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Drohnen im Kopf und ein Cyberangriff auf die Moskauer U-Bahn

Drohnen im Kopf und ein Cyberangriff auf die Moskauer U-Bahn

Update: 2025-10-06
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Drohnen, Drohnen, überall Drohnen: In Deutschland und ganz Europa sollen sie plötzlich am Nachthimmel auftauchen, und die Politik hat den Schuldigen in Rekordzeit ausfindig gemacht: Russland. Warum Russland mit hell blinkenden Drohnen angeblich spioniert oder gar „angreift“, sodass die Fluggeräte auch ja jeder sehen kann? Der Propaganda braucht man nicht mit Logik zu kommen. Bei „Markus Lanz“ ordnete auch der CSU-Politiker Manfred Weber die Drohnen Russland zu – und zog einen Cyberangriff auf die Moskauer U-Bahn in Betracht. Und dann ist da noch die Lanz-Redaktion. Eine Kurzanalyse von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Folgende Szene hat sich dieser Tage bei „Markus Lanz“ abgespielt.

Der CSU-Politiker Manfred Weber ist zu Gast. Er sagt:

Was wir eigentlich bräuchten, ist, dass wir in der hybriden Kriegsführung, die ja heute Realität ist – wir haben die Cyberangriffe, wir haben die Mini-Drohnenangriffe auf Oslo, auf die Flughäfen, jetzt Dänemark, beispielsweise – wie wäre es denn, wenn so ein Angriff kommt, (…) und wir wären in der Lage, mit Cyberangriffen mal für einen Tag die Moskauer U-Bahn stillzustellen (…)?“

Halten wir fest: Der Europapolitiker hält die hybride Kriegsführung für Realität. Er ordnet die Drohnensichtungen als Teil der hybriden Kriegsführung ein. Er sieht Russland als Urheber.

Moderator Markus Lanz müsste an nahezu jeder Stelle der zitierten Ausführungen nachhaken. Wie sieht es mit handfesten, gerichtlich verwertbaren Beweisen aus? Was ist an diesen schweren – und letztlich für die deutsche Politikausrichtung gegenüber Russland auch zentralen – Vorwürfen dran? Weber spricht von „Realität“, doch wo sind die belastbaren Beweise?

Dann passiert etwas Weitreichendes. Genau in dem Moment, wo Weber von „Mini-Drohnen“ spricht, blendet die Lanz-Redaktion im Hintergrund eine Karte ein.

Auf der Karte steht oben in großen Buchstaben: „Vorfall im estnischen Luftraum“. Die Karte zeigt die Meerenge zwischen Finnland, Estland und Russland. Im unteren Teil der Karte steht – in kleineren Buchstaben – „Kurs von drei russischen Kampfpflugzeugen am 19.09.“.

Als Zuschauer muss man schon aufmerksam sein, um an dieser Stelle sowohl die Karte zu lesen als auch für sich einzuordnen, dass die Karte nichts mit den Drohnensichtungen zu tun hat. Die Karte dokumentiert keine Drohnenflüge und ist auch kein Beweis dafür, dass die Drohnen etwas mit Russland zu tun haben.

Das Problem: Die Einblendung der Karte an dieser Stelle wertet die Ausführungen Webers unterschwellig als „wahr“ auf. Mit anderen Worten: Weber sagt, die Sichtungen der Mini-Drohnen seien quasi der Beweis für die hybride Kriegsführung Russlands. Eine Karte, die genau in diesem Moment eingeblendet wird, entfaltet eine Art Realität setzende Wirkung beim Zuschauer. Der Gedanke ist: Wenn ein Politiker an dieser exponierten Stelle des öffentlichen Diskussionsraums etwas sagt und dazu dann eine als seriös betrachtete Redaktion eine Karte einblendet, dann werden die Aussagen des Politikers schon stimmen.

An dieser Stelle ist es wichtig, heranzu„zoomen“ und auf das Kleinteilige zu achten.

