In den letzten Jahren war der Begriff «Toxische Männlichkeit» in aller Munde. Toxisch männliches Verhalten zeigt sich in Beziehungen unter Männern, aber auch in der Beziehung zu Frauen, in Form von Mansplaining, Gaslighting oder männlichem Entitlement, also überall dort, wo Männer sich Frauen gegenüber überordnen. Seit ein paar Jahren kursiert nun auch der Begriff "Toxische Weiblichkeit" in den Medien. Doch was ist damit gemeint? Sophia Fritz hat dies zum Anlass genommen, genauer über die Formen und Entstehung «toxischer Weiblichkeit» nachzudenken und danach zu fragen, welche destruktive Verhalten – gegenüber anderen, gegenüber sich selbst – sich Frauen angeeignet haben, um in dieser patriarchalischen Welt zu bestehen. Diese Folge ist eine Kooperation mit dem Gaskessel Bern, wo am 16. Oktober 2024 das hier zu hörende Gespräch mit Sophia Fritz aufgezeichnet wurde. Foto: Eno de Wit Schnitt: Okan Yilmaz Musik: Tokyo Tea Room – Tell Me How
Diese Folge von Blattgold kommt aus der Allgemeinen Lesegesellschaft in Basel. Hier, zwischen ledergebundenen Büchern der Kategorie 'Geschichte, Memoiren, Biographien', treffe ich nach der offiziellen Besucherzeit den Schriftsteller Martin R. Dean, um mit ihm über sein neues Buch «Tabak und Schokolade» (atlantis) zu sprechen. Der stark autobiographische Roman beginnt wenige Tage nach dem Tod der Mutter. Als es an die Aufteilung des Erbes geht, wird klar, dass der Erzähler nicht zur Erbengemeinschaft gehört. Weil er aus der gescheiterten, ersten Ehe der Mutter stammt, und von der Mutter, die sich später noch einmal verheiratet hatte, kein Testament aufgesetzt wurde, findet sich der Erzähler erneut als „Aussenseiter“, als „Kuckuckskind“ in der eigenen Familie. Während die Immobilien, das Geld und das materielle Hab und Gut an die Geschwister geht, bleibt ihm nicht mehr als ein Foto-Album und die Erinnerungen, die diese Schwarz-Weiss Fotos – Bild um Bild – in ihm freilegen. Ähnlich wie in W.G. Sebalds «Austerlitz» führen auch bei Martin R. Dean die im Roman abgedruckten Fotografien in eine aus unterschiedlichen Gründen lange vergessene und verdrängte Vergangenheit: Sie bezeugen die ersten vier Lebensjahre auf Trinidad, als die Mutter als Sekretärin auf einer Kaffeeplantage arbeitete, nachdem sie von ihrem gewalttätigen Ehemann geflüchtet war. Und sie bezeugen die Jahre danach, als die Mutter mit einem dunkelhäutigen Kind in die Schweiz zurückkehrt. Immer deutlicher wird im Laufe des Romans der Grund für das Schweigen in der Familie: «Ich war schuld, dass es meinen Vater gab.», resümiert der Erzähler an einer Stelle. Mit «Tabak und Schokolade» steht Martin R. Dean derzeit auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis. Der Preis wird am 17. November am Literaturfestival BuchBasel verliehen. Foto: Ayse Yavas Schnitt: Okan Yilmaz Musik: Natalie Cole – 'Too Young'
In dieser Folge von Blattgold ist Tabea Steiner bei mir zu Gast. Ihr neuestes Buch „Heidi kann brauchen, was sie gelernt hat“, über das wir in dieser Folge sprechen, ist eine Sammlung von 15 Essays über Beobachtungen des Alltags: über sterbende Bäume und unverhoffte Begegnung mit Hirschen, über das Aufwachsen auf einem Bauernhof, über Wanderfalken im Raum Zürich, über Sommergewitter und Weltraumschrott. Es sind diese scheinbar alltäglichen Beobachtungen, die die Autorin immer wieder über die grossen Fragen des Lebens nachdenken denken lässt: Über Leben und Tod, über Krankheit, über ein Kind, das fehlt, und über das Schreiben, das sich in den grossen Lücken – denen des Verlusts und des Mangels und im Bereich des Ungesagten und Unsichtbaren – einnistet. Schnitt: Okan Yilmaz Musik: Tracy Chapman – Fast Car Foto: Ayse Yavas
