DiscoverScience on Player FMNie mehr Kopfrechnen? - Rechenschieber, Taschenrechner & Co. - radioWissen
Nie mehr Kopfrechnen? - Rechenschieber, Taschenrechner & Co. - radioWissen

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Update: 2024-11-15
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Abakus, Rechenschieber, Taschenrechner: Schon lange nutzt der Mensch Hilfsmittel, um nicht alles im Kopf ausrechnen zu müssen. Solche Rechenhelfer hatte man früher aber nicht immer dabei. Heute greifen wir selbst für simple Aufgaben zur Smartphone-App. Wie wirkt sich das auf unsere Fähigkeiten aus? Von David Globig.


Credits
Autor dieser Folge: David Globig
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Heiko Ruprecht, Katja Schild, Clemens Nicol
Technik:
Redaktion: Hellmuth Nordwig


Im Interview:
Daniel Timms, Kopfrechen-Trainer
Dr. Christina Artemenko, Fachbereich Psychologie, Universität Tübingen
Prof. Hans-Christoph Nürk, Diagnostik und kognitive Neuropsychologie, Universität Tübingen
Dr. Gert Mittring, Psychologe und Kopfrechen-Weltrekordler
Prof. Stefan Ufer, Didaktik der Mathematik und Informatik, Ludwig-Maximilians-Universität München
Caroline Merkel, Organisatorin der Junioren Kopfrechen-WM
Niklas Arndt, Schüler
Willem Bouman, Kopfrechen-Künstler



Linktipps:

Junioren Kopfrechen-Weltmeisterschaft  HIER


Arbeitsbereiche Diagnostik und Kognitive Neuropsychologie der Universität Tübingen HIER


Internetseite von Gesprächspartner Daniel Timms  HIER


Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.


Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.


Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:


01 ZUSP Atmo Timms, darüber:



SPRECHER:


Ein Klassenzimmer in einem Bielefelder Gymnasium. An diesem Sonntag sind die Räume ausnahmsweise nicht leer: Gut 80 Kinder und Jugendliche sind aus aller Welt gekommen, um sich auf die Junioren-Kopfrechen-Weltmeisterschaft vorzubereiten. Dazu gibt es Workshops, und einen davon leitet der Kopfrechen-Trainer Daniel Timms [englische Aussprache]. Aufmerksam hört ihm eine Gruppe von Jugendlichen zu. Gerade erzählt Timms etwas zu den Überraschungs-Aufgaben, für die es am nächsten Tag im eigentlichen Wettbewerb Sonderpunkte geben wird.


(MUSIK unter den letzten Worten ausgeblendet)


Atmo Timms kurz hoch, darüber:


SPRECHER:


Innerhalb von zwei Stunden sollen die Jugendlichen hunderte von Aufgaben lösen. Ausschließlich im Kopf. Einen Stift dürfen sie nur benutzen, um die Ergebnisse aufzuschreiben – keine Zwischenschritte. Die Aufgaben sind anspruchsvoll: Ziehe die Kubikwurzel aus einer zwölfstelligen Zahl. Oder zerlege eine neunstellige Zahl in ihre Primfaktoren. Rechne aus, in welchen Monaten des Jahres 2078 der 18. auf einen Montag fällt.


Natürlich braucht man so etwas nicht im Alltag. Doch auf nicht ganz so hohem Niveau ist Kopfrechnen auch im täglichen Leben nützlich, betont Daniel Timms [englische Aussprache].


02 ZUSP Timms:


"For most people the most practical thing...


Voiceover: 


Für die meisten Menschen ist das Praktischste daran, dass sie etwa ihre Zeitplanung im Kopf machen können. Oder dass sie die Größenordnung von Zahlen verstehen. Wissen Sie zum Beispiel, was 1 Million geteilt durch vier ist? Viele Menschen wissen vielleicht noch, dass bei der Antwort 25 eine Rolle spielt. Aber ist die Antwort 25.000? Nein, es sind 250.000. Und das ist keine schwierige Kopfrechnung, aber viele Menschen haben schon lange nicht mehr auf diese Weise über Zahlen nachgedacht und finden etwa Berechnungen mit Geldbeträgen sehr schwierig. Das ist für mich einer der unterschätzten Aspekte des Kopfrechnens, die jeden betreffen - egal, ob man glaubt, gut in Mathematik zu sein oder nicht.


...think you are good at mathematics or not."


SPRECHER:


Matheaufgaben in den vier Grundrechenarten im Kopf zu lösen - eine Zahl plus eine andere Zahl, minus, mal oder geteilt durch: Das lernen bei uns alle Schülerinnen und Schüler schon in der Grundschule. Das Einmaleins z.B.: Irgendwann hat man dann die Lösung für 6 mal 7 einfach parat – und vielleicht sogar für 16 mal 17: ... 272. Das ist dann schon das große Einmaleins.


Was beim Rechnen im Kopf passiert, das kann selbst bei einfachen Aufgaben ziemlich komplex sein: Die unterschiedlichsten Regionen des Gehirns sind daran beteiligt, erklärt Dr. Christina Artemenko. Sie arbeitet am Fachbereich Psychologie der Universität Tübingen und erforscht unter anderem, wie der Mensch Zahlen verarbeitet und wie er mit ihnen rechnet. 


03 ZUSP Artemenko:


"Beispielsweise in der Multiplikation lernen Kinder schon in der zweiten und dritten Klasse die Multiplikations-Fakten quasi auswendig: 3 mal 5 ist 15. Das sind Fakten, die bei uns im Gehirn abgespeichert sind und dann immer wieder abgerufen werden."


