Keine erfundenen Inseln mehr - Kartographie neu gedacht
Description
Nur 39 Jahre alt ist Tobias Mayer geworden. Kein hohes Alter, selbst im Deutschland des 18. Jahrhunderts nicht. Doch in diesem kurzen Leben erneuerte er nicht nur die Erstellung von Landkarten mit aufklärerischen Gedanken; er löste auch das Längengradproblem der Seefahrer und war ein gefeierter Astronom. Von Philip Artelt
Credits
Autor dieser Folge: Philip Artelt
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Susanne Schroeder, Friedrich Schloffer, Peter Weiß
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion: Yvonne Maier
Im Interview:
Armin Hüttermann, Geograph, Tobias-Mayer-Verein
Markus Heinz, stellvertretender Leiter der Kartenabteilung, Staatsbibliothek zu Berlin
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Literatur:
Thomas Knubben, „Tobias Mayer: oder die Vermessung der Erde, des Meeres und des Himmels“: Lebendig erzählte Lebensgeschichte und Porträt seiner Zeit
Michael Diefenbacher (Hrsg.), „‚auserlesene und allerneueste Landkarten‘: Der Verlag Homann in Nürnberg 1702-1848“: Die Geschichte des Homann-Verlages, des Fembohauses und der Kartographie in der Zeit der Aufklärung
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Am 20. Februar 1762 stirbt Tobias Mayer. Der große Astronom und Kartograph – heute kennt ihn kaum einer mehr. Er ist nur 39 Jahre alt geworden – der Typhus hat ihn in kürzester Zeit dahingerafft. Aber was er in diesen 39 Lebensjahren geleistet hat: unglaublich.
ZITATOR 2
(altmodische Sprechweise, historisches Zitat)
Es wäre zu weitläufig, aufzuzählen, welche Bereicherungen die Wissenschaften durch sein Genie erfahren haben…
ZSP 01 T1 Glasze
Er ist 39 Jahre alt geworden. Was das für eine Biographie ist, ist absolut unglaublich. Was würde er machen, wenn er in der heutigen Zeit leben würde?
ZSP 02 T2 Hüttermann
Was hätte der noch alles machen können? Was wäre da noch alles gekommen? Mit 39 Jahren! Ich bin doppelt so alt.
ZITATOR 2 (historisches Zitat)
… man könnte die Lebensjahre des Mannes nach seinen Entdeckungen zählen.
ATMO A1 Atmo Marbach
SPRECHERIN
Los geht die Geschichte um Tobias Mayer in Marbach. Die meisten kommen heute in diese Stadt aber nicht für ihn, sondern für Schiller. Schiller, der große Dichter, der hier in dem Fachwerkstädtchen am Neckar geboren wurde. Schiller, der schon am Bahnhof die Besucher begrüßt: Eine rote Säule am Treppenaufgang ziert der Schriftzug: „Schillerstadt“ – der Titel, mit dem sich Marbach seit 2022 offiziell schmückt.
Aber es gibt noch eine zweite Säule. Eine blaue. Und auf der findet sich der Name: Tobias Mayer.
ZSP 03 T3 Hüttermann
Schiller ist natürlich die überragende Person dann geworden, hat alles an die Wand gedrängt, unter anderem eben auch den Mayer, der im Jahrhundert davor durchaus noch bekannt war.
SPRECHERIN
Armin Hüttermann macht sich weniger aus Schiller. Der Geographieprofessor im Ruhestand war lange Vorsitzender des Tobias-Mayer-Vereins, einer Art Fanclub für den Ausnahmewissenschaftler. Für Armin Hüttermann ist Schiller vor allem dafür gut, dass er Besucher in die Stadt bringt – die dann auch das Tobias-Mayer-Museum entdecken: ein supermoderner, heller Quader inmitten der historischen Altstadt. Daneben: ein kleineres Fachwerkhaus.
ZSP 04 T4 Hüttermann
Der alte Bau von 1711, das ist das Geburtshaus von Tobias Mayer. ((Da ist er in der oberen Etage geboren…))
SPRECHERIN
Tobias Mayer wächst in einfachsten Verhältnissen auf. Sein Vater ist Wagner und Brunnenbauer; keine ganz schlechte Arbeit, aber reich wird die Familie davon nicht. Als der kleine Tobias ein Jahr alt ist, ziehen die Mayers um ins nahegelegene Esslingen, wo der Vater das Amt des Brunnenmeisters antritt. Der Vater reist viel für seine Arbeit, und wenn er dann mal zu Hause ist, schaut ihm der kleine Tobias über die Schulter. Am liebsten, wenn der Vater seine technischen Zeichnungen ins Reine bringt.
