Kultur des Todes - Geschichte des Friedhofs
Description
Grabstätten gehören zu den ältesten Zeugen menschlicher Zivilisation: Von Gräberfeldern und Nekropolen entwickelten sie sich mit der Christianisierung zum Friedhof. Dieser Ort des Gedenkens wandelt sich heute mehr und mehr zu einem Schauplatz, der das menschliche Streben nach Individualität widerspiegelt. Von Frank Halbach
Credits
Autor dieser Folge: Frank Halbach
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Ditte Ferrigan, Stefan Wilkening, Ines Hollinger
Technik: Daniela Röder
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Dr. Thorsten Benkel und Matthias Meitzler (Soziologen und Thanatologen), Universität Passau
Prof. Dr. Dr. Ina Wunn, Religionswissenschaftlerin und Biologin
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Literatur:
Thorsten Benkel, Matthias Meitzler: Körper - Kultur - Konflikt: Studien zur Thanatosoziologie (Thanatologische Studien - Thanatological Studies). Baden-Baden 2021.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZITATORIN
Noch niemals hat mich so wie heut
Des Todes Poesie gerührt,
Da mich mein Pfad beim Nachtgeläut
Zum engen Friedhofstor geführt.
SPRECHER
Ein Raum für ungestörtes Totengedenken: der Friedhof.
ZITATORIN
Wie liegen sie so still und traut,
Umglüht vom gleichen Abendschein,
Vom gleichen Lenzduft übertaut,
Die blumenbunten Gräberreih’n,
SPRECHER
Dichtet Frida Schanz, eine der beliebtesten Kinder- und Jugendbuchautorinnen vor dem Ersten Weltkrieg, über den Friedhof, einen von den Lebenden abgegrenzten Ort.
MUSIK ENDE
O-Ton 2 Meitzler (16:58 )
Dieses Image als düsterer, weltvergessener Ort…
SPRECHERIN
Der Totenacker, das Gräberfeld, die Gruft, das Mausoleum, die letzte Ruhestätte…
SPRECHER
Ein Ort des Gedenkens, der Einkehr und der Trauer.
O-Ton 3 Meitzler (13:13 )
Friedhof ist eben nicht nur der Ort, der Trauer und der Melancholie, sondern es kann auch durchaus ein sehr lebendiger Ort sein, den man auch zu ganz anderen Zwecken aufsuchen kann.
SPRECHERIN
Ein heiliger Ort
O-Ton 4 Benkel (03:11 )
Friedhöfe haben eine ganz klassisch profane Funktion, sie sind Speicherstätten für tote Körper. Die müssen ja irgendwohin. (…) 03:32 Ganz profan pragmatisch. Wird dann natürlich mehr oder minder intensiv, je nachdem, wo man ist, durch Ritualität, Zeremonien und so weiter aufgewertet. Wobei das heutzutage nicht mehr so eine große Rolle spielt.
SPRECHER
Dr. Thorsten Benkel. Er und sein Kollege Matthias Meitzler, beide am Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Passau, sind Thantologen.
SPRECHERIN
Sie forschen zu den Themenfeldern Sterben, Tod und Trauer. Matthias Meitzler:
O-Ton 5 Meitzler (01:24 )
Im Prinzip sämtliche Facetten dieser ganz großen Thematik. Das geht los beim Sterben. Das führt zu der Frage: Was passiert eigentlich mit einem toten Körper? Wie wird heutzutage bestattet? Wie sind Gräber gestaltet? Und was kann man denn ganz allgemein sagen: Wie hat sich das Verhältnis zu Sterben, Tod und Trauer verändert? Das ist so ein Forschungsschwerpunkt von mehreren, und den bearbeiten wir seit einiger Zeit sehr intensiv.
MUSIK 2 ; ZEIT: 00:25
SPRECHERIN
Grab- und Kultstätten sind gehören zu den ältesten Zeugnissen menschlicher Zivilisation.
SPRECHER
Schon seit der frühen Steinzeit bestatten Menschen ihre Toten. In der frühesten Epoche der Menschheitsgeschichte entstehen verschiedene Vorstellungen vom Weiterleben nach dem Tod und Ahnenkult.
MUSIK ENDE
O-Ton 6 Wunn (01.37)
Am Anfang war der Tod.
SPRECHERIN
Sagt Dr. Dr. Ina Wunn, Biologin und Professorin für Religionswissenschaft.
