Die Wiener Sezession - Der Kunst ihre Freiheit - radioWissen
Description
Um 1900 suchen die Wiener Sezessionisten, allen voran Gustav Klimt, Anschluss an die europäische Avantgarde in der bildenden Kunst. Sie rebellieren gegen den rückwärtsgewandten Kunstgeschmack der etablierten Kunstinstitutionen und geben sich ein provokantes Motto: der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit. Von Brigitte Kohn
Credits
Autorin dieser Folge: Brigitte Kohn
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Andreas Neumann
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Karin Becker
Im Interview:
Dr. Mona Horncastle, Kunsthistorikerin, Kuratorin, Autorin, Klimt-Biographin
Dr. Thomas Moser, Kunsthistoriker, technische Universität Wien
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Literatur:
Horncastle, Monika, Weidinger, Alfred: Gustav Klimt. Die Biografie. Brandstätter Verlag Wien 2018. Gut lesbare, spannende Biografie über den Jahrhundertkünstler und die Wiener Kunstszene seiner Zeit.
Schulze, Sabine (Hrsg.): Sehnsucht nach Glück. Wiens Aufbruch in die Moderne. Klimt, Kokoschka, Schiele: Verlag Gernd Hatje 1997. Abbildungen, Bildinterpretationen, Essays zu einzelnen Künstlern, Motiven und europäischen Beziehungen der Sezession.
Moser, Thomas: Körper und Objekte. Kraft- und Berührungserfahrungen in Kunst und Wissenschaft um 1900. Dissertation, Fink Verlag München 2022. Wissenschaftliche Arbeit über europäische Kunst um 1900 und die Querverbindungen zwischen Kunst und Wissenschaft. Theoretischer Zugang: sinnesphysiologische Wahrnehmung, Tastsinn
Wunberg, Gotthart: Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910. Stuttgart Reclam 1981. Originaltexte der Literaten, Philosophen, Psychologen und sezessionsfreundlichen Publizisten (z. B. Hermann Bahr) der Wiener Moderne mit Einführung und Erläuterungen.
Vergo,Peter: Kunst in Wien Klimt-Kokoschka-Schiele. 1898 – 1918. Edel books Neumühlen o. J. Bildband mit viel Text über die im Untertitel genannten Künstler und andere Künstler der Wiener Sezession, inklusive der Architekten und der Wiener Werkstätte
Linktipps:
Internetseite von Gesprächspartnerin Dr. Mona Horncastle HIER
Internetseite von Gesprächspartner Dr. Thomas Moser HIER
Internetseite zur Ausstellung über die Sezessionen in Wien, München, Berlin HIER
Internetseite Leopold-Museum Wien 1900 HIER
Internetseite Wiener Secession heute HIER
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZITATOR BAHR:
„In Europa weiß man von Wien, dass dort immer Sonntag ist, immer am Herd sich der Spieß dreht …, dass es „halt“ die Stadt der Backhendel, der feschen Fiaker und der weltberühmten Gemütlichkeit ist.“
ERZÄHLERIN:
Der österreichische Schriftsteller Hermann Bahr hasst Wien und liebt es zugleich, wie viele seiner fortschrittlichen Zeitgenossen. Am Ende des 19. Jahrhunderts ist die Hauptstadt der österreich-ungarischen Doppelmonarchie einerseits so konservativ-katholisch geprägt wie eh und je und andererseits ein weithin ausstrahlender intellektueller Brennpunkt.
Musik: For Alban Berg 0‘27
Die Wiener Moderne formiert sich. Literaten, bildende Künstler, Musiker und Wissenschaftler treffen sich in den Caféhäusern und führen intensive Debatten. Die Industrialisierung und der Aufschwung von Technik und Naturwissenschaft verändern das Leben und Denken, soziale Reformideen breiten sich aus, und rivalisierende politische Ideologien bekämpfen sich. Sigmund Freud entwickelt in Wien die Psychoanalyse, die auch die Künstler stark beeinflusst: Auch sie wenden sich nun verstärkt dem individuellen inneren Erleben zu. Derweil erbaut die Stadt Wien ihre berühmte Ringstraße ganz im repräsentativen Stil des Historismus. Ein Prachtbau nach dem anderen erinnert entweder an die Antike, die Gotik oder die Renaissance, nur nicht an die Gegenwart. Das stört den Publizisten Hermann Bahr.
