Ein Muss für Pynchon-Fans: Der neue Roman „Schattennummer“
Update: 2025-10-14
Description
Der erste Satz setzt schon den Ton:
Wir befinden uns im Jahr 1932. Big Al ist Al Capone. Und die Bier- und Milchstadt Milwaukee, eine sehr deutsche Mischung, leidet unter dem strikten Alkoholverbot, das man nur mit regester Schmuggeltätigkeit über Kanada umgehen kann. Aber jetzt klingt auch diese Stadt, wie es gleich zu Beginn heißt, langsam wie Chicago.
Der, der schleunigst verschwinden muss, ist der Kleinkriminelle und Schmuggler Stuffy Keegan, der beinahe einem Bombenattentat zum Opfer gefallen wäre. Aber wie er verschwindet, ist typisch Thomas Pynchon. Er flüchtet nämlich in einem U-Boot, das in den Großen Seen kreist und auftaucht, eigentlich zum Armeebestand der österreichisch-ungarischen k. und k. Monarchie gehörte und nach dem ersten Weltkrieg hätte verschrottet werden müssen.
Der Held des Romans, der Detektiv Hicks McTaggart, versucht, der Geschichte auf den Grund zu gehen, erhält aber dann den sehr viel lukrativeren Auftrag, die Tochter des Käsebarons Bruno Airmont aufzutreiben, die mit dem Klarinettisten einer Swingband durchgebrannt ist. Hört sich wild an, ist aber erst der Anfang.
McTaggart findet sich auf einem Schiff wieder, betäubt wie er war, hat er keine Ahnung, wie, und landet in einem aufgeregten, hysterischen Europa Anfang der 1930 Jahre, in denen der Faschismus sein Haupt erhebt und die verschiedensten Geheimdienste der diversen Groß- und Mittelmächte unseren Helden mal überwachen, ihn manipulieren zu versuchen, wenn nichts Schlimmeres, unterstützt von Paraphysikern.
Dazu kommt eine Moto Guzzi-fahrenden Agentin, die bei einer wilden Rallye durch ehemalige k. und k. Ländereien mitfährt, eine Alptraumlandschaft, bevölkert von Dracula-Abkömmlingen, die sich als Faschisten entpuppen.
Am Ende landet man in Fiume, wo sonst, dem heutigen Rijeka. Dort hatte Italiens Kostümfaschist Nummer 1, der Schriftsteller Gabriele d`Annunzio, nach dem ersten Weltkrieg seine kurzlebige rechte Kommune begründet. Kurz: Pynchon erzählt eine Spionage- und Detektivgeschichte im Zeitalter der Extreme.
Wir haben es mit Genreliteratur zu tun – aber im Augenblick ihrer Explosion. Diesem Durcheinander wird kein Ermittler mehr Herr, vor allem wenn ihn doch eher Frauen zu interessieren scheinen als der Fall. Und wenn man McTaggart mit seiner Geliebten April sprechen hört, dann klingt es manchmal so, als würden Lauren Bacall und Humphrey Bogart sich verliebte Sticheleien zuwerfen.
Man merkt, Pynchon ist ein großer Kinofan, wenngleich der Dialog etwas klischeehaft anmutet. Aber die Protagonisten bei Thomas Pynchon hatten immer schon etwas Comic-haftes. Das hat nie verhindert, dass er die große Weltpolitik, die vielen kleinen persönliche Geschichten und die lapidare Existenzfrage: Hat das denn alles einen Sinn?, sehr lässig unter einen erzählerischen Hut brachte.
Seine Helden sind Figuren auf einem Schachbrett, das man nie ganz zu Gesicht bekommt, bis es am Ende zu verschwinden droht. Übrig bleibt ein Wimmelbild von Geheimdienstlern, Strippenziehern, Verfolgten und Verfolgern, die schnell mal die Position wechseln. Unübersichtlichkeit ist Pynchons erzählerische Methode, in jedem Augenblick können die Regeln geändert werden, in jedem Moment ist alles möglich, das nennt man Entropie. Kurz: lose Enden sind erwünscht.
Vielleicht sind es im neuen Roman ein paar zu viele, so schnell wechseln die Szenen und Protagonisten. Die einzelnen Episoden dominieren den Plot. Wobei man sich bei Pynchon als PLOT keine lineare Erzählung vorstellen darf, sondern ein ausgeklügeltes Netzwerk von Verweisen und Verknüpfungen.
