DiscoverScience on Player FMDie Sehnsucht nach dem intensiven Leben - radioWissen
Die Sehnsucht nach dem intensiven Leben - radioWissen

Die Sehnsucht nach dem intensiven Leben - radioWissen

Update: 2024-11-27
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Description

Gänsehautmomente reißen uns Menschen aus der Monotonie des Alltags. Alles scheint uns dann intensiv! Plötzlich sind unsere Sinne auf scharf gestellt. In solchen Momenten fühlen wir uns extrem lebendig! Von Anja Mösing


Credits
Autorin dieser Folge: Anja Mösing
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Stefan Wilkening, Susanne Schroeder
Technik: Moritz Herrmann
Redaktion: Susanne Poelchau


Im Interview:


Dr. med. Arndt Büssing, Professor für Lebensqualität,Spiritualität und Coping an der Universität Witten/Herdecke 



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Literatur:


Büssing, Arndt: Innehalten. Vom Einfluss ehrfürchtigen Staunens auf das Wohlbefinden. Pustet Verlag, Regensburg 2024. – Verblüffend und schlüssig erklären in diesem Buch ExpertInnen aus den Fachbereichen Medizin, Psychiatrie, Psychologie und Theologie was für einen hohen Stellenwert die Fähigkeit zu Staunen für unser Leben einnimmt. Mit einfachen Handlungsanweisungen für Selbstversuche.
Garcia, Tristan: Das intensive Leben. Eine moderne Obsession.  Suhrkamp Verlag, Berlin 2017 – mitreißend geschriebener Essay des französischen Philosophen. Zeigt die Vielfältigkeit der weltumspannenden Sucht nach intensivem Leben auf, Garcia fordert eine Ethik der Intensität.

Kast, Verena: Mehr Zeit für die Seele. Der Weg zur Lebendigkeit. Patmos Verlag, Ostfildern 2022 - die Schweizer Psychologin zeigt, wie wir aus einem Strudel von überfordernden Aktivitäten zu ausgewählten Aktionen kommen können und uns so wieder intensiver und lebendiger fühlen.



Linktipps:

Staunendes Innehalten - ein zweichwöchiges Interventionsmodul  - die Informationen und Hintergründe dazu hier entdecken


Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.


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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.


Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:


ERZÄHLER


Im Freibad: Wimmelndes Leben, Sonne auf nackter Haut und der Duft von gechlortem Wasser in der Nase. Und dann: nach einigem Zögern das erste Mal vom Fünfmeterbrett ins Schwimmbecken springen! Was für ein intensiver Moment!


ATMO Hubschrauber 


ERZÄHLER 


Die Berge: Mit dem Helikopter durch ein verschneites Gipfelpanorama fliegen, sich auf einem Gipfel mit unberührtem, glitzerndem Pulverschnee absetzen lassen. Und dann auf die Skier und: Einfach nur talwärts! Was für eine intensive Erfahrung! 


MUSIK 1 aus


ZSP 1    Büssing


Ich denke, jeder möchte gerne ein intensives Leben führen. Also ganz viele Augenblicke haben, die besonders sind. Die einen heraus holen aus dem Alltag, der ja oft genug als gewöhnlich und flach erscheint. 


ERZÄHLERIN 


Arndt Büssing ist Mediziner und Professor für Lebensqualität, Spiritualität und Coping an der Universität Witten/Herdecke. Büssing beschäftigt sich damit, wie das Wohlbefinden von Menschen positiv beeinflusst werden kann. 


ZSP 2    Büssing


Und alles, was mit Erleben zu tun hat, das ist für mich total spannend.


ERZÄHLERIN 


Viele Menschen empfinden ihren Alltag nicht als spannend. An sich geht es ihnen gut, aber ihr Leben plätschert so vor sich hin, sie fühlen sich in alltäglichen Routinen gefangen wie in einem Morast. Viele sehnen sich nach den Gänsehautmomenten ihrer Kindheit und Jugend zurück: nach intensivem Leben!


MUSIK 2: Forever – 35 Sek


ERZÄHLER


„Das intensive Leben? Eine moderne Obsession!“ So urteilte der französische Philosoph Tristan Garcia in seinem gleichnamigen Essay aus dem Jahr 2017. Garcia beschreibt, wie heute einfach alles toll und großartig und intensiv sein soll. Wie wir permanent nach plötzlichen Erregungen suchen, nach starken Empfindungen: Ob es die Wandfarbe in der Wohnung ist oder der Orgasmus, die nächste Party oder der Energy-Drink, der Urlaub oder der neueste Krimi. Alles soll uns ein intensives Lebensgefühl garantieren und Schauer über den Rücken jagen. 


ERZÄHLERIN 


Klingt anstrengend! Und irgendwie auch falsch. Arndt Büssing versucht in seinen Forschungen aber, erst mal gar nicht zu definieren, was ein richtiges und was ein falsches intensives Leben ist: 


ZSP 3    Büssing


Denn jeder Mensch empfindet natürlich anders, was für ihn intensiv ist. Und dann hat jeder seine eigenen Trigger und Auslöser, die für ihn wichtig sind. Also mich interessiert vielmehr das Erleben, die Reaktionen darauf, unabhängig von dem, was die Auslöser sind und ob jemand sagt: Das war für mich besonders intensiv oder nicht. Denn es gibt natürlich die großen Situationen, es gibt die kleinen Situationen, und alle haben ihre Bedeutung, und alle können zu etwas beitragen.


