Die Krähe – Galgenvogel, Nesträuber, Intelligenzbestie
Description
Krähen sind vielen Menschen unheimlich. Sie ernähren sich (auch) von Aas, und sie heben Nester aus - Sympathieträger sehen anders aus. Andererseits gehören Rabenvögel zu den klügsten Tieren, die wir kennen. Sie können strategisch denken, kooperieren und haben ein Gedächtnis, wie wir es sonst eher Elefanten zuschreiben. Von Christian Schuler
Credits
Autor dieser Folge: Christian Schuler
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Friedrich Schloffer
Technik: Moritz Herrmann
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Cord Riechelmann, Biologe und Autor
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Literatur:
Cord Riechelmann. Krähen. Ein Porträt. Reihe: Naturkunden, hg. von Judith Schalansky, Berlin (Matthes & Seitz) 2021 (8. Auflage).
Josef H. Reichholf: Rabenschwarze Intelligenz. Was wir von Krähen lernen können. München (Langen Müller) 2022.
Wolfgang Epple: Rabenvögel, Karlsruhe (G. Braun Verlag) 1997.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Erzähler
Der Schulhof einer kalifornischen Kleinstadt. Schwärme von Krähen – und mit ihnen Möwen und Spatzen - sammeln sich auf den Klettergerüsten. Als die Schule aus ist, gehen sie zum Angriff über und fallen über die Kinder und ihre Lehrerinnen her.
MUSIK: „We were right“ (0:40 )
Erzähler
Eine in Erinnerung bleibende Szene aus dem Hitchcock-Film „Die Vögel“ aus dem Jahr 1963. Alfred Hitchcock erklärte in einem Interview, er sei zu dem Film inspiriert worden durch Zeitungsartikel über Raben, die Lämmer angegriffen haben sollen, und durch Berichte, wonach sie Tierkadavern und Menschenleichen die Augen aushacken. Hitchcocks Film, so raffiniert und kunstvoll er ist, fügt sich nahtlos ein in die westliche Kulturgeschichte, in der Rabenvögel seit Jahrhunderten dämonisiert und mit Tod und Verderben assoziiert werden.
Zitator Reichholf (S.241)
Zäh hält sich das Überkommene, sehr zäh ...
Erzähler
Schreibt der Biologe Josef H. Reichholf,
Zitator
... die Rabenvögel tragen das Stigma der Todesvögel. Alfred Hitchcock konnte darauf ohne Begründung zurückgreifen. Die Angst stieg ganz von selbst auf ... Verfemt sind sie alle, die schwarz gefiederten Flieger ... Und wenn die Krähenschwärme in der Düsternis des späten Herbstes ... quorrend die Baumgruppe am Stadtrand umkreisen, auf der sie nächtigen wollen, bedarf es keines weiteren Anstoßes, das unbestimmte Grauen zu empfinden.
ab ungefähr 0:40 : Franz Schubert: Die Krähe (Klavierbegleitung evt. schon vorher unter den Text legen, dann eine Strophe singen lassen und ausblenden)
MUSIK: „Die Krähe“ (1:15 )
Erzähler
Franz Schuberts Lied „Die Krähe“ aus dem Jahr 1827. Das Tier folgt dem liebeskranken, zu Tode betrübten Mann durch die winterliche Landschaft. „Krähe, wunderliches Tier, / Willst mich nicht verlassen? / Meinst wohl bald als Beute hier / Meinen Leib zu fassen?“ Der Vogel wird hier auf doppelte Weise mit dem Tod verknüpft: symbolisch als Schatten des Todes und ganz konkret als Aasfresser, der nur darauf wartet, sich endlich über den menschlichen Leichnam hermachen zu können.
Erzähler
Lieder, Filme, Gedichte spiegeln Mentalitäten wider. Die Krähe ist schwarz, sie frisst Aas und stößt krächzende Töne aus: ein Todesvogel par excellance. Ein Gedicht von Eugen Roth fast so ziemlich alle Vorurteile zusammen, die Menschen noch bis in unsere Zeit gegenüber Rabenvögeln äußern:
MUSIK: „Holcane attack“ (0:41 )
Zitator
„Die Edelraben oder Kolk- / warn einst bekannt im deutschen Volk, / als man noch unter jedem Galgen / sie um die Leichen sah sich balgen. / Sie werden zahm zwar, lernen sprechen, / groß bleibt ihr Hang doch zum Verbrechen. / Der Rabe, schwarz an Leib und Seele, / sinnt ständig, wo, wie, was er stehle. / Er plündert jedes Vogelnest, / holt, was nicht niet- und nagelfest. / Der Rabe ‚Grab, Grab, Grab!‘ nur schreit; / er ist auch immer schwarz gekleidt.“
0:45 (promrtheus)
Erzähler
Dass Rabenvögel heute immer noch als Schädlinge verfolgt und – trotz EU-Schutzstatus - als sogenanntes „Raubzeug“ bejagt werden, hat oft konkrete handfeste Gründe. Sie machen Lärm und Dreck, sie schädigen zum Teil die Landwirtschaft, sie picken Silikon aus Fensterfugen, sie attackieren junge Feldhasen, rauben die Eier von kleineren Singvögeln, und – tatsächlich! – gelegentlich, wenn sie ihre eigene Brut gefährdet sehen, greifen sie sogar Menschen an. Aber reicht das, sie ganz zum Abschuss freizugeben, wie Jagdverbände es fordern? Wirken da die alten Mythen und Vorurteile nach? Und messen wir, wenn es um die Beurteilung von Tieren geht, vielleicht mit zweierlei Maß, wie der Biologe Josef H. Reichholf meint?
