GAMECHANGER - Deng Xiaoping und Chinas Weg zur Weltmacht
Description
Vor nicht mal 100 Jahren war China ein armes Land, heute eine Weltmacht. Das war nur möglich durch Deng Xiaoping. Wie hat er das geschafft? Und wer war er? Wer China heute verstehen will, muss Deng Xiaoping kennen. Von Rebecca Ricker (BR 2025)
Credits
Autor dieser Folge: Rebecca Ricker
Gesprochen haben: Katja Amberger und Thomas Birnstiel
In der Technik war: Daniela Röder
Regie: Irene Schuck
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview: Susanne Weigelin-Schwiedrzik (Sinologin), Felix Lee (Journalist, Autor)
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Besondere Empfehlung der Redaktion
ARD (2025): Timothy Truckle ermittelt
In der Science-Fiction-Krimireihe ermittelt der Detektiv Timothy Truckle im düsteren Chicago der Zukunft. Zwischen Film Noir-Ästhetik und Tech-Dystopie trifft Witz auf Visionen, die heute näher scheinen als in den 80ern, in denen Gert Prokops Erzählungen in der DDR erschienen sind - aber wahrlich: Wer stiehlt schon Unterschenkel aus einem Krankenhaus? Und noch dazu dreimal. Transplantate gibt es schließlich im Überfluss. Ein unlösbares Rätsel? Nicht für den Chicagoer Stardetektiv Timothy Truckle. ZU DEN FOLGEN
Passende Linktipps:
ARTE (2022): Duelle - Jiang Qing vs Deng Xiaoping
Jiang Qing, Witwe Mao Zedongs, wird als manipulativ und machthungrig beschrieben. Die kommunistischen Führer, allen voran Deng Xiaoping, nutzen dies gerne, um von der Verantwortung ihres Mannes für die vielen Toten der chinesischen Revolution abzulenken. Noch heute thront das Porträt des "Großen Steuermanns" auf dem Tian'anmen-Platz. ZUR DOKU
Bayern 2 (2022): ALTES UND NEUES CHINA - Kapitalistischer Kommunismus
Vor wenigen Jahrzehnten noch war China ein Armenhaus. Dann kam Deng Xiaoping und leitete einen beispiellosen Boom ein. Jetzt ist die Nation eine Weltmacht mit permanentem Wirtschaftswachstum. China vereint etwas, das lange als unvereinbar galt: Kommunismus und Kapitalismus. ZUR FOLGE
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHER: An Chinas Schicksalstag hat Susanne Weigelin-Schwiedrzik einen Arbeitseinsatz auf einem Feld. Sie ist Studentin an der Peking-Universität. Damals, in den 70er-Jahren, ist China noch ein streng kommunistisches Land.
O-Ton WEIGELIN-SCHWIEDRZIK: Wir wurden als ausländische Studierende in einen Bus gepackt und fuhren, ich würde gut eine Stunde, anderthalb Stunden in eine Volkskommune außerhalb von Peking. Wir standen dort etwa 50 bis 60 Personen am Rande eines Feldes, dessen Ende wir nicht mit bloßem Auge erkennen konnten, hatten eine kleine Handsichel in der Hand und hatten die Aufgabe, dieses Feld abzuernten und es wurde uns mitgeteilt, dass wir den Heimweg erst antreten könnten, wenn wir das gesamte Feld abgeerntet haben.
SPRECHER: Sie arbeiten den ganzen Tag, von 8 Uhr morgens bis abends um 6. Auf dem Rückweg ist sie so müde, dass sie einschläft.
O-Ton WEIGELIN-SCHWIEDRZIK: Und aufgewacht bin ich, als ich auf dem Campus der Peking-Universität ankam und plötzlich einen Chopin-Walzer hörte. Ich machte die Augen auf und ich sah Studierende der Peking-Universität, der damals als Zentrum der Revolution bezeichneten Universität, Walzer tanzen nach Chopin. Bis zum 20. Oktober 1976 wäre jemand sofort bestraft worden, er hätte eine Schallplatte aufgelegt mit einem Chopin-Walzer. Und plötzlich wird das also über diese Anlage, die uns da jeden Morgen berieselte, mit den neuesten Nachrichten aus der Renmin Ribao wurde ein Chopin Walzer gespielt.
SPRECHER: Was ist passiert? Ein paar Wochen zuvor ist Mao Zedong gestorben, der große Führer. Seine Ehefrau und drei weitere bilden die sogenannte Viererbande. Sie wollen China weiterführen mit einer streng sozialistischen Ideologie.
SPRECHERIN: Doch an diesem Tag wird bekannt: Die Viererbande wurde verhaftet. Der Weg ist frei für Deng Xiaoping. Mit ihm wird sich China völlig verändern: Deng Xiaoping führt China aus der Armut und schafft die Bedingungen, damit China eine Weltmacht wird. Das heutige China wäre ohne Deng Xiaoping undenkbar.
