Die Vogel-Strauß-Taktik der Bundesregierung bei geplanter Nutzung des eingefrorenen russischen Staatsvermögens
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Bei der Generaldebatte im Bundestag am 26. November hatte Bundeskanzler Friedrich Merz erneut betont, dass er die im EU-Raum eingefrorenen Vermögenswerte der russischen Zentralbank für die EU verfügbar machen will. Auf der Bundespressekonferenz bestätigte sein Sprecher dies und erklärte, das sei „ein ganz wichtiger Schritt“, den die Bundesregierung „mit Hochdruck“ vorantreibe. Die NachDenkSeiten hatten vor diesem Hintergrund einige Fragen zu den finanz- und wirtschaftspolitischen Folgen eines solches Schrittes. Denn Staatsvermögen hat gemäß Völkerrecht einen umfassenden Immunitätsschutz und ist laut dem Prinzip der Staatensouveränität einem fremden Zugriff grundsätzlich entzogen. Zudem kam die Frage auf, wie die Bundesregierung verhindern will, dass in Folge etwa China und Saudi-Arabien ihre Vermögenswerte aus dem EU-Raum abziehen. Von Florian Warweg.
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Hintergrund
„Wir wollen die eingefrorenen russischen Vermögenswerte genau dafür verfügbar machen. Putin muss erkennen, dass er keine Chance bekommt, diesen Krieg zu Lasten der europäischen Freiheits- und Friedensordnung zu gewinnen, meine Damen und Herren“.
So die Ausführungen (ab Minute 43:06 im verlinkten Video) des Bundeskanzlers bei der Generaldebatte im Bundestag am 26. November.
Worauf der Kanzler und auch seine Sprecher in der Bundespressekonferenz bisher mit keinem Wort eingegangen sind, ist allerdings das enorme finanz- und wirtschaftspolitische sowie völkerrechtliche Risiko eines solchen präzedenzlosen Vorgehens der Enteignung eines souveränen Staates.
Nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 wurden auf Initiative der EU Vermögenswerte der russischen Zentralbank im Gesamtwert von 210 Milliarden Euro im EU-Raum eingefroren. 191 Milliarden davon allein bei dem Unternehmen Euroclear, einer globalen Finanzmarktinfrastrukturgruppe mit Sitz in Brüssel. Das Unternehmen spielt eine entscheidende Rolle bei der Erleichterung des Wertpapierhandels und der Verwahrung. Die Gelder steckten, bevor es zum Einfrieren kam, vor allem in Staatsanleihen und sollten Rentenzahlungen des russischen Staates absichern.
Das zentrale Problem bei dem Vorhaben von Merz und Co: Das Staatsvermögen eines jeden Staates hat gemäß Völkerrecht einen umfassenden Immunitätsschutz und gilt, dem Prinzip der Staatensouveränität folgend, einem fremden Zugriff als grundsätzlich entzogen.
Aber auch eine Konfiszierung von ebenfalls rechtlich umfassend geschützten Privatvermögen wäre völker- und finanzrechtlich höchst herausfordernd, denn zuerst muss eine individuelle, persönliche Verantwortung der betroffenen Menschen nachgewiesen werden, wie z.B. die NZZ in diesem Artikel ausführt.
Das Einfrieren durch die EU betrifft folglich nicht nur die staatlichen Vermögenswerte der Russischen Föderation, sondern gleichzeitig auch angelegte private Gelder von rund fünf Millionen russischen Staatsbürgern, von denen die große Mehrheit nachweislich nicht unter die westlichen Sanktionen fällt, und die dennoch bedingt durch das mutmaßlich völkerrechtswidrige Vorgehen der EU seit Jahren nicht auf ihr Privateigentum zurückgreifen können.
Doch es wird noch komplexer. Wie unter anderem die belgische Zeitung De Tijd ausführt, befinden sich unter den eingefrorenen Transaktionen in Höhe von 193 Milliarden Euro der russischen Zentralbank erhebliche Summen, die tatsächlich westlichen Finanzinstituten gehören, darunter JPMorgan mit Sitz in den USA. JPMorgan hat bisher erfolglos versucht, 2,25 Milliarden Euro an von der EU gesperrten Geldern zurückzufordern. Weiterhin berichtet die belgische Zeitung, dass auch mehrere europäische Banken sich in einer ähnlichen Situation befinden – sich aber auf Grund politischen Drucks dazu entschieden haben, über ihre von der EU eingefrorenen Vermögenswerte im Zusammenhang mit dem russischen Staatsvermögen zu schweigen, um so negative Öffentlichkeit zu vermeiden.
