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Sahra Wagenknecht im NachDenkSeiten-Interview: Über Kriegstreiberei, soziale Spaltung und den nötigen Kurswechsel

Sahra Wagenknecht im NachDenkSeiten-Interview: Über Kriegstreiberei, soziale Spaltung und den nötigen Kurswechsel

Update: 2025-12-05
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Sahra Wagenknecht sprach kurz vor dem 3. Bundesparteitag des Bündnisses Sahra Wagenknecht am 6. und 7. Dezember in Magdeburg mit den NachDenkSeiten über die zukünftige Ausrichtung der Partei und ihre Kritik an den politischen Eliten in Deutschland. Sie erläutert, wie die Merz-Regierung und die Ampel-Parteien durch Kriegstreiberei, Aufrüstung und die Dämonisierung von Gegnern Ängste schüren, statt die wachsende Armut und die Sorgen des Mittelstands in den Blick zu nehmen. Wagenknecht positioniert sich klar zum sinnlosen Krieg in der Ukraine, zur deutschen Beihilfe zum Völkermord in Gaza und zu dringend nötigen Reformen in Bildung, Gesundheit und Rente. Zudem warnt sie vor Angriffen auf Meinungsfreiheit und demokratische Grundregeln – und erklärt, warum die Politik der Ausgrenzung letztlich die AfD gestärkt hat. Das Gespräch führte Michael Holmes.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.



Michael Holmes: Hallo, mein Name ist Michael Holmes. Ich bin freier Journalist und es ist mir ein großes Vergnügen, heute mit Sahra Wagenknecht zu sprechen. Frau Wagenknecht, ich muss Sie bei den NachDenkSeiten wirklich nicht vorstellen; Sie sind hier ja so ein bisschen zu Hause und genießen sehr viele Sympathien.

Ich möchte Sie zuallererst fragen, wie es mit der Neuauszählung aussieht. Viele Experten sind der Ansicht, dass Sie es eigentlich über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft haben. Das wäre ja eine eklatante Verletzung Ihrer demokratischen Grundrechte. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Sahra Wagenknecht: Natürlich kann niemand hundertprozentig sagen, dass wir mehr als fünf Prozent der Stimmen hatten. Dafür müsste man neu auszählen. Aber was wir wissen, ist: Das Ergebnis ist extrem knapp. Wir hatten bei ganz wenigen Überprüfungen im Vorfeld des amtlichen Endergebnisses 4.200 Stimmen dazugewonnen. Das heißt, diese Stimmen wurden gefunden, nachdem sie vorher anderen Parteien zugeordnet oder als ungültig gewertet worden waren. Wenn man weiß, dass diese Überprüfung in noch nicht einmal zehn Prozent der Wahllokale stattfand, kann man davon ausgehen: Würde man großflächiger überprüfen – also in allen Wahllokalen –, würden mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mehr als 9.500 Stimmen zutage treten. Die Fehler, die dort gemacht wurden, sind sichtbar auch in anderen Wahllokalen gemacht worden, wo man bisher nicht nachgeschaut hat.

Man will deshalb ja auch nicht nachschauen. Das muss man wirklich dazu sagen. Wenn der Bundestag davon ausgehen würde, dass wir sehr wahrscheinlich keine fünf Prozent haben, hätten sie längst die Weichen gestellt. So eine Neuauszählung ist keine Raketenwissenschaft; das ist nichts Besonderes. Das dauert ein paar Tage, vielleicht zwei oder drei, wenn es hochkommt. Aber sie wollen es nicht, genau weil sie Angst haben, dass dann die Mehrheit der Kanzlerkoalition nicht mehr steht und ihre Mandate verloren gehen. Es ist wirklich empörend, dass man in Deutschland so kämpfen muss, um ein korrektes Wahlergebnis zu bekommen.

Michael Holmes: Das ist meines Erachtens eine der eklatantesten Verletzungen freier und fairer Wahlen in Deutschland seit 1945.

Lassen Sie uns zur Neuausrichtung der Partei kommen, auch im Hinblick auf den kommenden Parteitag. Ich habe den Eindruck – und das spiegeln auch Meinungsumfragen wider –, dass Sie thematisch eigentlich noch sehr viel mehr Erfolg haben müssten. Sie werden in den Leitmedien oft als eine Mischung aus Rechts- und Linkspopulismus dargestellt.

Wäre es für die Partei nicht erfolgversprechender, wenn Sie sich noch stärker als die einzige linke Partei der bürgerlichen Mitte darstellen würden? Sie treten ein für klassische sozialdemokratische Werte, eine dynamische Marktwirtschaft, einen klugen und großzügigen Wohlfahrtsstaat sowie für Entspannungspolitik und Frieden. Gleichzeitig lehnen Sie die „Woke-Linke“ ab, treten aber für die Rechte von LGBT und Frauen ein. Wäre diese Positionierung als „linke Mitte“ – da die SPD und Grünen das nicht mehr abdecken – nicht zielführender?

Sahra Wagenknecht: Das Problem ist, dass viele Menschen in Deutschland mit dem Label „links“ – genauso wie mit dem Label „rechts“ – Dinge verbinden, die mit der klassischen Besetzung dieser Begriffe wenig zu tun haben. Für viele ist heutzutage „links“ tatsächlich ein Feindbild geworden. Nicht, weil sie gegen soziale Gerechtigkeit sind oder für Sozialkürzungen, sondern weil sie damit völlig ideologische, überzogene Klimaziele, offene Grenzen für alle und eine Sozialpolitik verbinden, die nicht in erster Linie denen hilft, die es wirklich brauchen, sondern quasi aus dem Vollen schöpft. Dazu kommen banale Dinge, wie der Umgang mit der Sprache oder dem Geschlecht. All das verbinden die Menschen heute mit „links“.