Musik: Stück für Klavier h-Moll 0‘25
ZITATOR BAHR:
„Wir sind keine barocken Menschen, wir leben nicht in der Renaissance, warum wollen wir so tun? Das Leben ist anders geworden, (…) da muss auch das Bauen der Menschen anders werden, ihrem neuen Sinn und ihrem neuen Tun gemäß.“
ERZÄHLERIN:
Nicht nur das Bauen, alle Kunst muss anders werden. Aber in den konservativen Wiener Kunstakademien und Künstlervereinigungen schottet man sich ab gegen die europäische Avantgarde, sehr zum Verdruss der jungen Künstlergeneration, die weltoffen sein und gleichzeitig die Eigenheit des Vielvölkerstaates Österreich in die internationale Kunstszene einbringen will. Die Spannungen entladen sich im Jahr 1894 in einem Kunstskandal, wie Wien ihn noch nie erlebt hat. Der aufstrebende Dekorationsmaler Gustav Klimt soll die Aula der neuen Universität mit Allegorien auf die Philosophie, Theologie, Jurisprudenz und Medizin ausstatten. Klimt aber entfernt sich beim Malen seiner Fakultätsbilder stark von den Vorstellungen der Honoratioren; er malt im Stil des modernen Symbolismus. Man sieht einen Totenschädel im Bild der Medizin und einen nackten, alten, verzweifelt grübelnden Mann, umgeben von nackten, verführerischen Frauengestalten, im Bild der Philosophie: Eros und Tod kennzeichnen die Begrenztheit des menschlichen Strebens nach Wissen. Das missfällt den ehrengeachteten Professoren fast noch mehr als Klimts unkonventioneller Umgang mit Nacktheit. Bei ihm sieht man sehr viele lüsterne Blicke und bisweilen sogar das Schamhaar!
Ein Proteststurm bricht los und fegt durch die ganze Stadt. Die Professoren sehen die Moral der studierenden Jugend gefährdet, sagt die Kunsthistorikerin und Klimt-Biographin Mona Horncastle.
01 O-TON DR. MONA HORNCASTLE
Die möchten, dass er Dinge nachbessert, letztendlich zensieren sie ihn. Und Klimt ist erbost. Er rückt die Bilder auch gar nicht raus, zahlt sein Honorar zurück. Und in der Folge nimmt er nie wieder einen Staatsauftrag an.
Musik: Erinnerung für Klavier 1‘09
ERZÄHLERIN:
Es gibt neben Klimt viele weitere Künstler in Wien, deren Schaffen von den damals modernen Kunstrichtungen geprägt ist. Oft sind sie auf mehreren Gebieten gleichzeitig tätig. Klimts enger Freund Carl Moll malt hauptsächlich Landschaften und Stillleben im Stil des Impressionismus, er ist zugleich ein Meister des Holzfarbschnitts und betätigt sich auch als Kunstschriftsteller. Ernst Stöhr ist Maler, aber auch ein anerkannter Musiker und Dichter. Die Künste zueinander in Beziehung setzen, das wollen alle, die sich am 3. April 1897 in der „Vereinigung der bildenden Künstler Österreichs“, kurz Wiener Secession genannt, zusammenschließen. Neben den bereits Genannten entschließen sich unter anderen auch der von Naturalismus und Realismus geprägte Maler Josef Engelhart, die Architekten Joseph Maria Olbrich, Otto Wagner und Josef Hoffmann und der Kunstgewerbler Koloman Moser für eine Mitgliedschaft.
Die Bauten der sezessionistischen Architekten und Stadtplaner prägen Wien bis heute. Sie umfassen ein breites Spektrum, darunter Heil- und Pflegeanstalten, Villen, Kirchen und Wohnhäuser. Es werden häufig radikal neue Materialien wie Beton, Glas und Eisen verwendet, die widerstandsfähig gegen Umweltverschmutzung und Witterungseinflüsse sind und dem wachsenden Hygienebewusstsein der Moderne Rechnung tragen. Die glasierten Platten an Otto Wagners Majolikahaus sind noch dazu, typisch für den Jugendstil, mit farbenprächtigen floralen Motiven verziert.
Musik: Erinnerung für Klavier 0‘45
ERZÄHLERIN
Aber die küns