Glasmalerei – Wände aus Farbe und Licht - radioWissen
Description
Farbige Kirchenfenster gehören zu den faszinierendsten Kunstwerken der Vergangenheit. Aber auch in der Moderne ist Glasmalerei aus vielen Gebäuden nicht wegzudenken. Technische Weiterentwicklungen haben dem uralten Handwerk in den letzten 20 Jahren weltweit zu einer neuen Blüte verholfen. Von Julie Metzdorf
Credits
Autorin dieser Folge: Julie Metzdorf
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Katja Schild, Johannes Hitzelberger, Florian Schwarz
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
Thierry Boissel, Leiter Studien- und Experimentierwerkstatt für Glasmalerei, Licht und Mosaik an der Akademie der Bildenden Künste in München
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZÄHLERIN
Thierry Boissel ist Künstler und arbeitet vor allem mit Glas. Er wollte sich das neue Fenster von Gerhard Richter im Kölner Dom ansehen: Mehr als 11.000 gläserne Quadrate in 72 verschiedenen Farben, angeordnet nach dem Zufallsprinzip: abstrakte Kunst in einer mittelalterlichen Kirche.
1 OT Thierry Boissel
Die Kirche war proppevoll. Blechchor, echte Chor, Orgel, natürlich Weihrauch, tonnenweise, unten waren alle diese Menschen da, rote Käppi und also die ganzen Bischöfe Deutschlands waren da versammelt und ich stand da vor dem Fenster und hab gedacht, ja, nett, gut gemacht – und dann kommt die Sonne raus. Und dann sind alle diese Quadrate durch diesen Raum als Lichtschwert reingefallen. – Wow!
ERZÄHLER
Auf den ersten Blick ist das Richter-Fenster reines Ornament, wie große bunte Pixel breiten sich die Quadrate unter den Spitzbögen eines gotischen Maßwerkfensters aus.
2 OT Thierry Boissel
Dieses Fenster sagt erst einmal gar nichts, ist einfach nur da, schließt ab. Schön von der Farbe, nichts weiter.
ERZÄHLERIN
Dann trifft ein Sonnenstrahl auf das Glas: Die „Erleuchtung“ kommt mit der Sonne: Es ist das Licht, das die Fensterscheiben zum Leben erweckt. Es durchdringt die farbigen Gläser und wirft die Farbe quer durch das Kirchenschiff auf Menschen, Pfeiler, Fußboden.
MUSIK ENDE
3 OT Thierry Boissel 1’57
Das Licht ist die Essenz, ist die Grundlage der Glasmalerei.
ERZÄHLERIN
Das gilt für alle Glasmalerei, egal ob mittelalterlich oder modern, ob mit figürlichen Darstellungen oder abstrakt, minimalistisch oder expressiv. Eines der eindrucksvollsten Beispiele der Gotik ist die Saint-Chapelle in Paris, die Palastkapelle der früheren königlichen Residenz: Der größte Teil der hohen Oberkapelle wird von Maßwerkfenstern eingenommen, so groß, dass es mehr Fenster- als Wandflächen gibt. Es ist, als würde man sich in einem gläsernen Schrein befinden, ein mystischer Farbraum, frei von aller irdischen Schwere.
ERZÄHLER
Wissenschaftler gehen davon aus, dass im Mittelalter die Chorfenster aller wichtigen Kirchen mit Glasmalereien ausgeschmückt waren. Kriege und Brände haben den gläsernen Kunstwerken zugesetzt. Trotzdem sind viele an Ort und Stelle erhalten und erstrahlen in ungetrübter Farbenpracht. Glas ist lichtecht. Die Farbpigmente sind ins Glas eingebrannt. Sie verblassen oder vergilben auch in tausend Jahren nicht, Staub und Ruß kann man einfach abwaschen.
4 OT Thierry Boissel
Im Mittelalter haben die Menschen kein Fenster gehabt, und wenn sie eins hatten, das war zu, mit einer Haut oder eine Hautblase oder mit Pergament oder wie auch immer. Aber die hatten kein Licht, und auf einmal gehen sie in so ein Gebäude wie Kölner Dom... Es ist vielleicht 30 Meter hoch, und die Fenster sind da. Es gibt Licht. Was ist denn das? Also spätestens da musste man an Gott glauben.
MUSIK „Ave generosa“; ZEIT: 01:04
ERZÄHLERIN
Im christlichen Kontext steht die Transparenz des Glases symbolisch für die Transzendenz Gottes: Im Mittelalter hielten die Menschen Licht nicht für ein Phänomen der Natur, sondern glaubten an seinen göttlichen Ursprung. Nach damaligem Verständnis ging Gott mit dem Licht auf die Heiligen-Figuren in den Glasbildern über und war mit ihnen in der Kirche gegenwärtig. Die Glasfenster waren demnach der Ort, an dem sich Himmel und Erde, das Göttliche und das Profane berühren.
ERZÄHLER
Zugleich sah man in den wie Edelsteine leuchtenden Fenstern das Sinnbild des himmlischen Jerusalem.