Seit 40 Folgen sprechen wir auf diesem Podcast über Bücher, die wir gemeinsam lesen, diskutieren, analysieren, loben und kritisieren. Aber wie entsteht eigentlich aus einer Idee ein Text und schliesslich ein Buch, das wir in einer Buchhandlung kaufen können? Und welche Texte werden zu einem Stück Literatur, das wir auch in 20, 50 und 100 Jahren noch lesen werden? Mit dieser Frage beschäftigt sich Frank Witzel in seiner ganz persönlichen "Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts" (2024, Matthes & Seitz). Die meisten von Euch werden Frank Witzel für seinen Roman mit dem so langen und grossartigen Titel "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Jahr 1967" kennen, für den er 2015 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. In dieser Folge von Blattgold sprechen Philipp Theisohn, Literaturprofessor an der Universität Zürich, und Frank Witzel über Kanonisierungsprozesse, Literaturkritik, über literarische Auszeichnungen, über vergessene und wiederentdeckte Autor:innen und immer wieder über Literatur, die nicht geschrieben, nicht gelesen und deshalb nicht erinnert werden kann. Für Philip Theisohn ist Frank Witzel auch deshalb ein sehr wichtiger Autor, weil er in seinen Werken immer auch eine starke poetisch-theoretische Reflexion mit sich führt. Das ist nicht nur in seinen Heidelberger Poetikvorlesungen der Fall, die eine grundlegende Analyse der Romantheorie von Roland Barthes darstellen, sondern auch in seinem Aufsatz über Kierkegaards "Predigten". Witzels Schreiben, so Philip Theisohn, ist immer auch eine Reflexion darüber, was Geschichte eigentlich ist, wie Erinnerung funktioniert und wie Traumata funktionieren. Die folgende Aufzeichnung ist eine leicht gekürzte Version von Lesung und Gespräch in der Zürcher Bar und Buchhandlung sphères; eine Veranstaltung des Zentrums für Literatur der Gegenwart. Schnitt: Okan Yilmaz Musik: Frank Ocean – Thinkin Bout You Foto: Arne Dedert
An den Solothurner Literaturtagen spreche ich mit dem österreichischen Schriftsteller Elias Hirschl. Während vor dem Fenster gemächlich die Aare vorbeizieht, sprechen wir in der Säulenhalle des Landhauses über dieses unendliche Meer an sinnlosen Inhalten im Internet, Memes, YouTube Videos, Listicles, die wir uns (wir sind nicht stolz drauf) an unseren Bildschirmen mitunter stundenlang reinziehen. Doomscrolling oder Doomsurfing nennt man das. Und der Doom, d.h. der Untergang, der dämmert auch schon am Horizont von Elias Hirschls neuem Roman "Content" (2024 bei Zsolnay). Bis dahin arbeitet die namenlose Erzählerin aber noch in der Content-Farm Smile Smile Inc. und schreibt sinnbefreite Listenartikel, die vor allem Clicks generieren sollen. Der Roman ist alles andere als bloss unterhaltsamer ‘Content’, sondern eine scharfe Gegenwartsanalyse der Generation ChatGPT, eine Tiefenbohrung in die spätkapitalistische Gesellschaft und ein Roman, indem das, was wir bisher für 'real' gehalten haben, zunehmend zersetzt wird. Diese Folge ist eine Kooperation mit den Solothurner Literaturtagen. Schnitt: Okan Yilmaz Musik: Kraftwerk - Computer Love Foto: Amrei-Marie
