Die Geschichte des Artensterbens - Von der Urzeit bis heute - radioWissen
Description
Als vor rund 66 Millionen Jahren ein Asteroid im heutigen Mexiko einschlug, starben rund drei Viertel der Arten aus - vor allem die Dinosaurier. In dieser Größenordnung ein einmaliges Ereignis, aber längst nicht das einzige. Immer schon haben Arten empfindlich auf Klimaveränderungen reagiert. Von Hellmuth Nordwig
Credits
Autor dieser Folge: Hellmuth Nordwig
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Rahel Comtesse, Johannes Hitzelberger, Peter Veit
Technik: Moritz Herrmann
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Dr. Thassilo Franke, Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayern;
Prof. em. Wolfgang Oschmann, Geologe, Universität Frankfurt am Main;
Dr. Daniela Schwarz, Naturhistorisches Museum Berlin
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Sprecherin
Um einen Eindruck vom Leben in früheren Erdzeitaltern zu bekommen, geht man am besten in ein Museum für Paläontologie. Eine solche Sammlung von Fossilien findet man auch in München, unweit des Lenbachhauses.
Sprecher (Block mit Musik oder geeigneter Atmo unterlegen)
Einem mächtigen Urelefanten stehen wir hier staunend gegenüber. Mulmig wird uns auch angesichts eines Reptils, dem sogenannten Bradysaurus, auch wenn der etwas tapsig wirkt. Sein Schädel ist so groß wie ein Baby. Und dann schwebt noch der Flugsaurier Pteranodon über uns. Seine ausgebreiteten Flügel überspannen leicht zwei hintereinander liegende Menschen.
Sprecherin
All diese fantastischen Lebewesen sind schon lange ausgestorben. Aber auch in jüngerer Zeit sind zahlreiche große und kleine Tiere von der Erde verschwunden, erzählt Thassilo Franke von den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen in Bayern.
Er demonstriert das an einem gut 20 Zentimeter großen Fossil, das er aus seinem Rucksack holt:
O1 Zsp Die Geschichte des Artensterbens - Franke
Das erste Stück, das ich hier dabeihabe: der Backenzahn eines Wollhaarmammuts. Eine Art, die wirklich in geschichtlicher Zeit von der Erde verschwunden ist. Als die Ägypter angefangen haben, ihre Pyramiden zu bauen, sind die letzten Wollhaarmammuts vermutlich noch herumgelaufen.
Sprecherin
Das Artensterben zieht sich durch die gesamte Erdgeschichte. Die beginnt vor gut viereinhalb Milliarden Jahren. Unser Planet ist damals "wüst und leer" - aber für geologische Maßstäbe nicht lange. Nach einer halben Milliarde Jahre tauchen Einzeller auf, und viel später …:
Musik 2: Pulsating environments – 117 – 8 Sek
Zitator
… 630 Millionen Jahre vor unserer Zeit …
Sprecher
Mehrzellige Lebewesen, die sogenannte Ediacara-Fauna.
Sprecherin
Auch im Paläontologischen Museum in München sind diese seltsamen Lebewesen zu sehen. Noch unfähig sich selbst zu bewegen und darauf angewiesen, Bakterienschleim und andere Nährstoffe über ihre Oberfläche aufzunehmen. Rund 40 Millionen Jahre sind die Ediacara mit den Einzellern unter sich. Doch das ändert sich ziemlich plötzlich. Die Wissenschaft hat dafür einen treffenden Begriff: Nach dem damaligen Erdzeitalter spricht sie von der ‚kambrischen Explosion des Lebens‘.
Musik 3: Pulsating environments – 8 Sek
Zitator
540 Millionen Jahre vor unserer Zeit.
O3 Zsp Die Geschichte des Artensterbens - Franke
Das war wie eine große Versuchsküche, wo die Evolution alles Mögliche ausprobiert hat. Wo die Formen übriggeblieben sind, auf die wir uns selbst als unsere Vorfahren zurückberufen können. Die Wirbeltiere nahmen da ihren Ursprung, die Wirbellosen, die Insekten, Gliederfüßer. Alles nahm in dieser kambrischen Explosion seinen Ursprung. Was diese Formen auszeichnet, ist der Umstand, dass sie sich von anderen Lebewesen ernährt haben. Und - was auch ganz wichtig ist - dass sie nicht nur weitgehend bewegungslos irgendwo rumwaberten, sondern dass sie hochmobil waren und zum Teil im Meeresboden auch gewühlt haben, (sich) von diesen Ediacara-Lebewesen ernährt und irgendwann dazu geführt, dass es die dann nicht mehr gegeben hat.
