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Syrische Staatsfolter vor Gericht

Syrische Staatsfolter vor Gericht

Update: 2024-08-12
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Description

Im Frühjahr 2023 veröffentlichten die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) und das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) gemeinsam eine dreisprachige Anthologie mit dem Titel “Syrische Staatsfolter vor Gericht”, die den Al-Khatib-Prozess in Koblenz aufarbeitet und reflektiert. Die Anthologie stellt den Gesamtkomplex der Staatsfolter in Syrien und ihre Auswirkungen in einen historischen, sozialen und rechtlichen Kontext.

Unser “Branch 251”-Team nahm an der Auftaktveranstaltung teil, traf einige der Gäste, darunter auch einige der Autor*innen und feierte mit dem Publikum die Veröffentlichung der dreisprachigen Anthologie.

In dieser Sonderfolge reflektieren wir das Buch ein Jahr nach seiner Veröffentlichung und sprechen ausführlich über seine Entstehung mit dem Präsidenten der BpB, Thomas Krüger, und dem Senior Legal Advisor beim ECCHR in Berlin, Patrick Kroker.

Wichtige Links & Informationen:


Stimmen einiger Buchautor*innen in der Folge:

  1. Hannah El-Hitami
  2. Mariana Karkoutly 
  3. Florian Jeßberger

Skript

Syrische Staatsfolter vor Gericht

Einführung:

Nadine (Gast): Ich bin hier, weil ich Syrerin bin und dieses Thema für mich und die ganze Welt von zentraler Bedeutung ist. Allerdings wird es selten systematisch behandelt und öffentlich gemacht.

Hannah (eine der Autorinnen der Buches): Ich war zwei Jahre lang fast jede Woche beim Koblenzer Prozess dabei. In dem Buch wollte ich zeigen, was ich dort sah, welche Menschen ich traf und was ich über die Bedeutung dieses Prozesses lernte. Ich wollte über die Zweifel sprechen, die während des Prozesses aufkamen, über die Probleme, die auftraten. Und auch darüber, was dieser Prozess letztlich für die Beteiligten bedeutete, vor allem für die Überlebenden aus Syrien.

Kinan (Gast): Die Leute, die viel Arbeit geleistet haben, sind echte Helden. Die Zeugen, die Nebenkläger und die Journalisten haben Unglaubliches geleistet.


Fritz: Willkommen zu diesem besonderen Podcast. Ich bin Fritz Streiff, Menschenrechtsanwalt und Podcaster. Und heute bin ich euer Host für diese Bonus-Episode, in der es um etwas Spezielles geht. Nämlich um das Buch “Syrische Staatsfolter vor Gericht”: Ein dreisprachiger Sammelband, der den Prozess reflektiert,  der auch in unserem Podcast “Branch 251” im Zentrum  stand: der Al-Khatib-Prozess in Koblenz.


Wir nehmen euch mit zurück zum Abend der Veröffentlichung des Buches im Frühling 2023 in Berlin. Wir waren an dem Abend dabei und haben mit Gästen und Autoren über die Bedeutung des Sammelbandes gesprochen, und über den Prozess im Allgemeinen und was er hinterlassen hat.


Seitdem haben wir auch mit den Machern und Herausgebern des Buches gesprochen: von der Menschenrechts-NGO European Center for Constitutional and Human Rights, kurz ECCHR, und von der Bundeszentrale für politische Bildung.


Also, setzt eure Kopfhörer auf oder schaltet die Lautsprecher ein, je nachdem wie ihr zuhört, und bereitet euch auf diese kleine Zeitreise vor. 



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Der Start/Anfang:


Fritz: OK, wie gesagt, wir werden eine kleine Zeitreise machen, und das nicht nur zurück ins Jahr 2023 (dem Jahr der Veröffentlichung des Sammelbandes); denn um darüber zu sprechen, brauchen wir ein bisschen Kontext, und der führt uns zurück zum 23. April 2020. Der Tag, an dem die Vorsitzende Richterin des Koblenzer Gerichts den Beginn des Prozesses verkündete. Der Prozess war weltweit der erste Strafprozess überhaupt, der sich mit syrischer Staatsfolter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit befasste. Also ein echter Meilenstein.


An diesem 23. April 2020 präsentierte die Staatsanwaltschaft ihre Vorwürfe gegen zwei Männer. 


Zunächst waren alle Augen auf Anwar Raslan gerichtet: einen ehemaligen syrischen Geheimdiensmitarbeiter. Er wurde beschuldigt, die Folter von mindestens 4.000 Menschen und 58 Morde im Al-Khatib-Gefängnis in Damaskus überwacht zu haben. Das ist das Gefängnis, das auch als “Branch 251” bekannt wurde. 