Nach ihrem preisgekrönten Vampirroman "Die nicht sterben" begibt sich die rumänisch-schweizerische Schriftstellerin Dana Grigorcea in ihrem fünften Roman auf die grosse Suche nach dem Wesen der Kunst. "Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen" ist eine poetische Erkundung darüber, was Kunst überhaupt zu Kunst macht, wie Kunst entsteht und welchen Wert Kunst – ganz abgesehen eines monetären Marktwerts – besitzt. In der Live-"Blattgold"-Aufnahme vor Publikum beantwortet Dana Grigorcea nicht nur meine Fragen, sondern auch solche, die sie sich selbst im Prozess des Schreibens gestellt hat: Fragen darüber, wie viel Pathos Kunst verträgt, was Kunst uns geben kann und was sie uns abverlangt, ob Kunst ein Privileg ist und wie das eigentlich geht: Mutter-Sein und Schriftstellerin-Sein und wie das in ihrem Leben aufs Engste zusammenhängt. Was Ihr hier hört, ist eine leicht gekürzte Version von Lesung und Gespräch. Schnitt: Okan Yilmaz Musik: will.i.am – Mona Lisa Smile Foto: Lea Meienberg
Ein Leben lang lassen wir Dinge, Orte und Menschen zurück; was bleibt, sind oftmals nur noch die Erinnerungen und Erzählungen und manchmal nicht einmal mehr das. Mit dem Verschwinden beschäftigt sich auch die deutsche Regisseurin und Autorin Helgard Haug in ihrem Prosadebüt „All right, Good night“. Darin überkreuzt sie zwei Geschichten des Verschwindens: Das historische Ereignis der MH 370, dem Flugzeug der Malaysia Airlines, das im Frühling 2014 mit 239 Passagieren an Bord plötzlich vom Radar verschwindet – und die ganz persönliche Geschichte ihres Vaters, dessen Demenz zeitgleich zum Verschwinden des Flugzeugs, beginnt. Über einen Zeitraum von acht Jahren zeichnet Helgard Haug das Verschwinden, die Suche und das Ringen mit der Ungewissheit nach, verknüpft die eigene Erfahrung in knappen, kurzen Sätzen mit der Trauerarbeit der Hinterbliebenen des Unglücksflugs. Mit Helgard Haug spreche ich im Rahmen der 'Tage internationaler Literatur' im Literaturhaus Zürich über die Phasen und Prozesse der Demenz für Betroffene und Angehörige, über die zunehmende Desorientierung in Raum und Zeit, über das Phänomen des ambiguous loss, einem Verlust, der oftmals unaufgearbeitet oder unbesprochen bleibt und über lange verdrängte Erinnerungsschichten, die zu einem fortgeschrittenem Zeitpunkt einer Demenz plötzlich wieder zu Tage treten. Diese Folge ist eine Kooperation mit dem Literaturhaus Zürich. Foto: Anna Korbut Musik: Lana del Rey – Summertime Sadness Schnitt: Okan Yilmaz
In dieser Folge von Blattgold ist Necati Öziri zu Gast. Mit seinem Debütroman «Vatermal» stand Necati Öziri letztes Jahr auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. «Vatermal» erzählt die Geschichte einer Familie in deren Mitte eine Lücke klafft: Eines Nachts verlässt der Vater seine Familie, geht ohne ein Wort des Abschieds zurück in die Türkei. Der Roman beginnt damit, wie Arda mit einem Organversagen im Krankenhaus seiner Heimatstadt im Ruhrgebiet liegt. Aus seinem Krankenzimmer schreibt Arda seinem Vater einen Brief. Ihm, der