DiscoverScience on Player FMWunsch und wünschen - Ansporn oder Realitätsflucht? - radioWissen
Wunsch und wünschen - Ansporn oder Realitätsflucht? - radioWissen

Wunsch und wünschen - Ansporn oder Realitätsflucht? - radioWissen

Update: 2025-01-08
Share

Description

O, wär' ich doch, ach, hätt ich bloß! Wir wünschen, was das Zeug hält. Wir wünschen uns reich, schön, geliebt; wir wünschen den einen Glück und den andern die Pest an den Hals. Wir sind wahre Wunschmaschinen, weil uns das Wünschen guttut, weil wir es brauchen, weil es zu uns gehört und das Leben erträglicher macht. Von Simon Demmelhuber (BR 2023)



Credits
Autor dieser Folge: Simon Demmelhuber
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Hemma Michel, Johannes Hitzelberger
Technik: Daniela Röder
Redaktion: Bernhard Kastner


Im Interview:
Prof. Dr. Brigitte Boothe, Professorin em. für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Psychoanalyse am Psychologischen Institut der Universität Zürich, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin

Diese hörenswerten Folgen von radioWissen könnten Sie auch interessieren:


Die Magie - Wenn der Glaube Berge versetzt
JETZT ANHÖREN




Die Entwicklung des Glaubens - Wie Religion entstand
JETZT ANHÖREN


Linktipps:



Wie wir ticken - Euer Psychologie-Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 radioWissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnah nimmt Euch „Wie wir ticken“ mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek.
ZUM PODCAST


Mia Insomnia
Was ist das Hörspiel "Insomnia"? Und warum ist Podcasterin Mia die einzige Person auf der Welt, die sich an diese Hörspiel-Kassette aus ihrer Kindheit erinnert? Die Suche nach Antworten führt sie zu einer unheimlichen Erkenntnis: Entweder ihre Erinnerungen sind nicht echt - oder die Welt um sie herum. Mit ihrem Aufnahmegerät nimmt uns Mia auf ihre Suche mit. Was als scheinbar harmlose Reise beginnt, entwickelt sich zu einer großen Verschwörung. "Mia Insomnia" ist die Mystery-Hörspiel-Serie für Podcast-Fans und alle, die mit Detektivhörspielen aufgewachsen sind und eine Portion Horror nicht missen wollen.
ZUM PODCAST



Literaturtipps:



Brigitte Boothe (Hg.): Wenn doch nur – ach hätt ich bloß. Die Anatomie des Wunsches. Zürich [rüffer & rub Sachbuchverlag] 2013.



Brigitte Boothe (Hg.): Verlangen, Begehren, Wünschen. Einstieg ins aktive Schaffen oder in die Lethargie.  seelisches und poetisches Phänomen wird erkundet. Göttingen [Vandenhoeck & Ruprecht] 1999.


Brigitte Boothe, Res Wepfer, Agnes von Wyl (Hg.): Über das Wünschen. Ein seelisches und poetisches Phänomen wird erkundet. Göttingen [Vandenhoeck & Ruprecht] 1998.


Brigitte Boothe, (Hg.): Wie kommt man ans Ziel seiner Wünsche? Modelle des Glücks in Märchentexten. [Psychosozial Verlag] 2002.



Barbara Gobrecht, Harlinda Lox, Thomas Brücksteeh (Hg.): Der Wunsch im Märchen. Kreuzlingen/München [Heinrich Hugendubel Verlag] 2003.



Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | RadioWissen
JETZT ENTDECKEN


Das vollständige Manuskript gibt es HIER.


Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:



ATMO: Altarschellen (als Satztrenner)


ZITATOR (seufzend)


Ach, wär' ich bloß!


O, hätt' ich doch!


Ach, könnt' ich nur!


Musik: Z8035449105 Life goes on 0‘40


SPRECHER


Wir tun es dauernd; wir tun es bei jeder Gelegenheit: Wir wünschen, was das Zeug hält. Wir wünschen uns Liebe, den Traumjob, den Lottosechser oder auch nur, dass am Wochenende die Sonne scheint. Wir wünschen einander Glück oder die Pest an den Hals.


ERZÄHLERIN


Es passiert einfach. Wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir wollen. Wenn etwas oder jemand fehlt, wenn uns Ungewissheiten, Zweifel, Ängste oder Entbehrungen plagen. 


SPRECHER 


Die Misere beginnt früh.


ATMO: Ein Baby weint


ERZÄHLERIN


Ein Baby weint. Es will trinken. Jetzt! Sofort! Aber es muss warten. Der Blutzuckerspiegel fällt, Stresshormone fluten, das Kind schreit sich in Rage.


ATMO: Das Weinen lässt nach


ERZÄHLERIN


Dann geschieht etwas Seltsames: Das Baby leckt sich die Lippen, als würde es schmatzend an einer Brust oder Milchflasche saugen und beruhigt sich allmählich.


SPRECHER


Kein Wunder, meint die Psychologieprofessorin Brigitte Boothe. Das Baby hat soeben zwei wichtige Erfahrungen gemacht: Es hat die Not des Wartens und die Kraft des Wünschens entdeckt.


01 O-TON BOOTHE (ca. 020 Sekunden)


Die Fähigkeit, wünschen zu können, entsteht in der Säuglingszeit, in der Individuen in ihrer Abhängigkeit von Pflegeinstanzen darauf angewiesen sind, in ihrem Überleben gesichert zu werden. In dieser Wartesituation schaffen sie sich etwas Tröstendes.