Abschließend schreibt De Tijid nach Durchsicht eines Teils der bisher gesperrten Gelder:
„Die unbequeme Wahrheit ist, dass der Großteil dieser Stichprobe nicht von Personen und Unternehmen stammt, die auf einer Sanktionsliste stehen.“
Eine von der EU-Kommission im Februar 2023 eingerichtete Arbeitsgruppe kam im Juni 2023 zu dem Ergebnis, dass es keinerlei Rechtsgrundlage für eine Konfiszierung der russischen Vermögenswerte gibt.
Der damalige österreichische Außenminister Alexander Schallenberg wies in diesem Zusammenhang auf die enormen wirtschaftlichen und politischen Risiken hin, wenn Russland gegen diesen mutmaßlich völkerrechtswidrigen Enteignungsversuch der EU erfolgreich klagen würde:
„Wir sind Rechtsstaaten. […] Sollte eine dieser Maßnahmen von einem Richter aufgehoben werden, wäre das eine diplomatische und wirtschaftliche Katastrophe.“
Auch die Europäische Zentralbank (EZB) warnte die Europäische Kommission, dass eine derartige Maßnahme das Vertrauen in den Euro als globale Währung untergraben, ein negatives Signal an die globalen Märkte aussenden und zudem die Zentralbanken von Ländern mit großen Vermögensreserven in der EU bewegen könnte, sich vom Euro abzuwenden.
Ein EU-Diplomat erklärte gegenüber der Financial Times in diesem Zusammenhang:
„Man kann nicht einfach das Gesetz umgehen. Und selbst wenn es eine rechtliche Rechtfertigung gibt, ist nicht klar, welche Folgen diese Entscheidung für den Status des Euro als Weltwährung haben wird.“
Einer der EU-Staaten, die sich am vehementesten bisher gegen die geplante Enteignung von russischem Staatsvermögen aussprechen, ist Belgien, wo der schon erwähnte Vermögensverwalter Euroclear seinen Sitz hat und ein Großteil des eingefrorenen russischen Staatsvermögens deponiert ist. Vor diesem Hintergrund führte der belgische Außenminister Maxime Prévot an:
„Diese (russischen) Vermögenswerte sind durch das Völkerrecht solide geschützt und ihre Beschlagnahme würde systemische finanzielle Instabilität verursachen und das Vertrauen in den Euro untergraben.“
Ähnlich äußerte sich die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, die eindringlich vor solchen Verwerfungen warnt, sowie der italienische Außenminister Antonio Tajani, der öffentlich erklärte:
„Wir müssen die Regeln einhalten […] Das ist ein juristisches Problem, keine politische Entscheidung.“
Doch der angeblich sonst so regelkonforme Bundeskanzler und sein Kabinett scheinen sich, koste es, was es wolle, über all die angeführten begründeten Bedenken sowie massiven finanz- und geopolitischen Auswirkungen hinwegsetzen zu wollen.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 26. November 2025
Frage Gerhäusser (Deutsche Welle)
Herr Meyer, wir haben den Bundeskanzler gehört, wie er in seiner Rede in der Generaldebatte gesagt hat, dass die eingefrorenen russischen Vermögenswerte verfügbar gemacht werden sollen. Welche Hürden sind rechtlich schon bearbeitet, damit das tatsächlich möglich wird?
Vize-Regierungssprecher Meyer
Sie wissen, dass uns dies ein großes Anliegen ist, um die Möglichkeiten der Ukraine weiterhin zu erhöhen, sich des russischen Angriffskriegs zu erwehren. Dafür ist die Nutzbarmachung dieser Assets nach unserer Auffassung ein ganz wichtiger Schritt. Nach wie vor – darüber haben wir auch hier immer einmal wieder berichtet – gibt es natürlich eine Reihe von offenen Fragen, von rechtlichen Fragen und von technischen Fragen. Sie werden derzeit diskutiert. Nun ist es an der EU-Kommission, einen entsprechenden Rechtstext vorzulegen. Ihn erwarten wir. Das ist momentan der Verfahrensstand. Wie gesagt, treiben wir das weiterhin ungeachtet anderer Entwicklungen mit Hochdruck voran.
Zusatzfrage Gerhäusser
Gibt es dazu Ergänzung vonseiten des Finanzministeriums?
Hartmann (BMF)
Ich kann mich dem nur anschließen. Die EU-Kommission erarbeitet zurzeit die Finanzierungsoptionen für die Ukraine. Das ist natürlich sehr wichtig, wie Herr Meyer betont hat. Wir sind optimistisch, dass eine gute Lösung gefunden werden kann, um die Ukraine nachhaltig finanziell zu unterstützen.
Frage (unbekannter Journalist)
Wird es aus Sicht der Bundesregierung im Falle deutscher Garantien für dieses Unterfangen auf jeden Fall eine Bundestagsentscheidung dazu geben müssen? Wenn ja: Vom Haushaltsausschuss oder vom Plenum? Wie weit sind die Prüfungen?
Meyer
Ich würde dazu raten, zunächst den



