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Digital Networks Act: Entscheidender Herbst für Netzneutralität

Digital Networks Act: Entscheidender Herbst für Netzneutralität

Update: 2025-10-13
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Teile der Netzneutralität könnten demnächst auf den Prüfstand kommen. Mit dem anstehenden Digital Networks Act will die EU-Kommission den Markt für Telekommunikation neu aufstellen. Dabei könnten die Vorgaben für bezahlte Überholspuren gelockert werden – und womöglich eine Datenmaut eingeführt werden.


<figure class="wp-caption entry-thumbnail">Ein Handydisplay mit geraden Linien, dahinter schlängelt sich eine stilisierte Datenautobahn.<figcaption class="wp-caption-text">Netzneutralität: Motor oder Bremse des Internets? – Alle Rechte vorbehalten Foto: IMAGO / NurPhoto; Bearbeitung: netzpolitik.org</figcaption></figure>

Lange Zeit war es üblich, im Mobilfunk Telefonie über das Internet (VoIP) zu blockieren. Manche Betreiber sperrten Chat-Dienste wie WhatsApp in ihren Netzen. Andere unterbanden den Zugriff auf VPN-Dienste oder sogar E-Mail-Postfächer – meist, um eigene Produkte wie den Goldesel SMS oder Auslandstelefonie zu schützen. Denn über das offene Internet erreichbare Online-Dienste haben ihnen das Wasser abgegraben. Das ist Vergangenheit: Heutzutage ist kaum noch vorstellbar, wie die meisten Mobilfunkbetreiber ihre Kund:innen gegängelt haben.


Vor zehn Jahren hat die EU das Prinzip der Netzneutralität gesetzlich festgeschrieben. Netzbetreiber, ob für Festnetz oder Mobilfunk, können seitdem nicht mehr willkürlich Online-Dienste, Websites oder Endgeräte ausschließen oder anderweitig diskriminieren. Die Netzneutralität soll sicherstellen, dass das Internet offen bleibt und nicht zu einer Spielart von Kabel-TV verkommt, bei dem jedes Stückchen des Netzes in zubuchbare Pakete verpackt und vermarktet wird.


Nun sollen nach dem Willen der EU-Kommission zumindest Teile dieser Regeln zur Netzneutralität auf den Prüfstand. Die Kommission bereitet dafür derzeit ein umfassendes Gesetz rund um Telekommunikation vor. Präsentieren will sie ihren Entwurf des sogenannten Digital Network Act (DNA) noch in diesem Jahr. Als Teil des Gesetzgebungsverfahrens hat sie im Sommer grobe Vorstellungen skizziert und um Stellungnahmen gebeten, die netzpolitik.org ausgewertet hat.


Wiedergänger Datenmaut


Für Debatten sorgen vor allem zwei Aspekte: Zum einen verweist die Kommission ausdrücklich auf mutmaßliche Rechtsunsicherheiten rund um sogenannte Spezialdienste. Damit sind besonders anspruchsvolle Online-Dienste gemeint, die sich über das offene Internet nicht realisieren lassen, bespielsweise garantiert ruckelfreie medizinische Eingriffe übers Internet. Manchen Netzbetreibern sind die Vorgaben aus Brüssel zu streng oder nicht detailliert genug, Verbraucherschutzorganisationen hingegen warnen vor bezahlten Überholspuren zu Lasten des freien Netzes.


Dieses Internet der Zukunft wünschen sich die mächtigen Telekom-Konzerne



Zum anderen wirkt offenkundig der Vorschlag einer Datenmaut weiterhin nach. Vor Jahren hatte der inzwischen aus der Kommission ausgeschiedene Thierry Breton in den Raum gestellt, große Online-Dienste wie Netflix oder Meta für den Zugang in europäische Netze extra bezahlen zu lassen. Damals hat sich Breton zwar eine Abfuhr eingehandelt, den aktuellen DNA-Stellungnahmen zufolge scheint das Thema aber noch nicht restlos erledigt zu sein.


Branche springt auf Zeitgeist auf


Das hat einen einfachen Grund: Politisch fällt es immer schwerer zu vertreten, meist aus dem US-amerikanischen Silicon Valley stammende IT-Megakonzerne regulatorisch und steuerrechtlich mit Samthandschuhen anzufassen, während deren Milliardengewinne in den Taschen der Unternehmen und Aktionäre verschwinden. In den vergangenen Jahren verabschiedete EU-Gesetze wie der Digital Services Act und der Digital Markets Act zählen zu den ersten Anläufen, die Macht der großen Online-Dienste zumindest teilweise einzudämmen.


