Selbstsabotage - Warum wir uns selbst so oft ausbooten - radioWissen
Description
Die Angst davor in der Prüfung zu versagen, ist so groß, dass man sich zig Termine in den Kalender packt und keine Zeit mehr zum Lernen hat. Ein typischer Fall von Selbstsabotage. Was steckt dahinter - und wie kann man aufhören, sein größtes eigenes Hindernis zu sein? Von Susi Weichselbaumer
Credits
Autorin dieser Folge: Susi Weichselbaumer
Regie: Susi Weichselbaumer
Es sprachen: Berenike Beschle, Thomas Birnstiel, Marlen Reichert, Peter Weiß
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
Prof. Malte Schwinger, Kinder und Jugendpsychologe Universität Marburg
Dr. Ulrich Goldmann, Leitung Ausbildungsgang Psychotherapie (MUNIP)
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZITATORIN
Am Abend vor der Klausur war die Geburtstagsparty meiner besten Freundin.
ZITATOR
Es war null Zeit, die Präsentation für die Führungskräfte vorzubereiten. Für auf den letzten Drücker lief es puh: Okay.
ZITATORIN
Dieser Fahrprüfer lässt Frauen grundsätzlich durchfallen. Auch wenn ich dem protzigen SUV nicht die Vorfahrt genommen hätte…
MUSIK ENDE
SPRECHER
Die Klausur gerade mal knapp bestanden?
SPRECHERIN
Der Job Großraumbüro statt Chefetage?
SPRECHER
Die Fahrerlaubnis nicht erteilt? Der Pfad zum Erfolg ist gepflastert mit Hindernissen.
MUSIK
ZITATOR
Das Schicksal arbeitet gegen mich.
ZITATORIN
Heute ist nicht mein Tag.
ZITATOR
Die ganze Woche ist nicht meine Woche –
ZITATORIN
Mein ganzes Leben ist nicht mein Leben.
MUSIK ENDE
SPRECHER
Das Wetter, der öffentliche Nahverkehr, die grantige Nachbarin –
SPRECHERIN
Möglicherweise steht man sich aber auch selbst im Weg. Durch die Art und Weise wie man Dinge angeht oder versucht, bestimmte Situationen zu vermeiden.
MUSIK
SPRECHER
Jedenfalls sicher gilt: Allein ist man als Sich-Selbst-Blockierender nicht. Die Ratgeberregale in den Buchhandlungen stehen voll mit Literatur zum Thema „Selbstsabotage“. In Social Media wird das Phänomen in diversen Facetten diskutiert. Das Internet bietet zig Fragebogen:
ZITATOR
Wann sabotierst Du Dich selbst?
ZITATORIN
Warum sabotierst Du Dich?
ZITATOR
Weswegen solltest Du das lassen?
ZITATORIN
Wie änderst Du Dich – und damit alles?
MUSIK ENDE
SPRECHER
Das Problem ist bloß: Was in bunten Bänden und auf knalligen Lifestyle-Webseiten angeboten wird, fällt aus wissenschaftlicher Sicht größtenteils in die Kategorie „Küchenpsychologie“. Und: Der Begriff „Selbstsabotage“ für jedwedes, was man sich selbst so in die Bahn werfen oder als Ausrede anführen könnte? Wohl eher ein Modewort:
1 ZU Goldmann 0.00
Wenn ich jetzt an Sabotage denke, da denke ich an Gleise, an Züge, an jemand, der Kabel in Brand steckt. Es ist ein bewusster Akt. Sabotage ist auch in gewisser Weise, ein gewalttätiger Akt.
SPRECHERIN
Erklärt Dr. Ulrich Goldmann. Er leitet den Bereich Psychotherapie am MUNIP, dem Münchner Universitären Ausbildungsinstitut für Psychologische Psychotherapie.
2 ZU Goldmann 0.00
In der Psychologie wird mehr im Englischen der Begriff „Self-Handicapping“ hergenommen, also „Selbstbehinderung“ übersetzt. Das ist etwas milder.
SPRECHERIN
Selbstbehinderung gilt nicht als klinische Diagnose, Krankheit oder Persönlichkeitsstörung. Die Wissenschaft sammelt unter dem Begriff eine ganze Reihe an Verhaltensmustern.
SPRECHER
Verhaltensweisen, mit denen Menschen ihre Erfolgschancen bewusst oder unbewusst selbst vermindern. Generell. Oder lediglich in speziellen Zusammenhängen. Das Ziel dabei ist stets – und das klingt auf den ersten Blick paradox: Auf Biegen und Brechen den Selbstwert erhalten.
SPRECHERIN
Sich keine Blöße geben, das Gesicht wahren – anderen und sich selbst gegenüber.