SPRECHER
Archäologischen Funde früher Bestattungen, in Form demonstrativer Gräber, gelten gemeinhin als Beweisstücke für die ersten menschlichen Vorstellungen vom „Übersinnlichen“.
SPRECHERIN
Dabei haben sie zunächst einen ganz diesseitigen praktischen Zweck:
O-Ton 7 Wunn (02.18)
Wenn man das Ganze aber aus einer biologischen Warte betrachtet oder auch aus einer ethnologischen Warte, dann wird man feststellen: Diese demonstrativen Grabstätten gibt es immer da, wo Territorien markiert werden. Also da, wo Völker leben, oder Stämme leben, oder Gruppen leben, die Jäger sind und Sammler und die auf ein großes Territorium angewiesen sind. Und die markieren mit den Begräbnissen einfach das Land, was sie für sich zum Jagen und zum Sammeln beanspruchen. Und genau so haben das bereits vor 90.000 Jahren die ersten Bewohner Europas gemacht. Haben also einfach ihre Toten bestattet, haben unter Umständen den Schädel, den sie vorher schön säuberlich bearbeitet hatten, also alles Fleischige davon entfernt, haben sie auf die Begräbnisstätte gelegt, um deutlich zu machen, hier sind wir schon, dieses Land haben wir von unseren Vätern und Großvätern ererbt, das ist unseres.
ZITATORIN
Die erste Haltestelle im Jenseits.
SPRECHERIN
Zunächst einfach eine Grenzmarkierung.
MUSIK privat Take 003 „Ancient Mystery“; Album: Ancient Atmospheres; Label: 2011 Network Music; Interpret: Network Music Ensemble; Komponist; Network Music Ensemble; ZEIT: 01:50
SPRECHER
Mit der Entfaltung der ersten Hochkulturen entwickelte sich ein regelrechtes Bestattungswesen.
ZITATORIN
Die Geheimnisse der Unterwelt, die Initiation in die Mysterien des Totenreichs, Berge aufzubrechen und Täler aufzuschließen, Geheimnisse, die niemand kennt zur Behandlung des Verstorbenen…
SPRECHER
Heißt es im ägyptischen Totenbuch, entstanden um 2.500 vor Christus. Im Alten Ägypten e erblühte ein ausgeprägter Totenkult mit Pyramiden, dem Tal der Könige und Nekropolen für die kunstvoll mumifizierten Leichen von Pharaonen, Würdenträgern und Beamten als letzte Ruhestätten.
ZITATORIN
Eikōn hē lithos
Eimi. tithēsi me
Seikilos entha
mnēmēs athanatou
sēma polychronion
darüber
Ich bin ein Bild
in Stein; Seikilos stellte
mich hier auf,
in ewiger Erinnerung,
als zeitloses Symbol.
SPRECHERIN
Im antiken Griechenland, Kreta und Kleinasien entstanden Orte außerhalb des städtischen Lebens, an denen die Toten bestattet wurden: Gräberfelder oder Felsengräber. Nicht selten erbaute man in der Nähe ganze Tempelbezirke, wo Rituale zu Ehren der Toten vollzogen wurden.
ZITATORIN
honc oino ploirume cosentiont Romani / duonoro optumo fuise viro
darüber
Dieser ganz allein, so stimmen die meisten Römer überein / sei der allerbeste Mann gewesen.
SPRECHER
Lautet die Inschrift auf dem Grab des Konsuls Lucius Cornelius Scipio aus dem dritten Jahrhundert vor Christus. Die Römer schließlich organisierten ihre Grabstätten auf unterschiedlichste Art und Weise. Die Reichen ließen sich gerne entlang von Ausfallstraßen bestatten, wo sie prächtige Gedenktafeln, monumentale Stelen oder prunkvolle Mausoleen errichten ließen.
Die Kapitale Rom barg außerdem eine ganze unterirdische Totenstadt, in deren Katakomben über 850.000 gesellschaftlich nicht ganz so hochstehende Verstorbene in Nischen eingemauert wurden.
MUSIK ENDE
ATMO Glocke
SPRECHERIN
Die Christianisierung machte dann Schluss mit Gräbern außerhalb der Siedlungen. Sowohl die auf germanisch-keltischer Tradition beruhenden außerörtlichen Gräberfelder