Die letzten derartigen Versuche dürften das nicht bleiben, schließlich gibt es bei Alphabet & Co. noch viel zu holen. Nicht nur die Kommission sieht das so: Seit Jahren finden sich in Beschlüssen des EU-Rats oder des Parlaments regelmäßig Forderungen danach, dass alle Akteure im digitalen Raum „einen fairen und angemessenen Beitrag zu den Kosten öffentlicher Güter, Dienstleistungen und Infrastrukturen zu leisten“ haben, heißt es etwa in der europäischen Erklärung digitaler Grundrechte.


Auf eine Datenmaut muss das nicht zwangsläufig hinauslaufen, in Frage käme etwa auch eine Digitalsteuer, mit der sich mehr Gerechtigkeit versuchen ließe. Doch an dem scheinbar naheliegenden Instrument hat sich die EU bislang die Zähne ausgebissen. Zu groß war der Widerstand aus der Industrie und manchen EU-Ländern, die etwa Großkonzerne mit Steuervorteilen locken – oder auch verhindern wollen, dass eine mit Eigenmitteln ausgestattete EU-Kommission zu mächtig würde.


Diese Situation haben vor allem große Netzbetreiber auszunutzen versucht. Um den EU-Verantwortlichen die Idee so schmackhaft wie möglich zu machen, zettelten sie unter dem Schlagwort „Fair Share“ besagte Debatte über eine Datenmaut an: Im Tausch gegen eine abgeschwächte Netzneutralität sollen Online-Dienste einen „fairen“ Beitrag für die Nutzung europäischer Infrastruktur leisten, so das Kernargument.


Letzter Versuch „Streitbeilegungsstelle“


Bislang sind sie damit abgeblitzt. Große Netzbetreiber wittern mit dem DNA jedoch ihre vorerst letzte Chance, einen Mechanismus zur Kostenbeteiligung gesetzlich verankern zu lassen. Die europäischen Ex-Monopolisten scheinen sich darauf geeinigt zu haben, sich gemeinsam für eine Vermittlungsstelle einzusetzen. Offenbar an Gerichten vorbei, die solche bisher seltenen Streitigkeiten aufgelöst haben, soll dieser auf den ersten Blick unverfängliche „dispute resolution mechanism“ etwaige Auseinandersetzungen rund um Zusammenschaltungsentgelte zwischen Netzbetreibern und Inhalteanbietern auflösen.


Entsprechend nehmen viele aktuelle Stellungnahmen zum DNA die Debatte wieder auf – mit weitgehend den gleichen Argumenten, die bereits bei einer vorherigen Konsultation ausgetauscht wurden. So verweist etwa die Nichtregierungsorganisation Internet Society (ISOC) auf Untersuchungen des EU-Gremiums GEREK, in dem sich europäische Telekom-Regulierungsbehörden koordinieren. Wiederholt haben dort die Regulierer in Untersuchungen festgestellt, dass der sogenannte Interconnection-Markt funktioniere und falsche Regulierung das offene Internet gefährden könnte.


„Der vorgeschlagene Mechanismus zur Streitbeilegung bei Vereinbarungen zur IP-Zusammenschaltung – der dem diskreditierten ‚Fair Share‘-Modell entspricht – sollte abgelehnt werden, da es keine Hinweise auf ein Marktversagen oder die Notwendigkeit regulatorischer Eingriffe gibt“, fasst ISOC, welche maßgeblich an der derzeitigen Internet-Governance beteiligt ist, den unveränderten Stand der Debatte zusammen.


Solche Debatten musste ISOC seit seiner Gründung Anfang der 1990er-Jahre schon mehrfach führen. Es dürfte auch nicht das letzte Mal sein, dass große Netzbetreiber einstige Pfründe wie das sogenannte Terminisierungsmonopol wieder aufleben lassen wollen.


Internet lebt von „Autonomie und Innovation“


Etwas grundsätzlicher erklärt ISOC, warum dies ein Rückschritt wäre: Die Einführung formaler Mechanismen wie eines Streitbeilegungsmechanismus oder „erleichterte Zusammenarbeit“ würde das Erfolgsmodell des Internets untergraben, warnt die Organisation. Damit würde „die Grenze zwischen freiwilliger Optimierung und vorgeschriebener Leistung verwischt“, was zu Reibungsverlusten in einem System führen würde, das von Autonomie und Innovation lebe.


Netzbetreiber und Online-Diensteanbieter mögen zwar ein gemeinsames Interesse an einer guten Endnutzererfahrung haben. Doch es sei ein grundlegender Fehler, dies mit einer gemeinsamen Verantwortung gleichzusetzen, die regulatorischer Durchsetzung bedürfe, so ISOC: „Der Erfolg des Internets beweist dies, da es auf einem dezentralen Modell beruht, in dem jeder Akteur seine eigenen Abläufe unabhängig optimiert, ohne vorgeschriebene Koordination oder gemeinsame Leistungsgarantien.“


Vor unerwünschten Effekten warnt auch die

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Tomas Rudl