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Thomas Hüetlin – „Man lebt sein Leben nur einmal“

Thomas Hüetlin – „Man lebt sein Leben nur einmal“

Update: 2024-10-10
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Marlene Dietrich sitzt vor dem Grand Hotel Excelsior am Lido in Venedig – in Gesellschaft ihres Entdeckers, Förderers und Liebhabers Josef von Sternberg. „Der Blaue Engel“ hatte Dietrich den Weg nach Hollywood geebnet, und als die Nazis um sie warben, blieb sie standhaft und kehrte nicht zurück nach Deutschland, obwohl ihr Stern in den USA schon zu sinken begann. Sie hatte nicht die geringste Lust, eine zweite Leni Riefenstahl und eine Trophäe von Reichsminister Goebbels zu werden. Es ist das Jahr 1937. Und da geschieht etwas, das ihr Leben in den darauffolgenden Jahren prägen wird:  

Ein gut aussehender Mann trat an den Tisch der beiden. Die Haare streng zurückgekämmt, leuchteten unter einer hohen Stirn zwei blaue Augen. Lebhaft, mit einem Schuss Melancholie, strahlten sie die Weltläufigkeit und Empfindsamkeit eines Gentlemans aus, der nicht durch ein Erbe, sondern eigene Arbeit zu Wohlstand gekommen war.

Quelle: Thomas Hüetlin – Man lebt sein Leben nur einmal



Der Hass auf die Nazis verbindet  


Der schmucke Mann heißt Erich Maria Remarque. Mit „Im Westen nichts Neues“ hat er einen Weltbestseller gelandet. Auch wenn er sich nicht als politischen Autor begreift und sich nicht engagiert, hasst er die Nazis und wird von diesen gehasst. Marlene Dietrich ist fasziniert von Männern, die etwas hermachen. Ihre Liste mit Liebhaberinnen und Liebhabern ist lang, aber mit Remarque verbindet sie mehr. 

Es war ein anderes Deutschland, das dieser Mann verkörperte. Ein Deutschland der Großzügigkeit. Nicht des Größenwahns.  

Quelle: Thomas Hüetlin – Man lebt sein Leben nur einmal



Eine Amour fou, die sich gewaschen hat 


Was nun in diesem Jahr 1937 beginnt, ist eine Amour fou, die sich gewaschen hat. Der Autor und Journalist Thomas Hüetlin erzählt davon, als wäre er seinerzeit bei den Champagnerorgien oder den Schlafzimmergefechten dabei gewesen. Die Diva und der Intellektuelle sind beide getrieben. Billy Wilder attestierte Dietrich die „romantische Unreife einer 16-Jährigen“, die zuweilen „seelische Leberwurstbrote“ brauchte, wie sie selbst schrieb.
Weder Dietrich noch Remarque scheren sich um Konventionen, alles Bürgerliche ist ihnen ein Graus. Sie lieben und fetzen sich. Mal bekocht sie ihn mütterlich mit deftigem Gulasch, mal ignoriert sie seine Liebesbotschaften wochenlang. Marlene verschleißt einen Liebhaber nach dem nächsten, aber auch Remarque hält nichts von Monogamie. Untreue gebe es gar nicht, konstatiert er. Marlenes Ehemann Rudi kümmert sich um die Organisation der komplizierten Liebesarrangements der Schauspielerin; er ist meist mit von der Partie, wenn sie zwischen Amerika und Europa hin- und herreist und neue Intimitäten sich anbahnen.
Remarque, der am Hochstaplersyndrom leidet und zugleich selbstbewusst das Glamouröse sucht, zieht sich immer wieder ins Tessin zurück – um zu schreiben oder schmachtende Liebesbriefe nach Hollywood zu senden. Das kann alles nicht gut gehen. Tut es auch nicht. Leidenschaft und Beziehungsschlacht sind immer nur einen Wimpernschlag voneinander entfernt. 

Er nannte sie ein ‚ekelhaftes Biest‘, sie schimpfte ihn einen ‚Provinztölpel‘.

Quelle: Thomas Hüetlin – »Man lebt sein Leben nur einmal«



Ein lohnender Blick durchs Schlüsselloch 


Die Geschichte dieses berühmten Liebespaares, das nach dem Krieg auch räumlichen Abstand voneinander nimmt, ist nicht unbekannt. Thomas Hüetlin erzählt sie anhand von Tagebucheinträgen und Briefen noch einmal neu und vor dem Hintergrund der Geschehnisse in Nazideutschland. Der dräuende Krieg und der Überfall Hitlerdeutschlands auf die Nachbarn – das alles bildet die Folie, auf der die beiden ihre dramatisch-amourösen Szenen aufführen.
Sie sind sich der politischen Umstände sehr bewusst – zugleich leben sie privilegiert in einem parallelen Kosmos, in dem das Ringen um Glück, die Schönheit der Melancholie und das Suhlen im Kummer mindestens ebenso viel Raum einnehmen wie die Verzweiflung über die Weltlage. Ob die Komposition des Buches – Hüetlin springt zwischen den Jahren und Schauplätzen munter hin und her – nicht nur originell, sondern zwingend ist, sei dahingestellt.
Manchmal meint es Hüetlin ein wenig zu gut mit seiner Innensicht. Wenn er auf der Bettkante Platz nimmt, geht auch schon mal der Schmonzetten-Autor mit ihm durch. Aber fesselnd ist die Lektüre zweifellos, man sieht schon die Verfilmung vor sich.
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