest ein bisschen einbrennen dürfen. Aber wie immer: Fangen wir von vorne an.
DONNERSTAG
Zur Haldern-Experience gehört die Aufteilung in zwei Festivalbereiche. Bevor es runter auf das Gelände geht, startet das Programm „oben“ im Dorf – mit seiner Kirche, der Pop-Bar und dem Jugendheim. Im ersten Stock des Jugendheims liegt eine kleine Aula, auf deren winziger Bühne schon so mancher Talentwettbewerb hiesiger Neuntklässler*innen für Programm gesorgt haben muss. Los geht’s hier mit dem Projekt FASTMUSIC. Und ob es hier nur beinahe um Musik gehen soll oder um möglichst flotte? Beides nicht ganz korrekt. Das Einmannprojekt mit Gitarre, Drummachine, Loop-Pedal und minimalistischem Wave-Pop ist als Start so vielversprechend genug.
Abseits der – und hier bitte unbedingt die Anführungszeichen mitnehmen – „großen“ Bühnen liegt das kleine Tonstudio am Rande des Zeltplatzes. Haldern, das ist auch ein Label, und in diesem kleinen Raum, wo vor drei Jahren Black Country, New Road ein wundervolles, semiimprovisiertes Minikonzert vor ein paar Dutzend Glücklichen spielen durften, stehen die Niederländer*innen von RATS ON RAFTS vor uns. Inmitten der WDR-Rockpalast-Kameras, die jeden Ton für die Nachwelt festhalten, lassen sie ihren smoothen, in Nebel gehüllten Post-Wave-Punk auf uns los. Das ist Musik, die im besten Sinne dahinfließt, irgendwo von Sehnsucht und Nostalgie erzählt – selbst, wenn nur die klingelnden Gitarren sprechen und von der verhallten Stimme nur Atmosphäre bleibt.
Haldern ist auch ein Festival, das sich regelmäßig mit Bands schmückt, die ich zwar seit geraumer Zeit in Playlists spazieren trage und die sich mit ersten Singles ein gesundes Level an Aufmerksamkeit erspielen, aber trotzdem noch völlig am Anfang ihrer Reise stehen und erstmals hier live mitgenommen werden dürfen. Wieder werden einige Künstler*innen dieses Wochenende sagen: „This is our first time in Germany.“
MAN/WOMAN/CHAINSAW ist eine dieser jungen Irgendwas-mit-Gitarren-aber-auch-Streicher-aber-dann-auch-Art-Pop-Indie-Bands der letzten Jahre, die mit einem Versprechen auf diese Bühne gehen darf, das ihr hoffentlich irgendwann kommendes Debütalbum einlösen darf. Das ist Pop, unbedingt, aber er will sich ebenso sehr an die Alternative-Zeit der amerikanischen 90er erinnern wie an die Indie-Hits der späten britischen 00er. Und ich würde es mir nicht verzeihen, stünde hier nicht noch mindestens ein lobendes Wort zur Stimme von Sängerin Billy Ward – deshalb gibt’s gleich zwei: Wow und Wow.
50° hin oder her, der Platz ganz vorne wird verteidigt, denn es folgt das Comeback von WU LYF. Es gibt sie tatsächlich wieder. Auf der Bühne heißt es, Rechnungen und Scheidungen müssen bezahlt werden – we listen and we don't judge. Buchstäblich. Ich glaube ja, mit dem, was ihr Sänger vor vierzehn Jahren auf diesem einen wüsten Album, zwischen tropischen Gitarren-Sounds und hymnischem Proklamations-Punk, veranstaltet hat, konnten sie gar nicht anders, als über zehn Jahre zu pausieren. Hier aber klingt alles super tight – auch die wenigen neuen Songs, die sich in das Set verirrt haben.