Sprecherin
Zum ersten Mal wird eine Gruppe von Lebewesen von der Erde verdrängt. Von Lebewesen, die sich fortbewegen und aktiv auf Nahrungssuche gehen können. Doch die Ediacara werden nicht die einzigen bleiben, von denen es heute nur noch Fossilien gibt.
Musik 4: Fach - 22 Sek
Sprecherin
Zunächst ist nach der ‚kambrischen Explosion‘ die bis dahin größte Biodiversität erreicht.
Sprecher
Muscheln, Stachelhäuter und viele andere Lebewesen bevölkern die Meere.
Sprecherin
Dann aber beginnt eine Kältephase auf der Erde, wie so oft in ihrer Geschichte.
…endet mit Akzent aus Musik 5: Seduction – 14 Sek
Musik 6: Pulsating Environments – siehe vorn – 8 Sek
Zitator
450 Millionen Jahre vor unserer Zeit: Das erste Massenaussterben.
Musik 7: Beginnings are…- 15 Sek, Wechsel in:
Musik 8: the Revenant Main Theme – 50 Sek
in
Jetzt kommt die Plattentektonik ins Spiel: Der Kontinent Gondwana verschiebt sich in Richtung Südpol. Dort ist es so kalt, dass er umso mehr vereist, je weiter er nach Süden gerät - und dieses Eis ist nichts anderes als Wasser, das dem Meer fehlt. Dadurch sinkt der Meeresspiegel weltweit dramatisch. Für viele Organismen gibt es keinen Lebensraum mehr. Nach nur zwei Millionen Jahren - in geologischen Zeiträumen ein Wimpernschlag - sind 85 Prozent der Arten verschwunden. Kaltes Klima und die Plattentektonik, das sind zwei wichtige Ursachen dieses ersten Massenaussterbens. Thassilo Franke:
O4 Zsp Die Geschichte des Artensterbens - Franke
Alle Artensterben der Geschichte, alle Massenaussterben, sind multikausal. Haben also mehrere Ursachen und nicht nur eine.
Musik 9: Boating for Beginners –102 - 41 Sek
Sprecherin
Nach dem ersten großen Verschwinden von Arten ist Platz für Neues. Vor allem im Meer entwickelt sich eine große Vielfalt.
Sprecher
Panzerfische, Knochenfische, Stachelhaie, auch der noch lebende Quastenflosser entstehen in dieser Zeit. Tiere mit amphibischer Lebensweise machen die ersten Schritte an Land. Dort beginnen auch Pflanzen ihren Siegeszug. Sie erobern die Uferbereiche und später die Landmassen. Bärlapp, Farn und bis zu 30 Meter große Schachtelhalme bestimmen das Bild.
Musik 10: Pulsating environments – siehe vorn – 8 Sek
Zitator
370 Millionen Jahre vor unserer Zeit: Das zweite Massenaussterben.
Sprecherin
Das Klima ist zunächst warm, man kann sich eine Art weltweiten tropischen Regenwald vorstellen. Viele Pflanzen auf der Erde: Das ändert aber das Klima sehr deutlich. Der Grund: Pflanzen brauchen Kohlendioxid zum Wachsen. Das Treibhausgas, das uns heute zu schaffen macht - damals wird es in großer Menge von den ausgedehnten Wäldern aufgenommen. Und wenn das Treibhausgas rasch weniger wird, fällt die Temperatur drastisch.
O5 Zsp Die Geschichte des Artensterbens Oschmann
Das hängt damit zusammen, dass zu dem Zeitpunkt die Landpflanzen sich ungemein entwickelt haben und in dem Zeitalter sich globale Wälder entwickelt haben. Auf der Erde waren Wald-Ökosysteme, die das heutige Maß vermutlich bei Weitem überschritten haben.
Sprecherin
... erklärt Wolfgang Oschmann, Geologe und Spezialist für das Klima im Laufe der Erdgeschichte an der Universität Frankfurt am Main. Der Temperatursturz hat zur Folge, dass viele Pflanzen absterben und als Biomasse in die Meere gespült werden. Diese werden massiv überdüngt, der Sauerstoff im Ozean wird knapp. Auch aus anderen Gründen verändert sich die Meereschemie mehrmals deutlich, wie man an Fossilien heute noch erkennen kann. Warum, darüber ist die Wissenschaft sich nicht einig - unter anderem fallen in diese Zeit langanhaltende Vulkanausbrüche und ein Asteroideneinschlag. Wie auch immer, vielen Meereslebewesen fehlt schon bald die Nahrungsgrundlage. Etwa drei Viertel der damals lebenden Arten verschwinden in kurzer Zeit.
Musik 11: Rodney bay – 54 Sek
Sprecherin
Jetzt ist Platz für Pflanzenarten, die mit kühlerem Klima zurechtkommen.
Sprecher
Die ersten Nadelbäume entstehen. Einige Farnarten und Schachtelha