Die Rentner sind immer zu teuer! – Egal, wie billig sie sind …
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Wer würde eine solche Umfrage bezahlen: „Sind Sie dafür, dass die Renten bis 2040 um 6 Prozent statt 4 Prozent gesenkt werden?“ Denn darum geht der Streit zwischen Junger Union & Co. und der schwarz-roten Regierung. Die Einigkeit der Streitenden hinter dem medialen Getöse besteht darin: Die Renten müssen unbedingt weiter gekürzt werden. Die Ergebnisse derartiger Umfragen sind bis jetzt eindeutig (siehe hier). Deshalb werden sie tunlichst vermieden. Von Reiner Heyse.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Bereits seit sechs Jahren gehen die „Babyboomer“ in Rente. Mehrbelastung bei den Kosten? Null! Und das bleibt auch bis 2028 so! Die seit 2019 geltende „Haltelinie“ beim Rentenniveau von 48 Prozent hat bis jetzt staatliche Zusatzbeträge erfordert von?: Null! Und auch das bleibt bis 2028 so! Berichterstattung über diesen Sachverhalt in den Medien? Null Komma Null! Stattdessen wird in Presse, Funk und Fernsehen seit mittlerweile Wochen intensiv hierüber berichtet:
18 Junge-Union-Abgeordnete wagen den Aufstand gegen den Chef. Kanzler Merz wird ultimativ aufgefordert, das Rentenpaket, vor allem die darin enthaltene Haltelinie von 48 Prozent, zurückzunehmen. Die Koalitionsmehrheit besteht aus 12 Abgeordneten, ohne ihre 18 Stimmen würden sie die Koalition bei der Rente zum Scheitern bringen. Die „Junge Gruppe“, wie sie sich selbst nennt, wird von den Medien zu mutigen Rebellen hochgelobt. Auch die letzten Hinterbänkler von ihnen werden in Zeitungen zu Helden erkoren. Denn sie stemmen sich gegen das unverantwortliche Rentenpaket der Bundesregierung. Unverantwortlich, weil es nicht finanzierbar und vor allem die Jungen ausbeutend sei.
Die Unterstützung der jungen Helden ist nicht nur medial nahezu einzigartig. Etliche Unionsabgeordnete springen ihnen bei, Ministerpräsident Daniel Günther findet deren Argumente vernünftig, Regierungsmitglied Reiche unterstützt ihre Kritik (und rudert zurück), Regierungsmitglied Prien ist für die Verschiebung des Gesetzes (und rudert zurück), Michael Hüther vom neoliberalen arbeitgeberfinanzierten Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und Marcel Fratzscher vom neokeynesianen Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) loben in seltener Einmütigkeit den Widerstand der Jungen und ganze 32 Wirtschaftsverbände, von denen die BILD-Zeitung weiß, dass sie für 20 Millionen Beschäftigte stehen, fordern unisono den Stopp des Gesetzespakets. Und der seit 25 Jahren bei Rentenkürzungen führende Bert Rürup ist voll des Lobes für die Junge Garde der Konterreform.
Die BILD-Zeitung bringt die passende Schlagzeile:
„Kosten steigen immer mehr: Renten-Drama! Wer soll das alles noch bezahlen?“ (BILD, 12.11.25)
Die „Kosten steigen immer mehr“?
Tatsächlich sind die Kosten dramatisch gesunken. Der Vorsitzende der Deutschen Rentenversicherung (DRV), Alexander Gunkel, kündigte letzte Woche an, dass im Jahr 2028 der Rentenversicherungsbeitrag das erste Mal seit 2007 wieder erhöht werden müsste. Das ist stark untertrieben. Denn die Beiträge sind seit dann 22 Jahren nicht nur nicht gestiegen, sie sind von 19,9 Prozent im Jahr 2007 auf 18,6 Prozent im Jahr 2018 gesunken. Da verharren sie bis 2028. Die 1,3 Prozent weniger Beiträge machen eine Entlastung der Renten-Kosten von 6,5 Prozent aus.
Wer wird mit dieser Kostensenkung finanziert? Die bittere Antwort: Es müssen damit 1,2 Millionen Rentner mehr unterhalten werden. Die Anzahl der Rentnerinnen und Rentner stieg von 20,2 Millionen im Jahr 2007 auf 21,4 Millionen im Jahr 2024. Das ist ein Mehr von 6 Prozent.
Die Wahrheit ist also: Die Kosten sind immer mehr gesunken (um 6,5 Prozent), obwohl die Anzahl der Rentner immer mehr gestiegen ist (um 6 Prozent). Im Jahr 2028 sollen die Beiträge auf voraussichtlich 19,8 Prozent hoch „explodieren“ (BILD). Dann sind allerdings etwa 22 Millionen Rentner, also 10 Prozent mehr gegenüber 2007, zu versorgen. Zugespitzt kann man also behaupten: „Nie waren Rentner so billig wie heute“, das bleibt auch nach der Beitragserhöhung 2028 so.
„Wer soll das alles noch bezahlen?“
Prototypisch die Junge Unionlerin Ronja Kemmer (36) zur BILD:
„Die Rechnung ist simpel: weniger Beitragszahler bei gleichbleibendem Rentenniveau bedeutet zukünftig höhere Beiträge für alle. Das ist nicht generationengerecht und kann auch nicht durch dauernd steigende Steuerzuschüsse in die Rente ausgeglichen werden… Es braucht eine große Reform, … die Eigenverantwortung stärkt und auch dafür sorgt, dass die jüngere Generation von ihrer Arbeit leben kann und nicht in Zukunft in der Altersarmut landet.“
So simpel wie die Rechnung, so simpel sind die geschichtlichen Erfahrungen. Seit Einführung der Rentenversicherung vor 135 Jahren ist die Anzahl der Rentner gegenüber den Beitragszahlern ständig gestiegen. Die Beiträge wurden um über das 10-Fache erhöht (von 1,7 Prozent auf maximal 20,3 Prozent im Jahr 1998). Dabei wuchs der Lebensstandard für Arbeitende und für Ruheständler in einem historisch noch nie dagewesenen Ausmaß.
