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In-Sayn
In-Sayn
Author: Nilima Chowdhury
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Description
Dieser Podcast beleuchtet, wie Gesellschaft und Psyche zusammenhängen und bringt euch, ganz nebenbei, die diskursive und narrative Psychologie näher. Basierend auf ihrer eigenen Forschungsarbeit, widmet sich die Sozialpsychologin Nilima Chowdhury (Universität St.Gallen, Universität Lausanne) hier verschiedensten Fragestellungen: was genau ist eigentlich das ‘Ich’? Warum werden die Menschen immer perfektionistischer? Wie wirken sich kulturelle Ideale auf unsere Psyche aus? Und wie funktioniert individuelle Veränderung?
Folgen erscheinen Mitte des Monats, freitags.
In-Sayn ist Teil von Sayn Space. Wenn ihr mehr darüber erfahren und/oder Nilimas Arbeit unterstützen wollt, schaut auf www.sayn.space vorbei.
10 Episodes
Reverse
Die Sozialpsychologen Margaret Wetherell und Jonathan Potter haben schon
vor über 30 Jahren in ihrem Buch „Mapping the language of racism“ gezeigt,
dass ein und dieselbe Person innerhalb eines Gesprächs zwischen
rassistischen und anti-rassistischen Äußerungen bzw. Positionen hin- und
herwechseln kann. Und dass solche ‚inneren Widersprüche‘ nicht nur
vollkommen normal, sondern tatsächlich gar keine Widersprüche sind. Der
Widerspruch löst sich auf, wenn wir uns von der Idee verabschieden, es gäbe
nur ein echtes, authentisches Selbst, mit einer Persönlichkeit, einer
politischen Haltung, etc. Stattdessen nehmen wir, je nach Kontext, Stimmung
usw. jeweils unterschiedliche Ich-Positionen ein. Diese gehen aus den
jeweiligen Beziehungskonstellationen hervor. Das macht sie nicht weniger
authentisch, dafür jedoch durch und durch soziale Produkte.
Die Karte, also unsere kulturelle Logik, gaukelt uns vor, dass etwas da
ist, was es in Wirklichkeit jedoch nicht ist. Wie fühlt man sich? Betrogen?
Enttäuscht? Sehr wahrscheinlich. Das Problem ist nun aber, dass, wie in
„Des Kaisers neue Kleider“, niemand ausspricht, dass der Kaiser nackt oder
das Schokoladengeschäft gar nicht da ist. Die anderen um dich herum stehen
da und zeigen auf das Ladenschild, machen Fotos, kommentieren die Auslage.
Nur du kannst nichts sehen. Was passiert? Du fängst an, an deiner eigenen
Wahrnehmung zu zweifeln. Vielleicht reibst du dir die Augen, setzt deine
Brille ab und wieder auf, wenn du eine trägst, gehst zum Augenarzt, um
deine Sehkraft überprüfen zu lassen. Da wir durch und durch soziale Wesen
sind, zweifeln wir eher daran, was wir mit eigenen Augen sehen als daran,
was – zumindest vermeintlich – alle anderen sehen!
Dass Empathiefähigkeit in einer sich rasant globalisierenden und
vernetzenden Weltgesellschaft essenziell ist, steht wohl außer Frage. Denn:
nur wenn wir uns als Menschheit, und nicht nur als Deutsche oder
ChinesInnen, auf gemeinsame Ziele und eine gemeinsame Vorgehensweise
einigen, werden wir nennenswerte Fortschritte erzielen. Allerdings steht in
unserem Selbstverständnis das Menschsein in den seltensten Fällen an erster
Stelle. Zunächst einmal begreifen wir uns als Sohn oder Tochter von,
politisch progressiv oder konservativ, als Bewohnerin dieses oder jenes
Landes, als Maurerin oder Zahnarzt usw. Der Klimawandel oder die wachsende
soziale Ungleichheit sind jedoch globale Probleme, die globale Lösungen
erfordern. Tausendmal gehört, aber so richtig angekommen ist es noch nicht.