sich nie die Mühe gemacht hatte, seinen Sohn kennenzulernen, erzählt er von Geburtstagen im Ausländeramt und vom letzten Sommer auf dem Bahnhofsplatz, bevor alle seine Freunde verschwinden. Und er erzählt von seiner Schwester und seiner Mutter: von Aylin, die von zuhause wegrennt. Und von Ümran, die sich ihr Leben einmal ganz anders vorgestellt hat. Mit Necati Öziri spreche ich vor seiner Lesung im Zürcher Kaufleuten über diesen Roman, aus dem zu Lesen ihn auch nach etlichen Lesungen immer noch, wie er sagt, "körperlich etwas kostet". Wir sprechen über fehlende männliche Vorbilder und Freunde, die sich gegenseitig zur Ersatzfamilie werden, über Necatis Arbeit als postmigrantischer Dramatiker und die Kraft von Empathie in Theater und Literatur, über die Gewalt, die im Warten-Lassen steckt und über die Ermächtigung, seine eigene Geschichte zu erzählen. Schnitt: Okan Yilmaz Fotos: Sam Ekbatani Musik: Kool Savas - Der beste Tag meines Lebens
In dieser Folge von Blattgold ist Vera Zimmermann (UZH/Columbia University) zu Gast. Mit ihr spreche ich über Mariella Mehr; eine Autorin und literarische Stimme, die in ihrer Radikalität in der Schweizer Literaturlandschaft einzigartig ist. Nirgends wird dies wahrscheinlich so deutlich wie in den Romanen „Daskind“, „Brandzauber“ und „Angeklagt“, drei Romane, die zwischen 1995 und 2002 erschienen sind und als „Gewalt-Trilogie“ in die Schweizer Literaturgeschichte eingegangen sind. Auf schonungslose Weise drastisch und für mich als Leserin häufig schmerzhaft, erkundet Mariella Mehr darin die Formen und Auswirkungen von Gewalt, die viele Gesichter kennt und viele Schichten hat: Während „Daskind“ von der Gewalt im sozialen Rahmen – der Gewalt der Stigmatisierung und Exklusion – erzählt, sind es im „Brandzauber“ die Folgen dieser Gewalt, welche den Opfern auf den Leib geschrieben sind und sie auch im späteren Leben gefangen halten. Der letzte Roman „Angeklagt“ zeugt von der unheimlichen Dynamik, die entsteht, wenn erlebte Gewalt nicht nur weitergegeben wird, sondern – im Zustand der Angst, im Kampf um das nackte Überleben – keiner Logik mehr gehorcht, sich verselbständigt und radikalisiert. Schnitt: Okan Yilmaz Musik: The Smile - Free in the Knowledge Foto: Ayse Yavas Die Passage aus dem Roman "Angeklagt" stammt aus dem Hörbuch vom Verlag 'Der gesunde Menschenversand' Mariella Mehr: Daskind; Brandzauber; Angeklagt. Romantrilogie Zürich: Limmat Verlag 2017.
Italo Calvino ist zweifellos einer der aussergewöhnlichsten italienischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und wenn man seine Texte so liest, wahrscheinlich auch einer der charmantesten. Diesen Monat wäre Calvino 100 Jahre alt geworden. Calvinos schriftstellerische Schaffensphase erstreckt sich über vier Jahrzehnte, von den 40er Jahren der Nachkriegszeit bis zu seinem Tod in den 80er Jahren. Hinterlassen hat er ein Werk breitester Palette von literarischen Genres wie Romanen, Kurzgeschichten, Essays, und Märchen, über Drehbücher und Opernlibretti und – von seinen literarischen Texten nicht immer zu trennen – theoretische und philosophische Texte. In seinen Romanen experimentierte Calvino mit Genres, verband Literaturtheorie und Praxis und wird deswegen oft als einer der wichtigsten Vertreter des sogenannten „Neuen Romans“ oder des „Postmodernen Romans“ genannt. In dieser Sendung von „Blattgold“ begebe ich mich mit dem Romanisten Prof. Thomas Klinkert hinein in Calvinos fiktive Welten und frage danach, was uns seine Texte heute noch zu sagen haben. Musik: Andrea Laszlo De Simone – Conchiglie Schnitt: Okan Yilmaz
