DiscoverNachDenkSeiten – Die kritische WebsiteBlick aus dem Globalen Süden: Hat die Generation Z keine politischen Bezüge?
Blick aus dem Globalen Süden: Hat die Generation Z keine politischen Bezüge?

Blick aus dem Globalen Süden: Hat die Generation Z keine politischen Bezüge?

Update: 2025-12-01
Share

Description

Von Kathmandu und Jakarta bis Paris und Mexiko-Stadt ist bei Protesten der letzten Zeit ein gemeinsames Symbol aufgetaucht: die berühmte Flagge der Strohhut-Piraten. Sie stammt aus dem beliebten Manga One Piece, der 1997 von Eichiro Oda geschaffen wurde und seitdem kontinuierlich erscheint. Dass junge Menschen diese Flagge als universelles Symbol für ihre Kämpfe wählen, zeigt, wie die die Gesellschaft des Spektakels innerhalb der von ihr produzierten Referenzen die Bestrebungen einer neu entstehenden politischen Generation kanalisieren kann. Von José Ernesto Nováez Guerrero.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Viele Analysten sehen in der Beständigkeit und Popularität eines Symbols, das so offensichtlich aus der Massenkultur stammt, den politischen Ausdruck einer neuen Generation, der sogenannten Generation Z, ein Begriff, der alle zwischen 1997 und 2012 geborenen Jugendlichen umfasst.

Diese Jugendlichen sind Digital Natives (digitale Eingeborene). Sie sind mit der Revolution des Konsums aufgewachsen, die Streaming-Plattformen und das Internet auf Mobiltelefonen darstellten.

Obwohl ich ernsthafte Vorbehalte gegenüber diesen willkürlichen Generationsdefinitionen habe, die nur als sehr allgemeine Referenzen für sehr komplexe soziale Prozesse nützlich sind, ist es doch wahr, dass diejenigen, die zwischen Ende der 90er-Jahre und den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts geboren wurden, in besonderem Maße Zeugen des rasanten Wandels in der Kommunikation waren, der das Erscheinungsbild der heutigen Welt maßgeblich prägt.

Diese jungen Menschen wurden stark von der populären Massenkultur beeinflusst, die sie über eine Handvoll weltweit dominanter Plattformen konsumieren. Und sie haben in den sozialen Netzwerken einen Raum für politische und soziale „Bildung”, der ihre besondere Sicht auf die Welt geprägt hat, die deutliche Unterschiede zur Vergangenheit aufweist. Diese Realitäten fordern die traditionellen ideologischen Apparate wie z. B. Schulen heraus, die sich nun nicht mehr nur mit Wikipedia als Hauptreferenzquelle für Schüler auseinandersetzen müssen, sondern auch mit KI als Hauptberater/Produzent der von ihnen erstellten akademischen Inhalte.

Wenn wir den vorgeschlagenen Zeitrahmen für die sogenannte Generation Z akzeptieren, sprechen wir von einer multikulturellen Gruppe von Menschen, die von Jugendlichen bis zu jungen Berufstätigen reicht und die zudem in einer Zeit der strukturellen Krise des Kapitalismus als globales System lebt. Die Symptome dieser Krise sind sowohl in der beschleunigten Umweltzerstörung mit ihren Naturkatastrophen und der Zerstörung von Ökosystemen als auch in der Verschlechterung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen spürbar.

Das vergangene Vierteljahrhundert hat uns in den Kapitalismus der großen digitalen Transnationalen geführt, den [der griechische Ökonom und Politiker Yanis] Varoufakis als Technofeudalismus bezeichnet. Es ist eine Epoche, die durch eine extreme Kapitalkonzentration, die Prekarisierung der Arbeit, die Schwächung der globalen Lieferketten, die Verschärfung der Widersprüche zwischen den Großmächten und vieles mehr gekennzeichnet ist. Wir leben in einer Zeit, in der es mehr Hunger und weniger Sicherheit in allen Bereichen des Lebens gibt. Und dies wirkt sich am stärksten in den Gesellschaften des sogenannten Globalen Südens aus, obwohl letztlich keine Gesellschaft dem entkommen kann.