In ihrem Buch „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ stellt die israelische
Soziologin Eva Illouz die These auf, dass der Besitz eines bestimmten
emotionalen Stils sich in handfeste soziale und berufliche Vorteile
übersetzen lässt. Dies zeige sich beispielsweise beim inzwischen ubiquitär
eingesetzten Persönlichkeitstest in Bewerbungsverfahren. Nur wer hier
überzeugt, also wem emotionale Reife bescheinigt wird, will heißen, wer die
eigenen Gefühle managen und auf andere empathisch eingehen kann, hat
Erfolgschancen. Auch in meiner eigenen Forschungsarbeit bin ich auf dieses
kulturelle Ideal gestoßen.
Aus historischer Perspektive betrachtet haben wir Gefühle in der westlichen
Welt eher stiefmütterlich behandelt, nämlich in erster Linie als etwas, das
wir irgendwie unter Kontrolle bringen müssen. Diese Geringschätzung des
gefühlten Erlebens spiegelt sich auch in der akademischen Psychologie wider
und in den Metaphern, die wir inzwischen auch im alltäglichen
Sprachgebrauch verwenden, um geistige Prozesse zu beschreiben, allen voran
das Bild des Computers. Gedanken sind in dieser Analogie Informationen, die
mit Hilfe unserer „Hardware“, also des Gehirns, verarbeitet werden. Falsch,
sagt der britische Psychologe John Cromby. Weil alles das, was wir
herkömmlich mit den Begriffen ‚Verstand‘ oder ‚Geist‘ zu fassen versuchen,
in Wahrheit Aspekte körperlicher Prozesse seien. Denn: Erfahrung basiert
immer auf körperlichem Erleben, auch sogenannte rein mentale Akte.
Anders als von Csikszentmihalyi und großen Teilen der positiven Psychologie
angenommen, die ein gelingendes Leben vor allem in bestimmten
individuellen Praktiken wie positivem Denken, Flow-Aktivitäten etc.
verorten, braucht ein solches Leben soziale und institutionelle Angebote,
mit denen Menschen sich identifizieren und die sie sich, mit Jaeggi,
aneignen können. Anders ausgedrückt: wir brauchen die richtigen
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, damit unser Leben glücklich und
erfüllt ist. Was uns wieder zum pluralen Selbst bringt. Wie mein
Forschungsbeispiel gezeigt hat, sind nicht alle diese Selbst gleich. Da sie
im Wechselspiel mit sozialen Kontexten und kulturellen Logiken entstehen,
und, wie wir wissen, einige privilegierter, also einflussreicher, sind als
andere, haben manche dieser Selbste quasi von Haus aus eine lautere Stimme.
Und setzen sich damit nicht nur auf der gesellschaftlichen Ebene, sondern
eben auch in unseren inneren Dialogen mit größerer Wahrscheinlichkeit mit
ihrer Sichtweise durch.
In dieser Folge gehe ich der Frage nach, ob uns die Gesellschaft psychisch krank macht. Ich beginne mit der weit verbreiteten Annahme, die Biologie "sei schuld", stelle euch den Ansatz der 'mad studies' und die Arbeit von Capps & Ochs vor und schließe mit Nikolas Rose's alternativer Konzeption psychischen Leids ab.
In dieser Folge stelle ich euch ein Kernelement unserer kulturellen Logik, das Konzept des unternehmerischen Selbst, und das damit verbundene psychische Phänomen der Selbst-Ausgrenzung vor. Die Frage, der ich nachgehe, ist: Was macht es mit uns, wenn wir uns selbst wie ein Unternehmen "managen"?
In dieser Podcast-Folge beleuchte ich die gesellschaftliche Dimension von Perfektionismus. Ich zeige, inwiefern Kernaspekte unserer kulturellen Logik wie Individualisierung und Selbstoptimierung dazu beitragen, dass perfektionistisch sein zu unserer go-to Überlebensstrategie wird.
In dieser ersten Episode erzähle ich, wieso ich mich für das Thema ‘Gesellschaft & Psyche’ interessiere, wie man es erforschen kann und warum die Beschäftigung damit buchstäblich welt- und bewusstseinsverändernd sein kann.