SPRECHER:


Mit bildgebenden Verfahren lässt sich zeigen: Die Bereiche, in denen solche bekannten Informationen abgespeichert sind, liegen im Gehirn an einer anderen Stelle, als die Areale, die man benötigt, um tatsächlich etwas spontan auszurechnen.


04 ZUSP Artemenko:


"Wenn ich jetzt beispielsweise eine Aufgabe stelle wie 96 minus 25, da muss man Schritt für Schritt rechnen. Man muss die Zahlen in Zehner und Einer zerlegen, und da sind viele Rechenschritte nötig. Das sind Aufgaben, die ganz anders im Gehirn repräsentiert sind. Dafür brauchen wir Ressourcen im frontalen Kortex, also vorn im Gehirn, die so die Rechenschritte und Arbeitsgedächtnis-Prozesse und sowas wiedergeben."


STIMME OBEN – BITTE ABNEHMEN!


SPRECHER:


... wobei die im Langzeitgedächtnis abgespeicherten Fakten - wie das kleine Einmaleins - auch das sogenannte Arbeitsgedächtnis unterstützen. Es kommt ins Spiel, wenn Aufgaben den auswendig gelernten Zahlenbereich verlassen, ergänzt Hans-Christoph Nürk. Er ist Professor für Diagnostik und kognitive Neuropsychologie an der Universität Tübingen.


05 ZUSP Nürk:


"Wir wissen, dass beim komplexen Rechnen, also wenn ich Ihnen jetzt die Rechenaufgabe gebe 17 mal 29, es Ihnen natürlich schon hilft, also, wenn Sie es im Kopf rechnen müssen, wenn Sie die einfachen Multiplikationszahlen parat haben. Weil wir wissen, dass bei komplexen Aufgaben das Arbeitsgedächtnis sehr belastet ist. Und wenn Sie das Arbeitsgedächtnis entlasten können, weil Sie bestimmte Fakten, einfache Fakten, kleines Einmaleins, einfach abrufen können, dann können Sie natürlich besser rechnen."


SPRECHER:


Zahlen merken wir uns einerseits als Wörter, wir können sie aber auch vor unserem inneren Auge sehen. Etwa tatsächlich als Ziffern.


Manche von uns sehen Zahlen sogar wie auf einer Art Zahlenstrahl: kleinere Zahlen weiter links, größere weiter rechts. Oder die Zahlen sind auf eine bestimmte Weise im Raum verteilt.


MUSIK


SPRECHER:


Klar ist: Kopfrechnen beherrscht man nicht einfach so – aber viele Experten halten es für wichtig, dass man es kann.


06 ZUSP Mittring:


"Wenn Sie eine gute Kopfrechnen-Grundkompetenz haben, dann haben sie erst einmal viele Vorteile für den Alltag, dass Sie praktisch ihren Alltag geschickter auch einteilen können. Dass Sie ungefähr eine Vorstellung haben, wie lange dauert was. Sie würden auch im Supermarkt nicht zu viel bezahlen.


SPRECHER:


Weil man beim Einpacken in den Einkaufswagen im Kopf grob mitrechnen kann, meint Dr. Gert Mittring. Er ist Psychologe - und hat selbst mehrfach Weltrekorde im Kopfrechnen aufgestellt.


In einer Zeit, in der Zahlen eine so große Rolle in unserem Leben spielen, hält er die Fähigkeit für notwendig, z.B. einen Geldbetrag im Kopf zu überschlagen und Größenordnungen abzuschätzen.


Ähnlich sieht es Stefan Ufer. Er ist Professor für Didaktik der Mathematik und Informatik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Für ihn ist außerdem entscheidend: Kopfrechnen schafft eine Grundlage, auf der weitere mathematische Fähigkeiten aufbauen können. Etwa dadurch, dass man beim Kopfrechnen mathematische Strukturen nutzt.


07 ZUSP Ufer:


"Also wir rechnen 7 mal 8 in der zweiten Klasse. Da lernen die Kinder irgendwelche Kernaufgaben, die werden relativ schnell automatisiert, z.B. die Vielfachen von 2 und von 5. Also können sie rechnen: 7 mal 8 ist 2 mal 8 plus 5 mal 8. Das ist eine typische Strategie. Da hängt eine gewisse Struktur dahinter. Später lernen die Kinder: Ach, das ist eine ganz allgemeine Struktur, das heißt Distributivgesetz. Später wird gelernt: Ach, das heißt eigentlich auch Ausklammern. Das kann ich ganz allgemein nicht nur mit Zahlen, auch mit Termen machen. Später sieht es dann plötzlich aus wie die binomischen Formeln. Und wir sehen, diese Strukturen, die helfen uns, neue Konzepte zu erwerben." 


SPRECHER:


Kopfrechnen fördert also das Verständnis für mathematische Strukturen. Und das kann es wiederum erleichtern, ganz anders an Rechenaufgaben heranzugehen. ((Wenn man z.B. 603 minus 598 rechnen will, ist das natürlich schrittweise möglich:


603 minus 8 ist 595,


595 minus 90 ist 505


und 505 minus 500 ist 5.


08 ZUSP Ufer:


"Ich kann aber auch anders draufschauen, mit einem Verständnis über Strukturen und sagen: Na ja, 603 minus 598

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