ERZÄHLERIN 


Grundsätzlich könnte man sagen, intensive Erlebnisse tragen dazu bei, sich lebendig zu fühlen. Interessant ist: Vorhersagen, lassen sie sich nicht! Selbst beim teuer bezahlten Helikopter-Flug oder dem Sprung vom Fünfmeterbrett könnte auch nichts als ein flaues Gefühl im Magen oder Enttäuschung herauskommen. 


ERZÄHLER


Wir wissen aber inzwischen gut, was im Körper abläuft, wenn wir einen freudigen Gänsehautmoment erleben, erklärt Mediziner Büssing. Es sind ganz archaische körperliche Abläufe, die schon unsere Ahnen kannten. Zum Beispiel bei der Begegnung mit einem Säbelzahntiger: 


MUSIK 3: ARD-Labelmusik Expedition  -  1:03 Min


ZSP 4    Büssing


Ich versuche es mal einfach: Wir haben also ein limbisches System. Das ist mit der Verarbeitung dieser entsprechenden Emotionen beschäftigt, die also diese Erlebnis-Trigger auslösen: Freude und Aufregung zum Beispiel. Und dann wird das sympathische Nervensystem, also unser Alarmsystem, aktiviert. Dadurch wird Adrenalin und Noradrenalin freigesetzt. Unser Herz schlägt schneller und wir atmen tiefer und schneller. Diese Stresshormone machen auch diese sogenannte Gänsehaut aus. 


MUSIK 3 kurz frei


ZSP 5    Büssing


So und jetzt haben wir diese Sympathikus Aktivität, und die führt dazu, dass wir alles intensiver wahrnehmen. Wir sind ja quasi im Fluchtmodus. 


MUSIK 3 kurz frei, weiter darüber:


ERZÄHLERIN


Alle Sinne sind jetzt auf scharf gestellt. Geschickt können wir flüchten: Vielleicht mit einem Seil auf einen Platz, den der Säbelzahntiger nicht erreichen kann. Und wir überleben die Begegnung!


MUSIK 3 mit Akzent kurz frei und aus 


ZSP 6    Büssing


Und nun kommt dann das Belohnungssystem ins Spiel! Wenn es also ein intensives, berührendes Erlebnis ist - das kann natürlich auch ein tolles Essen sein oder besondere Menschen, mit denen man gerade zusammensitzt - dann wird dieses Belohnungssystem im Gehirn aktiviert. Damit wird dann dieser Neurotransmitter Dopamin freigesetzt, was mit dem Gefühl von Vergnügen und Zufriedenheit einhergeht. Davon will man natürlich immer mehr haben, um dieses gute Empfinden noch aufrechterhalten zu können. Das kann ja kein dauernder Alarmzustand sein. Und dann kommt das parasympathische Nervensystem ins Spiel, das all diese Stressreaktionen wieder herunterreguliert, uns beruhigt und aus diesem Ausnahmezustand wieder zurückholt.


ERZÄHLERIN


Dieses System aus intensiver Aktion und rauschhaftem Glücksgefühl am Schluss war über Hundertausende von Jahren hinweg sehr förderlich fürs menschliche Überleben. Es hat unseren Mut befeuert. Wie wenige hätten sonst in archaischen Zeiten riskiert, sich beim Erlegen eines wilden Ebers eine Verletzung zu holen? Einen Knochenbruch oder tödliche Wunden? Die  Tollkühnheit bei der Nahrungsbeschaffung wurde so von körpereigenen Glücksduschen belohnt. 


ERZÄHLER


Und noch heute im Zeitalter von Pizza-Service und wohl temperierter Wohnung suchen viele Sensation-Seeker nach ähnlich starken Herausforderungen.


ZSP 7    Büssing 


Ich denke, man fühlt sich dann lebendig und intensiv. Das ist sehr genau das, was erstrebt wird mit diesem Kick-Erlebnis. Es ist etwas Besonderes. Ich bin in einer herausfordernden Situation. Und die Gefahr wird dann manchmal auch zu dem Kick, der aber auch einen Nachteil hat: Es könnte ja auch schief gehen.


MUSIK 4 „something just like this“ –  51 Sek 


ERZÄHLERIN


Viele Teenager lieben Situationen dieser Art! Dabei ist es als Kind und als Jugendlicher, sogar noch als junger Erwachsener ohnehin leicht, aufregende Dinge zu tun und sich intensiv lebendig zu fühlen. So Vieles macht man in dieser Zeit zum ersten Mal: Zum ersten Mal Klassenfahrt, zum ersten Mal glücklich verliebt, zum ersten Mal guter Sex, zum ersten Mal Urlaub ohne die Eltern. 


ERZÄHLER


Oft wirkt es allerdings, als würden gerade junge Leute gerne Dinge tun,  die sehr leicht schief gehen können, sich bei Erfolg aber umwerfend intensiv anfühlen: Train-Surfing an S-Bahnen, Paragliding, oder tollkühne Sprünge beim Parcouring durch die Innenstadt.  


(Musik aus)


ZSP 8    Büssing


Ich glaube nicht, dass es auf die Teenager begrenzt ist. Bei d

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