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Die Toleranz - Respekt für das Andere

Die Toleranz - Respekt für das Andere

Update: 2024-11-16
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Description

Über Jahrhunderte haben Gesellschaften sich in Toleranz geübt. Jetzt gerät die edle Haltung an ihre Grenzen. Wie tolerant sollen wir gegenüber Menschen sein, die die Werte der Toleranz selbst mit Füßen treten? Von Fabian Mader (BR 2019)

Credits
Autor dieser Folge: Fabian Mader
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Ruth Geiersberger, Christian Baumann, Hemma Michel, Carsten Fabian und Martin Fogt
Technik: Fabian Zweck


Im Interview:
Prof. Dr. Rainer Forst;
Prof. Dr. Dr. h.c. Karl-Josef Kuschel


Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.



Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:


Zugatmo ... 


ZITATOR 


Ist hier noch frei?


ZITATORIN 


Ja … aber natürlich … 


Warten Sie, ich mache Ihnen Platz.


ZITATORIN leise zu sich selbst:


Mein Gott, diese Jacke und jetzt … och ne!!! … Jetzt legt der seine Jacke auf meine, das gibt‘s doch nicht ...?!


ZITATOR 


Geht das so?


ZITATORIN 


Kein Problem …! Hier haben Sie Platz für Ihre Sachen!


ZITATOR 


Stört es Sie, wenn ich etwas esse?


ZITATORIN 


Nein, nein, … natürlich nicht! Lassen Sie es sich schmecken!


ZITATORIN leise zu sich selbst: 


Wie das stinkt, was soll das sein, gekochter Hund!? Ist das ekelhaft, … das stinkt ja das ganze Zugabteil voll! Wie soll ich das nur bis Berlin aushalten?!


Musik


SPRECHER 


Die Hölle, das sind die anderen! Schreibt Jean-Paul Sartre, französischer Existentialist. 


SPRECHERIN 


Sobald wir unseren privaten Raum verlassen, sind wir diesen anderen ausgesetzt. Und damit ihren Meinungen, ihrem Verhalten, ihrem Geschmack. Genau hier aber zeigen sich die Unterschiede der Menschen. Sartre spricht von der Hölle, weil sie, ‚die anderen‘ uns in unserer Freiheit einschränken. 


SPRECHER


Die moderne Gesellschaft braucht aber eine Methode, um diese Unterschiede zu moderieren. Und diese Methode heißt: Toleranz. 


SPRECHERIN


Der Philosoph Rainer Forst hat eine 750 Seiten lange Abhandlung über die Debatte um diese Tugend geschrieben. Aus seiner Sicht wird der Begriff oft falsch verwendet. Viele halten sich für tolerant - obwohl sie es eigentlich gar nicht sind:


O-Ton 1 – Rainer Forst: 


Wer mit dem glücklich ist, was die anderen machen, obwohl er es fremd findet, der ist nicht tolerant, sondern begrüßt einfach nur das Fremde. 


Also zum Tolerieren gehört, dass man wirklich ein Problem sieht, mit dem, was andere denken oder tun.


SPRECHER


Wenn wir also mit den Dingen um uns herum einverstanden sind, dann sind wir eigentlich nicht tolerant, sagt Rainer Forst. Wir sind nur konform mit unserem Umfeld:


O-Ton 2 – Rainer Forst 


Das ist prima, wenn Leute kein Problem mit Andersartigkeit, mit anderen Lebensformen, Überzeugungen und so weiter haben, aber dann tut’s mir leid, dann sind die einfach nicht tolerant, dann sind die nur einfach freundliche Zeitgenossen, die an dem Fremden was Gutes sehen, oder weder was Gutes noch was Schlechtes, weil sie indifferent sind. Wer tolerant ist, der hat ein Problem mit dem, was die anderen sagen. Wer kein Problem mehr mit dem, was die anderen sagen oder tun, hat, der kann auch nicht tolerant sein.


SPRECHER


Toleranz bedeutet dann, trotz der Ablehnung, trotz vielleicht sogar der Abscheu, das Fremde und Andere zu respektieren. Ihm Existenz zuzubilligen, obwohl wir es vielleicht lieber hätten, es wäre gar nicht da - oder zumindest weniger laut und weniger auffällig. …


O-Ton 2 a (optional) Rainer Forst:


Nehmen wir einen Kölner Katholiken, dem es ein Graus ist, dass in der Silhouette von Köln eine Moschee aufragt, der aber, weil Muslime in Köln dieselben Rechte haben, Gotteshäuser zu bauen, sagt, ich respektiere dieses Recht, obwohl es mir einen gewissen Schmerz verursacht.


SPRECHERIN


In früheren Jahrhunderten war Toleranz weniger relevant. Die meisten Menschen konnten kaum reisen, sprachen nur ihren Dialekt und blieben in ihrer Region. Die Nachbarn hatten denselben Glauben, ähnliche Berufe und gehörten zur selben Klasse. 


Heute leben auf wenigen Quadratkilometern oft zahllose Nationen und Weltanschauungen zusammen. Und müssen auf Augenhöhe miteinander klarkommen. 


O-Ton 3 – Rainer Forst 


Nicht nur, dass verschiedene Religionen existieren, sondern auch verschiedene Lebensformen, und natürlich auch Leute, die überhaupt keine Religion sinnvoll finden. Also überall dort, wo ernsthaft gestritten wird, wo man ernsthaft unterschiedlicher Meinung über das richtige und gute Leben ist. Da ist die Toleranz nötig.