Zitator 1 (Mayer):
Mein Vater, der diesen außerordentlichen (sic) Lust zu Malen bei mir bald wahrnahm, unterdrückte denselben keineswegs, sondern suchte ihn vielmehr noch anzufeuern.
Ich malete Häuser, Hunde, Hirsche, Pferde. Meine Mutter wurde von mir um Tinte, Feder und Papier mehr geplaget als um Brot.
ZSP 05 T5 Hüttermann
In seiner Autobiographie schreibt er ja davon, dass er so gerne gemalt hat. Und da hat er mit fünf Jahren die Heilige Katharina abgemalt – und das ist unglaublich, dass ein fünfjähriges Kind sowas malen kann. Das muss man gesehen haben.
[[Zitator 1
Verschiedene Bekannten meines Vaters bekamen meine endlich mittelmäßig gerathene Abzeichnung dieses Bildes zu Gesichte. Man hielt es für etwas außerordentliches – man machte die Sache vielleicht größer, als sie in der Tat war, und lobte mich mehr, als ich verdiente.]]
SPRECHERIN
Die Eltern fördern das Kind, so gut sie können – mit ihren begrenzten Mitteln. Aber das heile Familienleben hat bald ein Ende. Tobias Mayers Eltern sterben jung, und Tobias kommt ins Waisenhaus.
Sich hängen lassen? Das fällt dem Jungen gar nicht ein. Noch im Waisenhaus nimmt er seine Zeichenübungen wieder auf, illustriert das gemeinsame Essen der Kinder – es gibt Kalbfleisch und Wein – und beschriftet seine Werke mit einer erklärenden Legende. Da ist er gerade mal acht Jahre alt.
Der junge Tobias Mayer schafft es auch geschickt, sich mit wohlmeinenden Förderern zu umgeben. Den Bürgermeister von Esslingen unterhält er mit seiner Zeichnerei, und mit dem Schuhmacher Kandler tauscht er sich aus über die hohe Mathematik. Der Schuhmacher, heißt es, habe das Geld gehabt, Bücher zu kaufen, aber keine Zeit, sie zu lesen – und Tobias Mayer hatte kein Geld, aber viel Zeit, Kandlers Mathematikbücher durchzuarbeiten.
ZSP 06 T6 Hüttermann
Er hat immer sich nach der Decke gestreckt. Er war wirklich begabt, aber auch sehr ehrgeizig. Der muss ein phänomenales Gedächtnis gehabt haben. [[Da gibt es eine Episode aus seiner Schulzeit, dass die Kinder vom einen Tag auf den nächsten jeweils einen Vers aus dem Katechismus auswendig lernen sollten. Und am nächsten Tag muss jeder seinen Vers aufsagen. Und dann kommt der Tobias an die Reihe und fragt, darf er weitermachen. Der hat vom einen Tag auf den nächsten den gesamten Katechismus auswendig gelernt.]] Also er hatte diese Fähigkeiten, er wusste es aber auch, und er war dann auch ehrgeizig genug, daraus etwas zu machen.
SPRECHERIN
1739, Tobias ist gerade 16 Jahre alt, zeichnet er den ersten Stadtplan seiner Heimatstadt Esslingen. Aber nicht nur das, er muss die Stadt dafür auch selbst vermessen haben. Sein Schrittmaß überträgt er auf Papier, und das Ergebnis ist so exakt, dass die Karte 50-mal gedruckt wird. Tobias Mayer erhält von der Stadtverwaltung dafür zwei Silbermünzen – von da an ist seine Karriere als Kartograph besiegelt.
Das Kartenzeichnen lässt ihn nicht mehr los, auch nicht, als er mit 22 Jahren ein Buch über die Theorie der Mathematik verfasst: Das ganze Wissen seiner Zeit ist darin niedergeschrieben, von Geometrie über Astronomie – bis eben zur Kartographie.
ZSP 07 T7 Hüttermann
Das ist ja eine Anleitung zum Kartenzeichnen, und die ist durch und durch kritisch. Also da ist dieser Abschnitt hier, der ist phantastisch. Ich lese mal kurz vor, was hier steht:
(Hüttermanns Stimme blendet im folgenden Text in Stimme von Zitator 1 über)
ZITATOR 1
Es wird zwar denjenigen, die ihre Karten nur von anderen zu kopieren in Gebrauch haben, etwas wunderlich vorkommen […]
Und dass derjenige, der so eine richtige und taugliche Landkarte verfertigen will, noch weit mehrere Wissenschaft nötig habe, davon dergleichen Landkartenstümpler ihr Lebtag nichts gehöret