Dass die Jungen angeblich überlastet werden, entdeckte man trotz dieser positiven Erfahrungen vor etwa 35 Jahren. Seitdem ist die Erzählung in der Welt: Es ist notwendig, dass weniger für die gesetzliche Rente ausgegeben wird und mehr privat vorgesorgt wird. In die Welt gesetzt wurden diese Behauptungen von Finanzkonzernen und Arbeitgeberverbänden. Sie sind krasse Verdrehungen der Wirklichkeit. Wer geringen Lohn erhält, kann nicht sparen. Eine Absenkung des Rentenniveaus wird die Altersarmut im Land weiter beschleunigen. Menschen, die in der Lage sind, für die private Rente Lohnanteile abzugeben, zahlen doppelt. Sie zahlen die Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung und zusätzlich mindestens 4 Prozent (das wegen Schleichwerbung verurteilte Online-Portal Finanztip empfiehlt 15 Prozent und mehr!) ihres Einkommens für Privatvorsorge. Was da eine Entlastung sein soll, wissen wohl nicht einmal die Götter. Sicher ist nur die Unsicherheit, was in drei, vier oder fünf Jahrzehnten an Rente rauskommt.
Die behaupteten „ständig steigenden Steuerzuschüsse“ sind auch so eine der üblichen Halblügen. Der Anteil der Bundesmittel für Renten am Gesamthaushalt ist seit 20 Jahren ständig gesunken, von 31,0 Prozent im Jahr 2004 auf 24,8 Prozent im Jahr 2024. Das wird auch daran deutlich, dass die Bundesregierungen sich ständig weigern, die nicht beitragsgedeckten (versicherungsfremden) Leistungen vollständig zu finanzieren. Die Unterdeckung betrug hier allein im Jahr 2023 unglaubliche 40 Milliarden Euro.
Das „Renten-Drama!“
… ist ein Drama der demokratischen Verhältnisse in Deutschland. Wenn faktenfrei und wahrheitswidrig die Interessen von fast einem Viertel der Bevölkerung in den Dreck geschrieben werden können und die wahren Verhältnisse in der Berichterstattung nicht mehr vorkommen, ist das keine Bagatelle. Tiefpunkte sind dabei, wenn junge Politiker, die mit den wahren Lebensbedingungen ihrer Wähler nichts mehr am Hut haben (Generation Kreißsaal-Hörsaal-Plenarsaal), zu Interessenvertretern der „Jungen“ hochgelabelt werden.
Die ganze mediale Debatte findet unter Ausschluss der Betroffenen statt. Höchstbezahlte „Experten“, die mit horrenden Schmiergeldern (für „Beratung“, „Untersuchungen“ oder Vorträge) oder mit üppigsten Beamtengehältern honoriert werden, bestimmen Nachrichten, Talk-Runden und Zeitungsseiten. Im Fadenkreuz stehen immer die Rentnerinnen und Rentner. Beamte, Politiker, gutverdienende Selbstständige, hochbezahlte Berufsstände, kommen erst gar nicht vor. Die Presse-Freiheit wird zur Freiheit der Mächtigen, ihre Meinung – besser gesagt: ihre Interessen – durchzusetzen.
Politiker, die sich dem widersetzen, werden ins Abseits gekickt. Parteidisziplin, Mediengewogenheit, seilschaftsabhängige Listenplätze zu Wahlen und „Anschlussverwendungen“ tun das Ihrige.
Eine Lösung des „Dramas“ ist nur vorstellbar, wenn so grundlegende Fragen wie die Altenversorgung in direkten Volksabstimmungen entschieden werden. Dazu sind gründliche gesellschaftliche Debatten mit soliden Informationen erforderlich. Die Schweiz machte es vor. Große Mehrheiten bestimmten im März 2024 dort: Zahlung einer 13. Monatsrente und keine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67!
Ein ganz bescheidener Anfang auf den Weg dahin könnte ja sein, dass Gewerkschaften oder Sozialverbände die eingangs gestellte Frage (6 Prozent oder 4 Prozent Rentensenkung) zur Finanzierung einer Umfrage mit einem „wir“ beantworten.
Fakten, die keine Rolle spielen, weil sie die Faktenfreiheit stören:
Faktenfreiheit sieht zum Beispiel so aus:
„Es ist allgemeiner Konsens, dass das gesetzliche Rentensystem an seine Grenzen kommt. Es ist müßig, hier die gewaltige Zahl der Babyboomer zu erwähnen, die bald in Rente gehen werden, was das System noch weiter ins Wanken bringen wird. Die Rente ist sicher, aber für viele wird sie in Zukunft nicht mehr reichen. Diese Wahrheit sollte die Bundesregierung aussprechen. Mündige Bürgerinnen und Bürger vertragen das.“ (Handelsblatt 19.11.2025)
Man beachte die Wertungen „allgemeiner Konsens“, „müßig … zu erwähnen“, „mündige … vertragen das“ – womit ja auch behauptet wird, dass diejenigen, die das nicht vertragen/akzeptieren, unmündig sind.
Die Faktenlage sieht dagegen so:
Was werden „mündige“ Bürger dazu sagen, wenn ihnen statt hohler, aber bedrohlicher Phrasen folgende Fakten präsentiert würden:
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