Natürlich betreffen diese Bedingungen nicht nur junge Menschen, sondern sind Teil der Ängste und Krisen, denen die Arbeiterklasse und große Teile der kleinen und mittleren Bourgeoisie ausgesetzt sind. Was äußerst interessant an den jüngsten Protesten ist, die genau eine Reaktion auf diese globalen Krisen und ihre lokalen Ausprägungen sind, ist die hohe Beteiligung der Jugendlichen und das Aufkommen eines bestimmten Symbols, das sie als Ausdruck des Generationenkampfes auf die Straße gebracht haben.

Zweifellos hatte das erste Auftauchen der Flagge der Strohhut-Piraten bei Volksprotesten in südostasiatischen Ländern einen spontanen Charakter. Ihre Verbreitung ist zum einen auf die Popularität des Mangas und Animes One Piece selbst zurückzuführen, zum anderen auf die Werte, die Monkey D. Luffy und seine Bande verkörpern.

Für diejenigen, die keine Ahnung haben: Wenn wir von One Piece sprechen, sprechen wir von einem Manga, der sich über 500 Millionen Mal verkauft hat, mit einer Anime-Serie, die seit Jahrzehnten ununterbrochen läuft, und einer Film-, Live-Action- und Merchandising-Industrie, die einen Umsatz von über 20 Milliarden Dollar erzielt. Ein massives kommerzielles Phänomen, das von jungen und nicht mehr ganz so jungen Menschen weltweit konsumiert wird.

Luffy und seine Crew sind Feinde der korrupten „Weltregierung” in einer Welt, in der Piraten sowohl die schlimmsten Laster als auch einen Geist der Freiheit und des Abenteuers verkörpern. Die Strohhüte sind der höchste Ausdruck von Tugenden wie Mut, Kameradschaft und dem Kampf für Gerechtigkeit. In einem Geist, den wir als anarchistisch bezeichnen könnten, erkennt Luffy keine andere Autorität an als sein eigenes Bewusstsein und sein persönliches Gerechtigkeitsempfinden. Es ist daher nicht überraschend, dass diese Kombination aus einem universell anerkannten Symbol und den allgemeinen und abstrakten Werten, die es ausdrückt, mehrere Generationen und insbesondere die jüngeren Generationen verbindet.

Und hier kommt ein weiteres zentrales Merkmal der Welt hinzu, in der diese jungen Menschen aufgewachsen sind, und das sich mit allen zuvor genannten Merkmalen verbindet, ein Element, das ich für zentral halte, um die politische Natur der von uns analysierten Phänomene zu verstehen: das Fehlen einer echten systemischen Alternative zur Hegemonie des Kapitalismus. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR fehlt der internationalen Linken ein globales Paradigma, das sie dem kapitalistischen Paradigma entgegenstellen könnte. Es bleibt nur noch das, was [der britische Kulturtheoretiker Mark] Fisher als „kapitalistischen Realismus” bezeichnet hat, und die mit dieser Sicht auf die Welt einhergehende Bitterkeit.

Die Protestwelle, die die Piraten mit Strohhüten zu einem Symbol globaler Rebellion gemacht hat, ist meines Erachtens auch Ausdruck jener Ohnmacht der Vernunft, deren Gefangene wir als Epoche sind. Die Proteste sind eine Reaktion auf Korruption und andere Krisen, aber es fehlt ihnen ein konkreter Vorschlag, der die Unzufriedenheit der Bevölkerung über punktuelle Ausbrüche hinaus artikuliert. Sobald die Wut der Bewegung verraucht ist oder unmittelbare Erfolge der Proteste erreicht sind, lösen sie sich auf, ohne bleibende Ergebnisse zu hinterlassen. Es ist ein Zyklus der Rebellion, der punktuelle Erfolge erzielt, aber nicht in der Lage ist, die grundlegenden Ursachen des Problems zu ändern, weil ihm die geeigneten Werkzeuge fehlen, um dessen systemische Natur zu erkennen.