Zitator (Reichholf 247)
Nachbars Katze kann auch beißen und kratzen, wenn sie in bester Absicht auf den Arm genommen wird, sie dies aber nicht will. Das weiß und akzeptiert man. Als ‚gefährlich‘ werden Katzen deswegen nicht eingestuft.“
MUSIK everst: 0:41
Erzähler
Mensch und Krähe: ein zwiespältiges Verhältnis. In der Mongolei gelten Krähen als Beschützer der Liebenden, sie kommen in indigenen Schöpfungsmythen vor, und bei den Germanen galten zwei von ihnen, Hugin und Munin, als Boten des obersten Gottes Odin. Im christlichen Europa dagegen hat man sie zu Pest- und Galgenvögeln erklärt. Und im Mittelalter konnte eine Frau, die Krähen zu nahe kam oder gar mit ihnen Umgang pflegte, der Hexerei verdächtigt werden. In unserer Zeit wandelt sich das Image der Krähen allmählich, auch durch die Forschung.
01 Zsp Die Krähe Siering ab ca 13:30
Krähen sind teilweise sehr nah an uns, an unserer Kultur auch dran. Teilweise sind sie sehr scheu, wenn sie nämlich verfolgt werden und das merken. Die Krähen, sind sie so intelligent, dass sie sogar Menschengesichter unterscheiden können,
Erzähler
sagt Manfred Siering, Vorsitzender der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern.
02 Zsp Die Krähe Siering 14:30
Die Gruppe der Rabenvögel unter den weltweit elfeinhalbtausend Vogelarten, die es gibt auf dem Erdball, da sind die 142 Rabenvogelarten sicher, gehören zu den intelligentesten ... lernfähig, merkfähig und sozial, auch lebenslang verheiratet mit dem Partner, also das gehört alles mit zu hohen Intelligenzleistungen.
MUSIK: „Fun is over“ (0:24 )
Erzähler
Franz Schuberts Lied handelt von einer Krähe, Eugen Roths Gedicht von Raben. Die Bezeichnungen sind auch regional verschieden und etwas verwirrend. Was ist denn nun der richtige Name, Raben oder Krähen?
03 Zsp Die Krähe Cord Riechelmann, 0:20
Sie sind im Grunde sind Synonyme ... Und wenn in einer Region alle Krähen Raben sind, ist das genauso richtig, wie wenn in einer anderen Region alle Raben Krähen sind ...
Erzähler
So der Berliner Biologe und Autor Cord Riechelmann. Der Oberbegriff lautet „Rabenvögel“. Zu ihnen zählt man die bei uns am weitesten verbreitete Rabenkrähe ebenso wie die grauschnäbeligen Saatkrähen, die vor allem im Herbst in großen Schwärmen aus Osteuropa kommen, um in Mitteleuropa zu überwintern. Zu den Rabenvögeln gehören aber auch Elstern und Eichelhäher, Tannenhäher und die deutlich kleinere Alpendohle, deren Flugkünste man auf Berggipfeln bestaunen kann. Der größte Rabenvogel ist der Kolkrabe, der in Mitteleuropa Mitte des 20. Jahrhunderts schon so gut wie ausgerottet war. Mittlerweile haben sich die Bestände wieder etwas erholt. Der Kolkrabe kann eine Flügelspannweite von fast 1,50 Metern erreichen, er ist damit so groß wie ein Mäusebussard – und der größte Singvogel der Welt. Tatsächlich werden alle Rabenvögel zu den Singvögeln gerechnet, einfach deshalb weil sie einen Syrinx zur Lauterzeugung besitzen, also einen Stimmkopf mit Membranen, die in Schwingung versetzt werden können.
04 Zsp Die Krähe Riechelmann, 21:30
Das ist keine willkürliche Einteilung. Das ist eine, die etwas mit der Anatomie der Vögel, mit der Evolution der Vögel zu tun hat, Krähen sind hochentwickelte Singvögel.
05 Zsp Die Krähe Riechelmann, 6:30
Und sie können auch meistens, aber nur in so ein paar Situationen ganz eng nebeneinander, können Sie auch sehr leise, sehr melodische Töne von sich geben.
Erzähler
Dass Rabenvögel zu den Singvögeln gehören, ist auch der Grund dafür, dass sie seit 1994 – sehr zum Entsetze