Musik


SPRECHER 


Der Begriff kommt vom Lateinischen ‚tolerare‘. Wörtlich übersetzt heißt das: ertragen, aushalten. Die Römer verstanden unter „tolerantia“ vor allem Selbsttoleranz. Also: Bestimmte Schwächen auszuhalten und mit ihnen zu leben. Minderheiten wurden zwar toleriert, Menschen außerhalb des Römischen Reichs waren aber Barbaren. Und folglich abzulehnen. 


SPRECHERIN 


Es brauchte schon eine Katastrophe, um die Menschen von der Notwendigkeit des Toleranz-Gedankens zu überzeugen, sagt der Theologe Karl-Josef Kuschel von der Universität Tübingen:


O-Ton 4 – Karl-Josef Kuschel 


Er ist aufgekommen im 17. Jahrhundert, nachdem die christlich-europäischen Mächte übereinander hergefallen sind im 30-Jährigen Krieg eine schreckliche Verwüstung zu verantworten hatten. Erst danach, nachdem eben halb Europa verwüstet war und Hekatombe von Leichen auf den Schlachtfeldern zurückblieben im Namen der Religion, hat man sich überlegt, ob man nicht vielleicht doch andere Begründungen für ein Zusammenleben finden sollte. Da kam die Idee auf: Wir müssen uns zumindest, um diese Massaker zu verhindern, wechselseitig dulden.


Musik


SPRECHER 


Am Anfang steht also der 30-Jährige Krieg. Halb Europa liegt in Trümmern. Etwa ein Drittel der damaligen Bevölkerung ist dem Krieg selbst zum Opfer gefallen - oder den in seinem Fahrwasser grassierenden Seuchen und Hungersnöten. 


SPRECHERIN 


Man kann von einer ‚Stunde Null‘ sprechen. Der Dichter Andreas Gryphius versucht das Leid in Worte zu fassen:


ZITATOR 2


Die Jungfern sind geschändt, und wo wir hin nur schaun


Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret.


Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut.


Dreimal sind schon sechs Jahr, als unsrer Ströme Flut


von Leichen fast verstopft sich langsam fort gedrungen.


SPRECHER 


1648 beenden die westfälischen Friedensverträge diesen schrecklichen Krieg. In ihnen wird festgelegt: Alle Konfessionen sind vor dem Gesetz gleich! Ein neuer Gedanke. 


SPRECHERIN


Alle Menschen haben dasselbe Existenzrecht. Protestanten und Katholiken müssen sich notgedrungen miteinander arrangieren. 


O-Ton 5 – Karl-Josef Kuschel: 


Die Erfahrung von Intoleranz war ja genau das Gegenteil und hat eben auch zu schrecklichen gewalttätigen Auseinandersetzungen geführt. Toleranz heißt zunächst einmal Dulden. Und es ist eine große Errungenschaft dann der Europäischen Aufklärung aufgrund dieser negativen geschichtlichen Erfahrungen, dass man sich unter den Religionen und Konfessionen zunächst einmal überhaupt hat leben lassen. Nebeneinander leben lassen.


SPRECHER 


Mit der rechtlichen Gleichstellung sind natürlich nicht alle Fragen geklärt. Es kommt darauf an, dass Menschen diese Toleranz nun auch leben und das Fremde wirklich respektieren – doch wie soll das genau funktionieren? 


SPRECHERIN 


Dafür ist ein Gedanke wichtig, der sich nach und nach in der Aufklärung durchsetzt. Im Mittelalter stand noch fest: Ein Fürst oder ein König bestimmt, woran seine Untertanen zu glauben haben. Das ändert sich nun. Immer mehr Fürsten und Könige akzeptieren, dass der Glaube eine Frage des Gewissens ist. Und nicht staatlich verordnet werden kann. Religion wird so Privatsache.


SPRECHER 


Musik


Bereits 100 Jahre nach dem Ende des 30-jährigen Kriegs schreibt der Preußische König Friedrich der Große:


ZITATOR 2


Alle Religionen sind gleich gut, wenn nur die Leute, die sie professieren, ehrliche Leute sind. 


Und wenn Türken und Heiden kämen, und wollten das Land peuplieren, so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen. Ein jeder kann bei mir glauben, was er will, wenn er nur ehrlich ist.


SPRECHERIN


Friedrich der Große stand in engem Kontakt zu Voltaire, dem französischen Philosophen der Aufklärung. Voltaire hatte für die Fanatiker seiner Tage wenig übrig. Sie alle hätten die gleiche Binde vor den Augen: 


ZITATOR 2


Sei es, um die Städte und Dörfer ihrer Feinde anzuzünden und die Bewohner zu erwürgen, oder sei es, um zu betrügen, sich zu bereichern und zum Herrn aufzuwerfen. Ihr Fanatismus macht sie blind.


SPRECHERIN


Kein Wunder, dass Voltaires Schriften in den vergangenen Jahren wieder in Mode gekommen sind. Nach den Anschlägen auf die Redaktionsgebäude der Zeitschrift „Charly Hebdo“ durch Islamisten schaffte es sein Philosophisches Wörterbuch wieder in die Bestsellerlisten. 


SPRECHER 


Voltaire hatte einen Ansatz, den viele Aufklärer teilten: Er wollte eine sogenannte ‚Vernunftreligion‘ etablieren. Sie sollte aus wenigen Prinzipien bestehen, aus ve

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Fabian Mader