Mentoring

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Update: 2022-07-28
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Gudrun hatte 2018 mit Carla Cederbaum über mathematische Konzepte gesprochen, mit denen man z.B. den Schwerpunkt von Sternen bestimmen kann. Im April 2022 trafen sich beide erneut zum Gespräch - diesmal per Videokonferenz.

Carla ist inzwischen Professorin an der Uni Tübingen in der AG Geometrische Analysis, Differentialgeometrie und Relativitätstheorie und erhielt den Tübinger Preis für Wissenschaftskommunikation des Jahres 2022. Seit 2021 arbeiten Gudrun und Carla zusammen bei der Gestaltung der Zeitschrift Mitteilungen der Deutschen Mathematiker Vereinigung (MDMV). Gudrun ist 2021-24 als Herausgeberin verantwortlich für die Inhalte und hat neben drei anderen Kolleginnen und Kollegen auch Carla als Mitherausgeberin gewonnen.

Im Gespräch geht es um das Praxishandbuch zum Mentoring von Frauen in der mathematischen Forschung, das unter der
Creative Commons Lizenz CC-BY-SA 4.0 allen Interessierten zur Verfügung steht und an dessen Weiterentwicklung (auch aufgrund der offenen Lizenz) alle mitarbeiten können.

Das Handbuch wurde von Carla Cederbaum, Sophia Jahns und Anna Wienhard im Rahmen des Schwerpunktprogramms SPP2026 Geometrie im Unendlichen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) verfasst und basiert auf den Erfahrungen mit dem Math Ment♀ring Programm an der Universität Tübingen unter der Leitung von Carla einerseits und dem UPSTREAM Mentoring Netzwerk an der Universität Heidelberg unter der Leitung von Anna (und Michael Winckler) andererseits. (*)

Mentoring gibt es heutzutage in vielen Zusammenhängen und kann konkret sehr viel Unterschiedliches bedeuten.

Die Idee, ein spezielles Mentoring für Frauen an ihrem Fachbereich in Tübingen anzubieten, erwuchs aus Carlas eigenen Erfahrungen. Seit ihrem Studium in Freiburg erlebte sie, wie die Tatsache, einer Minderheit im Fach anzugehören, Frauen auf vielfältige Weise dabei behindert, sich in der Mathematik kompetent und in der Fachkultur heimisch zu fühlen. Inzwischen ist gut mit konkreten Zahlen belegt, dass beim Übergang von jeder Entwicklungsstufe auf die nächste in der akademischen Laufbahn mehr Frauen als Männer das Fach verlassen. D.h. bei jedem Karriereschritt sinkt der Anteil von Frauen. So gehen Talente verloren und das Fach Mathematik verliert als Ganzes. In vielen Universitäten hat man das inzwischen als Problem erkannt, dem man strukturell begegnen möchte, aber es gibt oft eine gewisse Ratlosigkeit, wie das geschehen kann.

Carla und ihre Mitstreiterinnen sehen als einen Baustein in der Lösung dieses Problems die Wichtigkeit des Austauschs unter Frauen in einem geschützten Rahmen. Dies ist ein effektiver und vergleichsweise kostengünsitger Ansatz. Es geht nicht darum, Frauen zu einer Karriere in der Mathematik zu überreden, sondern diejenigen zu finden und zu unterstützen, die Lust und Talent dazu haben. Unterschiedliche Ausgangssituationen und fehlende Privilegien können so abgemildert werden.

An der Duke University baute Carla erstmals Mentoring von und für Frauen in der Mathematik auf, u.a. mit Ingrid Daubechies. Für Tübingen hat sie daraus das Format übernommen, dass die Mentorin der Mentee in der Regel eine Stufe in der Karriereleiter voraus ist. So kann man sich noch recht einfach hineindenken, wie man selbst noch vor kurzem gedacht und gearbeitet hat - außerdem ist es ideal, wenn man selbst als Mentee in einem weiteren "Gespann" die "andere Seite" des Mentorings erlebt. In jedem Fall ist es hilfreich, wenn Mentorinnen eine Schulung oder zumindest eine Handreichung bekommen, bevor sie diese Rolle übernehmen.

Im Handbuch ist erprobtes Material für die Schulung der Mentorinnen zusammengetragen (inkl. aller möglicher Vorlagen für Anschreiben, Aushänge etc.). Eine ausführliche und weiter wachsende Literatursammlung zu Mentoring und Gender Studies rundet das Material ab.