FREITAG
Täglich, während man zwischen Dorf und Gelände spaziert, bekommt man ein Stück dieses Gefühls mit, das das Haldern auszeichnet. Sei es, dass Kinder an der langen Auffahrt zum Gelände selbstgebackenen Kuchen verkaufen, benachbarte Pferdehöfe Duschen und Snacks anbieten oder man im kleinen REWE der Stadt – dort, wo vermutlich eine Jahresration kalter Getränkedosen in wenigen Stunden verkauft wird – Jahr für Jahr das gleiche Personal sieht. Wobei, mittlerweile gibt es hier auch eine Selbstbedienungskasse. Und wer auch nur einmal auf der nach den 90ern schreienden Website der Pizzeria La Roma war, dem selbsternannten „Treffpunkt in Haldern“, weiß, dass diese Dorf-Delikatesse seit dem allerersten Haldern zu den zentralen kulinarischen Momenten dieses Besuches gehört. Auch wenn sich pro Cola-Glas eine Familie Wespen ankündigt.
Im Jugendheim denkt sich das junge deutsche Post-Punk-Duo von FOVOS ALIF, dass weniger mehr ist – oder anders gesagt: Nichts ist alles. Sie lassen die Musik sprechen und ziehen alles aus einer Gitarre und einem Schlagzeug, was sie finden können.
Im Spiegelzelt, dieser Konzert-Parallelwelt, dort, wo jeder Blick ein Ziel findet, das Aufmerksamkeit verdient, starten OVERPASS mit einem zackigen Britpop, der sehr viel Interesse an den letzten drei Buchstaben dieser Bezeichnung hat. Es fällt ein bisschen schwer, hier nicht das Wort „nett“ zu benutzen, weil diese unsere Sprache eine positive Nutzung praktisch nicht vorgesehen hat, wenn man es in einer Kritik benutzt. Wenn wir aber Platz zwischen den Zeilen finden, dann lasst es uns jedoch dort gemütlich machen – ich bringe Handbrot und Pommes mit. Hi!
Nochmal Spiegelzelt, das wird auch erstmal nicht mehr verlassen. **SOFT LOFT *ist eine Band, die dafür da ist, ein bisschen die Seele zu streicheln. Wenn ihr das lest oder hört und das gerade nötig habt, behaupte ich, ein Konzert der Schweizerinnen kann da was für euch tun. Es fällt ein bisschen schwer, hier nur das Wort „schön“ zu benutzen, weil diese unsere Sprache so viel mehr zu bieten hat. Es fliegen nicht nur Papierflieger ins Publikum, auch Ohrwürmer – und das, was ihr wohl alle als „Gute Laune“ kennt – strahlt konstant wie konsequent von dieser Bühne. Und auch hier: die Stimme von Jorina Stamm. Wow und wow.
Das Kontrastprogramm bieten MARUJA, deren erstes Album nach ein paar wuchtigen bis meinungsstarken EPs nächsten Monat erscheint. Irritierend, die mancherorts zu lesenden Mackertum-Vorwürfe. Wut ist ein Gefühl, das sich nicht zwingend leise in Messages übersetzen lassen muss. Bei der finalen Ansprache, als es um Frieden, Zusammenhalt und Gemeinschaft ging, könnte man auf die Idee kommen, sie für sehr platt zu halten. Fair. Es ist aber auch in Ordnung, sich zu fragen, wie weit wir davon wirklich weg sind, wenn wir soweit sind, derlei als so utopisch und nicht der Rede wert wahrzunehmen. Laut war’s. Gut war’s.
In der Tasche, in der ich meine Vorfreude spazieren trage, habe ich aber den meisten Platz für ANIKA reserviert. 15 Jahre soll ihr erstes Album nun schon alt sein. Von den dubbigen One-Take-Covern ist aber nur noch am Ende etwas zu hören, stattdessen wird praktisch ihr komplettes aktuelles Album gespielt, auf dem ein etwas schrofferer Ton regiert. Zu jedem Song hat sie noch etwas Linernote-Talk mitgebracht. Und ich ein paar applaudierende Hände.
SAMSTAG
Der Sprung ins kalte Wasser bleibt keine Metapher – ein wenig gezittert werden durfte tatsächlich, als der See hinter dem Pferdehof aufgesucht wird und die Zehenspitzen zum Tauchgang einsetzen. Hof und See liegen einen dezenten Fußmarsch vom Hauptgelände entfernt. Der heißeste Tag des Wochenendes beginnt mit einer Abkühlung und der ewigen Frage nach der perfekten Reihenfolge der Ereignisse. Tag 3 – das entscheidet das Erwartungsmanagement – soll sich zum Highlight aufschwingen, ist am vollsten und bitte gerne auch am tollsten.
Wie praktisch, dass sic