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Clair Obscur – Expedition 33: von weichen Teppichen und tanzbarem Parkett (Review)

Clair Obscur – Expedition 33: von weichen Teppichen und tanzbarem Parkett (Review)

Update: 2025-12-06
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Clair Obscur ist im umgangssprachlichen Sinne ein Phänomen, einzigartig in seiner speziellen Rezeptur. Der Prolog ist ein perfekter Auftakt, der es vermag, innerhalb weniger Minuten emotionale Höhe- und Tiefpunkte zu kreieren, und diese geschickt mit der Mythologie des Spieleuniversums zu verschmelzen. Die Charaktere entfalten sich behutsam und vielschichtig in ihrem Charm wie ihrer Tragik. Die Welt ist wie gemalt, atemberaubend und voller beeindruckender Bilder und Kulissen. Der rundenbasierte Kampf mit den bedrohlichen Nevrons vereint taktische Planung und actiongeladenes Reaktionsvermögen zu einer potenten Mischung. Expedition 33 findet Platz für die dramatischsten Wendungen und die albernsten Momente. Die Story ist voller Momentum und Überraschungen, aber findet einen ganz eigenen Weg, die vielzähligen Stränge der Erzählung zu einer kohärenten Einheit zu verweben. Was bleibt, ist einer der filigransten Teppiche, den meine metaphorischen Füße je streifen durften. Warum also bleibe ich, nach diesem Spiel, das so viele rundherum begeistern konnte, hauptsächlich mit der Feststellung zurück, dass ich Pakett eigentlich viel lieber mag.


Vielleicht muss ich dafür doch ein anderes Bild heranziehen und mich nochmal auf die Rezeptur besinnen. Clair Obscur: Expedition 33 ist eine göttliche Lasagne. Nur die besten Zutaten, behutsam aufgeschichtet und übergossen mit einer Bechàmel, die Königen Tränen in die Augen treibt. Vor so viel Hingabe, Handwerk und H-irgendwas anderes mit H kann man nur Respekt haben. Und gleichzeitig wollte ich eigentlich Spaghetti Bolognese essen.


Denn die verschiedenen Elemente des Spiels sind größtenteils fein säuberlich getrennt. Bedeutungsvolle Unterhaltungen zwischen den Charakteren finden im Camp statt. Dort stehen meine Mitstreiter:innen aus Lumière erwartungsvoll aufgereiht. Also schreite brav von Sciel zu Lune zu Maelle zu Monoco zu Esquie, um das jeweils nächste Level ihrer genuin fantastisch geschriebenen Hintergundgeschichte zu erfahren. Ist das abgehakt geht es zurück auf die Weltkarte und vermutlich wenig später in eines der vielen abwechslungsreichen und kreativen Dungeons, die die Welt zu bieten hat. Und diese wissen natürlich in erster Linie mit interessanten Gegner:innen, Monstern bzw. Nevrons aufzuwarten. Über die längste Zeit werden diese Gefechte nie trivialisiert. Denn es geht um weitaus mehr, als immer wieder den A-Knopf zu drücken und Angriff auszuwählen. Eigene Attacken erhalten einen Bonus, wenn die Eingabe entsprechend getimed ist. Die Fähigkeiten der Charaktere müssen bedacht eingesetzt werden. Nicht nur haben sie alle im Kampf eigene Mechaniken, diese können und müssen auch untereinander Synergien ergeben, um vor allem die anspruchsvolleren Bosse zu besiegen. Sobald diese dann ihre eigenen Angriffe präsentieren, gilt es, besonders aufzupassen. Denn nur wenige richtig sitzende Schläge können unsere Expedition bereits mühelos dezimieren. Ausweichen, springen, parieren: Die Defensive ist alles andere als passiv. Untermalt von einem häufig bombastischen Soundtrack liegt nun der Fokus also entschieden auf den Kämpfen.


Doch spätestens bei der nächsten Speicherflagge fällt auf, dass wir einige Level aufgestiegen sind und außerdem drei neue Waffen und fünf neue Pictos gefunden haben. Einige unserer Pictos, also unterstützender Fähigkeit, mit denen wir unsere Charaktere ausstatten können, sind in der Zwischenzeit außerdem in unseren Pool von Luminas übergegangen, die wir entsprechend unserer verfügbaren Lumina-Punkte nun also für die gesamte Party zur Verfügung haben. Und ähnlich wie Sandfall Interactive fast jeden Kampf zu einem aktiven Part des Spielerlebnisses macht, sind auch die Pictos nicht geschaffen worden, um einfache 6% Eisresistenz hinzuzufügen. Weit gefehlt. Stattdessen finden wir mit beeindruckender Regelmäßigkeit Modifizierungen, die weitreichende taktische Konsequenzen mit sich bringen. Also ist es jetzt mal wieder Zeit, in eine weitere Schicht vorzudringen: die des Fähigkeiten- und Ausrüstungsmenüs.


