DiscoverScience on Player FMDer Schulweg - früher und heute, hier und anderswo - radioWissen
Der Schulweg - früher und heute, hier und anderswo - radioWissen

Der Schulweg - früher und heute, hier und anderswo - radioWissen

Update: 2024-09-10
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Description

Elterntaxi, Schulbus oder stundenlanger Fußmarsch - allmorgendlich machen sich zig Kinder auf den Weg zur Schule. Wie hat sich dieser Weg im Laufe der Jahrhunderte verändert? Und wie sieht er in anderen Ländern aus? Radiowissen mit einer Reise durch die Zeit, entlang der Schulwege dieser Welt. Von Susanne Hofmann


Credits
Autorin dieser Folge: Susanne Hofmann
Regie: Frank Halbach
Es sprach: Stefan Wilkening
Redaktion: Maike Brzoska


Im Interview:
Prof. Dr. Rudolf Egger, Professor für Pädagogik am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz, Fachbereichsleiter Empirische Lernweltforschung 
Saskia Haspel, Gründerin und Leiterin der österreichischen Montessori-Akademie in Wien
Malte Pfau, Campaigner für Bildung der Kindernothilfe


Linktipp:


- Malte Pfau: Zur Schule ohne Hindernisse – Was Schulwege weltweit mit dem Kinderrecht auf Bildung zu tun haben, 2023: https://www.bildungskampagne.org/zur-schule-ohne-hindernisse-was-schulwege-weltweit-mit-dem-kinderrecht-auf-bildung-zu-tun-haben HIER gehts zur Website

Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
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Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.


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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.


Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:


ERZÄHLER


Wenn Frieda Specker, geboren 1932 in Augsburg, von ihrem Schulweg erzählt, blitzen ihre Augen vergnügt. Sie erinnert sich noch genau an ihre Erlebnisse, damals vor mehr als 80 Jahren:


MUSIK ENDE


1. ZUSPIELUNG Frieda Specker


„Also wir sind mit Freundinnen und mit meiner Schwester immer gemeinsam in Schule gegangen, haben Blödsinn gemacht. Und es war immer schön. Im Winter haben wir Schneeballen in die Kirch nei geschmissen oben, und wenn meine Mutter kein Brot mehr hatte, dann haben wir zehn Pfennig gekriegt. Und dann hat sie gesagt: Aber nicht mit Kuchen vertun, sondern wir sollten uns zwei Brezen kaufen. Ja, was haben wir uns gekauft? Boxer! Boxer waren Amerikaner, die unten mit Schokolade bepinselt waren oder mit Zuckerguss. Ja, und da war man natürlich als Kind ganz wild drauf. Und dann sind wir weiter die Karmelitengasse hoch und da war links das Gefängnis. Und da sind wir immer mit Ehrfurcht vorbei gegangen und haben Mitleid gehabt und Angst gehabt, was da für Räuber drin sind. Und am Rückweg da war dann ein Schuster, der immer so blöd geschaut hat, da haben wir immer an die Scheibe hingehauen, und da habe ich mal zu fest hingehauen, das war eine Katastrophe! Ja, da kann ich mich gut erinnern. Ja, freilich ja, ja, meine Eltern mussten das ersetzen, und: So ein freches Kind!


MUSIK  „Sophies Thema“; ZEIT: 00:31


ERZÄHLER


Kleine Abenteuer erleben, Streiche spielen, auch einmal über die Stränge schlagen – das ist es, was auch Waltraud Fischer, geboren 1943 im Allgäu, von ihrem Schulweg in Erinnerung geblieben ist. Noch heute weiß sie, wie sie die Kinder beneidet hat, die in den Einödhöfen hoch oben auf dem Berg lebten – denn deren Schulweg war besonders lang.  


MUSIK ENDE


2. ZUSPIELUNG Waldtraud Fischer 


Und drum sind wir öfter mal mitgegangen mit denne, das war einfach toll. Freiheit! Du bist nicht so schnell heimgekommen. Im Winter sind sie mit dem Schlitten gekommen. Und man hat gestritten miteinander, und man hat auch die Buben geärgert. Das hat dazu gehört, und es war einfach schön. 


MUSIK privat Take 009 „Realise“; Album: Eyes of a Beginner; Label: 2013 Thomas Marland; Interpret: Thomas Marland; Komponist: Thomas Marland; ZEIT: 00:34


ERZÄHLER


Den Schulweg umgibt ein Hauch von Freiheit, nicht nur in der Erinnerung der beiden älteren Damen. Er bietet von je her für viele Kinder und Jugendliche einen Freiraum zwischen den Anforderungen der Schule und den Anforderungen der Eltern, eine Nische, in der sie sich weitgehend ohne Erwachsene bewegen können – jedenfalls wenn sie es dürfen, sagt die Montessori-Pädagogin Saskia Haspel, Gründerin und Leiterin der österreichischen Montessori-Akademie in Wien:


