Michael Thumann über Russland, Putin und den neuen Eisernen Vorhang
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Russlands Krieg gegen die Ukraine ist nicht nur ein militärischer Konflikt, sondern Ausdruck eines tieferliegenden Bruchs mit Europa. Präsident Wladimir Putin handelt nicht nach einem langfristigen Plan, sondern nach Opportunitäten – das, was möglich erscheint, wird verfolgt. Doch auch wenn sich die russischen Truppen langsam im Donbass vorarbeiten, ist ein umfassender Sieg außer Reichweite. Der Journalist Michael Thumann, Leiter des Moskauer Büros der ZEIT, warnt: „Putin wird das machen, was ihm möglich ist und was er für erreichbar hält.“ Ein Waffenstillstand sei denkbar – ein echter Friede aber bleibe fern, solange Russland nicht zu einer grundlegenden Kurskorrektur bereit ist.
Im Inneren hat sich Russland auf eine beunruhigende Weise stabilisiert: durch Gleichgültigkeit. Die Bevölkerung arrangiert sich mit einem Krieg, dessen Kosten verschleiert und dessen Realität durch kontrollierte Medien verharmlost wird. Kritische Berichterstattung ist kaum mehr möglich, Kultur- und Bildungsinstitutionen aus dem Westen gelten als „unerwünscht“ oder „extremistisch“. Thumann beschreibt, wie sich ein neues, gefährlich stabiles Russland herausbildet – abgeschottet, propagandistisch gelenkt, bereit zur Konfrontation. Die offene Gesellschaft, die in den 1990er-Jahren zaghaft heranwuchs, ist durch Putins Regime systematisch zurückgebaut worden.
In seinem Buch "Eisiges Schweigen flussabwärts" schildert Thumann seine Reise von Moskau nach Berlin – eine Reise entlang der neuen Risse Europas. Er erzählt von Grenzkontrollen, Abschottung und einer wachsenden Kälte im gegenseitigen Blick. Der alte eiserne Vorhang ist zurückgekehrt, nur fällt er heute weiter im Osten. Doch anders als im Kalten Krieg ist dieser Konflikt heiß, real und ideologisch aufgeladen. Wer heute an eine Wiederannäherung glaubt, müsse erkennen: „Das, was vorher war, das wird nicht wiederkommen.“
Diese Episode wurde am 02. Mai 2025 aufgezeichnet.
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Fotoquelle: Henning Kretschmer für DIE ZEIT