DiscoverScience on Player FMRemigration - Von der Heimkehr zur Vertreibung? - radioWissen
Remigration - Von der Heimkehr zur Vertreibung? - radioWissen

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Update: 2025-01-15
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"Remigration" ist heute ein Leitbegriff identitärer und völkisch-nationaler Politik, wobei meist unklar bleibt, wer eigentlich genau "remigriert" werden soll und wie. Ursprünglich wurde der Begriff in einem ganz anderen Kontext geprägt: Er bezeichnete die selbstgewählte Rückkehr Exilierter ins Heimatland. Von Marita Krauss

Credits
Autorin dieser Folge: Marita Krauss
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Berenike Beschle, Thomas Birnstiel, Friedrich Schloffer, Katja Schild
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Thomas Morawetz


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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.


Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:


ERZÄHLERIN    



„Remigration“ war 2023 das „Unwort des Jahres“. Es ist ein Leitbegriff rechter, völkisch-nationaler Politik. Und es ist ein gekaperter Begriff. Aus Frankreich kommend entwickelte sich „Remigration“ zu einem Schlüsselbegriff der sogenannten „identitären“ Bewegungen. Er wird als verharmlosender Begriff für die Ausweisung ganzer Bevölkerungsgruppen verwendet. Ein Beispiel aus Deutschland:  


Björn Höcke, rechtsextremer Vorsitzender der AFD Thüringen, schrieb bereits 2018 in seinem Buch Nie zweimal in denselben Fluss: 


ZITATOR (Höcke)


Man wird, so fürchte ich, nicht um eine Politik der „wohltemperierten Grausamkeit“ […] herumkommen. Existenzbedrohende Krisen erfordern außergewöhnliches Handeln. Die Verantwortung dafür tragen dann diejenigen, die die Notwendigkeit dieser Maßnahmen mit ihrer unsäglichen Politik herbeigeführt haben. […] Ich bin sicher, dass – egal wie schlimm sich die Verhältnisse auch entwickeln mögen – am Ende noch genügend Angehörige unseres Volkes vorhanden sein werden, mit denen wir ein neues Kapitel unserer Geschichte aufschlagen können. Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen. (…) Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen. Dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt, denn die größten Probleme von heute sind ihr anzulasten.


Musik 2


"Schieflage" - Komponistin und Ausführende: Ulrike Haage - Album: Berlin 1945 - Tagebuch einer Großstadt (Die Original Filmmusik) Länge: 0'11


ERZÄHLERIN


Björn Höcke fasst diese Überlegungen unter dem Schlagwort „großangelegtes Remigrationsprojekt“ zusammen. Der Begriff Remigration bezeichnet aber eigentlich etwas ganz anderes: die Rückkehr von Menschen, die viele Jahre in einem anderen Land gelebt hatten in ihre Heimat. Diese Rückkehr ist biografisch meist eine ganz eigene Entscheidung mit allen Schwierigkeiten des Ankommens und der Integration. Remigration ist ein statistisch schwer greifbares, individuelles Migrationsphänomen, das bis in die 1960er Jahre kaum beforscht wurde. Vor allem die Sozialwissenschaften und die Exilgeschichte nahmen sich dann des Themas an.


ERZÄHLER


Heute halten Rechtsextreme bei Demonstrationszügen Schilder mit „Remigration jetzt“ oder „Schnelle Remigration schafft Wohnraum“ hoch. Was diese Demonstranten unter Remigration verstehen, ist im Einzelnen schwer nachvollziehbar. Es kursieren in den Medien und den Sozialen Netzwerken verschiedene Versionen von Remigrations-Konzepten, die mindestens eines gemeinsam haben: Sie richten sich gegen zugewanderte Geflüchtete und verlangen deren Abschiebung. Dieses Hin und Her um die Frage, wer eigentlich das „Remigrations-Potential“ sein soll, ist fatal: Sind nicht integrierte Migrantinnen und Migranten gemeint? Oder auch Deutsche mit Migrationshintergrund? Oder weitere Gruppen? Gerade die offenen Formulierungen ermöglichen es der eigenen Klientel, ihre jeweiligen Feindbilder beliebig damit zu verbinden. Remigrations-Propagandisten können sich dann mit ihrem Publikum darauf verständigen, man wisse ja, was und wer eigentlich gemeint sei. Der Begriff Remigration ist jedenfalls inzwischen ideologisch kontaminiert. Er bezeichnet nun definitiv etwas ganz anderes, als ihn die Migrationsforschung definierte.   


