Interozeption - Signale aus dem Körperinneren - radioWissen
Description
Wenn wir Angst haben, schlägt unser Herz schneller. Oder haben wir Angst, weil unser Herz schneller schlägt? Es ist ein kleiner, aber wichtiger Unterschied. Einige Forschende sprechen von einer Art "innerem Sinn", mit dem wir Prozesse im Körper wahrnehmen. Wie beeinflusst uns das? Von Maike Brzoska
Credits
Autorin dieser Folge: Maike Brzoska
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Katja Amberger, Friedrich Schloffer
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
Thomas Forkmann, Professor an der Universität Duisburg-Essen
Beate Herbert, Professorin an der Hochschule Fresenius München
Christian Roggenhofer, Psychologe und Psychotherapeut in Pforzheim
Wolfgang Tschacher, emer. Professor an der Universität Bern
Diese hörenswerten Folgen von Radiowissen könnten Sie auch interessieren:
Der innere Kritiker - Wie man ihn verstehen und besänftigen kann
JETZT ENTDECKEN
Vertrauen - Wie wir es entwickeln und gewinnen
JETZT ENTDECKEN
Wie lernen wir, Emotionen zu kontrollieren? - Von Wutausbrüchen, Freudensprüngen und Bedürfnissaufschub
JETZT ENTDECKEN
Unter Hochstaplern - Das Impostor-Syndrom
JETZT ENTDECKEN
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 Radiowissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnach nimmt Euch "Wie wir ticken" mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek und freitags überall, wo ihr sonst eure Podcasts hört.
ZUM PODCAST
Linktipps:
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
JETZT ENTDECKEN
Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Vor einigen Jahren machte ein Hautarzt in den USA eine erstaunliche Entdeckung. Seinen Patientinnen und Patienten spritzte er regelmäßig das Bakteriengift Botulinumtoxin, besser bekannt als Botox.
01 OT (Tschacher)
Also Botox ist ja so ein Gift, das man injizieren kann in kleinen Dosen und dann gehen die Falten weg.
SPRECHERIN
Sagt der Psychologe Wolfgang Tschacher. Er ist emeritierter Professor an der Universität Bern. Botox lähmt die Muskeln, in die es gespritzt wird. Wird es zum Beispiel in die tiefe Stirn injiziert, verschwindet die Sorgenfalte zwischen den Augenbrauen. Eine gängige Behandlung, die auch der Dermatologe in den USA regelmäßig vornahm. Dabei fiel ihm mit der Zeit auf, dass bei einigen Patienten durch die Behandlung nicht nur die Sorgenfalten verschwanden – sondern auch die Sorgen. Der Faltenkiller Botox ein Antidepressivum? Mittlerweile haben auch Forschende das Phänomen untersucht.
02 OT (Tschacher)
Tatsächlich hat man einen geringen Effekt gefunden von solchen Interventionen. Also ich bin jetzt selbstverständlich nicht dafür, dass man Depressionen mit Botox-Injektionen behandeln sollte. Ich denke, da gibt es bessere psychologische und psychotherapeutische Verfahren. Aber der Effekt ist auch in dem Zusammenhang vorhanden.
SPRECHERIN
Die Muskeln in der Stirn haben also offenbar einen Einfluss auf die Stimmung. So als würden sie melden: Alles entspannt an der Stirnfront!
03 OT (Tschacher)
Mein Gesichtsausdruck ist so, als ob es mir gut geht. Und dann geht es mir ein kleines bisschen wirklich besser.
MUSIK 2 ( Lisa-Maria Puy: Hey Lovely (Instrumental)1‘10)
SPRECHERIN
Ähnliche Effekte haben Forschende auch in anderen Experimenten gefunden. So führte ein erzwungenes Lächeln dazu, dass die Teilnehmenden einen Cartoon lustiger fanden. Das Lächeln kam so zustande, dass die Probanden beim Anschauen des Cartoons einen Stift zwischen den Zähnen halten mussten. Auf diese Weise wird ein Muskel aktiviert, der auch beim Lächeln angespannt wird. Und auch hier zeigte sich: Eine körperliche Veränderung führte zu einer veränderten Stimmung, und – in diesem konkreten Fall – zu einer anderen Bewertung des Cartoons. Im Gesicht haben wir besonders viele Muskeln, um Stimmungen und Gefühle auszudrücken. Wenn wir lächeln, spannen wir Mund- und Augenpartien an. Wir runzeln die Stirn, wenn wir nachdenken oder zweifeln. Und wir machen große Augen, wenn wir erstaunt sind. Aber auch unser ganzer Körper spiegelt wider, wie es uns geht. Das zeigt sich zum Beispiel beim Gehen.