ERZÄHLERIN
Durch ihre Transparenz und die Ähnlichkeit mit Edelsteinen sind farbige Glasfenster prädestiniert dafür, einen einfachen Raum in ein „Haus Gottes“ zu verwandeln. Für heutige Glasmalerinnen und Glasmaler ist das nicht nur von Vorteil:
MUSIK ENDE
5 OT Thierry Boissel
Das ist ein Fluch und ein Segen gleichzeitig, weil diese Glasmalerei ist so außerirdisch von der Farbwirkung im Raum, dass es natürlich gleich etwas Mystisches hat. Und sofort kommt man auf Kirchengestaltung, auf Kirchenfenster, ist aber nicht zwingend.
ERZÄHLER
Glasmalerei funktioniert überall: Auch in Bahnhöfen, Flughafen-Terminals, Firmenzentralen, Schulen oder Krankenhäusern, im Innen- und im Außenraum. Für eine an der S-Bahn-Stammstrecke in München liegende Schule hat Thierry Boissel einmal zwei Lärmschutzwände kreiert: Auf den mehr als 7 Meter hohen Wänden prangen große Farbtupfer in warmen Farben. Die Anordnung unterliegt einem bestimmten Rhythmus: Boissel hat die Farben den Buchstaben des Alphabetes zugeordnet und so zwei Gedichte gemalt: „Der Regenbogen“ von Josef Guggenmos und „Der Baum“ von Eugen Roth.
ERZÄHLERIN
Seit mehr als 30 Jahren leitet Thierry Boissel die Studien- und Experimentierwerkstatt für Glasmalerei, Licht und Mosaik an der Akademie der Bildenden Künste in München. Wobei das Wort „Glasmalerei“ die Sache nicht so ganz trifft:
6 OT Thierry Boissel 1’57
Erstmal mag ich diese Begriffe überhaupt nicht. Das ist ein Begriff, der finde ich antiquiert ist und vor allem klingt staubig und irreführend.
ERZÄHLER
Gemalt wird in der Glasmalerei mitunter gar nicht. Beispiel Grassi-Museum in Leipzig: Hier hat der Bauhaus-Lehrer Josef Albers 1926 die Fenster der Treppenhalle gestaltet: Bis zu 8 Meter hohe, schmale Fensterbahnen aus hunderten verschieden großen Rechtecken, teils gelblich-grün, teils weiß opak. Verschiedene Schliffe und Überzüge sorgen für feinste Abwandlungen der Grundfarben und verleihen der rein geometrischen Komposition eine vibrierende Lebendigkeit.
MUSIK „Dawn, aus: Pride and prejudice. Bearbeitung“; ZEIT:01:53
Glasmalerei ist zunächst einmal Teil der Architektur. Sie ist ortsgebunden und zielt auf die Gestaltung von Räumen.
7 OT Thierry Boissel
Wir arbeiten in der Architektur, wir arbeiten im Grenzbereich zwischen innen und außen, und wir arbeiten mit Licht.
ERZÄHLERIN
Während bei der Malerei auf Leinwand, Holz, Steinmauer oder Papier das Licht von vorn die Bildfläche fällt, kommt das Licht bei der Glasmalerei von hinten. Das Bild selbst wird zur Lichtquelle.
Historische Glasmalerei besteht aus drei Komponenten: den verschiedenfarbigen Glasplatten, einem Bleinetz, das die einzelnen Platten miteinander verbindet, und der eigentlichen Bemalung. Durch das Bleinetz wirken die Fenster oft wie Mosaike.
MUSIK ENDE
ERZÄHLER
Zu den ältesten erhaltenen Glasmalereien in Deutschland gehören die Prophetenfenster im Augsburger Dom aus dem 12. Jahrhundert. Jeder der Propheten steht als Ganzkörperfigur frontal in einem Rundbogenfenster. Die vorherrschenden Farben sind Grün und Rot, hinzu kommen Gelb und Blau. Die dunklen Konturlinien der Verbleiung wurden geschickt für die Komposition genutzt: sie entsprechen dem Umriss eines Gesichts oder eines Umhangs zum Beispiel.
ERZÄHLERIN
Im Gesicht des Propheten Hosea verlaufen Bleilinien entlang der Nase: Aus der Ferne sehen sie aus wie Falten und verleihen dem Gesicht Strenge und Würde. Auf diese Grundstruktur von farbig aneinandergesetzten Platten kommt die eigentliche Malerei. Die Umrisse der Augen, die gekräuselten Haare, die Fingernägel wurden mit sogenanntem Schwarzlot aufgemalt.
MUSIK ENDE
ERZÄHLER
Schwarzlot ist ein Gemisch aus oxidiertem Eisen- oder Kupferpulver und zu Pulver gestoßenem Glas. Bei Temperaturen von rund 600 Grad wird es in die gläserne Trägerplatte eingebrannt und ist fortan unlösbar mit ihr verbunden. Die Farbe funktioniert hier ganz anders als bei üblicher Malerei. Sie ist im Grunde ein Filter: die Farbe dosiert und dämpft das von hinten einfallende Licht.
ERZÄHLERIN
Ausgerechnet in der ach so farbenprächtigen Glasmalerei wurde im Grunde nur mit Schwarz gemalt. Erst im 14. Jahrhundert kam Gelb hinzu. Ein Gemisch aus Silber und Ockererde ergab beim E