Frauen und ihre Taschen - Eine desolate Lage - radioWissen
Description
Dass Frauenkleidung überhaupt Taschen hat, in die Schlüssel und Smartphone passen, ist heute Grund für Freudentänze. Dabei war die Taschenlage für Frauen längst nicht immer so düster: Vor wenigen Jahrhunderten konnten Frauen in ihren Rockfalten und Gürteltaschen noch ganze Einkäufe verstauen. Vom Kampf um Taschen- und Geschlechtergerechtigkeit. Autorin: Vanessa Schneider
Credits
Autorin dieser Folge: Vanessa Schneider
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Hemma Michel, Berenike Beschle, Julia Fischer, Silke von Walkhoff, Peter Weiß
Technik: Laura Picerno
Redaktion: Yvonne Maier
Im Interview:
Barbara Burman, Textilhistorikerin
Bernadette Banner, Youtuberin und Kostümhistorikerin
Hannah Carlson, Modehistorikerin
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Linktipps:
Alice Duer Miller: Why We Oppose Pockets for Women, 1914 HIER
Bernadette Banner: Women's Pockets Weren't Always a Complete Disgrace - A Brief History: England, 15th c - 21st c HIER ENTDECKEN
Ein historischer Überblick über die Umbindetasche vom Victoria and Albert Museum HIER
Janet C. Myers, “Picking the New Woman's Pockets”, in: 19th Century Gender Studies, 10.1, 2014. HIER
Rebecca Unsworth, “Hands Deep in History: Pockets in Men and Women's Dress in Western Europe, c. 1480–1630”, in: Costume, 51.2, 2017. HIER
Jutta Zander-Seidel, “Die Lesbarkeit frühneuzeitlicher Kleidung”, arthistoricum, 2018 HIER
Someone clever once said: Women were not allowed pockets – Datenanalyse zu Taschengrößen und Funktionalität in aktueller Frauen- und Männerbekleidung HIER
Die weltweite Nutzung von Taschen, New York Times, 1899 HIER
Literaturtipps:
Barbara Burman & Ariane Fennetaux, “The Pocket – A Hidden History of Women’s Lives”, 2019, das Standardwerk über die historische Bedeutung der Umbindetaschen für Frauenleben. Leider bisher nur auf Englisch erschienen.
Hannah Carlson, “Pockets – An Intimate History of How We Keep Things Close”, 2023, eine erhellende Kultur- und Geschlchtergeschichte der Taschen in Männer und Frauenbekleidung. Auf Englisch.
Claire Wilcox, “Handtaschen. Moden & Designs im 20. Jahrhundert”, 1998. Ein Bildband über die Entwicklung der Taschen und Handtaschen – von der Umbindetasche bis zur It-Bag.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Voice Over 01
Ich entschuldige mich im Voraus für das Maß an reiner, destillierter, passiver Wut in diesem Video. Aber eigentlich auch nicht, weil die schiere Ungerechtigkeit dieser Sache... (PIEP) Wir sind inzwischen allzu vertraut mit der blasphemischen Schmach der Taschen in Frauenkleidung...
ERZÄHLERIN
Bernadette Banner ist wütend. Die Kostümbildnerin und Historikerin filmt normalerweise launige Erklär-Videos bei Youtube – zum Beispiel über die desolate Lage von Taschen in Frauenkleidung. 1,7 Mio. Follower schauen ihr dabei zu. Und die sind diesmal genauso aufgebracht, wie Banner:
Musik: Source code 0‘27
ZITATORIN
Die Tatsache, dass Frauenoberbekleidung, Mäntel, Jacken usw. nie eine Innentasche haben, während Männerkleidung IMMER eine hat, macht mich so wütend, dass ein Vulkanausbruch daneben harmlos erscheint.
ZITATORIN 2
„Preach, Girl, Preach!“
ZITATORIN
Ich brauche Taschen, so tief wie meine Seele, dass meine Dolche hineinpassen. Ich meine, Stifte..