MUSIK
SPRECHER
Die Gründe dafür und Strategien dabei faszinieren Forscher wie Malte Schwinger. Er ist Professor für Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Marburg. Studien zum Thema Selbstbehinderung gibt es inzwischen vor allem im Segment „Lernen und Ausbildung“.
3 ZU Schwinger (0.09)
Der Grundgedanke dahinter ist immer der, jemand hat Angst vor einer bestimmten Situation, einer bestimmten Bewertung. Das ist bei Studierenden, wo wir das viel untersuchen, häufig irgendeine Art Prüfung, eine Art Klausur. Und da ist die Sorge, dass das schiefgehen kann. Und wenn das schiefgeht, hat man Angst, dass das den Selbstwert bedrohen könnte, dass man sich danach als Person nicht gut fühlt als wertlos fühlt.
MUSIK ENDE
SPRECHERIN
Die Lösung:
SPRECHER
Eine eventuelle negative Bewertung unbedingt ausschließen.
SPRECHERIN
Und zwar schon im Vorfeld.
4 ZU Schwinger (0.09)
Wenn ich Angst habe, in der Klausur zu versagen, dann sollte ich mir irgendeine Ausrede zurechtlegen, die hinterher erklärt, warum ich nicht so gut war in der Klausur, das ist die Idee.
MUSIK
ZITATORIN
Das Radl hatte auf dem Weg einen Platten.
ZITATOR
Im Prüfungsraum war es wahnsinnig stickig.
ZITATORIN
Der Hund hat meine Vorbereitungsunterlagen gefressen.
MUSIK ENDE
SPRECHER
Spannend dabei: Erklärungen dafür, warum es mit einer besseren Note in der Klausur nicht geklappt hat, suchen Selbst-Handicapper eher selten im Außen.
Solche Rechtfertigungen gibt es schon auch. Aber: In der Regel sucht man die Erklärung bei sich: Darum wir ich nicht so toll. Oder konnte nicht so toll sein. Halskratzen und leichter Husten – plötzlich fühlt man sich damit richtig krank. Genauso erklärt man es den Studienkollegen. Der wesentliche Punkt bei alldem: Trotz schwerer Grippe tritt man zur Prüfung an.
SPRECHERIN
Unter derlei Bedingungen muss man dann ja mehr als froh sein über ein gerade noch „bestanden“.
MUSIK
SPRECHERIN
Es kann aber auch das ganz große Programm von „Ich-reite-mich-wo-richtig-rein“ sein, erzählt der Münchner Psychotherapeut Ulrich Goldmann aus dem Praxisalltag.
5 ZU Goldmann 2.44
Das sind so Situationen, die häufig genannt werden, wenn man zu spät ins Bett geht, viel Alkohol trinkt oder ausgeht und am nächsten Tag ausgesprochen müde ist, die Prüfung schreibt. Und wenn es dann schiefgeht, hat man eine fertige und stichhaltige Erklärung, warum es denn schiefgegangen ist und in der Psychologie, und da gibt es einige Experimente dazu, wird angenommen, dass das im Dienste dessen steht, dass es situativ, also auf die Situation bezogen, nicht geklappt hat, weil ich zu lange aus war.
MUSIK ENDE
SPRECHER
Der Grund des Scheiterns ist so nicht ehrenrührig und kratzt am Selbstwert. Man ist nicht etwa zu wenig intelligent, fachlich nicht geeignet – Nein! Die Partyeinladung ging einfach vor. Ehrensache. Lange ausgemacht. Freundschaftsdienst. Man ist eben ein Hecht.
SPRECHERIN
Allerdings ein ziemlicher „Kurzfrist-Hecht“.
6 ZU Schwinger 2.06
Ja, das ist der Haken da dran, man bleibt tatsächlich eigentlich eher unzufrieden.
SPRECHERIN
Bilanziert der Marburger Kinder- und Jugendpsychologe Malte Schwinger. Für den Moment nach der Klausur nimmt so eine Ausflucht – da war diese Party - womöglich den Druck aus der akuten Situation.
SPRECHER
Auf lange Sicht ist nichts gewonnen in Sachen angeknackster Selbstwert. Denn: Das ist der wunde Punkt. Die verletzliche Stelle.
7 ZU Schwinger 2.06
Die Angst resultierte ja vorher schon aus einer Erwartung, dass man das nicht kann. Und die wird natürlich durch dieses Schauspiel, was man da abgezogen hat, nicht anders. Also man ist weiterhin der Meinung, dass man es nicht kann. Und es hat ja, auch wenn man eine Ausrede hatte, keinerlei gegenteiliger Beweis stattgefunden. Das heißt wenn die nächste Prüfung ansteht, geht eigentlich alles von vorne los.
MUSIK
SPRECHERIN
Ein Kreislauf, der einen irgendwann gefangen nimmt und den man mitunter gar nicht als s