SPRECHERIN: Um seinen Aufstieg besser zu verstehen, müssen wir zurückspringen in die Zeit von Mao.
SPRECHER: Im Jahr 1949 ruft Mao Zedong die Volksrepublik China aus.
SPRECHERIN: In den 50er-Jahren hat Mao eine Vision: Chinas Stahlproduktion soll sich verdoppeln, und zwar innerhalb eines Jahres – der sogenannte Große Sprung nach vorn.
SPRECHER: Der Plan wird zu einer Katastrophe: Menschen schmelzen alles Metallische ein, was sie finden, Kochtöpfe wie Werkzeuge, um die Ziele zu erreichen. Doch nun fehlt es an Werkzeugen und die Felder verkümmern. Weil Privateigentum verboten ist, dürfen die Menschen nicht einmal Wildkräuter sammeln, um sie zu essen. Es folgt eine katastrophale Hungersnot, die bis Anfang der 60er-Jahre dauert. Millionen Menschen sterben.
SPRECHERIN: Deng Xiaoping ist seit Beginn der Volksrepublik ein wichtiger Mitstreiter Maos. Während Mao der Visionär ist, kümmert sich Deng um die praktische Verwaltung des Landes.
SPRECHER: Anders als Mao sieht Deng das Ausmaß der Armut und des Hungers. Er erkennt, dass Mao gescheitert ist. Deng entwickelt eine eigene Vision: Pragmatismus statt Ideologie: Statt den reinen Sozialismus zu erzwingen, will Deng den Bauern erlauben, Waren zu verkaufen und Profite zu machen.
SPRECHERIN: Doch Mao ist gegen Dengs Vorgehen. Er schickt ihn in die Verbannung.
SPRECHER: Deng muss auf dem Land in einer Traktorenfabrik arbeiten. Sein Sohn wird bei einem Verhör aus dem Fenster gestoßen und ist seither querschnittsgelähmt. Deng aber gibt nicht auf, sondern wartet auf eine Möglichkeit, zur Macht zurückzukehren. Das klappt zwischenzeitlich sogar, aber bald darauf fällt er aufs Neue in Ungnade.
SPRECHERIN: Auch wenn die größte Hungersnot in den 60er-Jahren vorbei ist, bleibt das Land arm. So ist es noch in den 70er-Jahren, als die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik nach China zieht, um an der Peking-Universität zu studieren. Das Essen in der Mensa ist karg:
O-Ton WEIGELIN-SCHWIEDRZIK: Das können Sie sich ungefähr so vorstellen, dass das Essen also zu einem Großteil aus Reis bestand. Und dann wurde von Montag bis Samstag auf diesen Reis irgendein Gemüse gegeben mit so irgendeiner Soße. Das vermischte man irgendwie und musste dann so schnell wie möglich mit dem Löffel diese Portion aufessen, weil zu wenig Platz in der Mensa war für einen längeren Aufenthalt. Also man durfte zum Beispiel keine Stäbchen benutzen, weil man dann zu lange gebraucht hätte, um dieses Essen aufzuessen.
SPRECHER: Viele Waren fehlen. Um ein Fahrrad zu bekommen, einen Wintermantel oder sogar Unterwäsche, braucht man eine Genehmigung der Universität:
O-Ton WEIGELIN-SCHWIEDRZIK: Wenn man eine Unterhose brauchte, musste man schon ins Büro für ausländische Studierende gehen und sich so ein Coupon abholen, weil alle Produkte aus Baumwolle waren damals rationiert.
SPRECHER: Dann kommt der 9. September 1976. Die Lautsprecher auf dem Campus der Peking-Universität verkünden die Nachricht: Mao Zedong ist gestorben.
O-Ton WEIGELIN-SCHWIEDRZIK: Es war fast kein, über lange Zeit, außer diesem wahnsinnigen Trauermusik aus den Lautsprechern und dann immer wieder dieser selbe Text, der da gelesen wurde, war überhaupt kein Geräusch zu vernehmen.
SPRECHERIN: Der “überragende Führer”, wie Mao genannt wurde, hat das Land 30 Jahre lang regiert.
SPRECHER: Susanne Weigelin-Schwiedrzik und die anderen ausländischen Studenten basteln einen Kranz aus Papierblumen und tragen sich in das Kondolenzbuch der Uni ein. Ihr Betreuer von der Uni bittet sie zum Gespräch, um ihnen zu danken. Doch dabei fängt er an zu weinen:
O-Ton WEIGELIN-SCHWIEDRZIK: Der hat so geweint, so intensiv geweint vor uns, vollkommen geräuschlos, aber die liefen ihm die Backen runter, sodass wir vier alle an uns halten mussten, um nicht mit ihm zu weinen.



