04 OT (Tschacher)
Wir gehen je nach Emotion unterschiedlich. Die Gangart, die ganze körperliche Koordination beim Gehen, beim alltäglichen Gehen ist geprägt durch die Stimmung. Wir gehen unterschiedlich, wenn wir trauriger Stimmung sind, als wenn wir fröhlich sind.
SPRECHERIN
Wenn Menschen bedrückt sind, niedergeschlagen, dann bewegen sie auch entsprechend: Sie gehen eher nach vorne gebeugt und sind gekrümmt. Sind sie hingegen fröhlich, dann gehen sie aufrecht und federn leicht nach oben. Und auch hier kann man über den Körper – genauer: über die Körperhaltung – Einfluss nehmen auf die Gefühle. Das zeigen entsprechende Studien, aber ein Stück weit ist das auch Alltagswissen. So sagen wir zu jemandem mit gedrückter Stimmung: Kopf hoch! Oder nach vorne schauen! Wir empfehlen also Körperhaltungen, bei denen man sich eher aufrichtet.
05 OT (Tschacher)
Und wenn man das Gehen beeinflusst, dann hat es ne Rückwirkung auf die Psyche, auf die Emotion. Also es geht in beide Richtungen, und das findet man nicht nur beim Gehen, sondern in vielerlei anderer Hinsicht auch.
SPRECHERIN
Körper und Psyche beeinflussen sich gegenseitig. Forschende sprechen von Embodiment, zu deutsch: Verkörperung. Das bedeutet, Stimmungen, Gedanken und Gefühle auf der einen Seite und Mimik, Haltung und vegetative Reaktionen, wie ein beschleunigter Puls, auf der anderen Seite sind untrennbar miteinander verbunden. Es gibt ständig wechselseitige Rückmeldungen – ähnlich wie in einem Pingpong-Spiel. Dieses Wissen macht man sich inzwischen bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen zunutze.
06 OT (Tschacher)
Das ist was, was sich schon durchgesetzt hat in vielen Bereichen, also man macht Yoga, man macht Kampfsportarten, man macht Achtsamkeitstraining und Meditation, was sehr stark körperlich fundiert ist, durch geregeltes Atmen, spezielle Form des Sitzes. Also da ist es schon so, dass man sich in bestimmte psychische Zustände hineinbegeben kann, und zwar dadurch, dass man den Körper variiert und in die richtige Position und Positur bringt.
MUSIK 3 ( Konstantin Gropper & Ziggy Has Ardeur - Lesson 3 – Communication 0‘40)
SPRECHERIN
Eine beliebte Achtsamkeitsübung ist der sogenannte Body-Scan. Dabei wird die Aufmerksamkeit nacheinander auf verschiedene Körperteile gelenkt.
ZITATOR
Richte deine Aufmerksamkeit nun deine Füße. Was nimmst du wahr? Den Kontakt mit dem Boden? Vielleicht Wärme oder Kälte? Nun wandere mit deiner Aufmerksamkeit von deinen Zehen über die Füße und Knöchel weiter zu den Unterschenkeln….
SPRECHERIN
Durch den Body-Scan kann man lernen, den eigenen Körper besser wahrzunehmen, ihn besser zu spüren. Denn darin unterscheiden sich die Menschen. Das zeigt zum Beispiel der sogenannte Herzraten-Test.
07 OT (Forkmann)
Der klassische Test sieht vor, dass man im Prinzip seinen Herzschlag zählen soll, ohne Hilfsmittel, also ohne die Uhr zur Hilfe zu nehmen oder den Puls zu fühlen.
MUSIK 4 ( Massive Attack: Teardrop 1‘00)
SPRECHERIN
Sagt der Psychologe Thomas Forkmann. Er ist Professor an der Universität Duisburg-Essen.
08 OT (Forkmann)
Und gleichzeitig wird ein EKG aufgezeichnet, das heißt, die tatsächlich stattfindenden Herzschläge werden gemessen und aufgenommen. Und dann kann man daraus eine Übereinstimmung berechnen, also letztlich errechnen, wie gut die eigene gezählte Wahrnehmung der Herzschläge mit der objektiv gemessenen übereinstimmt.
SPRECHERIN
Es zeigte sich, dass die meisten Menschen eine ungefähre Ahnung haben, wie oft ihr Herz schlägt. Aber ein kleiner Teil, etwa 10 bis 20 Prozent, nimmt den eigenen Herzschlag ganz genau wahr, kann also praktisch mitzählen, wie oft das Herz schlägt. Der Herzraten-Test gilt als Maß für die sogenannte Interozeption. Das ist eine