Letztendlich hoffe ich, mit diesen Beschreibungen zweierlei verschiedene Reaktionen zu evozieren und zwar anhand von unterschiedlichen Präferenzen. Denjenigen, die ganz verzückt sind von den weitreichenden Möglichkeiten in Sachen Planung, Kampfgeschehen sowie Tiefe der Charakterentwicklung und Erzählweise, ist Clair Obscur sicherlich uneingeschränkt zu empfehlen. Aber dann gibt es da vielleicht auch ein paar, die meiner Interpretation näher stehen und sich von der schieren Last unnachgiebiger Bedeutsamkeit ermüdet fühlen. 


Einen Teller Spaghetti kann ich mühelos durchmischen. Cremige Sauce, geraspelter Parmesan, frische Pasta, gehackte Petersilie. Alles verschmilzt elegant und entfaltet eine gemeinsame Identität. Doch Expedition 33 stellte sich mir eben als Lasagne dar, deren Schichten so perfekt wie perfekt getrennt waren. Ganz besonders ist mir das aufgestoßen, wenn es um die Charakterentwicklung geht, die ohnehin gegen Ende des Spiels zumindest um eine Bedeutungsebene beraubt wird, wenn auch zugegebenermaßen aus nachvollziehbaren Gründen in einer genialen Geschichte, die ihre eigentliche Intention erst spät bereit ist, preiszugeben. Für sich genommen waren die Konversationen in Sachen Drehbuch, Animation und schauspielerischem Handwerk spitzenklasse. Doch anstatt diese gleichmäßig verteilt im ganzen Gericht zu vermischen, gießen mir alle Charaktere brav aneinandergereiht in einer praktischen halben Stunde am Stück ihr Herz aus. Eine Lasagneplatte eben.


Insgesamt führt das trotz aller Artistik zu dem Gefühl einer sterilen Welt. Alles hat seinen technisch und narrativ ausgeklügelten Platz, aber für mich ist dem Gesamtprodukt nie Leben eingehaucht worden. Surreale Landschaften sind ohne einen inneren Zusammenhalt nebeneinander drapiert. Der Kontinent ist eine Ansammlung von Leveln, nicht Orten. Zu keinem Zeitpunkt war ersichtlich, welche Region warum wo angeschlossen ist. Darum geht auch überhaupt nicht. Sandfall wollte keine lebendige sondern eine fantastische Welt schaffen. Ganz explizit sogar. Aber während neben mir der Zug auf unmögliche Art und Weise den aufschwebenden Gleisen ins Nirgendwo folgt und mein Essen kalt wird, kann ich den Gedanken nicht abschütteln, dass ich gerne gewusst hätte, warum und für wen die Infrastruktur überhaupt existiert.


Im dritten Akt spiegelt sich diese zerfaserte Welt dann auch in den Kämpfen und dem Kern des Spiels wider. So wurde das Suchen nach Nebenmissionen vor dem anstehenden Finale zu einer sehr durchwachsenen Angelegenheit. Zu häufig konnte ich mit meinen Builds entweder kaum einen Kratzer in übermächtigen Bossen hinterlassen oder fegte sie mit einer Mühelosigkeit von der Karte, dass sich der Weg zu ihnen kaum gelohnt hatte. Eine ausgeklügelte Schwierigkeitskurve, die Clair Obscur über weite Teile auszeichnete, wich fragmentierten Herausforderungen. Und erneut. Alle für sich genommen an der richtigen Stelle im Spiel beeindruckend, voller thematischer Reichhaltigkeit und doch im Gesamtbild zersplittert und erratisch.


Und so endete meine Zeit mit Expedition 33 nicht so phänomenal wie sie begonnen hatte und hinterlässt doch Spuren. Ein Bild mit strahlenden Farben, bedrohlichen Schatten und verblüffenden Details. Aber wenn ich einen Schritt zurücktrete, sehe ich trotzdem noch kein Meisterwerk.


Review: Niklas Kuck


Cover: Martha Telschow und Moritz Bauer


Titelmusik: Paul Biegler, David Pfabe und Niklas Kuck – HENDIATRIS Game Club


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