Israels Angriff auf Katar, Syrien und Libanon: Bundesregierung schwankt zwischen Verurteilung, Legitimierung und Ignorierung
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Vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen Angriffs der israelischen Luftwaffe am 9. September 2025 gegen die Verhandlungsdelegation der Hamas in der katarischen Hauptstadt Doha mit sechs Toten kam es zu zahlreichen Fragen an die Bundesregierung. Die NachDenkSeiten wollten unter anderem wissen, ob die Erklärung des deutschen Außenministers, „die aktuelle Eskalation“ sei „ein Ergebnis des abscheulichen Terrorangriffs der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023“, als Legitimation des israelischen Vorgehens zu verstehen sei. Ebenso kam die Frage auf, wieso die Bundesregierung zwar die Verletzung der territorialen Integrität und Souveränität Katars als „inakzeptabel“ bezeichnet, aber noch nie die regelmäßigen israelischen Angriffe auf Libanon und Syrien. Von Florian Warweg.
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Hintergrund
Der Angriff der israelischen Luftwaffe am Dienstagnachmittag auf ein ziviles Wohnhaus in der katarischen Hauptstadt Doha, in welcher sich eine hochrangige Hamas-Delegation zu den laufenden Verhandlungen über einen möglichen Waffenstillstand in Gaza aufhielt, führte zu einer weltweit einhelligen Verurteilung.
Als einer der ersten europäischen Staatsoberhäupter reagierte der französische Präsident Emmanuel Macron um 18:16 Uhr (MEZ) und nannte das israelische Vorgehen „inakzeptabel“:
Danach folgte um 18:54 Uhr (MEZ) der britische Premier, Keir Starmer, eigentlich ein vehementer Unterstützer Israels, der regelmäßig verkündet, „Ich unterstütze vorbehaltlos den Zionismus“:
„Ich verurteile die Angriffe Israels auf Doha, die die Souveränität Katars verletzen und eine weitere Eskalation in der gesamten Region riskieren.“
I condemn Israel’s strikes on Doha, which violate Qatar’s sovereignty and risk further escalation across the region.
The priority must be an immediate ceasefire, the release of hostages, and a huge surge in aid into Gaza.
This is the only solution towards long-lasting peace.
— Keir Starmer (@Keir_Starmer) September 9, 2025
Bundeskanzler Friedrich Merz veröffentlichte erst um 23 Uhr, also geschlagene vier Stunden nach seinem französischen und englischen Amtskollegen, eine Erklärung zum israelischen Angriff:
Zuvor hatte um 20:08 Uhr das Auswärtige Amt eine Stellungnahme veröffentlicht, die mit dem Satz endete:
„Dabei ist weiter klar: Es ist an Hamas, die Waffen niederzulegen und den Terror gegen den Staat Israel aufzugeben. Auch die aktuelle Eskalation ist ein Ergebnis des abscheulichen Terrorangriffs der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023.“
Sowohl Kanzler Merz wie auch das Auswärtige Amt verurteilten „die Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität Katars“ durch die israelische Armee (IDF). Das ist durchaus bemerkenswert. Denn die IDF greift regelmäßig und ebenso völkerrechtswidrig den Libanon und Syrien mit Luft- und Bodentruppen an und verletzt dabei ebenso regelmäßig deren „Souveränität und territoriale Integrität“. Völkerrechtlich sogar umfassender, da Israel Teile Syriens militärisch besetzt hält und auch im Libanon mit Bodentruppen einmarschiert ist.
Doch sowohl im Fall vom Libanon wie von Syrien ist keine einzige Äußerung bekannt, weder vom Kanzler noch vom Außenminister, dass auch in diesen Fällen eine „Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität“ kritisiert worden wäre. In einem weiteren Fall, dem Angriff auf den Iran, wurde die Verletzung des Völkerrechts durch Israel vom Kanzler sogar umfassend legitimiert, Stichwort „Drecksarbeit“. Auf die Frage in der aktuellen Bundespressekonferenz, wieso die Bundesregierung bei den genannten Fällen nicht auch von „Verletzung der territorialen Integrität“ spricht, erklärte Vize-Regierungssprecher Sebastian Hille:
„Ich habe dem, was ich heute zu diesem Thema hier gesagt habe, nichts weiter hinzuzufügen, Herr Warweg.“
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 10. September 2025
Frage Towfigh Nia (freier Journalist)
Herr Hille, ollte [sic!] Israel vor dem Hintergrund des gestrigen Angriffs zur Rechenschaft gezogen werden?