In dieser Folge ist Ralph Tharayil bei Blattgold zu Gast. An den Solothurner Literaturtagen sprach ich mit ihm über seinen Debütroman «Nimm die Alpen weg», eine Art lyrische Prosaliteratur, in dem Ralph Tharayil, das Aufwachsen zweier Geschwister beschreibt, deren Eltern aus Südindien in die Schweiz gekommen sind. Auf reduzierte und zugleich musikalische Art und Weise schreibt Tharayil über Migrationserfahrungen, die nie ohne Entfremdung von den eigenen Eltern auskommen, über die Muttersprache, die wie in Roland Barthes’ «Die Lust am Text» (1973), mit dem Körper der Mutter verwoben ist. Im Gespräch mit Blattgold erzählt er von Differenzerfahrungen, die sich in Körper einschreiben, aber auch von der Suche nach einer gemeinsamen Sprache, nach künstlerischem Ausdruck und nach Gemeinschaft. Schnitt: Okan Yilmaz Musik: Tatsuro Yamashita – 'Fragile' Diese Audioaufnahme wurde freundlicherweise zur Verfügung gestellt von den Solothurner Literaturtagen.
«Durch einen Unfall im Gravitationssystem stürzt die Erde schnell in die Sonne zurück, strebt ihr entgegen, um darin zu zerschmelzen: So lautet die Botschaft. Alles Leben wird enden. Es wird immer heisser werden. Die Hitze wird unerträglich sein für alles Lebende. Es wird immer heissen werden, und schnell wird alles sterben. Und trotzdem, noch sieht man nichts.» Mit diesen lakonischen Worten umreisst der Welschschweizer Autor Charles Ferdinand Ramuz die Ausgangslage seines Romans «Présence de la mort». Geschrieben hat Ramuz den apokalpytpischen Roman 1921 – inspiriert durch den Hitzesommer 1921, an dem in Genf erstmals 38,3 Grad gemessen wurden. Rund 100 Jahre später, im Sommer 2022, erreichen die Temperaturen in Genf ein neues Rekordhoch: 38,5 Grad. Die Auswirkungen des Klimawandels lassen sich nicht länger übersehen. In jenem Sommer, an einem heissen Augustnachmittag liest der Übersetzer Steven Wyss Ramuz' prophetischen Text und beschliesst noch während der Lektüre, den Text ins Deutsche zu übersetzen. «Sturz in die Sonne» heisst der Roman, der jetzt gerade beim Limmat Verlag erschienen ist, übersetzt und kommentiert von Steven Wyss. Für diese Folge von «Blattgold» treffe ich Steven Wyss an den Solothurner Literaturtagen, um herauszufinden, wie aktuell der Roman heute noch ist und was er zur Klimadebatte dazu tragen kann. Musik: Indila – Dernière danse Schnitt: Okan Yilmaz Foto: Limmat Verlag
Tove Ditlevsen dürfte vielen durch ihre autobiographische Kopenhagen-Trilogie bekannt sein. 2021 sind die drei Bände "Kindheit", "Jugend" und "Abhängigkeit" im Aufbau Verlag erschienen, in der neuen Übersetzung und mit jeweils einem Nachwort von Ursel Alleinstein. Auf nüchterne und zugleich mitreissende Weise erzählt Ditlevsen von ihrem Aufwachsen im Kopenhagen der 1920er Jahren in ärmlichen Verhältnissen und von ihrer schwierigen Beziehung zu ihrer Mutter. Der zweite Teil folgt ihrem Leben als junge Erwachsene und ihren ersten Versuchen als Schriftstellerin. Der dritte Teil ist geprägt von