Luffy ist Ausdruck der Rebellion gegen die Ungerechtigkeit. Er ist aber gleichzeitig auch eine Figur mit sehr begrenztem politischen Verständnis, die aus Instinkt und Laune heraus handelt, ohne ein klares Ziel vor Augen zu haben, abgesehen von dem sehr allgemeinen und fantasievollen (wir dürfen nicht vergessen, dass diese Serie in erster Linie für Jugendliche gedacht ist) Ziel, König der Piraten zu werden. Dass junge Menschen seine Flagge als universelles Symbol für ihre Kämpfe wählen, spricht für die Fähigkeit der Unterhaltungsindustrie, die Forderungen des Volkes in von ihr vorgefertigte Symbole einzubinden. Es zeigt, wie die die Gesellschaft des Spektakels innerhalb der von ihr produzierten Referenzen die Bestrebungen einer neu entstehenden politischen Generation kanalisieren kann.

Dies mag nicht so bedeutend erscheinen, ist es aber doch. Unabhängig davon, welche linken Ideen Eichiro Oda haben mag, baut der Markt keine Milliardenindustrie um ein Symbol mit hohem subversivem Potenzial auf. Die Größe der Branche selbst wirkt als disziplinierendes Element für jeden kreativen Impuls, der über die vom System akzeptierten Grenzen hinausgehen könnte. Luffys anarchische Aufsässigkeit ist akzeptabel, weil sie das Maß an jugendlicher Rebellion ausdrückt, das der Markt toleriert. Eine jugendliche, instinktive Rebellion ohne klare Ziele, die schließlich diszipliniert und erzogen werden kann.

Denn während Luffy niemals älter wird, tun dies seine Leser sehr wohl und werden schließlich gezwungen, prekäre Jobs zu akzeptieren, um die steigenden Kosten für den Lebensunterhalt der Familie zu decken. Und viele von ihnen werden dies sogar in der Überzeugung tun, dass Uber ihnen ermöglicht, ihr eigener Chef zu sein, während sie Kapitel für Kapitel einer Serie konsumieren, die ein angenehmer Teil ihrer Jugenderinnerungen ist, für sie aber keinen rebellischen Impuls mehr darstellt.

Die Flagge von Luffy ist auch Ausdruck des Scheiterns der revolutionären, zersplitterten und demoralisierten Linken, die kein klares, umfassendes Konzept hat und zu sehr damit beschäftigt ist, sich gegen die Angriffe der erstarkenden Ultrarechten zu verteidigen oder ihre eigenen Ungereimtheiten zu erklären, wenn sie an der Macht war. Dass die Flagge von Luffy und nicht das Gesicht von Che Guevara auftaucht, ist Ausdruck einer politischen und symbolischen Erneuerung, die wir nicht verwirklichen konnten.

Dass sie sich zum Protest als Batman-Joker verkleiden und wir nicht das Gesicht von Lenin, Fidel oder ein sowjetisches Symbol sehen, auch wenn es den ewigen Kritikern der UdSSR nicht passt, sollte uns zu denken geben.

Natürlich ist der Kampf gegen die Kulturindustrien des zeitgenössischen Kapitalismus und ihre außergewöhnliche Verbreitungsfähigkeit schwierig, aber er war noch nie leicht. Mit verschränkten Armen dazustehen oder zu jammern, bringt keine Sache auch nur einen Schritt voran. Wir haben die

Comments 
In Channel
loading
00:00
00:00
x

0.5x

0.8x

1.0x

1.25x

1.5x

2.0x

3.0x

Sleep Timer

Off

End of Episode

5 Minutes

10 Minutes

15 Minutes

30 Minutes

45 Minutes

60 Minutes

120 Minutes

Blick aus dem Globalen Süden: Hat die Generation Z keine politischen Bezüge?

Blick aus dem Globalen Süden: Hat die Generation Z keine politischen Bezüge?

Redaktion NachDenkSeiten