Der Verein - Typisch deutsch? - radioWissen
Description
Was machen drei Deutsche? - Einen Verein gründen. Aber ist das Vereinswesen wirklich eine typisch deutsche Leidenschaft? Es gab noch nie so viele Vereine wie heute. Und: die Mitgliederzahlen sinken. Wie passt das zusammen? Von Birgit Magiera
Credits
Autorin dieser Folge: Birgit Magiera
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Susanne Schroeder
Technik: Anton Wunder
Redaktion: Iska Schreglmann
Im Interview:
Prof. Bettina Hollstein, Geschäftsführerin Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt, Habilitation zu „Ehrenamt“
Dr. Arnd Kluge, Historiker, Vereinsforscher, Leiter Stadtarchiv Hof, Universität Regensburg
Marie Stadler, stellvertr. Abteilungsleitung DCA beim ESV Laim, Cheerleading-Trainerin
Nicole Wagner, Kulturunternehmerin „Volx-Gesang“ gemeinn. GmbH
Julia Daum, 1. Vorstandsvorsitzende „Freunde des Bertolt-Brecht-Gymnasiums e.V.“
Helmut Pfundstein, 1. Vorstand beim „Männergesangverein Germania Aubing“
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Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir:
ALLES GESCHICHTE - HISTORY VON RADIOWISSEN
Literatur:
Deutsche Vereinsgeschichte, Arnd Kluge, Franz Steiner Verlag, 2024
Ehrenamt verstehen, Bettina Hollstein, Campus Verlag, 2015
Weiterführende Links:
Dynamic Cheer Athletics HIER
Männergesangverein Germania Aubing HIER
Volxgesang HIER
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
1 OT Pfundstein
Also, ich bin mit 17 Jahren zum Chor gekommen. Mein Vater war schon Sänger in diesem Gesangverein. Mein Großvater mütterlicherseits war dort Sänger, und mein Vater und meine Mutter haben sich bei der Gelegenheit kennengelernt und haben geheiratet. Also ich bin so zu sagen ein Kind des Gesangvereins.
SPRECHER
…Des Männergesangvereins – (also) ohne „s“ - Germania Aubing. Seit vielen Jahrzehnten ist Helmut Pfundstein erster Vorstand in dem Traditions-Männerchor, gegründet 1894. Für ihn war der Eintritt in den Gesangverein damals ein wichtiger Schritt ins eigene Erwachsenenleben:
2 OT Pfundstein
Mein Großvater hat nach dem Krieg, als ich einigermaßen erwachsen war, gesagt: Bursch, ich ging eigentlich noch in die Oberrealschule, war 17 Jahre alt, Geh amal mit, wir brauchen junge Sänger, geh mit, schaus dir an, ob es dir Spaß macht. Und es war ein Abend in der Woche, den man ausgehen konnte. Wir damals, wir Jugendlichen konnten nicht jeden Tag ausgehen. Es war also schon ein Privileg, und der Gesangverein war ein Stück Freiheit.
SPRECHER
Freiheit und eine gesellschaftliche Größe im Ort: der Gesangverein gab nicht nur – wie heute auch noch - Konzerte, er richtete auch Bälle aus, war bei allen wichtigen Anlässen präsent:
3 OT Pfundstein
Also der Gesangverein war im Stadtteil eine Hausnummer, und man ging dort gerne hin. Man hat sich getroffen. Es war immer eine große gesellige Komponente dabei, etwas, das man woanders so nicht gefunden hat.
Musik 1: Und was sagen die Freunde? 45 Sek
SPRECHER
Erzählt Helmut Pfundstein über seine Zeit im Chor in den 1950er und 60er Jahren. Der Verein als ein kultureller und sozialer Mittelpunkt, in den man durch die Familie ganz automatisch reinwächst – das gibt es heute immer seltener. Von Seiten der Älteren kommt dann schon mal der Vorwurf, die Jüngeren hätten keine Lust mehr, sich zu engagieren.