den Krisen, von ihrer unglücklichen Ehe, von den Schwangerschaftsabbrüchen und von ihrer Abhängigkeit. In dieser Sendung befassen mein Gast, die Skandinavistin Eliane Jaberg, und ich uns mit einem Roman, der letztes Jahr auf Deutsch übersetzt wurde, der sich von der Trilogie literarisch stark unterscheidet und allenfalls noch als autofiktional bezeichnet werden könnte. "Gesichter" handelt von Lise Mundus, eine Mutter und Kinderbuchautorin, die zunehmend an Wahnvorstellungen leidet. Mit Lise blicken wir in Gesichter, die zerfliessen und zerrinnen, hören Stimmen, die wir nicht klar lokalisieren können. Hautnah erfahren wir so, was es heisst, wenn Vorstellung und Realität nicht mehr klar getrennt werden können. Eliane Jaberg studiert Skandinavistik und schreibt momentan ihre Masterarbeit über Tove Ditlevsen. Was sie an der dänischen Autorin interessiert, erläutert sie im Gespräch, indem wir über Psychosen und über Autobiographie als Selbstanalyse sprechen, über weibliche Autorschaft und über fehlende Anerkennung im männlichen Literaturbetrieb und über die Angst, das Gesicht zu verlieren. Schnitt: Okan Yilmaz Musik: King Gizzard & The Lizard Wizard – Butterfly 3000 Foto: Cover der englischsprachigen Ausgabe von "Gesichter", Picador
Jemand hört einen Ruf – oder ist es das Rauschen des Waldes? – und setzt sich in Bewegung. Nimmt einen Nachtflug gen Norden, Finnland, das Land aus "Wald und Wasser". So beginnt "Sie flogen nachts", der kunstvolle Debütroman von Mirja Lanz, in dem sich eine Frau, Aava, auf die Spuren ihrer Ahnen, als auch auf die Spuren ihrer Ahnung begibt. Diese Folge von Blattgold ist eine gekürzte Version der Aufnahme von Lesung und Gespräch an der Buchvernissage im sphères. Schnitt: Okan Yilmaz Musik: Jaakko Eino Kalevi – Deeper Shadows Verlag: Dörlemann
Die Angestellten, von denen Olga Ravns Roman handelt, leben auf einem Raumschiff. Sie bestehen aus solchen, die geboren worden sind, und solchen die geschaffen worden sind. Ihr Auftrag ist es, eine Reihe seltsamer Gegenstände eines fremden Planeten zu beaufsichtigen, von denen sich die Angestellten wie magisch hingezogen fühlen. Für meinen Gast, Cédric Weidmann, ist Olga Ravns Roman ein raffiniertes Rätselbuch und gleichzeitig ernsthafte Science Fiction, weil sie uns als Leser:innen ernst nimmt: "Ernsthafte Science Fiction ist eine, die ihre Welt nicht auserklärt, weil die Sprache, die in dieser Welt herrscht nicht für uns gemacht ist; sie ist nicht dafür da, uns zu erklären, wie das 22. Jahrhundert funktioniert." Schnitt: Okan Yilmaz Musik: Stromae – Merci Verlag: März Verlag
Ein feministischer Thriller, eine Roadnovel über Männlichkeit, Verlust und Heimat, ein Gespräch über Literatur und Ästhetik mit der letztjährigen Preisträgerin des Deutschen Buchpreises Anne Weber und ein Stimmungsbild vom Indie Büchermarkt: hier kommt unser Einblick in die 12. Ausgabe von „Zürich liest“. Zur Übersicht: Minute 1:55: Carla Henkel - Ruhm für eine Nacht (von Luana Sarbacher) Minute 9:00: JJ Bola - weiter atmen (von Anna Larcher) Minute 16:25: Anna Weber im Gespräch mit Philipp Theisohn (von Shantala Hummler) Minute 21:40: Forum Buchmarkt der Schweizer Verlage (von Larissa Waibel) Moderation: Shantala Hummler Schnitt: Okan Yilmaz Musik: Daikaiju – Jellyfish Sunrise