Das hat mit dem klassischen Anspruch linker Politik – diejenigen zu vertreten, die es schwer haben, die aus ärmeren Verhältnissen kommen, und sich für gute Bildungschancen und Aufstiegschancen einzusetzen – kaum noch etwas zu tun.

Umgekehrt hat die „Woke-Linke“ – damit meine ich primär die identitätspolitische Linke – tatsächlich alles dafür getan, das Label „rechts“ wieder populär zu machen. Denn was wird heute als rechts bezeichnet? Wenn man für Diplomatie und Verständigung eintritt, gilt das als rechts. Die Brandmauer gegen die AfD wird ja kaum noch damit begründet, dass es dort Rechtsextremisten gibt, sondern man sagt: „Die sind böse, weil sie Gesprächskanäle zu Russland haben.“ Oder es wird als rechts dargestellt, wenn man für eine vernünftige Migrationspolitik ist – also nicht Ausländerhass, sondern Steuerung. Ich wurde von Anfang an als AfD-nah dargestellt, weil ich frühzeitig gesagt habe: Bei zu großen Zahlen bekommen wir Parallelgesellschaften und Probleme im Bildungssystem. Und genau das haben wir bekommen.

Auch die Forderung nach preiswertem Öl und Gas für unsere Industrie und damit die Menschen ihr Geld für schöne Dinge statt für teure Energie ausgeben können, wurde als rechts diffamiert. Man hat es damit geschafft, das Label „rechts“ in Deutschland wieder populär zu machen. Das ist entsetzlich. Als die AfD angetreten ist, hat sie sich ausdrücklich nicht als rechte Partei bezeichnet, weil das damals negativ besetzt war. Heute sagt die AfD: „Ja klar, wir sind rechts“, weil viele Leute denken, rechts sei etwas Gutes. Deswegen finde ich, wir sollten diese Label nicht mehr benutzen, da sie nur Missverständnisse erzeugen.

Wir sind mit vier Grundsäulen in unserem Gründungsmanifest angetreten: Erstens eine ganz klare Friedenspolitik. Rückkehr zur Entspannungspolitik und Schluss mit dem Wahnsinn, Deutschland zur größten Militärmacht Europas machen zu wollen oder „kriegstüchtig“ zu werden. Die Vorstellung, ein Krieg gegen eine Atommacht sei führbar, ist völlig irre. Das ist eigentlich klassisch sozialdemokratisch. Früher warb die Rechte für Militarismus und die Linken für Verständigung; heute ist das anders besetzt.

Zweitens eine vernünftige Wirtschafts- und Energiepolitik. Wir müssen die Industrie und die gut bezahlten Arbeitsplätze in Deutschland halten. Den Aktionären ist es im Zweifel egal, wo produziert wird – die Chemieindustrie geht in die USA, die Autoindustrie verlagert –, aber die Menschen hier verlieren ihre Jobs.

Drittens soziale Gerechtigkeit. Das ist einerseits Leistungsgerechtigkeit, die mit den heutigen Verteilungsverhältnissen nichts zu tun hat. Wir sind keine Leistungsgesellschaft, wenn sich oben Erbdynastien verfestigen und unten Kinder aus ärmeren Verhältnissen keine Bildungschancen mehr haben. Dazu gehören gute Renten und Löhne. Die SPD hat wesentlich dazu beigetragen, dass dies alles kaputt gemacht wurde.

Viertens die Verteidigung individueller Freiheit und Meinungsfreiheit. Wir grenzen uns von dem ab, was heute oft als links wahrgenommen wird. Schon in der Corona-Zeit war das skurril: Die Partei Die Linke forderte als erste eine Impfpflicht. Die Grünen waren die vehementesten Vertreter von Lockdowns und Meldestellen. Diese „Cancel Culture“, die darauf hinausläuft, unerwünschte Meinungen aus der Debatte zu entfernen, ist ein neuer Autoritarismus. Der kommt nicht nur von rechts, sondern leider auch von Grün und der modernen Linken. Demokratie lebt von einer breiten Debatte.

Ein großes Missverständnis, das oft gegen Sie verwendet wird, betrifft die Außenpolitik. Es gibt diese Erzählung vom Kampf der „guten Demokratien“ gegen die „bösen Autokratien“. Wenn man sich für Frieden einsetzt, wird einem schnell unterstellt, man sympathisiere mit Putin, der Hamas, dem Iran oder Xi Jinping. Wäre es nicht wichtig klarzustellen: Wir treten für Demokratie und Menschenrechte ein, und sind froh, in einer westlichen Demokratie zu leben, aber Außenpolitik ist ein anderes Thema? Dass ein besseres innenpolitisches System nicht bedeutet, dass wir zur Eskalation beitragen sollten?

Wir treten vor allem dafür ein, dass dies konsequent gelebt wird. Was Sie schildern, ist eine völlig verlogene Doppelmoral. Die gleichen Leute, die skrupellos Waffen an Israel liefern, die zur Ermordung von Palästinensern eingesetzt werden und dort Kriegsverbrechen unterstützen, gerieren sich in der Ukraine-Frage als die Guten, die alles tun müssen, damit sich ein überfallenes Land verteidigen kann.

Natürlich ist es entsetzlich, was an der ukrainischen Front geschieht und wie die Zivilbevölkerung leidet, wenn es keinen Strom, kein Wasser und keine Heizung gibt. Aber das beendet man nicht durch immer mehr Waffenlieferungen. Eine leise Hoffnung gibt es jetzt, wenn man sich diplomatisch bemüht, die Interessen beider Seiten zusammenzubringen.

Der Friedensvorschlag von Donald Tru

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Redaktion NachDenkSeiten