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Improvisation als Lebenskunst - Der Sprung ins kalte Wasser

Improvisation als Lebenskunst - Der Sprung ins kalte Wasser

Update: 2024-11-14
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Description

Alles von vorne bis hinten durchzuplanen, ohne Pannen und böse Überraschungen: für manche eine schöne und vor allem beruhigende Vorstellung. Doch leider funktioniert das Leben oft so nicht. Vieles kommt anders, als man denkt. Und dann ist es von Vorteil, wenn man die Kunst der Improvisation beherrscht. Von Karin Lamsfuß


Credits
Autorin dieser Folge: Karin Lamsfuß
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Friedrich Schloffer, Irina Wanka
Technik: Fabian Zweck
Redaktion: Susanne Poelchau


Im Interview:
Prof. Georg Bertram, Philosoph FU Berlin
Andreas Wolf, Gründer und Leiter des Impro-Ensembles fastfood-theater
Carsten Alex, Aussteiger und Coach
Ines Klose, Unternehmerin
Ralf Promper, Leiter der Obdachloseneinrichtung SKM



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ZUM PODCAST



Linktipps:
Georg Bertram; Michael Rüsenberg: Improvisieren! Lob der Ungewissheit, Reclam Verlag, 2021
Andreas Wolf: Spontan sein. Improvisation als Lebenskunst. ComTeammedia, 2013



Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.


Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:


O-Ton 1 Carsten Alex (0‘03“)


Die Zutaten waren in jedem Fall mal keinen Plan zu haben. 


O-Ton 2 Carsten Alex (0‘04“)


Wir hatten also nur ein One-Way-Ticket: Stuttgart-Mailand-Mailand-Bombay…


O-Ton 3 Carsten Alex (0‘05“)


Es gab keine feste Planung, es gab auch keinen definierten Zeitpunkt, an dem ich wieder zurückkehren wollte. 


O-Ton 4 Carsten Alex (0‘08“)


Das war wirklich von null auf tausend.  Ich brauchte auch erst mal Zeit, um in diese Reise hineinzukommen. In dieses Planlose, in dieses Gelassene. 


O-Ton 5 Andreas Wolf (0‘10“): 


Und das hat viel mit Improvisation zu tun, nämlich das Loslassen. Ein guter Improvisateur kann loslassen, der schlechte Improvisateur - in Anführungsstrichen - kontrolliert. 


Musik weg


Sprecher: 


Ungeplant, spontan, kreativ, ohne Struktur, aus dem Moment heraus – all das sind Merkmale der Improvisation: Wenn die Präsentation auf dem Rechner plötzlich zerschossen ist, wenn das Kind auf der langen Autofahrt nölig wird, wenn das Gepäck auf dem Flug verloren geht, wenn plötzlich Gäste kommen und der Kühlschrank gähnend leer ist – das sind nur wenige Beispiele für die unzähligen Herausforderungen im Leben, in denen Improvisation gefordert ist. 


Sprecherin: 


Improvisation ist ziemlich anspruchsvoll, sagt Andreas Wolf, Gründer des Münchner Impro-Theater-Ensemble „fastfood-Theater“. Denn es geht dabei gleich um mehrere Dinge: Kontrolle abgeben. Bekannte Strukturen verlassen. Mut aufbringen. Und Gelassenheit:


O-Ton 6 Andreas Wolf: (0‘16“) 


Also Gelassenheit heißt: getragen werden. Schwimmen lerne ich ja, indem ich vertraue, dass ich oben schwimme. Ich muss gar nicht viel machen, aber ich brauche das Vertrauen. Weil wenn ich strampele aus Angst, gehe ich runter und das ist ja dieses Vertrauen in das Leben. 


Musik, dann darüber:


Sprecherin: 


Vertrauen ins Leben. Mut zur Ungewissheit, Mut zur Improvisation. Das war Carsten Alex nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Zunächst ergriff er einen Beruf, der für das genaue Gegenteil steht: klare Regeln, Struktur, Vorhersehbarkeit. Carsten Alex war Schalterbeamter bei der Post. 


Irgendwann fühlte ich die klassische Beamtenlaufplan zu eng an. Er studierte  BWL, machte danach Karriere bei einem großen Automobilhersteller. Mit 32 hatte er (alles) : Geld, Macht und Einfluss. Und trotzdem rumorte es weiter in ihm. So dass er eines Tages den Sprung ins kalte Wasser wagte. 


O-Ton 7 Carsten Alex (0‘14“): 


Gekündigt, Hab und Gut verkauft, meine sehr persönlichen Dinge hab ich eingelagert, und dann bin ich mit einem Rucksack gestartet. Also ich hab mein vorher sehr Konsum- und Material-orientiertes Leben von jetzt auf gleich verändert. 


Sprecherin: 


20 Monate war Carsten Alex unterwegs. Gemeinsam mit einem Freund. Mongolei, China, Nepal, Indien, China, Loas, Kambodscha. Später Südamerika. Sie ließen sich treiben. Planten maximal bis zum nächsten Tag. 