Die Sendung „Lanz“ wird spät ausgestrahlt. Viele der Zuschauer, die um diese Zeit fernschauen, dürften bereits müde sein bzw. nicht mehr die volle Konzentration und Beobachtung aufbringen. Dabei geht es thematisch an dieser Stelle in der Sendung um ein politisch hochbrisantes und letztlich propagandistisch kontaminiertes Thema.

Angebracht wäre es von Lanz, einzuhaken, nachzuhaken, den Glauben Webers kritisch zu hinterfragen und zu dekonstruieren – natürlich am besten im Verbund mit der Redaktion, die entsprechend kritischen „Input“ liefern könnte. Stattdessen erfolgt aber eine realitätsaufbauende Karte, die augenscheinlich etwas darstellen oder gar beweisen soll, aber gerade eben kein Beweis für die Ausführungen ist.

Nun mag man einwenden, dass die Karte zwar bei den Ausführungen zu den Drohnen eingeblendet wurde, aber es in den Ausführungen von Weber ja generell um hybride Kriegsführung gehe und deshalb die Einblendung der Karte bezüglich des angeblichen Vorfalls im estnischen Luftraum durchaus nicht unpassend sei.

Dieser Einwand ist berechtigt – einerseits. Andererseits: Über diesen Vorfall müsste eine eigenständige Auseinandersetzung erfolgen. Was hat sich dort tatsächlich zugetragen? Und vor allem: aus welchen Gründen? Wenn es so sein sollte, dass russische Flugzeuge den estnischen Luftraum verletzt haben sollten: Warum? Was sagt die russische Seite zu dem Vorfall? Richtig, sie bestreitet ihn.

Hier dürfte folglich aus journalistischer Sicht nicht einfach nur diese Karte eingeblendet werden. An dieser Stelle müsste Lanz samt seiner Redaktion in die inhaltliche Detaildarstellung gehen.

Stattdessen erfolgt eine Vermischung von „Ereignissen“ (realen oder nicht), die unter dem großen Begriff „hybride Kriegsführung“ (der von Journalisten ebenfalls kritisch zu betrachten wäre) zusammengefasst werden.

Die realitätserzeugende Macht einer solchen, vielleicht auf den ersten Blick unscheinbaren Stelle in einer so reichweitenstarken Sendung wie „Lanz“ darf nicht unterschätzt werden. Hinzu kommt: Szenen dieser Art im Verbund mit einer entsprechenden „Berichterstattung“ sind fester Bestandteil des täglichen Medienoutputs. So verstanden, ist es kein Wunder, dass immer noch viele Bürger die brüchige Medienwirklichkeit zur angeblichen „russischen Bedrohung“ hinnehmen.

Dass Weber dann auch noch von einem Cyberangriff auf die Moskauer U-Bahn spricht, ohne dass von der Lanz-Runde kritisch interveniert wird, zeigt, wie die Politik mittlerweile unter journalistischen Augen schalten und walten kann. Es gilt, sich vollkommen klarzumachen: Drohnensichtungen oder – erweitert – eine angebliche russische hybride Kriegsführung gegen Deutschland soll zum Anlass genommen werden, ganz offen und offiziell eine zivile Einrichtung der russischen Gesellschaft anzugreifen – von den Auswirkungen auf die Menschen vor Ort ganz abgesehen.

Die Logik bleibt an diesem „Lanz-Abend“ auf der Strecke. Aus welchem Grund sollten russische Spionage- bzw. Aufklärungsdrohnen mit hell blinkenden Lichtern umherfliegen, sodass sie für die Öffentlichkeit gut sichtbar sind? Ein Vorgehen dieser Art dient letztlich dazu, weiter Stimmung gegen Russland zu machen und die Politik der Aufrüstung zu forcieren. Im Interesse Russlands dürfte das wohl kaum sein. Und: Ein sich gegenseitiges Bespähen, Beäugen, teilweise auch Provozieren zwischen Russland und NATO oder NATO und Russland hat es schon immer gegeben. Das war im Kalten Krieg, und das ist auch heute so. Hier sind realistische, ruhige Einordnungen angebracht – und nicht der Ruf nach Abschüssen von Flugzeugen oder der Ausrufung des Spannungsfalls.

Titelbild: Screenshot ZDF

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Redaktion NachDenkSeiten