Die Geschichte der Bundeswehr - Kriegstüchtig oder bedingt abwehrbereit? - radioWissen
Description
Unumstritten war die Bundewehr in der Öffentlichkeit nie, und nach Ende des Ost-West-Konflikts und der teilweisen Integration der Nationalen Volksarmee in gesamtdeutsche Streitkräfte schien sie an Bedeutung zu verlieren. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat sich das geändert. Von Jochen Rack
Credits
Autor dieser Folge: Jochen Rack
Regie: Irene Schuck
Es sprach: Berenike Beschle
Technik: Robin Auld
Redaktion: Thomas Morawetz
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
OT 01 Rede Scholz:
„Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. Mit dem Überfall auf die Ukraine hat der russische Präsident Putin kaltblütig einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen. Das ist durch nichts und niemanden zu rechtfertigen. (Klatschen)“
Sprecherin:
Die „Zeitenwende“, die Olaf Scholz drei Tage nach Russlands Invasion im Parlament ausgerufen hatte, war verbunden mit der Schaffung eines Sondervermögens von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Außerdem, versprach der Bundeskanzler, werde Deutschland „von nun an Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts“ in seine Verteidigung investieren. Die Bundeswehr sollte aufgerüstet werden, damit sie in Zukunft ihren Auftrag der Bündnis- und Landesverteidigung erfüllen kann. Denn tatsächlich war sie dazu im Jahr 2022 nicht in der Lage. Das Heer, konstatierte der Inspekteur des Heeres Alfons Mais, stehe mehr oder weniger blank da. Wie schon einmal in den 1960er Jahren lautete die Diagnose: „Bedingt abwehrbereit.“ Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius forderte im Jahr 2023, die Bundeswehr müsse wieder kriegstüchtig werden.
OT 02 Pistorius:
Ich weiß, das klingt hart. Ich weiß, das klingt ungewohnt und viele erschreckt es. Krieg führen können, um keinen Krieg führen zu müssen, und das ist kriegstüchtig.
Sprecherin:
Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine brachen Kontroversen auf, die die Bundeswehr seit ihrer Aufstellung im Jahr 1956 immer begleitet hatten. Denn als Lehre aus der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges, der 50 Millionen Menschen das Leben gekostet hatte, lehnten viele Deutsche die Wiederbewaffnung ab, zumal unter den Bedingungen des Ost-West-Konfliktes ein neuer Krieg zum Atomkrieg eskalieren konnte. Doch Bundeskanzler Konrad Adenauer wollte die am 23. Mai 1949 gegründete Bundesrepublik unter den nuklearen Schutzschirm der USA stellen. So trat am 5. Mai 1955 die Bundesrepublik der NATO bei, nachdem mit den Pariser Verträgen am selben Tag das Besatzungsstatut in Westdeutschland aufgehoben worden war. Im November desselben Jahres wurden 6.000 Freiwillige in der Bundeswehr eingestellt. Die neuen Lehrkompanien von Heer, Luftwaffe und Marine ließ Adenauer am 20. Januar 1956 in Andernach zum Appell antreten.
OT 03 Adenauer:
Soldaten der neuen Streitkräfte. Das deutsche Volk sieht in Ihnen die lebendige Verkörperung seines Willens, seinen Teil beizutragen zur Verteidigung der Gemeinschaft freier Völker, denen wir heute wieder mit gleichen Rechten und Pflichten wie die anderen angehören.
Sprecherin:
Die Schaffung bundesrepublikanischer Streitkräfte war allerdings nicht möglich ohne personelle Anknüpfung an die Wehrmacht, erklärt Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam:
OT 04 Neitzel:
Es gab ja keine Bundeswehr, es gab kaum Kasernen. Und die politische Führung, also Adenauer, die haben sich entschieden, mit 14.000 Wehrmachtsoffizieren diese Bundeswehr aufzubauen.
Sprecherin:
Man könne schließlich eine Armee nicht von achtzehnjährigen Generälen kommandieren lassen, soll Adenauer gesagt haben. So nahm die Bundeswehr in ihrer Gründungsphase auch ehemalige Nazis in ihre Reihen auf, z.B. 45 dienstgradniedrigere Offiziere der Waffen-SS, auf die man aus fachlichen Gründen glaubte, nicht verzichten zu können. Gleichzeitig wurde die Bundeswehr gegründet im bewussten Bruch mit den Traditionen des deutschen Militarismus. Ihr neuer Geist sollte sich in den schlichten Uniformen ausdrücken und die militärskeptische westdeutsche Öffentlichkeit davon überzeugen, dass die Bundeswehr eine demokratische Truppe war. Die Entnazifizierung der neuen Truppe gelang nur halbwegs, schreibt Sönke Neitzel in seinem Buch „Deutsche Krieger“. Aber die Wiederbewaffnung wurde von vielen Westdeutschen nicht nur deshalb kritisiert. Nach den traumatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges wollten viele Deutsche nie wieder eine Waffe in die Hand nehmen. Pazifismus schien die einzige Lösung. Innenminister Gustav Heinemann trat aus Protest gegen Adenauers Wiederbewaffnungspläne zurück.
