Komponierte Einsamkeit
Update: 2025-11-18
Description
Rückzug als Künslter
Die Psychologie ist gefragt, wenn es um Gefühle geht, um persönliche Befindlichkeiten. Manchmal reicht aber auch menschliche Empathie, um sich zum Beispiel dem kanadischen Pianisten Glenn Gould zu nähern. Es gibt Fotografien, da sitzt Gould einmal als etwa Zweijähriger auf dem Schoß seiner Mutter und übt mit ihr am Klavier; später sitzt sein Hund neben ihm mit den Pfoten auf den Tasten.
Gould zieht sich oft zurück: Vom Konzertpodium, von der Öffentlichkeit, letztlich vor allem von den Menschen. Er selbst spricht nicht von Einsamkeit, wohl aber von davon, dass „Isolation die unverzichtbare Komponente menschlichen Glücks sei“.
Allein oder Einsam?
Heute würden manche sagen: Glenn Gould war irgendwo im Spektrum zwischen Autismus und neurotischer Überfixierung. Er selbst schien jedoch glücklich mit seinem Alleinsein. Er produzierte sogar ein Hörspiel namens „The Solitude Trilogy“; eine „Einsamkeits-Trilogie“, in der er polyphon Menschen sprechen ließ über ihre Erfahrungen mit der kanadischen Landschaft, mit Seen, mit Kälte, aber immer ohne Menschen.
Alleinsein muss manchmal sein. Einsamsein, sich einsam fühlen ist hingegen kein erstrebenswerter Zustand. Viele Künstler und Komponisten verlieren ihre Heimat im Exil. Ernst Krenek findet zwar einen Job und wohl auch manche in Amerika nach seiner Flucht im Jahr 1938.
Aber er fühlt sich wie viele andere Exilanten und Flüchtlinge einsam. Aus der Ferne berichtet Krenek melancholisch über den Verlust „seines“ einstigen Wirkungsorts Wien. Er sei – so O-Ton Krenek – „weder hier noch dort noch zu Hause“.
Töne der Einsamkeit
Ein Komponist, der sich dem Thema Einsamkeit ganz bewusst verschreibt, ist der Spanier Frederic Mompou. Mompou ist von Erik Satie beeinflusst und schreibt zwischen 1951 und 1967 einen großen, mehr als einstündigen Klavierzyklus namens „Música callada“, einer paradoxerweise „stillen Musik“.
Mompou hatte eine Nervenschwäche und konnte seine Pianisten-Karriere wegen seiner extrem ausgeprägten Schüchternheit und Introvertiertheit nicht weiter verfolgen. Seine wenigen, isolierten Töne in der „Música callada“ sind auch autobiographisch zu lesen: Eine geradezu auskomponierte, tief empfundene katalonische Einsamkeit.
Zurückgezogen
Vielfältig sind die Spielarten der Einsamkeit. Über Johann Sebastian Bach und Max Reger schreibt der Musikwissenschaftler Christoph Bossert: „Die Welt dreht sich von ihnen weg – sie drehen sich von der Welt weg.“ Da kommt die abstrakte Weltferne Bachs wieder ins Spiel – und Glenn Gould wieder ins Bewusstsein, der just von den erhabenen Fugen so angetan ist.
Im Fall Max Regers sind einige Süchte und Flüchte im Spiel, die Ursache und Wirkung der selbst empfundenen Einsamkeit sein könnten. Regers übermäßiger Alkoholkonsum ist bekannt, er selbst berichtet über seine studentische „Sturm und Trankzeit“. Exzessiv, fast manisch widmet sich Reger der Arbeit, die letztlich an seinem frühen Herztod beteiligt ist. Ob letztlich alles eine Kompensation ist, ob sich Reger bewusst von den Menschen abwandte oder diese von ihm – das bleibt am Ende spekulativ.
Allein war Max Reger auf alle Fälle oft. Und seine Beschäftigung mit Franz Schuberts Liedern und dessen düster einsamen Winterreise könnte dann doch mehr als ein Indiz sein, dass sich Reger wie Schubert ein ums andere Mal einsam fühlt. Gegen Ende seines Lebens bearbeitet Reger übrigens einige Lieder für Orchester. Darunter auch der tragische Erlkönig. Am Ende ist der Vater allein. Einsam und seelisch verloren.
Comments
In Channel






