Die grundlegende Struktur des Mentorings ruht außerdem auf folgenden Prinzipien:

  1. Vertraulichkeit zwischen Mentor*in und Mentee geht in beide Richtungen.
  2. Die Individualität der Mentee zu respektieren ist oberstes Gebot.
  3. Regelmäßige Treffen von Mentor*in und Mentee helfen, Vertrauen aufzubauen - möglichst bevor ernsthaftere Probleme auftreten.

In Tübingen dauert die Mentorinnenschulung 1/2 Tag und konzentriert sich auf die Frage: Was ist Mentoring und was nicht und wie kann ich das konkret gestalten.

In einem ersten Teil der Schulung werden typische Argumente und belegte Fakten erörtert, die für und gegen die Notwendigkeit der Unterstützung von Frauen in der Mathematik sprechen. Dafür hat sich das Format der Fishbowl-Diskussion zwischen zwei ausgelosten Gruppen bewährt. Danach werden offenes und proaktives Zuhören geübt und Antworten auf typische Mentoringfragen in unterschiedlichen Karrierestufen gesammelt. Das geschieht in 3er-Gruppen mit den Rollen Mentee/Mentorin/Beobachterin. Jede Gruppe zieht zufällig eine Vignette und spielt ein Gespräch zur dort geschilderten Situation durch. Anschließend erfolgt jeweils eine Besprechung dazu, wie die Personen die Gespräche in den unterschiedlichen Rollen wahrgenommen haben, was gut funktioniert hat und was vielleicht nicht so gut gelaufen ist. Danach werden die Rollen getauscht.

Schließlich wird im dritten Teil der Schulung das erste Treffen mit einer Mentee vorbereitet, um eventuelle Nervosität oder Anspannung abzubauen. Man arbeitet in Paaren, um sich das erste Treffen möglichst genau vorzustellen. Hierbei werden die Paare von Schlüsselfragen geleitet. Auch werden Anlaufstellen für über das Mentoring hinausgehende Fragestellungen vorgestellt.

Im Handbuch sind zu allen Teilen der Schulung viele Fallbeispiele und Schlüsselfragen gesammelt. Daneben finden sich Vorlagen für Werbung, Organisatorisches zu Treffen und zur Kontaktaufnahme.
Es sind aber auch Verweise auf Ressourcen gesammelt, falls es ernsthafte Probleme gibt, die im Mentoringgespräch nicht gelöst werden können (wie z.B. Prüfungsangst, finanzielle Sorgen oder eine psychische Krise). Es wird dafür sensibilisiert, wie man erkennen kann, für welche Fragen man selbst eine kompetente Ansprechperson ist und dass es im Mentoring nicht darum geht ein "Mini-me" zu erziehen - nicht alles was für mich funktioniert hat, ist auch für das Gegenüber gut. Deshalb ist es wichtig, die Werte des Gegenübers herausfinden und dann die Zielsetzung der gemeinsamen Zeit möglichst danach auszurichten.

Das Mentoring in Tübingen hat 2014/15 begonnen - der Übergang zur Postdoc-Phase scheint vor Ort das größte Leck zu sein. Als Gründe nennen die Mentees, dass eine akademische Laufbahn sich schwer mit Familiengründung und Partnerschaft vertrage, wenn in der Postdoc-Phase 2-3 längere Auslansdaufenthalte oder wenigstens Wechsel zwischen deutschen Universitäten erwartet werden.

Gudrun hat für den Podcast mit drei Frauen gesprochen, die in Tübingen am Mentoringprogramm teilgenommen haben und inzwischen auf der nächsten Karrierestufe arbeiten. Das Gespräch mit Polyxeni Spiloti ist schon veröffentlicht. Die Gespräche mit Cornelia Vogel und Alix Richter folgen bald. Cornelia und Alix waren als Studentinnen Mentees und haben sich jeweils für eine Promotion entschieden, an der sie zur Zeit des Gespräches in Tübingen bzw. Paderborn arbeiteten.

(*) Zusätzliche Förderung erhielt das Projekt durch die Duke University, das Zukunftskonzept der Universität Tübingen (DFG, ZUK 63) und durch das Athene-Mentoring Programm, Universität Tübingen, die HGS MathComp am IWR Heidelberg, den Exzellenzcluster STRUCTURES und die Research Station Geometry & Dynamics der Universität Heidelberg.



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