DiscoverSWR Kultur lesenswert - LiteraturWilli Winkler – Hannah Arendt. Ein Leben
Willi Winkler – Hannah Arendt. Ein Leben

Willi Winkler – Hannah Arendt. Ein Leben

Update: 2025-12-03
Share

Description

Die politische Philosophin Hannah Arendt fasziniert – eine Frau im Männerclub der großen Denker, zudem eine Überlebende des Holocaust, Emigrantin erst in Frankreich, dann den Vereinigten Staaten, wo sie zur Star-Intellektuellen avancierte.

Heimliches Liebesverhältnis mit Heidegger


Sie studierte Philosophie bei Martin Heidegger, mit dem sie ein heimliches Liebesverhältnis hatte. Die beiden kamen zeitlebens nicht los voneinander, obwohl Arendt eine verfolgte Jüdin war und Heidegger sich für den Nationalsozialismus begeisterte.
Auch nach 1945 wollte er von Schuld und Reue wenig wissen. Seine Lieblingsschülerin hielt ihm dennoch die Treue. Willi Winkler schreibt:

Nicht Heidegger hatte sich also geirrt, zum Beispiel, als er sich in die schönen Hände Hitlers vergaffte, sondern sie, die vorübergehend an ihm gezweifelt hatte. Heidegger ist ein Genie und deshalb unantastbar.

Quelle: Willi Winkler – Hannah Arendt. Ein Leben



Das Auf und Ab dieser philosophischen Liebesfreundschaft bildet die erzählerische Achse von Winklers Biographie – heikler, befremdlicher, aber immer wieder fesselnder Stoff.
Eine Kontrastfigur ist Arendts zweiter Ehemann, der Berliner Ex-Revolutionär und gelernte Antikommunist Heinrich Blücher. Er wirkt im Hintergrund, gibt ihr Bodenhaftung, ist ein ergiebiger Gesprächspartner und Zuarbeiter:

Vom Nimbus des Revolutionärs ist nur geblieben, dass er als wissenschaftliche Hilfskraft der schreibenden Frau in der Bibliothek hockt und Bücher exzerpiert, die sie für ihre Arbeit braucht.

Quelle: Willi Winkler – Hannah Arendt. Ein Leben



Hasserfüllter Streit mit Adorno


Winklers Biographie überrascht nicht mit neuen Forschungsdetails, überzeugt aber durch die reichhaltigen politischen und kulturellen Kontexte.
Winkler zeigt Arendt als unerhört kommunikationsfreudigen Menschen im Spannungsfeld der Theorien und Diskurse. Sie pflegte Freundes-Bündnisse ebenso wie intellektuelle Feindschaften, etwa gegenüber Adorno, mit dem sie sich einen hasserfüllten Streit über das Vermächtnis Walter Benjamins lieferte.
Lau war Hannah Arendt nie, nicht im Verhältnis zu Menschen, nicht als passionierte und polemische Denkerin. Ihre Texte atmen keine Seminarluft, sondern warten auf mit Ironie und Sarkasmus. Davon hat sich Winkler einiges abgeschaut.
Das gilt vor allem für die Kapitel über Arendts berühmtesten, meistskandalisierten Text: die Reportage „Eichmann in Jerusalem“. Der Organisator des Holocaust steht vor Gericht.

Sie erwartet in Jerusalem den Menschheitsfeind und trifft dann auf Eichmann, ein Eichmännchen nur, ein ‚Hanswurst‘, einer, dessen ‚Dummheit‘ sie empört.

Quelle: Willi Winkler – Hannah Arendt. Ein Leben



Arendts Formel von der „Banalität des Bösen“ wurde sprichwörtlich. Solche Bezeichnungen empfanden viele Menschen angesichts von Millionen Toten jedoch empörend unangemessen.
Zum Teil hatte sich Arendt von der Selbstinszenierung des fanatischen Antisemiten als mediokrem Beamten und „Schräubchen in der Maschinerie“ des Verwaltungsmassenmords täuschen lassen; Winkler schreibt, dass sie überhaupt nur an einem Viertel der Prozesstage im Gericht war.
Viele Juden waren zudem verärgert darüber, dass sie nicht nur den Täter zu verharmlosen schien, sondern den Opfern in Gestalt der Judenräte eine komplizenhafte Mitschuld gab. In Israel wurde Arendt zur „Persona non grata“. Umso gefragter aber war sie fortan bei den Podien und Redaktionen, sie wurde zur bekanntesten Medienintellektuellen ihrer Zeit.

Hannah Arendt und ihre vielfältigen Kontexten: eine spannende Lektüre


Glänzend legt Winkler die Facetten der kontroversen Rezeption des Jahrhundertessays dar.
Er entfaltete nicht zuletzt Wirkung als Polemik gegen den immer brüchiger werdenden Zeitgeist der Restauration und Vertuschung im Adenauer-Deutschland, mit dem Arendt es, mehr als sie wissen konnte, sogar in ihrem eigenen Verlag Piper zu tun bekam. Ihr Lektor und Chef dort war ein ehemaliger SS-Mann.
Winklers Biographie bewährt sich als ebenso kenntnisreiche wie süffisante Darstellung der intellektuellen Szenen, Netzwerke und Haifischbecken, in denen sich Arendt zunehmend souverän bewegte, in New York ebenso wie im Nachkriegsdeutschland. Hannah Arendt und ihre vielfältigen Kontexte – eine kluge, spannende Lektüre.
Comments 
00:00
00:00
x

0.5x

0.8x

1.0x

1.25x

1.5x

2.0x

3.0x

Sleep Timer

Off

End of Episode

5 Minutes

10 Minutes

15 Minutes

30 Minutes

45 Minutes

60 Minutes

120 Minutes

Willi Winkler – Hannah Arendt. Ein Leben

Willi Winkler – Hannah Arendt. Ein Leben