SPRECHER


Das trockene Nuckeln des Babys hat offensichtlich den Hormonalarm gedämpft. Die Milch kommt keinen Augenblick früher, aber irgendwie wird das Warten leichter.


Musik: Z8035049119 Lake views 0‘20


ERZÄHLERIN


Einen bewussten Wunsch hat der Säugling natürlich weder gedacht noch ausgesprochen. Aber sein vegetatives Nervensystem hat Erinnerungen an früher erlebte Sättigungswonnen aktiviert und dadurch ein beruhigendes Gefühl, eine Art körperlicher Vorfreude ausgelöst. 


SPRECHER


Sein Gehirn wird diese Erfahrung nie verlernen. Es wird sie ein Leben lang nutzen, um Mängel auszugleichen, Unrast zu mildern und Sorgen abzuwehren.


ZITATOR


O, nichts wünsch ich mir mehr!


Wenn ich mir was wünschen dürfte!


Ach, wenn es doch immer so bliebe!


02 O-TON BOOTHE (ca.020 Sekunden)


Das Wünschen ist ein Lückenfüller. In Situationen, in denen ich selbst bedürftig bin, aber nicht handeln kann, kann das Wünschen als imaginatives Verfahren eingesetzt werden, um zu einer vorübergehenden Befriedung zu führen, um die Zeit auszufüllen, bis dann die Situation eintritt, in der das, worum es mir geht, genossen, konsumiert, erfahren werden kann.


MUSIK: Z8028906109 The awakening 0‘32


SPRECHER


Stopp! Langsam! Das würde ja bedeuten, dass der Wunsch nicht nur etwas herbeisehnt, sondern zugleich auch Vorstellungen und Gefühle produziert, die ein akutes Bedürfnis befriedigen?


ERZÄHLERIN


Ja! Genau das bringt die Sache auf den Punkt, erklärt Brigitte Boothe, die das Wünschen als Professorin für Klinische Psychologie an der Uni Zürich und als Fachautorin intensiv erforscht hat:


03-TON BOOTHE (ca. 018 Sekunden)


Das Wünschen ist in einer Situation der Erwartungsspannung, die sich noch nicht gelöst hat, ein Surrogat für das reale Geschehen. Und dieses Surrogat ereignet sich in der Phantasie, in der Imagination, durchaus aber auch mit körperlichen Aspekten.


SPRECHER


Reines Kopfkino also! Nichts ist passiert, nichts hat sich verändert. Trotzdem sind wir gelassener und haben ein kleines, versonnenes Lächeln auf den Lippen. Wie geht das zu?


Musik: Z8028906117 Childhood 0‘50


ERZÄHLERIN


Es gelingt, weil jeder Wunsch seine Erfüllung halluziniert. Es gelingt, weil ein mentales Bild das Gehirn erfolgreich austrickst und dazu bringt, das Fantasiegebilde vorübergehend als real zu akzeptieren. Dass reine Vorstellungen tatsächlich Emotionen und körperliche Reaktionen auslösen, belegen mittlerweile zahlreiche Studien. Fantasien stimulieren dieselben Zentren, nutzen dieselben neuronalen Verbindungen wie Sinneswahrnehmungen und wirkliche Ereignisse. 


Sie muten täuschend echt an, deshalb kann das Gehirn zumindest kurzzeitig ein tatsächliches Geschehen von einer imaginären Wunscherfüllung kaum unterscheiden.


SPRECHER


Wünschen wirkt! Wenn auch nur, weil wir uns erfolgreich etwas vormachen. Der fantasierte Zauber verfliegt zwar rasch, aber zuvor schenkt er uns einen zufriedenen, erfüllten Moment.


ERZÄHLERIN


Auf diese Wirkung kommt es an. Sie ist ein Spezifikum des Wunsches, ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Genau das unterscheidet ihn vom Wollen, vom Begehren, Erhoffen, Verlangen und ähnlichen Zuständen, die eine Absicht, eine Forderung oder ein Erstreben ausdrücken.


SPRECHER


Aber wollen, begehren, wünschen – sind das nicht einfach verschiedene Wörter für ein und dieselbe Sache? 


ERZÄHLERIN


Nein! Auch wenn es die Alltagssprache nicht so genau nimmt, und das Wort "wünschen!" oft nichts anderes als fordern, begehren oder ersehnen ausdrückt – beliebig austauschbar sind die Begriffe nicht. Es stimmt zwar, dass auch im Wünschen stets ein ungestilltes Verlangen steckt. Doch das ist lediglich der Auslöser. Was der Wunsch bewirkt, das macht den Unterschied.


SPRECHER


Nur der Wunsch hat die Kraft, akute Versorgungs- und Wohlfühllücken durch den imaginierten

Comments 
In Channel
loading
00:00
00:00
x

0.5x

0.8x

1.0x

1.25x

1.5x

2.0x

3.0x

Sleep Timer

Off

End of Episode

5 Minutes

10 Minutes

15 Minutes

30 Minutes

45 Minutes

60 Minutes

120 Minutes

Wunsch und wünschen - Ansporn oder Realitätsflucht? - radioWissen

Wunsch und wünschen - Ansporn oder Realitätsflucht? - radioWissen