MUSIK ENDE


3. ZUSPIELUNG Saskia Haspel


Der Schulweg ist in mehrfacher Hinsicht etwas ganz Besonderes für Kinder. Einerseits kann er eine sehr gute Brücke darstellen zwischen dem Zuhause und umgekehrt. Das heißt, das Kind hat Zeit, Eindrücke zu verarbeiten, sich auch einzustellen darauf, was jetzt Neues kommt. Menschen brauchen ja Zeit für viele Übergänge aus einer Situation in die andere. Und das leistet der Schulweg schon einmal sehr, sehr gut, da Zeit zu geben. Das zweite, und für uns als Pädagoginnen vielleicht immer das Wichtigste ist, dass Kinder durch die selbständige Bewältigung des Schulwegs einfach eine ganz andere Möglichkeit haben, sich draußen in der Welt zu bewähren. Also nicht nur einfach in die Schule zu gehen, sondern natürlich auch Situationen vorzufinden, mit denen sie vielleicht nicht gerechnet haben oder die vielleicht auch an einer Stelle mal ein bisschen herausfordernder sind, und dann auch dieses Gefühl haben zu können: Ich habe etwas selbständig bewältigt – sei es jetzt leicht gewesen oder auch einmal bisschen schwieriger.


ERZÄHLER


Eine Straße überqueren, sich vielleicht an einem finsteren Eck oder einem kläffenden Hund vorbeitrauen, mit anderen ins Gespräch kommen, in der Schule Erlebtes besprechen, sich mit dem Taschengeld eine Kleinigkeit kaufen – Kinder, die solche Situationen ohne Eltern meistern, bekommen die Chance, sich als selbständig und erfolgreich zu empfinden. Für ihre Entwicklung ein wichtiger Schritt, ist die Pädagogin Saskia Haspel überzeugt. Das entscheidende Ziel nennt sich Selbstwirksamkeit:


4. ZUSPIELUNG Saskia Haspel


Also ich fühle mich mächtig, etwas in dieser Welt zu schaffen oder zu verändern. Und je älter das Kind wird, desto größer ist natürlich der Spielraum. Je mehr wir es behindern, desto weniger kann es das Gefühl aufbauen: Ich kann etwas schaffen. Vielleicht nicht beim ersten Mal, vielleicht beim zehnten Mal. Also es hat sehr viel zu tun mit Selbstvertrauen, ja, aber auch mit Selbstwertgefühl. ((Wenn ich mich als handelnde Person fühlen kann, die etwas bewirken kann in dieser Welt, ja, ich glaube, was wünschen wir uns mehr für unsere Kinder als, dass sie sich zu solchen Menschen entwickeln?))


ERZÄHLER


Auf dem Schulweg sind das viele kleine unscheinbare Situationen, in denen sich Kinder selbstwirksam fühlen können, sagt Rudolf Egger, Professor für Pädagogik am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz. Und dennoch prägt sich diese Erfahrung ein, auch unbewusst:


5. ZUSPIELUNG Rudolf Egger


Ein kleines Beispiel: Ein Mädchen kommt an eine Kreuzung, und dort ist ein Fußgängergang in Zebrastreifen. Sie schaut nach links, sie schaut nach rechts, so wie sie das gelernt hat, wieder nach links, und da kommt ein Riesen SUV daher, und sie schaut dem Fahrer in die Augen, und der Fahrer wird langsam, und nur durch den Augenkontakt merkt dieses Mädchen, dass es einen riesengroßen Volvo abbremsen kann, wir nennen das Joint Attention, das sind die Begegnungsflächen, wo ich merke, ich brauche nicht immer eine Druckknopfampel oder Schülerlotsinnen und -lotsen. Ich kann selber, durch so etwas Bescheidenes wie den Augenkontakt, was eigentlich was Großartiges ist, in die Gesellschaft eingreifen und dort meinen Platz finden. 


ERZÄHLER


Doch der Pädagogik-Professor Rudolf Egger beobachtet, dass Kindern die Möglichkeit, solche Erfahrungen zu machen, inzwischen oft genommen wird. Das habe mit der Motorisierung und mit der getakteten Arbeitswelt ihrer Eltern zu tun. 


6. ZUSPIELUNG Rudolf Egger 


Vielleicht haben Sie das auch schon festgestellt – so 20 Minuten vor Schulbeginn ist quasi Großkampf-Arena vor den Schulen. Die Eltern würden ihre Kinder am liebsten mit dem SUV in die Klasse führen, weil sie Angst vor dem Verkehr haben, den sie selber verursachen. Und das ist der Teil, wo wir uns gefragt haben: Was hängt eigentlich am Schulweg, wenn immer weniger Kinder quasi einen selbstgestalteten Schulweg haben - wie hängt es dann mit dem Erleben der Umwelt, mit dem Erlernen von Demokratie, mit dem Erlernen des Miteinander - wie hängt das zusammen?


MUSIK  „“I need exile; ZEIT: 00:50


ERZÄHLER


Rudolf Egger forscht zu Lernprozessen, die außerhalb von Institutionen, beispielsweise der Schule, stattfinden und untersucht, was informelle Lernprozesse fördert. Auch der Schulweg ist so eine Lernwelt – oder könnte es sein, sagt Egger: Hier können sich Kinder, zumindest in einem gewissen Rahmen, ausprobieren, sich selbst ihren Weg bahnen, anderen Menschen begegnen, Unvorhergesehenes erleben und auch einmal Umwege machen. All das kennzeichnete über Jahrzehnte den Schulweg, und machte ihn zu einer eigenen kleinen Lernwelt. Egger beobachtet jedoch, dass sich die Spielräume von Kindern zunehmend verengen. Vie

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