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Sebastian Moll – Das Würfelhaus

Sebastian Moll – Das Würfelhaus

Update: 2024-10-09
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„Verdrängung“ ist einer der zentralen Begriffe in Sigmund Freuds Psychoanalyse: ein Abwehrmechanismus, mit dessen Hilfe Gedanken und Gefühle, die wir als schmerzhaft oder unangenehm empfinden, aus dem Bewusstsein gedrängt werden. Darauf bezieht sich Sebastian Moll mit seinem Begriff einer „Architektur der Verdrängung” - auch auf Freuds Diktum „der Mensch sei nicht Herr im eigenen Haus“.
Zum anderen meint „Architektur der Verdrängung“ den Wiederaufbau der Stadt Frankfurt am Main nach dem Prinzip tabula rasa. Es wurde so ziemlich alles gesprengt und abgerissen, was nach dem Krieg noch stand.  

Für die Verarbeitung all dessen, was geschehen war, war das katastrophal. (...) Nur wenn die schmerzhafte Erinnerung Teil eines neuen Lebens, eines neuen Alltags wird, können die seelischen Narben allmählich heilen. 

Quelle: Sebastian Moll – Das Würfelhaus



Gefühle im Keller 


Sebastian Moll beschreibt auch das Reihenhaus, in dem er Kindheit und Jugend verbrachte, das titelgebende Würfelhaus in Langen bei Frankfurt. Es ist neu, nüchtern, äußerlich ohne jede Spur der Vergangenheit. Aber aus dem Keller dringt die Nazi-Nostalgie des Vaters bis ins vorzeigbare Wohnzimmer, dessen Bücherregal mit Werken von Böll und Grass zeitgemäß bestückt ist.
Heinz Moll, in seiner Jugend Flakhelfer und glühender Hitlerverehrer, später leitender Angestellter bei einer Frankfurter Wohnungsbaugenossenschaft, hat sich unter der Erde eine Art Kriegsdevotionalienaltar eingerichtet, darauf Kameradenbriefe, Landser-Heftchen, Pornomagazine. Die Fotos früherer Freundinnen hängen ordentlich gerahmt an der Wand. Sebastian Moll:  

Und das hat mich dann eben anhand unseres Reihenhauses interessiert, weil ich da ja an der eigenen Person erlebt habe, wie sich trotz dieser rationalen Oberfläche das Unterbewusste sein Recht sucht. 

Quelle: Zitat von Autor Sebastian Moll



Die Wiederauferstehung eines Gespensts 


Das Psychoanalytiker-Paar Margarete und Alexander Mitscherlich, das Sebastian Moll häufiger zitiert, hatte 1967 das epochemachende Buch über die deutsche „Unfähigkeit zu trauern“ veröffentlicht. Nur Verdrängung war möglich.
Es gibt viele Bücher über die Bürde der Generation der Kriegsenkel, der Boomer, zu denen auch der Autor gehört. Aber dieses hat einen neuen Ton: Es ist ehrlich, offenherzig, ratlos, traurig. Im Grunde kann Sebastian Moll nicht begreifen, wer sein Vater war.  
Als Kind genießt er es, mit ihm zusammen sportliche Männerabenteuer zu bestehen. Aber Sebastian war erst zwölf, da führt der Vater seine junge Geliebte zum ersten Mal ins Haus der Familie und befiehlt seinem Sohn, sie vor den Augen der Mutter zu entkleiden. Die Mutter beginnt zu trinken.  

Es ist die totale Erniedrigung meiner Mutter, in die ich als Komplize eingespannt werde. (...) Die Szene war zweifellos nur ein Ausschnitt aus einer andauernden sadomasochistischen Vierecksbeziehung, die meine Mutter immer tiefer in Alkohol und Verzweiflung trieb (...) Weitere Szenen geistern noch diffus und verschwommen in meinem Unterbewusstsein herum. Sie zu bergen und zu schärfen, habe ich jedoch weder den Mut noch die Kraft. Es bleibt zu viel, eine lebenslange Überforderung, eine Monstrosität, die verdaubar, Teil meines bewussten Ich zu machen, mich kapitulieren lässt.

Quelle: Sebastian Moll – Das Würfelhaus



Als Sebastian sich allmählich aus der Familie „extrahiert“ – wie er es nennt – verstößt ihn der Vater. 30 Jahre nach dessen Tod will Sebastian Moll „Das Würfelhaus“ verkaufen. Die Auflösung führt ihn erneut in den Vaterkeller.
Er schaut noch einmal ganz genau, ob er vielleicht doch etwas übersehen hat, ob er etwas findet, was die Leerstelle füllen könnte. Das Ergebnis ist dieses kluge, traurige, anrührende Buch. Sebastian Moll hat es geschrieben im Wissen, nicht allein zu sein mit seiner Vatersuche.   

Ich glaub, die Suche, die hört nie auf und die Auseinandersetzung damit. Das ist vielleicht auch ein bisschen der Fluch unserer Generation. 

Quelle: Zitat von Autor Sebastian Moll


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