ZITATORIN 2
“Viva la pocket revolution!“
Musik: Nr.2 D-Dur Andante 0‘31
ERZÄHLERIN
Bernadette Banner schneidert und designt historisch korrekte Kostüme und Alltagskleidung und lebt zumindest modisch auch selbst im späten 19. Jahrhundert. Die langen braunen Haare locker, aber elegant hochgesteckt. Eine hochgeschlossene Bluse, dazu ein weiter, langer Rock, Schnürstiefel, Handschuhe. Gegenüber Jeans, Yoga-Leggings und schmalen Sommerkleidern hat ihr anachronistisches Outfit einen unsichtbaren – aber entscheidenden Vorteil:
[PAUSE/Musik weg]
Tiefe Taschen in den Rockfalten.
ZSP 02 Bernadette Banner Everything
Voice Over 02
Frauen trugen diese riesigen Kleider, es gab also viel Platz für Taschen. Ich habe viktorianische Taschen in meinen Rekonstruktionen eingenäht und nutze sie auch in meiner eigenen Kleidung, weil sie riesig sind. Ganze Bücher, Wasserflaschen, Snacks – eigentlich alles was man den Tag über braucht, passt in eine viktorianische Tasche.
ERZÄHLERIN
Kleidertaschen in denen ein ganzes Picknick Platz findet – das klingt wie eine Utopie. Und tatsächlich: Der Taschenreichtum im Viktorianischen Zeitalter Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Ausnahme von der Regel. Die längste Zeit über hatte Frauenkleidung nämlich gar keine eingenähten Taschen!
Musik: Servants and farmhands B 0‘52
ERZÄHLERIN:
Bis ins 16. Jahrhundert tragen Frauen und Männer in Europa ihre kleinen Besitztümer in Beuteln am Gürtel. Als sich die Schneidertechniken weiterentwickeln, entstehen aus Tunika und Beinlingen der Männer Hemden und Kniebundhosen. Und in die werden ab etwa 1550 die ledernen Beutel, die zuvor an ihren Gürteln über der Tunika baumelten, einfach als Taschen in den Hosenbund eingenäht. Das Gewand der Frauen verändert sich nicht so drastisch. Unabhängig vom gesellschaftlichen Stand und sich wandelnden Moden tragen sie Unterkleider, Röcke und ein Mieder. Und am Gürtel Beutel. Doch die verschwinden Mitte des 17. Jahrhunderts... (PAUSE)
… scheinbar.
Denn nun binden sie sich große, birnenförmige Taschen aus Leinen, Seide, Leder oder Baumwolle mit einem Band um die Hüfte – und unter die Röcke – statt darüber. Das liegt am besonderen Design der Röcke dieser Zeit, sagt Bernadette Banner:
ZSP 03 Bernadette Banner Umbindetaschen
Voice Over 03
Die Röcke sind zweigeteilt und werden wie zwei Schürzen vorn und hinten gebunden, so dass sie sich an den Seiten überlappen. Dadurch ist es einfacher sich anzuziehen, aber es hat auch den Vorteil, dass so ein Schlitz an der Seite entsteht, durch den man mit den Händen in die Tasche greifen kann. Ja, das ist super sicher! Und darum haben Frauen ihre Taschen lange Zeit unter den Kleidern getragen, weil das am sichersten war.
Musik: Old mill 0‘28
ERZÄHLERIN
Die Umbindetaschen sind geräumig – und praktisch: Die Hände frei, trotzdem jederzeit alles Nötige und Wichtige nah bei sich. Auf dem Feld und in der Werkstatt, genau wie auf dem Markt und im Haushalt.
Barbara Burman ist Textilhistorikerin und hat der Umbindetasche ein ganzes Buch gewidmet: Die verborgene Geschichte vom Leben der Frauen. Denn die Umbindetasche verband Frauen über Standesgrenzen hinweg. Eine verblüffende Entdeckung:
ZSP 04 Barbara Burman Gemeinsamkeiten
Voice Over 04
Eine Herzogin machte dieselbe Erfahrung wie eine Prostituierte oder die Frau des Metzgers. Wir erkannten, dass die Umbindetasche eine gemeinsame materielle Kultur