Musik 3


"Fallen" - Ausführende: Balanescu Quartet - Album: Diaz (Un film di Daniele Vicari) [feat. Il balanescu quartet] - Komponist: Teho Teardo- 


Länge: 1'25


ERZÄHLERIN


Remigration als Phänomen ist alt: Schon immer wanderten Menschen aus und suchten ihr Glück in anderen Ländern und Kontinenten. Große weltgeschichtliche Mythen wie die Odyssee thematisieren Irrfahrten durch die Welt und die schwierige Heimkehr. In der Bibel ist es die Geschichte des verlorenen Sohnes, bei dessen Rückkehr der Vater ein gemästetes Kalb schlachtet. Weggehen und Rückkehr werden hier zu Bildern für die Lebenswanderung. 


Die Rückkehr nach einer Auswanderung ist, wie die Geschichte vom verlorenen Sohn zeigt, nicht immer Zeichen von Erfolg; die Betroffenen versuchen meist schnell wieder in der Herkunftsgesellschaft aufzugehen und nicht über ihre Erfahrungen zu sprechen. Oft löst auch Heimweh den Wunsch aus, etwa den Ruhestand wieder im eigenen Land mit der eigenen Sprache zu verbringen; viele Italienerinnen und Italiener beispielsweise zog und zieht es nach der Auswanderung zurück. Es gibt aber auch die Rückkehr der Erfolgreichen, die als wohlhabende Leute in die alte Heimat kommen. Wenig bekannt ist über diejenigen, die im Einwanderungsland neue Ideen aufgreifen und nun versuchen, diese im Herkunftsland fruchtbar zu machen.


ERZÄHLER


Geforscht wird in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften über die Rückkehr von Arbeitswanderern des 19. und 20. Jahrhunderts, die eigentlich nur kurz im Zielland bleiben wollten, dann aber doch ihr ganzes Berufsleben dort verbrachten. Oft blieben die Alten und die Kinder zurück. Nach einer Rückkehr war die Heimat zur Fremde geworden.


ERZÄHLERIN


Und dann gab und gibt es die Opfer von Verfolgung und Vertreibung, die viele Jahre im Exil zubringen müssen, bevor sie nach dem Sturz des verfolgenden Regimes in die alte Heimat zurückkehren können. Ihre Migration ist nicht freiwillig, oft erleben sie Entrechtung und Demütigung, bevor sie ins Exil entkommen können. Dort sind sie auf Hilfen der Aufnahmegesellschaft angewiesen und müssen ihr Leben mühsam neu beginnen. Eine Rückkehr ist daher keine leichte Entscheidung. 


 MUSIK 4


"Rythmus Rythme" - Komponist: Bugge Wesseltoft - Album: Playing Länge: 0'45


ERZÄHLERIN


Die Remigration nach dem Ende der Hitlerdiktatur wird als Teil der deutschen Exilgeschichte erforscht. Der Weg über viele Grenzen ins Exil war ein lebensgeschichtlich nicht revidierbarer Prozess, eine „journey of no return“, wie sich der emigrierte Schriftsteller Carl Zuckmayer ausdrückte: „Einmal Emigrant, immer Emigrant“. Schmerzhafte Abschiede und tiefe Verletzungen, aber auch neue Erfahrungen und eine gewisse Weltläufigkeit gehörten zum Emigrationsgepäck. Nach 1945 reaktivierten die Überlegungen, ob man zurückkehren sollte, zunächst alle Traumata. Eine solche Rückkehr bedeutete eine erneute Entscheidung zur Migration und eine Lebensbilanz des Exils. 


ERZÄHLER


Man schätzt die gesamte deutschsprachige Emigration nach 1933 auf etwa eine halbe Million Menschen. Die meisten von Ihnen, wohl fast 95 Prozent, waren durch rassistische Verfolgung wegen ihres jüdischen Familienhintergrunds zur Auswanderung gezwungen worden. Die Grenzen sind jedoch nicht immer genau zu ziehen, wurden doch etliche der von den Nationalsozialisten zu Juden erklärten Menschen gleichzeitig politisch verfolgt. Das Kriegsende 1945 bedeutete für sie den entscheidenden Einschnitt.


O‘Ton 1 („Kampf um die Ätherwellen“, W1215234 01/001):


BBC-Zeichen: Big Ben schlägt – Beethoven, 5. Symphonie – Victory-Pauke: „Hier ist England – Hier ist England – Hier ist England“ 


O’Ton 2 (Bestand: DRA / Tonträger DRA Frankfurt: Archivnummer / Take: 9201051 01/015)


Deutsche Hörer! Wie bitter ist es, wenn der Jubel der Welt der Niederlage der tiefsten Demütigung des eigenen Landes gilt. Wie zeigt sich darin noch einmal schrecklich der Abgrund, der sich zwischen Deutschland, dem Land unserer Väter und Meister, und der gesitteten Welt aufgetan hatte. ...  Der Deutsche aber, der von den Allerunberufensten einst sein Deutschtum abgesprochen wurde, der sein grauenvoll gewordenes Land mei

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