In „Schattennummer“ scheint es so, als ob es diese erzählerische Tiefenstruktur nicht mehr geben würde, und das hat ganz inhaltliche Gründe, weil die ja die politische Landschaft widerspiegelt mit all den Mächten im Untergrund, dem deep state.
Was, wenn die Macht auf die Oberfläche gewechselt ist? Was, wenn sie sich gar nicht mehr verbergen muss? Was, wenn Thomas Pynchon im Scheitern davon erzählt, dass der Faschismus ein System ohne Geheimnis ist? Dass er seine Wahrheiten in die Welt hinausbrüllt, dass er nichts zu verbergen hat, dass er sagt, was er zu tun gedenkt?
Schwer für einen Erzähler der Paranoia, der Tiefenstruktur. Schwer auch für einen Ermittler wie Hicks, ein Detektiv ohne Fortune, der durch das offensichtliche Chaos der Fake News stolpert, hinter denen keine Wahrheit steckt.
Am Ende reist Bruno Airmont, der Käsebaron, mit dem U-Boot zurück in die USA und erkennt seine Heimat nicht wieder.
Die Freiheitsstatue existiert nicht mehr, man sieht
„die etliche hundert Meter hohe Statue einer maskierten Frau in nicht so sehr zeremonieller als vielmehr gefechtsmäßiger, militärischer Montur.“
Das ist Pynchons Kommentar zum gegenwärtigen Amerika.
Wenn Ärger in die Stadt kommt, nimmt er meist die North-Shore-Linie. Weiter südlich am See, in Chicago, sind die Zeiten hart, der Wind hat gedreht, die Aufhebung der Prohibition steht kurz bevor, Big Al sitzt im Bundesknast in Atlanta, das Syndikat ist sprunghaft und unberechenbar geworden, und wer einen Vorwand braucht, schleunigst zu verschwinden, fährt rauf nach Milwaukee, wo selten was Schlimmeres passiert, als dass einem jemand einen Fisch klaut.Quelle: Thomas Pynchon – Schattennummer
Wir befinden uns im Jahr 1932. Big Al ist Al Capone. Und die Bier- und Milchstadt Milwaukee, eine sehr deutsche Mischung, leidet unter dem strikten Alkoholverbot, das man nur mit regester Schmuggeltätigkeit über Kanada umgehen kann. Aber jetzt klingt auch diese Stadt, wie es gleich zu Beginn heißt, langsam wie Chicago.
Der, der schleunigst verschwinden muss, ist der Kleinkriminelle und Schmuggler Stuffy Keegan, der beinahe einem Bombenattentat zum Opfer gefallen wäre. Aber wie er verschwindet, ist typisch Thomas Pynchon. Er flüchtet nämlich in einem U-Boot, das in den Großen Seen kreist und auftaucht, eigentlich zum Armeebestand der österreichisch-ungarischen k. und k. Monarchie gehörte und nach dem ersten Weltkrieg hätte verschrottet werden müssen.
Spionage- und Detektivgeschichte Detektivgeschichte im Zeitalter der Extreme
Der Held des Romans, der Detektiv Hicks McTaggart, versucht, der Geschichte auf den Grund zu gehen, erhält aber dann den sehr viel lukrativeren Auftrag, die Tochter des Käsebarons Bruno Airmont aufzutreiben, die mit dem Klarinettisten einer Swingband durchgebrannt ist. Hört sich wild an, ist aber erst der Anfang.
McTaggart findet sich auf einem Schiff wieder, betäubt wie er war, hat er keine Ahnung, wie, und landet in einem aufgeregten, hysterischen Europa Anfang der 1930 Jahre, in denen der Faschismus sein Haupt erhebt und die verschiedensten Geheimdienste der diversen Groß- und Mittelmächte unseren Helden mal überwachen, ihn manipulieren zu versuchen, wenn nichts Schlimmeres, unterstützt von Paraphysikern.
Dazu kommt eine Moto Guzzi-fahrenden Agentin, die bei einer wilden Rallye durch ehemalige k. und k. Ländereien mitfährt, eine Alptraumlandschaft, bevölkert von Dracula-Abkömmlingen, die sich als Faschisten entpuppen.