Und dann war da noch der Mitangeklagte Eyad Al-Gharib:  Seine Aufgabe war es, Demonstranten festzunehmen und sie in dasselbe Gefängnis zu bringen, in das Branch 251. Also war seine Aufgabe gewissermaßen, festgenommene Demonstranten dem Hauptangeklagten zuzuführen.


Das Verfahren hat in Deutschland nach dem sogenannten Weltrechtsprinzip stattgefunden. Dieses Prinzip ermöglicht es, schwerste Verbrechen auch in Drittstaaten, wie zum Beispiel Deutschland, gerichtlich aufzuarbeiten.


An diesem Tag im April 2020, in den Anfangsmonaten der Corona-Pandemie, war der Gerichtssaal bis auf den letzten Stuhl gefüllt. Soweit es die Umstände eben erlaubten. Es waren Überlebende da, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und so weiter. Das Interesse und die Spannung waren groß. 


Die Prozessbeobachter des ECCHR beschrieben den ersten Prozesstag, und vor allem das Erscheinen der Angeklagten im Gerichtssaal, damals als "aufwühlend". Es begann etwas Wichtiges, etwas Historisches. 


“Ich klage an” begann der Oberstaatsanwalt seine Anklageschrift an diesem Tag vorzulesen. Mit diesem J’accuse war also dieses weltweit erste Strafverfahren gegen syrische Regime-Mitarbeiter offiziell losgegangen…   


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Fritz: Beide ehemaligen syrischen Staatsdiener wurden im gleichen Prozess angeklagt, aber im Laufe der Zeit entschied das Gericht, die beiden Fälle aufgrund der Art und Schwere der vorgeworfenen Verbrechen zu trennen.

Das heißt, dass am 24. Februar 2021, also etwas weniger als ein Jahr nach Prozessbeginn, der Fall von Eyad Al Gharib schon abgeschlossen wurde. Für seine Rolle wurde er wegen Beihilfe zu mindestens 30 Fällen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden und zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Elf Monate später, am 13 Januar 2022 wurde der Fall des höherrangigen Anwar Raslan abgeschlossen. Als ehemaliger Leiter der Ermittlungsabteilung der Haftanstalt Branch 251, wurde auch er schuldig befunden wegen Mittäterschaft an mehreren Verbrechen gegen die Menschlichkeit einschließlich Folter, 27 Morde, gefährliche Körperverletzungen und sexualisierter Gewalt. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Mit diesem Schuldspruch, mehr als ein Jahrzehnt nach Beginn der syrischen Revolution, wurde also zum ersten Mal ein ehemals hochrangiges Mitglied der Assad-Regierung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gerichtlich verurteilt.


Meine Kollegen und ich haben damals eine ganze Podcast-Serie namens “Branch 251” gemacht. Auf Englisch und Arabisch. Die Serie auf Arabisch war uns dabei immer besonders wichtig. Wir haben versucht, dazu beizutragen, eine Lücke zu schließen, die das Gericht offengelassen hatte. Nämlich die Bereitstellung arabischer Übersetzungen der Verhandlungen, für die direkt Betroffenen und Interessierten. Außerdem wollten wir den Hörern nicht nur komplizierte Juristerei vermitteln, sondern eben auch, in beiden Sprachen, ein besseres und breiteres Verständnis des syrischen Kontextes: der syrischen Geschichte, dem Komplex der syrischen Haft- und Folteranstalten und den verschiedenen Arten von Verbrechen, die vor und nach der Revolution 2011 begangen wurden.


Wir finden, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass das jetzt hier vom ECCHR und der Bundeszentrale veröffentlichte Buch, eine der wichtigsten Dokumentationsquellen und zukünftigen Referenzen des Prozesses ist und sein wird. Die vielschichtige Veröffentlichung ist vor allem aufgrund ihres ganzheitlichen Ansatzes besonders: Die Autoren sind nicht nur Juristen, sondern kommen auch aus künstlerischen, humanitären und aus anderen AktivistInnenkreisen. 


Dass der Sammelband so gut gelungen ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Weil, wie verdaut man einen so historischen und komplizierten Prozess in einem Buch, das dieser ganzen Komplexität gerecht wird? Darüber haben wir mit Patrick Kroker gesprochen. Er ist Rechtsanwalt und arbeitet als Senior Legal Advisor beim ECCHR, wo er die Syrien-Arbeit leitet. Patrick ist einer der Herausgeber des Buches.


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Fritz:  Patrick, bevor wir ein bisschen tiefer eintauchen, möchte ich am Anfang beginnen: Wie kam die Entscheidung zustande, diese Veröffentlichung überhaupt zu produzieren? Und warum gerade ein Sammelband? 

Patrick Kroker

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