DiscoverScience on Player FMAngriffe statt Argumente - Wird Gewalt in der Politik salonfähig? - radioWissen
Angriffe statt Argumente - Wird Gewalt in der Politik salonfähig? - radioWissen

Angriffe statt Argumente - Wird Gewalt in der Politik salonfähig? - radioWissen

Update: 2025-01-09
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Ob beim Aufhängen von Wahlplakaten, bei öffentlichen Veranstaltungen oder im Privatleben: Auseinandersetzungen finden immer häufiger pöbelnd, drohend und gewalttätig statt. Im Sommer 2024 kam es zu einer bis dahin nicht dagewesenen Anzahl von gewalttätigen Angriffen auf Politikerinnen und Politiker. Verroht unsere Gesellschaft? Von Daniela Remus

Credits
Autorin dieser Folge: Daniela Remus
Regie: Frank Halbach
Es sprach: Hemma Michel
Technik: Anton Wunder
Redaktion: Susanne Poelchau


Im Interview:


Prof. Nicole Deitelhoff, Politikwissenschaftlerin, Leibniz Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt/M.



Prof. Claudia Gatzka, Historikerin, Universität Freiburg/Brsg.


Prof. Wilhelm Heitmeyer, Soziologe, Universität Bielefeld


Prof. Nina Kolleck, Bildungsforscherin, Universität Potsdam


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*Dorothee Spannagel, Jan Brülle: Ungleiche Teilhabe: Marginalisierte Arme – verunsicherte Mitte. WSI-Verteilungsbericht 2024. WSI Report Nr. 98, November 2024. Download


Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.


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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.


Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:


SPRECHERIN



Im Mai 2024 wird der SPD-Politiker Mathias Ecke in Dresden beim Aufhängen von Wahlplakaten von vier Männern krankenhausreif geschlagen. Nur wenige Tage später wird ein Team von Grünen-Politikern bespuckt und angegriffen, ein Kamerateam ist dabei und filmt alles – die Angreifer hält das nicht ab. Kurz darauf greift ein Mann die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey bei einem öffentlichen Termin in einer Bibliothek an. 


MUSIK ENDE


ATMO


SPRECHERIN


Das alles passiert im Mai 2024, innerhalb weniger Tage.


SPRECHERIN


Und das sind nur die Fälle, über die in den landesweiten Nachrichten oder den überregionalen Medien berichtet wird. Angriffe auf Politiker und Politikerinnen finden aber sehr viel häufiger statt, und das nicht erst im Jahr 2024 und nicht nur in aufgeheizten Wahlkampfphasen. Vor allem gegen diejenigen, die in kleineren Gemeinden oder Kommunen arbeiten, die keinen Personenschutz haben wie diejenigen, die an der Regierung beteiligt sind.


ATMO ENDE


MUSIK privat Take 006 „On Powdered Ground (Mixed Lines)“, Album: Mr Machine; Label: !K7 Records – !K7286CD; Interpret: The Brandt Brauer Frick Ensemble, Komponist: Brandt Brauer Frick; ZEIT: 00:29


SPRECHERIN


2023 hat das Bundeskriminalamt insgesamt 2790 Angriffe auf Politiker gezählt: Davon 1219 Attacken auf Repräsentanten der Partei die Grünen, 478  auf AFD-Mitglieder. Auch Politiker und Politikerinnen der anderen Parteien sind solchen Angriffen ausgesetzt. Und es werden kontinuierlich mehr. Seit 2019 hat sich ihre Anzahl verdoppelt. So weit so ernüchternd. 


MUSIK ENDE


SPRECHERIN


Was bedeutet das für uns und unsere Gesellschaft? Verroht unser Zusammenleben, weil Konflikte und Meinungsverschiedenheiten nicht mehr ausdiskutiert werden, sondern stattdessen geschubst, gespuckt, gemobbt, gehetzt und geprügelt wird? Ist da etwas ins Rutschen geraten, was uns als gesellschaftliche Umgangsform über viele Jahre selbstverständlich erschien? 


TAKE 1 (O-Ton Gatzka) L: 0, 15


Wir haben sicherlich insgesamt in der Geschichte der Bundesrepublik eine Kultur, die gerade politische Konflikte ohne Gewalt versucht zu lösen. Die hat sich allerdings erst ausprägen müssen. Und da ist ein Konsens aktuell womöglich langsam im Aufbrechen. 


SPRECHERIN


Sagt die Historikerin Claudia Gatzka von der Universität Freiburg.


Sie forscht zur Geschichte der Bundesrepublik. 