Sie haben den Waffenstillstand erwähnt. Die Verhandlungen über einen Waffenstillstand fanden ja in Doha statt. Das heißt, Israel hat zu einer Zeit angegriffen, als diese Verhandlungen gerade stattfanden. Noch einmal: Gefühlt bombardiert Israel jetzt den halben Nahen und Mittleren Osten. Wann ist für Sie der Punkt erreicht, an dem Sie sagen: Es reicht?
Vize-Regierungssprecher Hille
Herr Towfigh Nia, auch da wiederhole ich gerne, was ich gerade gesagt habe: Die Verletzung der Souveränität und der territorialen Integrität Katars ist natürlich völlig inakzeptabel. Das hat auch der Bundeskanzler gestern Abend gesagt. Natürlich besteht durch so ein Vorgehen auch die Gefahr einer Ausweitung des Krieges auf die gesamte Region.
Was das für die Vermittlungsbemühungen bedeutet, haben wir gerade auch schon angesprochen, und ich brauche hier nicht weiter auszuführen, dass das natürlich eine Belastung dafür ist. Diese Position hat der Bundeskanzler gestern gegenüber dem Emir von Katar deutlich gemacht. Natürlich stehen wir auch weiter in Kontakt mit der israelischen Seite und machen da sehr klar, wie wir die Situation sehen.
Was das weitere Vorgehen angeht, so hat Frau Deschauer gerade eingeordnet, wie wir mit den Vorschlägen, die heute aus Brüssel gekommen sind, umgehen.
Frage Dr. Rinke (Reuters)
Herr Hille, noch einmal zu den roten Linien: Es gibt auch Hamas-Vertreter, die in der Türkei sitzen. Nachdem Israel jetzt diverse Länder angegriffen hat, wüsste ich gerne, ob für die Bundesregierung ein Angriff auf die Türkei eine rote Linie wäre, zumal sie ein NATO-Partner ist.
Hille
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal deutlich machen: Es gibt eine Partei, die den Schlüssel in der Hand hält, diesen Konflikt unmittelbar zu beenden, und das ist die Hamas. Die Hamas muss die Waffen niederlegen, die Hamas muss die Geiseln freilassen, und dann ist dieser Konflikt im nächsten Moment beendet.
Es wird Sie nicht wundern, dass ich mich zu allen weiteren hypothetischen Fragen – „Was wäre, wenn?“ – an dieser Stelle nicht einlasse, Herr Rinke.
Frage Jessen (freier Journalist, kooperiert mit jung & naiv)
Frau Deschauer, hat das Auswärtige Amt erwogen, den israelischen Botschafter einzubestellen? Das ist ja auch angesichts der Schwere der Zurückweisungen durch die Bundesregierung nicht ganz unplausibel, oder?
Deschauer (AA)
Sie kennen das: Wenn wir etwas mitzuteilen haben, dann machen wir das sehr gerne. In die internen Überlegungen unseres Hauses und der Bundesregierung würden wir jetzt aber keinen den tiefen Einblick gewähren wollen, den Sie sich erwünschen.
Zusatzfrage Jessen
Herr Hille, am Montag haben wir darüber gesprochen, dass es auch möglich ist, bereits genehmigte Waffenlieferungen doch nicht auszuliefern, ohne Zeit und Raum verschieben zu müssen, nämlich wenn die Genehmigung widerrufen wird. Ist die jetzige Situation ein Anlass für die Bundesregierung, bereits erteilte Genehmigungen für Waffenlieferungen an Israel zu widerrufen?
Hille
Herr Jessen, es freut mich bzw. ich bin beeindruckt, mit welcher Unnachgiebigkeit Sie und der Kollege Jung sich mit diesem Thema beschäftigen. Um möglichen Gegensätzen oder Interpretationen, die Sie immer aufzumachen versuchen, die Luft rauszulassen, habe ich noch einmal die Pressemitteilung vom 8. August mitgebracht und möchte Ihnen noch einmal vorlesen, was der Bundeskanzler damals beschlossen hat. Und zwar, heißt es da:
„Unter diesen Umständen – vorher wurde geschildert, wie sich das Vorgehen der Israelis verstärkt hat – genehmigt die Bundesregierung bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können.“
Zusatzfrage Jessen
Ja, das ist mir bekannt. Deswegen – – –
Hille
Manchmal habe ich den Eindruck, dass es Ihnen nicht bekannt ist; deshalb habe ich es noch einmal vorgelesen.
Zusatzfrage Jessen
Doch, das ist mir bekannt, was Sie auch daran erkennen können, dass wir – auch ich – Sie zwei Tage später genau vor dem Hintergrund dieser Meldung dazu befragt haben.
Ich habe mich jetzt auf Ihre Äußerung aus der ve