Am Ende landet man in Fiume, wo sonst, dem heutigen Rijeka. Dort hatte Italiens Kostümfaschist Nummer 1, der Schriftsteller Gabriele d`Annunzio, nach dem ersten Weltkrieg seine kurzlebige rechte Kommune begründet. Kurz: Pynchon erzählt eine Spionage- und Detektivgeschichte im Zeitalter der Extreme.
Explodierende Genreliteratur
Wir haben es mit Genreliteratur zu tun – aber im Augenblick ihrer Explosion. Diesem Durcheinander wird kein Ermittler mehr Herr, vor allem wenn ihn doch eher Frauen zu interessieren scheinen als der Fall. Und wenn man McTaggart mit seiner Geliebten April sprechen hört, dann klingt es manchmal so, als würden Lauren Bacall und Humphrey Bogart sich verliebte Sticheleien zuwerfen.
„Du Mistkerl.“
„Ach komm, ist doch bloß ein Song.“
„Du bist in Schwierigkeiten, Hicks.“
„Solange ich sie nur bei dir habe, mein Engel“
„Bist in großen Schwierigkeiten und weißt es nicht mal.“
„Das musst gerade du sagen.“
„Salonlöwen und Ehemänner auf Abwegen, Zuckerbär – vergiß sie, dieses Mal ist es ernst.“
„Zur ersten großen Lektion des Lebens: Geld redet, kommt jetzt die zweite: Liebespartner gehen fremd.“Quelle: Thomas Pynchon – Schattennummer
Man merkt, Pynchon ist ein großer Kinofan, wenngleich der Dialog etwas klischeehaft anmutet. Aber die Protagonisten bei Thomas Pynchon hatten immer schon etwas Comic-haftes. Das hat nie verhindert, dass er die große Weltpolitik, die vielen kleinen persönliche Geschichten und die lapidare Existenzfrage: Hat das denn alles einen Sinn?, sehr lässig unter einen erzählerischen Hut brachte.
Seine Helden sind Figuren auf einem Schachbrett, das man nie ganz zu Gesicht bekommt, bis es am Ende zu verschwinden droht. Übrig bleibt ein Wimmelbild von Geheimdienstlern, Strippenziehern, Verfolgten und Verfolgern, die schnell mal die Position wechseln. Unübersichtlichkeit ist Pynchons erzählerische Methode, in jedem Augenblick können die Regeln geändert werden, in jedem Moment ist alles möglich, das nennt man Entropie. Kurz: lose Enden sind erwünscht.
Chaos ohne Wahrheit
Vielleicht sind es im neuen Roman ein paar zu viele, so schnell wechseln die Szenen und Protagonisten. Die einzelnen Episoden dominieren den Plot. Wobei man sich bei Pynchon als PLOT keine lineare Erzählung vorstellen darf, sondern ein ausgeklügeltes Netzwerk von Verweisen und Verknüpfungen.
In „Schattennummer“ scheint es so, als ob es diese erzählerische Tiefenstruktur nicht mehr geben würde, und das hat ganz inhaltliche Gründe, weil die ja die politische Landschaft widerspiegelt mit all den Mächten im Untergrund, dem deep state.
Was, wenn die Macht auf die Oberfläche gewechselt ist? Was, wenn sie sich gar nicht mehr verbergen muss? Was, wenn Thomas Pynchon im Scheitern davon erzählt, dass der Faschismus ein System ohne Geheimnis ist? Dass er seine Wahrheiten in die Welt hinausbrüllt, dass er nichts zu verbergen hat, dass er sagt, was er zu tun gedenkt?
Schwer für einen Erzähler der Paranoia, der Tiefenstruktur. Schwer auch für einen Ermittler wie Hicks, ein Detektiv ohne Fortune, der durch das offensichtliche Chaos der Fake News stolpert, hinter denen keine Wahrheit steckt.
Am Ende reist Bruno Airmont, der Käsebaron, mit dem U-Boot zurück in die USA und erkennt seine Heimat nicht wieder.
Die Freiheitsstatue existiert nicht mehr, man sieht
„die etliche hundert Meter hohe Statue einer maskierten Frau in nicht so sehr zeremonieller als vielmehr gefechtsmäßiger, militärischer Montur.“
Das ist Pynchons Kommentar zum gegenwärtigen Amerika.
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