Das stimmt so pauschal nicht, sagt Bettina Hollstein, Professorin am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt. Sie forscht zu freiwilliger Arbeit und Gemeinsinn. Die Anzahl der Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, nimmt sogar zu, sagt sie. Die Bereitschaft, in irgendeiner Form etwas für die Gesellschaft zu tun, sei gestiegen. Aber:
4 OT Hollstein
(Aber) die Dauer des Engagements, also wieviel man sich in einer Woche zum Beispiel engagiert, die geht zurück, weil die Zeiträume, die man zur Verfügung hat, für ihr Engagement nicht mehr so fest planbar sind. Wenn Sie viel mehr Bereitschaftszeiten haben, immer wieder zwischendrin arbeiten müssen. Dann haben sie nicht mehr so verlässliche Zeiten, an denen Sie sagen können ja, donnerstags, nachmittags mache ich immer das Bambini-Training.
Musik 2 - Schnelle Schritte 1:21 Min
SPRECHER
Erklärt die Forscherin. Arbeits- und Lebenswelten haben sich verändert, Menschen wechseln öfter die Firma, den Wohnort, ihre kompletten Lebensumstände, als noch vor einer Generation. Dadurch wird es für viele schwieriger, sich langfristig und kontinuierlich festzulegen. Leichter zu stemmen sind einzelne, zeitlich begrenzte Projekte.
Ob Vereine Zulauf haben oder nicht, hängt noch von einem anderen Umstand ab. Und der liegt auf der Hand: in einigen ländlichen Regionen, kleinen Orten, leben schlicht insgesamt weniger Menschen als früher. Dort werden reine Männerchöre oft zu gemischten Chören. Fußballmannschaften benachbarter Vereine schließen sich zu Spielgemeinschaften zusammen, um noch genug Spieler und Trainer auf den Platz zu bringen. Woanders treten mehr Menschen in Sport-Vereine ein: In der Summe hatte z.B der bayerische Landes-Sportverband als Dachverband im Herbst 2024 so viele Mitglieder wie noch nie, mehr als vor der Corona-Pandemie. Gerade in Großstädten und Ballungszentren werden nach wie vor mehr Vereine oder Abteilungen neu gegründet als aufgelöst.
ATMO Turnhalle Cheertraining
SPRECHER
Marie Stadler steht in einem neu gebauten Turnhallen-Komplex des ESV, des Eisenbahnsportvereins in München-Laim. Die Studentin trainiert hier an mehreren Abenden in der Woche Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Außerdem ist sie selbst Teil eines Teams. Nachwuchs haben sie mehr als genug, sagt sie.
5 OT Stadler
Wir haben dieses Jahr zum ersten Mal von unserer jüngsten Altersklasse zwei Teams, weil wir so nen Andrang hatten. Und das überlegen wir eben auch, mit der Jugend zu machen und uns quasi noch breiter aufzustellen.
SPRECHER
Wettkampf-Cheerleading heißt Maries Sportart, die in Deutschland noch relativ jung ist: eine Mischung aus Turnen, Akrobatik und Tanzelementen. Die Dynamic Cheer Athletics, - so nennt sich die Abteilung innerhalb des Vereins - nehmen erfolgreich an Meisterschaften teil, in allen Altersklassen.
Und die Abteilung wächst: das heißt dann natürlich auch, man braucht mehr Trainer und Trainerinnen.
6 OT Stadler
Wir ziehen unsere Trainerinnen mit 14, 15, 16 ran. Die sind dann voll mit eingespannt, werden immer wieder in größere Aufgaben ran geführt. Und so war es ja auch bei mir. Und dann brennt man auch immer mehr dafür.
SPRECHER
Ins Vereinsleben und in den Sport investiert Marie Stadler einen großen Teil ihrer Freizeit. Ihr Freund unterstützt sie, fährt auf Meisterschaften mit, um vor Ort die Teams mit zu betreuen. Wenn’s dann drauf ankommt – der Moment, wenn das Team auf der Matte steht und die Musik losgeht – immer wieder großartig, schwärmt die Trainerin:
ATMO Cheer Musik
7 OT Stadler
Als Trainer, sitzt man bei uns in der Sportart vor der Matte und kann gar nicht mehr eingreifen. Und die Mädels sind zweieinhalb Minuten auf sich selber gestellt, und man hofft einfach, dass man alles in den letzten sechs Monaten, so gut es geht, beigebracht hat. Und dann im Moment, wenn der letzte Ton der Musik kommt und alles vorbei ist, dann fällt so dieser Druck ab. Und man sieht die Mädchen sich so krass freuen. Und das schwappt so auf einen über. Stimme oben
Musik 3: Und was sagen die Freunde? – siehe vorn – 39 Sek
SPRECHER
Diese Momente sind es, die der Studentin ein beso