Zunächst, nach Ende des 2. Weltkriegs, war Gewalt im politischen Umfeld nicht ungewöhnlich, es kam zu politischen Morden und tätlichen Angriffen. Manche Forschende sprechen deshalb von einer anarchischen Übergangszeit. Ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre konnte die Gewaltbereitschaft nach und nach eingehegt werden. An ihre Stelle trat eine politische, wirtschaftliche und demokratische Ordnung, die sich als Norm durchgesetzt hat. . Mit dem Ergebnis, dass Gewalt in der Folgezeit immer stärker aus dem Alltag verdrängt wurde. Und auch als Mittel der politischen Auseinandersetzung gegen Politiker und Politikerinnen war Gewalt bei der gesellschaftlichen Mehrheit verpönt.


TAKE 2 (O-Ton Gatzka) L: 0, 30


Der Gesamtkonsens, dass wir keine Gewalt in der Politik wollen, ist noch da, und der hat sich auch erst im Laufe der Bundesrepublik so herausgestellt. Das war in den 50er Jahren tatsächlich noch gar nicht so sagbar. In den 50er Jahren wurde weder von den Parteien noch von der Öffentlichkeit politische Gewalt als solche thematisiert und auch versucht zu delegitimieren. Da wurde noch nicht der Zusammenhang hergestellt zwischen Demokratie und friedlichem Konfliktaustrag. Das hat sich erst im Laufe der 60er und 70er Jahre herausgebildet. 


SPRECHERIN


Auch wenn das nicht heißt, dass es im öffentlichen Leben keine gewalttätigen Auseinandersetzungen gab: Beispielsweise die Morde, die die Terroristen der RAF auf Repräsentanten des Staates verübten. Oder die Attentate auf die Politiker Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble. Die Neonazis, die in den 1980er Jahren in deutschen Großstädten linke Punks durch die Straßen hetzten oder die rechten Gruppierungen, die in den 1990er Jahren auf den Straßen Ostdeutschlands, Jagd auf Menschen machten. Ob auf vietnamesische Vertragsarbeiter oder sogenannte Links-Alternative. Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen oder Magdeburg sind dafür Beispiele. Hinzu kamen in Westdeutschland Mordanschläge auf Türkeistämmige Menschen in Mölln oder Solingen. 


MUSIK  „Radar“; ZEIT: 01:46


SPRECHERIN


Gewalt im öffentlichen Raum gab es in Deutschland also immer, aber sie ging meistens von klar benennbaren gesellschaftlichen Gruppen aus, wie etwa den RAF-Terroristen oder den Neonazis. Die breite Öffentlichkeit dagegen war sich einig, dass Gewalt abzulehnen sei. Das hat sich auch bis heute nicht grundlegend geändert, betont Claudia Gatzka. Auch Wenn sich sogenannte Reichsbürger-Netzwerke wegen mutmaßlicher Umsturzpläne vor Gericht verantworten müssen oder wenn rechtsextremistische Organisationen bei paramilitärischen Schießtrainings verhaftet werden, oder, wenn immer mehr Kommunalpolitiker wegen Drohungen gegen ihre Familie aufgeben. Es handelt sich um eine gesellschaftliche Minderheit, die Gewalt in der politischen Auseinandersetzung akzeptiert, so die Historikerin. Trotzdem ist die Entwicklung extrembeunruhigend, auch weil sie sich verstärkt, wie der Bericht des Bundeskriminalamts von 2023 zeigt.  


Denn Gewalt schädigt und verändert nicht nur diejenigen, die Opfer von Attacken und Angriffen werden, sondern letztendlich die ganze Gesellschaft, betont die Historikerin Gatzka. Gewalt,sagt sie,  schafft Unsicherheit, schürt Mißtrauen, sät Zweifel am Staat und seinen Institutionen, weil Bürger nicht geschützt werden. Deshalb ist es existentiell wichtig, zu verstehen, warum und von wem Gewalt in der Politik für angemessen gehalten werde. 


MUSIK ENDE


TAKE 3 (O-Ton Gatzka) L: 0, 20


Dass es zu diesen Gewaltausbrüchen kommt, auf offener Straße, ist, denke ich, letztlich auch dem Umstand geschuldet, dass wir eine wachsende Wut haben auf Repräsentanten der Parteiendemokratie, die in der Form neu ist.


SPRECHERIN


Schon in der alten Bundesrepublik haben Forschende in manchen gesellschaftlichen Gruppen Vorbehalte gegen die Parteiendemokratie beobachtet. Nur in der Zeit zwischen 1960 und 1975 identifizierten sich große Teile der Gesellschaft damit. Damals traten viele Menschen in die Parteien ein und engagierten sich politisch. Diese Euphorie schwächte sich dann ab den 1980er Jahren ab. Hinzu kommt die Wiedervereinigung und die Entwicklung in der sogenannten Nach-

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