O-Ton 8 Carsten Alex (0‘30“)


Gerade das Berufsleben in der Gegenwart erfordert ja ne hohe Zielstrebigkeit, ne hohe Präzision, durchaus auch Planung. Und mal festzustellen, dass das Leben mal ne ganz andere Qualität erreichen kann wenn die Dinge nicht so durchgeplant sind, dass ich Menschen eine Chance gebe, dass ich Begegnungen und Zufällen eine Chance geben kann und nicht immer von dem einen zum nächsten Termin hetzen muss. Und ich habe neun Monate gebraucht um die lange-Weile genießen zu können.


Sprecherin: 


20 Monate lang Improvisation, 20 Monate Leben aus dem Moment heraus. Oft wussten er und sein Freund nicht, wo sie die nächste Nacht verbringen würden. Es gab dauernd unerwartete Situationen. Beispiel: Bangladesch. Generalstreik, begleitet von Straßenkrawallen. Nichts ging mehr. 


O-Ton 9 Carsten Alex (0‘24“)  


In Bangladesch hatten mich hatten mich vier junge Burschen gefragt, ob ich nicht bei ihnen wohnen möchte. Und ich war verdutzt: „Wie? Wo?“  „Ja, bei meiner Familie!“ Und hab zwei Sekunden nachgedacht und hab gesagt „Ich mache es!“ Und diese fünf Tage in einem muslimischen Haushalt zu erleben und dort Gast zu sein, das hat mich sehr stark berührt. Und in meiner verkopften Welt hier wäre ich dem so nicht nachgegangen! 


Musikzäsur


Sprecher: 


Das Wort „Improvisation“ wird in mehreren Zusammenhängen benutzt: Erstens: Handeln aus dem Moment heraus, ohne Vorbereitung, aus dem Stehgreif. Zweitens: Spontane Lösungen für unvorhersehbare Probleme finden. Drittens: Kreativer Umgang mit dem Mangel. Also aus „nichts“ etwas zaubern.


Zurück geht das Wort auf das Italienische „all improvviso“. Plötzlich. Abrupt. Unerwartet. Ist Improvisieren also ein relativ neues Phänomen? Schließlich hat die italienische Sprache in ihrer heutigen Form ihren Ursprung im 14. Jahrhundert.


Sprecherin: 


Nein, sagt der Philosoph Prof. Georg Bertram, der das Buch „Improvisieren – Lob der Ungewissheit“ geschrieben hat. Er sagt: Improvisieren gehörte schon immer zum Menschsein dazu. 


O-Ton 10 Georg Bertram (0‘21“): 


Denken wir an Heraklits berühmtes „Alles fließt“. D.h. wenn alles fließt, wenn alles nicht fest ist, heißt das, dass wir im Grunde uns darauf einstellen können, dass das unsere wesentlichen Fähigkeiten sind, auf das sich stets Verändernde zu reagieren. D.h. wir, die wir im Fluss sind oder wo auch immer, sind stets mit sich verändernden Realitäten konfrontiert. 


Musikzäsur


Sprecher: 


Auch wenn es dem einen leichter und der anderen schwerer fällt: Jeder Mensch muss im Alltag improvisieren. Keiner kommt ohne diese Fähigkeit durch Leben. 


Sprecherin: 


Es beginnt, so Georg Bertram, bereits in jedem halbwegs anspruchsvollen Gespräch, das über den einfachen Small-Talk herausgeht.


O-Ton 11 Georg Bertram (0‘24“)


Denken wir an einen Beziehungskonflikt. Wenn ich mit dem Partner der Partnerin über irgendwas, was im Argen liegt, beginne ernsthaft zu streiten, ist ganz klar, dass ich nicht weiß, was sie vorbringen wird, was er vorbringen wird, und darauf reagieren zu können. Und zwar auf ne angemessene Art und Weise reagieren zu können. Wenn im Grunde ich mir so ein paar Schema-Antworten zurechtlege, wird das Gespräch notwendigerweise schief gehen. Weil die Schema-Antworten nicht passen.


Sprecherin: 


Andreas Wolf sagt: Zur Improvisation braucht man Neugier, Offenheit und Mut. Der Impro-Theater-Gründer lehrt das auch in Workshops für Menschen, die lernen möchten, beruflich oder privat besser und leichter zu improvisieren.


Eine einfache Übung, die auch jeder zuhause nachmachen kann, sind Wortspiele:


O-Ton 12 Andreas Wolf (0‘15“)


Die Vorgabe ist: Ich stehe mit meinem Partner in der Küche und soll Spaghetti kochen. Dann sage ich „Wir“, sagt der andere „gehen“, sage ich „zum Schrank und öffnen die Schublade“


Sprecherin: 


So weit so gut. Und dann kommt eine Störung. So wie das Hindernis im richtigen Leben. Das Gegenüber wirft das – zunächst unsinnig klingende - Wort „Oper“ ein.


O-Ton 13 Andreas

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Karin Lamsfuß