OT 06 Neitzel:
Die Minderheit, die gegen die Streitkräfte war, war sehr heterogen. Das gab es von links bis rechts. Also es gab natürlich die linken Gruppen auf Seiten der Sozialdemokratie, die evangelische Kirche, es gab aber auch national eingestimmte Gruppen, die glaubten, mit der Gründung von westdeutschen Streitkräften sei die Teilung zementiert.
Sprecherin:
Adenauers Sicherheitsberater und später erster Verteidigungsminister Theodor Blank wurde bei öffentlichen Auftritten mehrfach ausgebuht und mit Eiern beworfen. Doch Adenauer setzte die Wiederbewaffnung gegen alle Widerstände der Opposition durch. Nach der Einberufung der ersten Freiwilligen in die Bundeswehr folgte die Einführung der Wehrpflicht am 21. Juli 1956. 1957 rückten die ersten Wehrpflichtigen in die Kasernen ein. Dort sollte jetzt ein demokratischer Geist herrschen, nicht wie früher Drill und Kadavergehorsam. Wolf Graf von Baudissin erarbeitete das Konzept der „Inneren Führung“. Es entstanden neue zivile Kontrollinstanzen und eine neue Traditionskultur, die mit den soldatischen Werten der NS-Zeit brechen und das Primat der Politik über die Streitkräfte sicherstellen sollten. Die Bundeswehr wurde als Parlamentsarmee konzipiert. Der Generalinspekteur der Bundeswehr war dem höchsten zivilen Ministerialbeamten nachgeordnet. Ein von der Regierung unabhängiger Wehrbeauftragter vertrat die Interessen der Soldaten. Eine neue demokratische Kultur sollte die Bundeswehr prägen. Von Baudissin prägte dafür den bis heute gültigen Begriff vom „Staatsbürger in Uniform“. Der Aufbau einer riesigen deutschen Streitkraft begann.
OT 07 Neitzel:
Die Bundesregierung hatte den Alliierten versprochen, 500.000 Mann in drei Jahren, das hat sich als nicht machbar erwiesen, diese 12 Divisionen des Heeres, das ist ein Personalstand, den man erst Ende der 60er Jahre erreicht hat.
Sprecherin:
Die von den USA eingekauften Starfighter hätten im Rahmen der sog nuklearen Teilhabe im Ernstfall taktische Atomwaffen auf die Streitkräfte des Warschauer Paktes werfen müssen. Die Befehlsgewalt über den Einsatz von Nuklearwaffen lag aber bei den USA. Die Strategie der „massive retaliation“ entwickelte man weiter zur „flexible response“.
OT 08 Neitzel:
Weil man sagte, wenn es schon einen kleinen Vorstoß des Warschauer Paktes gibt, Eroberung Westberlins oder ein Vorstoß nach Hamburg, kann dann die Reaktion sein, dass wir sofort tausende von nuklearen Sprengköpfen einsetzen? Wohl nicht. Deshalb die Logik, sollte die Bundeswehr konventionell möglichst stark sein.
Sprecherin:
Dennoch war die Gefahr eines Atomkrieges real wie die Kubakrise 1962 zeigte. Verständlich, dass angesichts von Planungen, die Deutschland zum atomaren Schlachtfeld gemacht hätten, die Proteste gegen die Aufrüstung nicht aufhörten. Die Ostermarschierer, die sich 1960 zum ersten Mal von Hamburg aus auf den Weg machten, knüpften an die britische Bewegung für nukleare Abrüstung an. Doch die Ablehnung der Bundeswehr speiste sich nicht nur aus Kriegsangst, sondern auch aus der Kritik am – trotz Traditionserlass und Innerer Führung – noch immer vorhandenen autoritären Schleifergeist in der Truppe. Bei einem Manöver ertranken 1957 fünfzehn Wehrpflichtige in der Iller, in Nagold brach ein Soldat 1963 beim Dauerlauf tot zusammen – erste Skandale, die am Image der Bundeswehr kratzten. Die Luftwaffe hatte hohe Absturzz