Kaum eine Stadt war so oft im Fernsehen und im Kino zu sehen wie New York. New York ist die ultimative Kulisse, der ultimative Schauplatz, sodass tatsächlich hier zu sein, sich manchmal eigenartig surreal anfühlt. Auf eben diese Besonderheit New Yorks spielt auch die Graphic Novel "IN NY" an, die im September beim Verlag Edition Moderne erschienen ist. Einerseits ist es eine Hommage an diese Stadt "in der alles möglich ist", andererseits erzählt sie die Geschichte vom Verlust eines geliebten Menschen, der das Gefühl für die Welt und einen selbst seltsam brüchig hinterlässt. Andreas Gefe und Julian Voloj haben für diese Geschichte eine ganz eigene Bildsprache kreiert. Ich hatte das Vergnügen, Julian Voloj, in New York zu treffen. Schnitt: Okan Yilmaz Musik: Kendrick Lamar – Sing About Me, I'm Dying of Thirst Verlag: Edition Moderne
„Blutbuch“ lautet der Titel von Kim de l’Horizons Roman, der kürzlich mit dem Jürgen Ponto Preis ausgezeichnet wurde. Darin erkundet und erschreibt Kim de l’Horizon die eigene fluide Identität, über die Suche nach der eigenen Herkunft, der weiblichen Blutslinie der Familie folgend. Mit Kim de l'Horizon spreche ich über die Macht und die Magie der Sprache, darüber, was wir von Pflanzen lernen können und weshalb das Schreiben für Kim und für Menschen jenseits der Geschlechterbinarität nichts weniger als existenziell ist. Foto: Anne Morgenstern Musik: Basit – Fluid Schnitt: Okan Yilmaz
Nach zwei Jahren fanden die Solothurner Literaturtage endlich wieder leibhaftig statt. Aus allen Winkeln der Schweiz strömte Ende Mai das literaturaffine Publikum ins idyllische Städtchen an der Aare und besuchte die eine oder andere der insgesamt 140 Literaturveranstaltungen. Meine Kolleg:innen Kora Schild, Ronja Holler, Severin Lanfranconi und ich waren vor Ort und haben für euch genau hingehört. Die einzelnen Beiträge im Überblick: 1:48 Lesung mit Eva Maria Leuenberger(Kora Schild) 9:18 Interview mit Johanna Schaible (Ronja Holler) 18:57 Lesung mit Ariane Koch (Salomé Meier) 26:22 "Im Bett mit Michael Fehr" (Severin Lanfranconi) Schnitt: Okan Yilmaz Musik: Coop - Go Go Foto: © Susanne Goldschmid
Vielleicht haben Sie Julia Weber schon gesehen, an Literaturtagen, Tanzfestivals oder gar einem privaten Festanlass: Im Licht einer Schreibtischlampe sitzt sie auf einem Stuhl, die Beine übereinandergeschlagen, tief gebeugt über einem kleinen Tisch und tippt konzentriert auf einer Schreibmaschine, beobachtet und – dichtet. Unter dem Namen «Literaturdienst» schreibt Julia Weber an privaten und öffentlichen Anlässen und übersetzt ihre Beobachtungen von Menschen, Begegnungen und Stimmungen in Worte. Intimität ist denn auch das Schlüsselwort für ihren zweiten Roman, «Die Vermengung», in den sie grosszügig autobiographischen Stoff eingearbeitet hat. Doch die Autorin ist, im Buch wie auch als Schreibende vor Ort, nur scheinbar verfügbar. In beiden Fällen durchbricht sie spielerisch die sakrale Aura des einsamen Schriftstellers, der allein im Schreibkämmerlein über seinen Texten brütet. In «Die Vermengung» macht Julia Weber genau dies zum Gegenstand literarischer Reflexion und denkt über ihr Schreiben und ihre Rolle als Frau und Mutter nach. Shantala Hummler traf Julia Weber auf ein Gespräch. Schnitt: Okan Yilmaz Foto: Ayse Yavas